"Highway to hell" als Wiegenlied

Kindermusik, die auch Eltern gefällt

Nicht alle Eltern mögen Schni-Schna-Schnappi oder Nenas Einspielung klassischer Kinderlieder. Und da Kinder Wiederholungen lieben, wird ihre Musik für manche Eltern zur Tortur. Wir haben uns nach Musik für Kinder umgesehen, die auch Mamas Ohren schmeichelt.

Autor: Maja Roedenbeck

Schluss mit 'Schnappi'

Kindermusik panther R Kneschke
Foto: © panthermedia, Robert Kneschke

„Da können meine Mädels noch so große Kulleraugen machen und bitten und betteln: ‚Wir wollen Schni-Schna-Schnappi hören!’ Ich rück’ die CD schon lange nicht mehr raus“, schwört meine Freundin Bianca (32), Hörfunkredakteurin und Mutter zweier Töchter im Kindergartenalter, „Am liebsten würde ich dieses grässliche Lied per Gesetz verbieten lassen!“ Tja, an dem kleinen Krokodil aus Ägypten, das seinem Papi kurz ins Bein beißt und von Kindern auf der ganzen Welt geliebt wird, scheiden sich die Geister der Eltern. Die einen schwärmen gemeinsam mit Sohn oder Töchterlein: „Das ist ja so niedlich!“ und haben ihren Handyklingelton auch fünf Jahre nach dem Kroko-Hype noch nicht geändert. Überhaupt jede Art von Musik, die nach Friede, Freude, Eierkuchen klingt, weckt in ihnen die Erinnerung an die eigene unbeschwerte Kindheit und dient hervorragend zum Stressabbau.

Die Mitglieder der anderen Fraktion jedoch fordern (nicht nur bei Schnappi): „Weg mit dem Gedudel aus den Kinderzimmern! Her mit einem niveauvollen Musikgeschmack für unseren Nachwuchs!“ Klassische Kinderlieder mit Akustikgitarre, Blockflöte, fröhlich-unschuldigen Strophen und Lalala-Refrain sind ihnen ein Gräuel. Mit subtilen Methoden versuchen sie, ihren Söhnen und Töchtern eine Vorliebe für „echte Musik“ unterzujubeln. Leider mit mäßigem Erfolg. Die Kleinen lassen sich zwar kurzfristig durchaus für Erwachsenencharts begeistern – aus unerklärlichen Gründen stehen ja zum Beispiel so gut wie alle Drei- bis Sechsjährigen auf „We will rock you“ von Queen –, aber mit ihren feinen Antennen merken sie gleich, dass das nicht eigens für sie komponiert wurde, folglich auch nicht als Lieblingsmusik taugt. Darum hier ein paar Ausweichmöglichkeiten für Eltern, denen bei Schnappi, dem Pipi Langstrumpf-Titelsong und sämtlichen C-Dur/G-Dur-Stücken aus der „Mundorgel“ die Ohren abfallen. Wer nicht unter solcherlei Symptomen leidet, mag die Tipps vielleicht einfach als Ergänzung zum klassischen Programm sehen.

'Highway to hell' im Spieluhrensound

Fangen wir mit den Babys an. Was für eine Erleichterung, wenn man sie so weit hat, dass sie friedlich einschlafen, egal wann und wo, wenn sie nur das beruhigende, weil seit Geburt bekannte „Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu“ oder „Schlaf, Kindchen, schlaf“ aus der Spieluhr plätschern hören! Doch nach mehreren Monaten Nachtschicht am Gitterbettchen, wenn ebenjene Spieluhr zum gefühlten millionsten Mal läuft, schleicht sich gern der dringende Wunsch ein, mal was anderes zu hören. Und da gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, den Säugling ganz sanft an die eigenen Musikvorlieben heranzuführen: die Serie „Rockabye Baby“, Rockmusik im Spieluhrsound. Sie umfasst inzwischen 25 Alben, und auf jedem sind die größten Hits einer großen Band versammelt, in einer Art Karaokeversion ohne Gesang, dafür mit viel Xylophon, Glockenspiel, Harfe, Vibraphon, Klavier und sanften Percussions – eben so wie es Babys lieben und von ihren Spieluhren gewohnt sind. Da klingt die Stones-Nummer „I can’t get no satisfaction“ plötzlich, als könnte Mick Jagger kein Wässerchen trüben, und aus AC/DCs „Highway to hell“ wird ein hübsches „Pliiing, pliiing, plingpling!“ Das ist wirklich köstlich und tut beim nächtlichen Stillen und Kindherumtragen auch der elterlichen Laune gut. Allerdings kann es nicht schaden, „Rockabye Baby“ Probe zu hören, bevor es als Einschlafhilfe eingesetzt wird, denn in manchen Stücken schwillt die Energie doch recht unvermittelt an oder ein E-Bass zupft eine schräge zweite Stimme, sodass der eben ruhig gewordene Säugling gern wieder anfängt zu nörgeln. Leider sind die CDs mit 30 Euro für die Topbands sehr teuer, aber über Ebay-Verkäufer aus den USA lassen sie sich einschließlich Versand auch schon für die Hälfte erstehen. Mehr als ein oder zwei Alben aus der Serie braucht sowieso kein Mensch, denn nach der Spieluhrradikalkur klingen am Ende selbst so grundverschiedene Musikrichtungen wie die von Radiohead und den Beatles ziemlich ähnlich.

