Elternängste - Kinderängste

Jedes Kind kennt Ängste

Wann sind Ängste sinnvoll, wann werden sie krankhaft? Für einen Schulpsychologen sind sie mehr als ein Phänomen. Er hat täglich in der Praxis mit ihnen zu tun.

Autor: Andrea Grüten

Fast alle Kinder durchleben Ängste

Junge Angst
Foto: © panthermedia/ Sonia Boukaia-Murari

Fast alle Kinder durchleben in ihrer Entwicklung Phasen mit ungewöhnlich intensiven Angstgefühlen. Sie fürchten sich vor Tieren und Dunkelheit; oder sie haben plötzlich Angst, wenn Mama oder Papa außer Sichtweite sind. Neue Erfahrungen können irritieren, ungewöhnliche Ereignisse beunruhigen. Gehen solche Angstzustände aber über Wochen, sollten sich Eltern nicht scheuen, Beratungsstellen oder Therapeuten aufzusuchen. Für den Schulpsychologen Dr. Mühlen zum Beispiel sind Ängste kein Phänomen. In der Psychologischen Beratungsstelle Hilden hat er damit täglich zu tun.

Ängste steuern sinnvoll unser Leben

Es gibt kein Leben ohne Angst. Was aber ist gesund, was ist ungesund? Dr. Mühlen machen das an einem Schaubild fest. "Es gibt Menschen, die kennen nur ganz geringe Ängste. Die meisten von uns liegen aber im Mittelmaß. Und bei wenigen ist ein ausgeprägtes Angstgefühl vorhanden. Diese Personen sind meist sensibler oder hatten ein entsprechendes Erlebnis, zum Beispiel einen Unfall. Angst ist auch eine Frage des Temperaments oder der Erfahrungen", erklärt der Psychologe. In jedem Fall steuern Ängste auch sinnvoll unser Leben. "Man ist halt in manchen Situationen lieber vorsichtig." Kritisch wird es nach Erfahrung des Experten erst, wenn Eltern derart überzogen, überängstlich oder gar neurotisch reagieren. Dann greift das unweigerlich auch auf Kinder über, und man sollte lieber einen Fachmann zu Rate ziehen.

Besonders häufig: Angst vor Entführungen

Problematisch ist Überängstlichkeit, weil die Betroffenen den Zustand als normal ansehen. Oder sie rechtfertigen ihr ungewöhnliches Verhalten: Sie gehen im Dunkeln nicht mehr auf die Straße, verbarrikadieren sich aus Furcht vor Einbrechern in der Wohnung oder vermeiden andere Situationen, die ihnen Angst einflößen. Übertriebene Fälle hat Dr. Mühlen gerade in dieser Zeit im Hinblick auf Kindes-Entführungen. Da kommen Eltern aufgrund von Negativ-Schlagzeilen in den Medien zu ihm und befürchten, dass ähnliches ihrem Kind widerfahren könnte. "Meist wird beim Thema Angst bei uns das Kind vorgestellt. In Wirklichkeit geht es aber um die Eltern“, sagt Dr. Mühlen. "Ist das Verhalten nicht schon krankhaft, muss man sich doch realistisch die Frage beantworten, wie begründet sind meine Ängste?“

Erfahrungen in der Biografie

"In der Regel findet man bei überängstlichen Personen Schwachpunkte in deren Biografie“, weiß Dr. Mühlen. "Irgendetwas ist in der Entwicklung schiefgelaufen.“ Er macht das deutlich an einem Beispiel: Wenn der Bruder von einem Elternteil ständig mit schlechten Noten nach Hause kam oder am Ende sogar auf die schiefe Bahn geraten ist, so machen sich Eltern eventuell Gedanken, ob dies auch ihrem Kind passieren könnte. Sie werden verstärkt Druck auf die schulischen Leistungen ausüben, aus Angst, was aus dem Kind wird.

Wenn Kinder nicht zur Schule wollen...

Oft hat Dr. Mühlen mit Kindern zu tun, die einfach nicht in die Schule gehen wollen. Auch in diesen Fällen muss er zunächst Ursachenforschung betreiben: Liegt eine reale Bedrohung des Kindes vor? Wird es etwa von anderen erpresst? Oder sind die Leistungsanforderungen der Eltern einfach zu groß? Wollen sie ihr Kind mit Gewalt zum Abitur "prügeln“? "Letzteres betrifft die Mehrzahl der Fälle in meiner Praxis“, erklärt Dr. Mühlen. Schon vom Kleinkind-Alter an werden die Sprösslinge oft mit Terminen zugeschüttet – von der Musikschule, zum Sportverein und so weiter. "Eltern wollen ihre Kinder oft früh in die ein oder andere Richtung lenken, statt ihnen Freiräume zu gewähren.“ Tausend Termine schon in frühester Kindheit schränken ein, bergen die Gefahr von Verweigerung und dem Aufbau vermeintlicher Angstgefühle.

Elternängste – Kinderängste: Ein Beispiel

Als ihr Mann ins Ausland fahren musste, zog die Mutter mit ihren Kindern solange ins Haus ihrer Eltern. Sie mochte nicht allein im Haus zurückbleiben. Zwanzig Jahre später steht die Tochter vor der Tür der Mutter. Ihr Mann ist auf Geschäftsreise, aber zu Hause schlafen...

Das Beispiel ist entnommen aus dem Buch Kinderängste - Elternängste

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