Vater schwerst erkrankt - Bluttransfusion?

Vielleicht ist jemand hier, der mir kurz seine gerne auch fachlich fundierte Meinung sagen kann.

Ganz kurz zusammengefasst: Mein Vater ist nach einer schweren Hirnblutung seit 2006 ein Schwerstpflegefall. Im Moment liegt er mit einer schweren Lungenentzündung inkl. Pilzbefall der Lunge und Bakterien im Blut in kritischem Zustand auf der Intensivstation. Lebensverlängernde Maßnahmen haben wir abgelehnt (in seinem Sinne - er selbst kann sich seit 2006 nicht mehr äußern). Jetzt haben die Ärzte um Einwilligung zu einer Bluttransfusion gebeten, weil sein HB-Wert niedrig sei.

Würdet ihr dem zustimmen? Hilft ihm das in seiner Situation noch oder zögert es das Unausweichliche doch nur hinaus? Letzte Woche hatten seine Nieren versagt und nur mit Anstoß durch Medikamente ihren Dienst wieder aufgenommen... Wie lange darf und muss man diesen Mann (77 Jahre alt) noch quälen? Oder hilft man ihm? Ich weiß echt nicht mehr, was ich denken soll. Wäre dankbar für ein paar Meinungen, speziell zu der Frage, ob eine Bluttransfusion sinnvoll ist oder nicht.

Vielen Dank!
trixi#katze

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Hallo!

So eine Frage kann man mit so wenig Informationen nur schwer beantworten.

Wie ist dein Vater denn sonst versorgt/untergebracht? Wenn ihr lebensverlängernde Maßnahmen grundsätzlich ablehnt: Wieso liegt er auf der Intensivstation?

Das Dilemma, das ihr habt: Wann hört man denn nun auf, den Vater zu therapieren? wo ist die Grenze zwischen palliativer Behandlung und Lebensverlängerung?
Im Grunde hättet ihr bei der Diagnose "Lungenentzündung" schon sagen müssen, dass keine kurative Therapie mehr stattfinden soll. Luftnot und andere Symptome hätte man lindern können.Dazu wäre nicht unbedingt eine Antibiose nötig gewesen.

Das ist jetzt auch die Frage bei der Transfusion. Sie wird nur lindern, nichts heilen. Nur wird sie das Leben auch verlängern. Wahrscheinlich, ein bisschen. Das Blut wird aber irgendwann wieder "verbraucht" sein und die Frage nach einer Transfusion wird sich erneut stellen.

Ich denke, ihr solltet das grundsätzlich klären. Als Familie und mit den Ärzten. Die Intensivstation ist für deinen Vater bei diesen Überlegungen der denkbar schlechteste Ort. Dort haben sie ja den Auftrag Leben zu retten. Immer wieder.

Wenn ihr euch alle einig seid, dass Vater sterben soll und sterben darf, dann gehört er auf eine Normalstation oder besser noch ins Hospiz. Ich nehme an, er ist in einem Pflegeheim untergebracht? Die tun sich in solchen Dingen leider immer noch schwer.Nur ist eine Verlegung vom heim ins Hospiz schwer durchzukriegen.

Wichtig ist wirklich, dass ihr euch einig seid, dass ihr voll hinter dieser Entscheidung. steht. Das ist nicht einfach. Ich kann dir aber auch sagen, dass die Entscheidung, ob Transfusion oder nicht nur eine Zwischenetappe darstellt. Es werden viele weitere Entscheidungen dieser Art auf euch zukommen.

Auf die Entfernung und ohne euch zu kennen, ist eine abschließende Antwort nicht möglich. Redet mit den Ärzten. Gibt es eine Ethikkommission? Kann man sich auch an die wenden? Ich glaube, das ist der nächste Schritt.

Alles Gute!