Übrigens: Seit dem Frühjahr 2012 gibt es endlich auch deutschsprachige Tophits im Spieluhrensound - unter www.baby-stars.de! Ob Tokio Hotels "Durch den Monsun", Julis "Perfekte Welle" oder Silbermonds "Das Beste", sie alle sind auf dem ersten Baby Stars-Album "Willkommen im Leben" versammelt. Die Titel können aber auch einzeln als MP3 erworben und downgeloaded werden. Schöne
(Konzert-)Erinnerungen für Mama und Papa gleich Entspannung für die ganze kleine Familie...

Wer natürlich befürchtet, die "Rockabye Baby"- und "Baby Stars"-Interpretationen seiner Lieblingsstücke bringe in der fragilen Gemütsverfassung einer durchwachten Nacht nur wehmütige Erinnerungen an längst vergangene Zeiten zurück, in denen vierzehn Stunden ungestörter Schlaf nach einem bewusstseinsverändernden Rockkonzert noch möglich waren, ist besser mit einem anderen, besänftigenderen Geheimtipp bedient: Auf der Wiegenliedersammlung „’Til their eyes shine - The Lullaby Album“ (18 Euro, über Ebay-Verkäufer aus den USA ab 10 Euro) singen weibliche Pop-, Country- und Folkgrößen wie Dionne Warwick, Rosanne Cash und Gloria Estefan wunderbare Balladen über das Glück, Kinder zu haben. In “Child of Mine” von Emmylou Harris klingt das inmitten tröpfelnder Klavierbegleitung zum Beispiel so: „Although you see the world different than me, sometimes I can touch upon the wonders that you see“. Da geht einem beim Zuhören das Herz auf und man weiß plötzlich wieder genau, warum Familienstress eigentlich Pillepalle ist und das Leben mit Kindern einfach nur schön.

Jenseits von 'Alle Vögel sind schon da'

Irgendwann haben Spieluhr und Wiegenlieder ihren Dienst getan und die musikalische Persönlichkeitsentwicklung des Nachwuchses erobert das nächste Level. Dann greift die „Back to the roots“-Fraktion unter den Eltern auf „Nena singt die schönsten Kinderlieder“ zurück, lauscht der glockenklaren Stimme der vierfachen Mutter und freut sich, dass sich auch moderne Kinder für „Alle Vögel sind schon da“ oder „Ein Männlein steht im Walde“ begeistern können. Die Verfechter der Frühförderung in Sachen Musikgeschmack dagegen gestatten das Vorsingen von deutschem Liedgut höchstens in Zeiten eigener Abwesenheit den Omas, denn sie wissen, dass die sich ohnehin auf einer wichtigen Mission zur Verteidigung der altbewährten Kindermelodien gegen die Invasion der schrecklichen englischen Musik wähnen. Für Zeiten, in denen der Oma-Chor nicht parat ist und der CD-Player einspringen muss, gibt es genügend gute Alternativen – und zwar durchaus auch in deutscher Sprache:

  • RADAU!
  • www.radau-online.de

    Die Hamburger Jungs machen Deutschrock, mal ein bisschen jazzig, dann wieder eher funpunkig, sie selbst sehen sich irgendwo zwischen den Beatles und den Ärzten. Inhaltlich geht es meist um das Leben im Schulalter (einschlafen im Matheunterricht, Vorfreude auf die Ferien). Doch dazwischen sprechen universelle Kinderthemen wie das Lamento: „Das ist gemein, warum muss es immer bloß so ungerecht sein?“ auch den Kleineren schon aus der Seele.

  • DONIKKL und die Weißwürschtl
  • http://www.donikkl.de

    Die sechsköpfige Band aus Profimusikern und Pädagogen bringt einen schnellen Mix aus Raggae, Ska, Funk und Latin mit echtem Bläserensemble – da ist musikalisch für jeden Geschmack was dabei, nur zum Entspannen kommt keiner. Und die Texte muss man mögen: „Pferde wolln nicht nur im Stall rumstehn, wir ham doch keinen Knall, die Welt da draußen wolln wir sehn!“ Ist das nun genial-schräge Comedy oder eher grenzwertig?

