Debatte: „Die Abschaffung der Mutter“

„Mütter gelten als leicht ersetzbar“

Im Buch „Die Abschaffung der Mutter“ wehren sich Alina Bronsky und Denise Wilk gegen die wachsende Bevormundung von Müttern. Alina Bronsky berichtet vom Druck, der auf Müttern lastet und wie sich die Gesellschaft verändern sollte. Ein Interview plus Leseprobe.

Autor: Heike Byn
Abschaffung der Mütter Interview

Die Autorinnen Denise Wilk und Alina Bronsky

Foto: © Gudrun Senger

Was genau meint ihr mit der „Abschaffung der Mutter"?

Wir haben darunter unsere Beobachtungen zusammengefasst, dass Mütter heutzutage in vielen Bereichen als unwichtig, inkompetent und leicht ersetzbar gelten. Uns allen wird vermittelt, dass Frauen einerseits Kinder bekommen müssen, sich aber – überspitzt formuliert – nicht um sie kümmern, sondern die Erziehung möglichst bald vermeintlichen Fachleuten überlassen sollen. 

Welchen Herausforderungen und Hürden müssen sich Mütter denn heutzutage stellen?

Grundsätzlich ist es für Mütter schwerer geworden, sich kompetent und verantwortlich zu fühlen. Schon in der Schwangerschaft haben es Frauen nicht leicht, sich gegen die Vorsorge und wissenschaftlich unbegründete Überkontrolle zu behaupten. Kindererziehung wird als akademische Disziplin dargestellt, in der die Mutter angeblich nur scheitern kann, sofern sie nicht ausreichend Kurse und Workshops belegt hat. Außerdem werden Frauen unter Druck gesetzt, zu einem Zeitpunkt in den Beruf zurückzukehren und Kinder betreuen zu lassen, der vielen eigentlich verfrüht erscheint. Wir haben mit vielen Müttern gesprochen, die bestätigten, dass die Entmündigung zugenommen hat. Einige wollen ihr Kind nicht so früh in der Krippe abgeben, aber sie fühlen sich genötigt, weil sie glauben, dem Kind sonst zu schaden.

Gesellschaftlicher Konsens scheint mitunter, der Vater solle sich mehr an der Erziehungsarbeit beteiligen, die Mutter wiederum schneller in den Beruf zurückkehren. Wie steht ihr dazu?

Wir finden diese Regulierungswut bis ins Private hinein übergriffig. Viele Umfragen zeigen, dass das in der Frage angesprochene Ideal eher in wenigen Familien gelebt wird. Wir glauben: Jedes Paar soll seine Aufgabenteilung selbst regeln. Manche Familien sind mit 50/50 glücklich, andere entscheiden sich dafür, dass die Mutter in den ersten Jahren den größeren Beitrag zur Erziehung leistet, manche leben gar den totalen Rollentausch. Wir sind alle unterschiedlich und passen nicht in die gleiche Schublade. Wie lange eine Mutter bei ihrem Kind bleibt, soll jede selbst entscheiden.

Viele Frauen können sich den Rückzug aus dem Job nicht leisten, weil sie mitarbeiten müssen, um die Familie zu ernähren. Für sie ist die Frage, wie lange sie beim Kind bleiben, ein Luxusproblem.

Wir können und wollen Frauen nichts vorschreiben. Aber wir bedauern es, wenn Mütter aus purer Existenznot früher und für längere Zeit, als sie eigentlich möchten, in ihren Beruf zurückkehren müssen. Wir finden, dass in der Politik ein finanzieller Ausgleich für Mütter geschaffen werden muss, der es ihnen möglich macht, ihre Kinder zu erziehen, ohne den Rückzug zum Luxusgut zu machen.

Wie müsste sich denn in unserer Gesellschaft der Umgang mit Müttern ändern?

Manches lässt sich schwer, anderes leichter umsetzen. So sind wir für eine Stärkung der Geburtshilfe durch Hebammen, weil selbstbestimmte Geburten ein besserer Start in eine selbstbestimmte Mutterschaft sind. Wir sind für ein Betreuungsgeld in den ersten drei Jahren, das diesen Namen auch verdient, damit Familien die Wahl haben, ob sie die Kleinsten zu Hause betreuen oder in eine Einrichtung geben. Wir sind grundsätzlich gegen Ausgrenzung, für Rücksicht und Offenheit und auch für den Gedanken, dass Kinder keine Bürde, sondern Bereicherung und Glück sind.

Für viele Frauenrechtlerinnen ist euer Buch ein Affront. Diese Frauen haben ihr Leben lang für Chancengerechtigkeit – auch im Beruf – gekämpft und nun propagiert ihr den Beruf der Mutter.

Das ist doch unser gutes Recht. Wer aus der eigenen Biografie Forderungen an nachfolgende Generationen ableitet, verhält sich erpresserisch. Nur weil Frauen früher unter männlicher Unterdrückung gelitten haben, soll ich jetzt das Wohl meiner Kinder aufs Spiel setzen? Einen Feminismus, der sich nur für die Rechte der arbeitenden Frau einsetzt, halte ich für frauenfeindlich.

Hier ins Buch reinlesen.

Das Buch: Alina Bronsky / Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf. Deutsche Verlags-Anstalt 2016, 256 S., € 17,99. ISBN 978-3-421-04726-7

Die Autorinnen: Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg, und Denise Wilk, geboren 1973 in Freiburg, wissen genau, wovon sie sprechen. Die beiden Frauen haben insgesamt zehn leibliche Kinder. Alina Bronsky ist außerdem erfolgreiche Bestsellerautorin („Scherbenpark", „Baba Dunjas letzte Liebe"), Denise Wilk begleitet als Doula schwangere Frauen und junge Mütter und gibt Eltern-Kind-Kurse.