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Hallo und vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Die Frage, warum Papa auf der Intensivstation liegt, ist berechtigt - auch wir haben sie uns schon mehrmals gestellt. Als er vom Pflegeheim, in dem er sonst lebt, ins Krankenhaus gebracht wurde, ging es darum, eine unklare Bronchitis abzuklären - und eh wir es uns versahen, lag er voll angeschlossen auf Intensiv und die Medikamente liefen. Auch da war uns noch nicht klar, dass sein Zustand lebensbedrohlich werden könnte - er verschlechterte sich zunächst ganz langsam. Als dann aber erst das mit drei verschiedenen Antibiotika und einem Antimykotikum überhaupt eine Verbesserung der Werte erzielt werden konnte und seine Nieren kurzfristig ihren Dienst versagten, war uns klar, dass es dieses Mal wirklich ernst ist. Im Laufe seiner "Pflegekarriere" hatte Papa schon viele Krankenhausaufenthalte, aber bislang ging es nie um Leben (?) und Tod. Er hat ein sehr gesundes, kräftiges Herz und offenbar einen ausgeprägten Lebenswillen. Leider kann er nicht mehr kommunizieren, so dass wir nur aus seinem Verhalten schließen können - er ist ein sehr ausgeglichener Mensch und strahlt und lächelt fast den ganzen Tag, auch wenn einem Außenstehenden (und selbst uns) seine Lebenssituation eigentlich kaum lebenswert erscheint, ist er doch offenbar zufrieden - oder eben nicht in der Lage, seine eventuelle Unzufriedenheit auszudrücken. Uns bleibt da nur viel Interpretation, aber bislang hatten wir das Gefühl, das schon halbwegs richtig zu machen.

Jetzt allerdings geht es ihm so schlecht. Sollte er diese Infektion überleben, wird er vermutlich das Bett nicht mehr verlassen können (bislang konnte er mit einem Lifter wenigstens in den Rollstuhl gesetzt werden und hatte so die Chance, mehr als die Wände in seinem Zimmer zu sehen). Auch Schlucken ist ganz schwierig - vielleicht geht irgendwann mal wieder breiige Kost. Und diese beiden Dinge - Essen und im Rollstuhl rumgefahren werden - waren seine letzten "Fähigkeiten" , die letzten Dinge, die er noch vom Leben hatte.

Und an dem Punkt sind wir jetzt. Ein Leben, dass uns als gesunden, verständigen Menschen auch bislang kaum lebenswert erschien - vor allem weil wir wissen, was für ein agiler und gesunder, lebensfroher Mensch unser Papa vor seiner Hirnblutung war - ist jetzt auf so niedrigem Stand, dass wir als Angehörige es kaum ertragen können, Papa so leiden zu sehen. Aber dürfen wir sein Leben ausklingen lassen, weil wir es nicht mehr ertragen? Ist das egoistisch? Oder wäre es egoistisch, an seinem Dasein zu klammern, nur um ihn nicht sterben zu sehen?

Reanimationsmaßnahmen, Beatmung und das Legen einer Magensonde haben wir abgelehnt, weil er früher schon häufiger geäußert hat, dass er niemals von Maschinen würde abhängig sein wollen, und auch, weil wir denken, dass er jetzt, nach so langer Leidenszeit, einfach nicht noch länger als "nötig" am Leben erhalten werden sollte. Wir als Familie (meine Schwester, Papas Lebensgefährtin und ich) sind uns da auch einig.

Der Bluttransfusion haben wir heute zugestimmt - nicht wissend, ob das logisch ist und welche Auswirkungen es haben wird. Wir haben zugestimmt, weil wir außerdem mit der Frage konfrontiert wurden, ob die Ärzte eine Thoraxdrainage legen dürfen, um einen eitrigen Pleuraerguss ablaufen lassen zu können. Nachdem das keinen heilenden Effekt hat, sondern Papa nur die Atemnot nehmen soll, haben wir dem auch zugestimmt. Er soll nicht leiden.

Ach herrje, ich schreibe und schreibe - ihr seht schon, wie verworren es in meinem Kopf ist. Die Situation macht mir wirklich zu schaffen. Eigentlich wünsche ich mir nur, dass Papa in Frieden und Würde einschlafen kann. Aber sein Herz schlägt und schlägt - und ich weiß halt nicht mit allerletzter Sicherheit, was er selbst möchte. Das werde ich auch nie erfahren, da er seit neun Jahren keine Willensäußerung mehr machen kann. Ich muss mich darauf verlassen, was er früher mal geäußert hat und was ich für das richtige halte. Und hoffen, dass das dann auch wirklich richtig ist.

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Hallo!

Ja, das ist eine komplizierte Situation.

Man muss immer fein unterscheiden zwischen dem Leid, das man selber trägt, und dem, was der Betroffene vermeintlich erleidet. Das sind in der Regel zwei Paar Schuhe. Ich denke, deinem Vater waren die letzten Jahren nicht unbedingt eine einzige Qual. Man merkt auch sehr reduzierten Menschen oft an, wie es ihnen wirklich geht. Zumindest können das Außenstehende/Pflegende ganz gut merken, als Angehöriger ist man zu sehr mit betroffen.