  • Die ATZE Band
  • www.atzeberlin.de

    Das ATZE Musiktheater im Berliner Wedding ist bekannt für seine mit Liebe zum Detail inszenierten Aufführungen für Kinder, in denen Musik mit einer Vielfalt an Instrumenten immer eine wichtige Rolle spielt. Die hauseigene Band bietet vom Sambarhythmus zu Ehren der Frühlingssonne bis hin zur Klavierballade über einen unendlichen Geschwisterstreit ein breites Spektrum – nicht so knallig-deutschrockig wie RADAU! oder DONIKKL und auch von den Inhalten her noch sanfter und verständnisvoller, aber durch ein spannendes Gitarrensolo hier und ein ungewöhnliches Arrangement dort dennoch ein gutes Stück von der gewöhnlichen Kindermusik entfernt.

  • Putumayo Kids 
    www.putumayokids.com
    Putumayo Kids ist ein Label, das sich auf Weltmusik für Kinder spezialisiert hat. Ob keltische, brasilianische oder asiatische Wiegenlieder und Kids’ Songs – alle Alben im Katalog bieten unverbrauchtes Input für die Ohren. Nun mag der eine oder andere nichts von Räucherstäbchen geschwängerten Ethnogesängen halten und das Klischee auf CDs wie „African Dreamland“ auch bestätigt finden. Doch es lohnt sich trotzdem, weiter zu stöbern, denn zum Beispiel die Alben „New Orleans Playground“ mit seinen Boogie Woogie und Fats Domino Nummern oder „Hawaiian Playground“ mit rassigem Swing, der ohne Umwege in die Beine geht, sind einfach großartig und alles andere als Ethnoklischee. Was die Kinder angeht: Die reagieren erfahrungsgemäß sowieso sehr intensiv auf die starken Rhythmen, die die Weltmusik in allen ihren Facetten ausmachen.

Fazit: Wer sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt, findet jede Menge Abwechslung für den CD-Player im Kinderzimmer. Es darf, muss aber nicht immer Rolf Zuckowski und Co. sein. Zum Beispiel müsste, da seit dem Kinoerfolg des Biopics „Walk the line“ samt Oscar für Reese Witherspoon alias June Carter viele Menschen hierzulande ihre Leidenschaft für Johnny Cash (wieder)entdeckt haben, „The Johnny Cash Children’s Album“ (ca. 12 Euro) als weiterer Geheimtipp viele Fans finden. Diese Kinder-CD hat alles, was das Herz des erwachsenen Countryfans begehrt: die unverwechselbare Bassbaritonstimme des „Man in Black“, mal melodiös, mal im Sprechgesang, und dazu den typischen „Boom-Chicka-Boom“-Sound mit flinkem Gitarrenpicking – nur diesmal für kleine Cowboys und ihre magische Welt: Im „Dinosaur Song“ überlegt Johnny, wie cool es wäre, seinen Haustier-Dino an der Leine hinter sich her zu führen, und das a-capella-Stück „Little green fountain“, in dem Mr. Cash von einem Kinderchor begleitet wird, ist ein echter Ohrwurm, den auch deutschsprachige Kinder ganz schnell in einer Art Phantasieenglisch mitsingen. Und als Highlight ist in „I got a boy and his name is John“ sogar June Carter mit von der Partie.

Schade, dass es noch nicht zum Trend geworden ist, dass jeder Rock- und Popstar ein schönes Kinderalbum herausbringt – es machen doch auch alle ihre Weihnachts-CDs! Doch die kindertauglichen Stücke aus dem Repertoire verstecken sie lieber auf den Erwachsenenalben, und so bleibt uns nur die Möglichkeit, sie mühsam zusammenzutragen und uns selbst ein „Best of Kindermusik“ zusammenzustellen. Als Track 1, 2 und 3 empfehlen sich Bruce Springsteens „Pony Boy“ (Album: „Human Touch“), Xavier Naidoos: „Kleines Lied“ (Album: „Zwischenspiel“) und Tom Pettys „Allright for now“ (Album: „Full Moon Fever“). Weitere Tipps nimmt die Autorin gerne per Artikelkommentar entgegen. Klassische Kinderlieder bitte nur, wenn sie klingen wie in dem genialen Videoclip „Kids Songs Sung By Rock Stars“ von Tim Hawkins (Link auf http://www.youtube.com/watch?v=mtwK5bheueE). Denn wenn Coldplay „Itsy bitsy spider“ seufzen oder Pearl Jam „Old McDonald had a farm“ röhren, wenn Alanis Morissette „Three blind mice“ maunzt und Metallica schließlich „B-I-N-G-O“ grölen, dann möchte man wirklich sofort noch mal fünf Jahre alt sein, oder?

Zum Weiterhören: