Autoritäre Erziehung im Nachbarland

Kinder schlagen: In Frankreich erlaubt

Wenn es um flächendeckende Kinderbetreuung geht, ist Frankreich oft Vorbild. Ob wir es bei der Kindererziehung wie die Franzosen halten wollen, ist allerdings fraglich, denn die Franzosen haben sich gerade von Neuem dagegen entschieden, Gewalt in der Erziehung unter Strafe zu stellen.

Autor: Erik Paschen

Wie machen die das?

Frankreich Erziehung Gewalt
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Als Deutsche in einem französischen Restaurant mit kleinen Kindern ein Drei-Gänge-Menu genießen - das ist ein Wiederspruch in sich. Schon beim Warten auf das „plat principal“ schlägt der Genussfaktor in Reue um, weil die Racker nicht mehr zu bändigen sind. Die deutschen Eltern schauen neidisch zum Nachbartisch. Brav sitzen zwei Vorschul-Franzosen neben ihren Eltern, unterhalten sich höchstens im Flüsterton. „Wie machen die das?“, staunen die deutschen Urlauber.

Wer etwas länger bei den französischen Nachbarn weilt, bekommt darauf zwar Antworten, aber es tun sich auch neue Fragen auf. In Frankreich ist eine strenge, autoritäre Erziehung noch weit verbreitet. Ein Kind hat zu gehorchen und seine Eltern zu respektieren. Eine weiche Erziehung mache „enfant-roi“, kleine Könige aus den Kindern, kleiner Tyrann ist der weniger nette Titel. Der gewünschte Respekt wird notfalls mit einer “fessée“, einer Tracht Prügel eingefordert.

Dritter Versuch gescheitert, Schläge zu verbieten

Dieses Recht auf körperliche Züchtigung wollen sich die Franzosen auch in Zukunft nicht nehmen lassen. Aktuell ist jetzt im Mai 2014 wiederholt eine Gesetzesinitiative verschoben worden, die Gewalt in der Erziehung unter Strafe stellen sollte. Es war der dritte Versuch innerhalb weniger Jahre, es den18 Ländern in Europa gleichzutun, welche die körperliche Bestrafung abgeschafft haben. Gescheitert ist das Vorhaben an der Grundhaltung der Franzosen, der Staat habe sich nicht in die Erziehung einzumischen. Fast 90 Prozent der Eltern wollen sich das Recht nicht nehmen lassen, notfalls auch körperlich argumentieren zu dürfen. Das ist nicht zynisch formuliert, sondern auch das Ergebnis einer Studie, die sich mit der Kultur des Schlagens beschäftigt hat. Die Franzosen sprechen mit ihren Händen, heißt es da, und wenn sie schlagen, ist es ein Mittel, mit den Händen zu sagen, was sie denken.

Wer auf der Straße die Franzosen dazu befragt, bekommt offene Antworten. „Wer keinen Respekt zeigt vor Eltern oder den Lehrern, verdient eine Ohrfeige“ meint Dario, 32. Pierre, 29, stimmt ihm zu: „Ich habe jede Ohrfeige verdient und geschadet hat es mir nicht.“ Francine, zweifache Mutter sieht das ähnlich: “Ich versuche das zwar zu vermeiden. Aber ab und zu gibt es einen Klaps – nicht um weh zu tun, sondern um Struktur in eine Situation zu bekommen.“

Recht des Stärkeren?

Edwige Antier, Abgeordnete und Ärztin, ist Initiatorin der gescheiterten Gesetzesvorlage. Sie will solche Argumente nicht gelten lassen: “Körperliche Bestrafung macht Kinder nur härter und hinterlistiger, aber nicht einsichtiger. Das Kind begreift schon früh, dass sich Konflikte mit Gewalt lösen lassen und dass der Stärkere das Recht hat, den Schwächeren zu schlagen.“ Studien in Deutschland und Frankreich geben ihr Recht. Wer als Kind geschlagen wird, schlägt schneller auf dem Spielplatz zu, wird als Jugendlicher eher gewalttätig und hat eine geringere Hemmschwelle später auch die eigenen Kinder körperlich zu strafen.

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Französische Kinder sitzen im Restaurant nicht brav und stumm auf ihren Stühlen, weil sie Angst vor der nächsten Ohrfeige haben. Es ist eher die klare Hierarchie zwischen Eltern und Kindern. Die Eltern sind die Chefs und sie entscheiden, wo es lang geht – ohne Diskussionen. Ein permanentes Eingehen auf die Wünsche der Kinder im Sinne eines gleichberechtigten Miteinanders ist eher die Ausnahme. 

Schlagen französische Eltern wirklich mehr als deutsche?

Bleibt die Frage, ob die Zahl der Eltern, die ihre Kinder schlagen in Frankreich wirklich so viel größer ist. Je nach Umfrage geben auch in Deutschland zwischen 40 und 57 Prozent der Eltern zu, ihre Kinder in den letzten zwölf Monaten geschlagen zu haben. Man kann davon ausgehen, dass in einem Land, in dem seit dem Jahr 2000 Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben, nicht alle Befragten ehrliche Antworten geben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es immer eine Dunkelziffer von Befragten gibt, die lieber das antworten, was „sozial erwünscht“ wird. Sogar 75 Prozent der Eltern, die sich offen zu Klaps und Ohrfeige bekannt haben, werden einer Studie im Auftrag der Zeitschrift „ELTERN“ zu Folge, anschließend vom schlechten Gewissen gepeinigt. Vielleicht ist das der eigentliche Unterschied? Die Franzosen stehen dazu und den Deutschen tut es anschließend leid?