Aber jetzt liegt dein Vater auf der Intensivstation, wo ihr nicht haben wollt. Schwierig ist es, weil sein jetziger Zustand ein akuter, neuer Zustand ist. Als mit der Therapie begonnen wurde, war noch nicht klar, in welche Richtung das gehen würde. Nun ist das Dilemma da: Wie weit soll und darf man gehen?

Ich denke, weder die Transfusion noch die Pleuradrainage werden Großartiges bewirken. Beides ist eher palliativ, beides wird keine "Heilung" herbeiführen. Da konntet ihr weder was richtig noch was falsch entscheiden. Es ist schon mal gut, dass ihr das Ganze überhaupt hinterfragt.

Ich denke aber auch, dass die echten Probleme und Fragen noch kommen werden. Man wird euch wieder eine Magensonde ans Herz legen und das sehr vehement. Auch von Seiten des Heimes. Da solltet ihr euch dann sehr, sehr einig sein und ganz standfest bleiben. Auch dann , wenn man euch mit "Verhungern" droht und damit, dass ihr ganz allein verantwortlich sein werdet für die Folgen. (Das mit dem Verhungern ist einfach nicht wahr!)

Ich kann nur wiederholen: Redet mit den Ärzten und sagt, was ihr wollt, was dein Vater wahrscheinlich gewollte hätte. Redet mit dem Seelsorger, mit den Sozialarbeitern, fragt mal in Hospizen -ambulant und stationär-nach, wie man weiter vorgehen kann. Ihr braucht ja auch Unterstützung und Rat. Es ist nämlich nicht so einfach zu sagen, dass nichts Lebensverlängerndes erfolgen soll. Es ist nicht so einfach, einfach "Schluss" zu machen.

Hinterfragt weiter! Ihr dürft auch "Nein" sagen. Die im Krankenhaus, besonders auf der IBS, müssen euch alles anbieten, was sie können. Manchmal sind die auch dankbar, wenn die nicht alles durchziehen müssen, was theoretisch ginge. Es geht da ganz viel um Absicherung. Ihr dürft da mutig sein.

Und zum Abschluss: Es gibt kein wirkliches Richtig oder Falsch. Ihr werdet nie erfahren, was passiert wäre, hättet ihr den anderen Weg gewählt. Ihr könnt nur gemeinsam überlegen und gemeinsam nach eurem Gewissen entscheiden. Damit müsst ihr hinterher leben. Die Entscheidungen müssen nicht logisch sein oder endgültig, nur muss etwas entschieden werden. Nach bestem Wissen und Gewissen. Mehr geht nicht.

Viele Grüße

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Ich stelle dir/euch nur eine Frage.

Könnt ihr ihn gehen lassen? Seit ihr so weit, euch zu verabschieden?

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Ja, inzwischen sind wir alle so weit. Wenn man ihn so da liegen sieht, und bei seiner Vorgeschichte (siehe Antwort auf vorigen Kommentar), kann man sich nicht wünschen, dass er weiter so vegetieren muss. Es ist für uns keine Entscheidung zwischen Leben und Tod, sondern zwischen Siechtum und Tod. Das macht es etwas einfacher. Aber nur etwas...

Papa soll nicht leiden, aber auch nicht mit allen Mitteln am Leben erhalten werden. Und diesen Mittelweg zu treffen, das ist die Kunst...

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Das tut mir sehr leid mit deinem Vater.

Hätte wir damals (2007) ebenso entschieden, wie ihr seit der Hirnblutung, würde mein Vater wohl heute noch so da liegen. Aber wir haben uns dann nach reiflicher Überlegung und ausführlichen Gesprächen mit Ärzten dazu entschlossen, ihn gehen zu lassen, denn das wäre kein Leben mehr gewesen. Sein Gehirn war schwerstgeschädigt, er hatte vor der Einlieferung ins Krkhaus bereits 7(!) Stunden bewusstlos allein zuhause gelegen, das war einfach zu lang. Dann die Not-OP, aber er wachte nicht mehr auf. Er war erst 72.

Er wurde nur zwei Wochen nach der schweren Hirnblutung auf unsere Entscheidung hin von der ITS auf die Normalstation verlegt, versorgt mit allem, was er brauchte, um nicht leiden zu müssen (keine Schmerzen etc.). Aber mit der Vereinbarung, nicht mehr lebenserhaltend einzugreifen, also z.B. nochmal OP oder wie bei euch mit der Bluttransfusion o.ä.

Drei Tage nach Verlegung ist er ganz friedlich eingeschlafen.

LG
Merline

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Hallo Merline,

wenn uns damals jemand gesagt hätte, wie die Geschichte sich entwickeln könnte, hätten wir vielleicht auch andere Entscheidungen getroffen. Wobei wir eigentlich nie vor eine Entscheidung gestellt wurden. Papa war damals 69, er lag nach der Blutung zwei Wochen im Koma, kam dann langsam wieder zu sich und war von den Vitalwerten her so fit, dass er nach einer weiteren Woche schon in die Rehaklinik verlegt wurde. Er war zwar immer noch reichlich verwirrt, aber die Ärzte hatten uns gesagt, dass sich das schon wieder geben würde... Pustekuchen... Körperlich wurde er ziemlich gut wieder hergestellt, konnte sogar wieder ganz ordentlich gehen und (nach)sprechen, also artikulieren. Aber er war nie wirklich orientiert, konnte nur selten sinnvolle Äußerungen machen (und wenn, war es vermutlich Zufall). Und nach drei Monaten Reha kam dann der erste Grand-Mal-Anfall, der ihn total auf Null zurückwarf. Sechs Wochen später mussten wir uns dann entschieden, ihn ins Pflegeheim zu geben. Und seitdem geht es auf und ab - hier mal eine Harnwegsinfektion (dank Katheter - den PVK hat er sich immer selbst rausgerissen, daher ist er nach wie vor über die Harnröhre katheterisiert - seit nunmehr neun Jahren!), da mal ein Oberschenkelhalsbruch wegen Inaktivitätsosteoporose im Bein, hier mal eine Lungenentzündung, da mal ein abgebrochener Zahn... aber nie ging es ihm so schlecht wie jetzt. Er hat uns auch unter schlimmsten Schmerzen immer angelächelt und in den guten Phasen das Gefühl gegeben, dass es ihm gut geht und er das bisschen Leben, das er in unseren Augen noch hatte, wirklich genießt. Alle im Pflegeheim lieben ihn, weil er so ausgeglichen und freundlich ist. Aber jetzt... jetzt scheint er selbst auch nicht mehr kämpfen zu können und zu wollen, und wir würden ihm nichts mehr gönnen als seinen Frieden.

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Keine Hirnblutung ist wie die andere, jeder Verlauf ist anders.

Bei deinem Vater wird schnell klar gewesen sein, dass große Areale des Hirn irreparabel geschädigt waren. Da war die Entscheidung, die Therapie einzustellen wohl schnell klar.

So klar ist es aber selten.Jede Hirnblutung ist eine Wundertüte. Manche werden wieder fast wie vorher, andere sind total verändert, wieder andere bleiben pflegebedürftig. Das weiß man aber erst hinterher.

Wenn jemand mit Hirnblutung kommt, wird deshalb erst mal mit der Therapie angefangen. So ist das eben und so muss das auch sein, denn vielleicht wird derjenige ja wieder ganz der Alte, s.o. Man sieht erst im weiteren Verlauf, wohin die Reise geht.

Der Vater der TE hat sich ja nochmal berappelt. Da hat sich die Frage nach Beenden der Therapie einfach nicht gestellt. JETZT stellt sie sich. Das ist ein ganz anderer Verlauf als bei deinem Vater.

Eine Transfusion ändert im Grunde auch nicht viel am Verlauf. Sie kann lindern, z.B. Luftnot bei Anämie. Wenn du aber die Grunderkrankung nicht ändern kannst, dann wird derjenige wieder in eine Anämie rutschen und irgendwann ist das mit den Transfusionen auch ausgereizt. Auch die Pleuradrainage ist nicht zur Lebensrettung gedacht, sondern um Luftnot zu lindern.

Ich persönlich finde zwei Dinge sehr schwer:
1. WANN genau beendet man eine Therapie. Welche ist wann nötig? Und vor allen Dingen: Was kann man sein lassen?
2. Es ist ganz schwer zu beurteilen, welches Leben "lebenswert" erscheint und welches nicht. Als gesunder, junger Mensch ist die Vorstellung, so dermaßen abhängig zu sein, völlig undenkbar. Da schreien dann viele gern nach aktiver Sterbehilfe.

Wenn man aber "reduzierte" Menschen erlebt und begleitet, dann verschiebt sich da was. Die meisten -nicht alle- finden ihr Leben dann doch noch irgendwie ganz gut und machen das, was noch geht. Wie also soll man entscheiden, wann der Punkt da ist, dass man jemand gehen lässt? Manchmal muss man das entscheiden, aber leicht ist das nie.

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