Somatische Intelligenz

Richtig essen und abnehmen mit Intuition

Alle Menschen besitzen sie: die Körperintelligenz. Durch sie spüren wir intuitiv, welche Nahrung in welcher Menge uns gut tut. Gerade wenn Übergewicht uns plagt, lohnt es sich, unsere somatische Intelligenz wieder mehr zu nutzen - und ohne Diät abzunehmen!

Autor: Gabriele Möller

Essen nach Gefühl macht schlanker und gesünder

Frau Kühlschrank intuitiv Essen
Foto: © fotolia.com/ Anna Omelchenko

Intuitive Esser haben einen niedrigeren BMI, und auch ihre Cholesterin-, Herz- und Kreislaufwerte sind besser, das haben Untersuchungen gezeigt. Doch was genau meint intuitiv? Es bedeutet vor allem: Essen, was gut tut, und damit aufhören, wenn man satt ist. Nichts leichter als das, möchte man denken. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn wir haben meist verlernt, die Signale von Hunger oder Sättigung, Wohlgefühl oder Unbekömmlichkeit wahrzunehmen. Doch mit etwas Übung können wir dieses instinktive Wissen wieder entdecken!

Körperintelligenz - ein Stiefkind der Leistungsgesellschaft

Die Fähigkeit unseres Körpers zu zeigen, was er braucht und was nicht, ist zwar angeboren, aber oft verschüttet. Denn in unserem Alltag zählt nüchternes Denken oft mehr als Bauchgefühl: Wir sitzen am PC, bearbeiten Akten, bedienen Maschinen, nutzen das Smartphone, fahren Auto. Oft besteht sogar Misstrauen gegenüber den Impulsen des Körpers: Würde man nicht nur noch Pommes oder Schokoriegel essen, wenn man ganz auf seinen Körper hört?

Nein, sagen Wissenschaftler: Lassen wir uns vom Hungergefühl, unserer Stimmung und von körperlichen Reaktionen führen, dann essen wir von selbst richtig. Wir bekommen alle wichtigen Inhaltsstoffe und verzehren nicht mehr als nötig. Dieses Wissen des Körpers wird auch somatische (körperliche) Intelligenz genannt. "Das Schöne an der somatischen Intelligenz ist, dass man sich gar nicht sonderlich um sie bemühen muss. Sie ist einfach da, wenn man sie nicht gewaltsam verdrängt oder übergeht",  sagt Ärztin und Ernährungsexpertin Dr. med. Rosa Aspalter in ihrem Blog.

Appetit ist nicht gleich Hunger!

Der erste Schritt zum intuitiven Essen besteht darin, überhaupt wieder zu bemerken, wann man hungrig ist. Wichtig: die Unterscheidung von Hunger und Appetit. Letzteren hat man fast immer, wenn man eine Leckerei sieht. Essen sollte man aber erst, wenn wirklich Hunger auftritt. Den wiederum gilt es frühzeitig zu beachten. Denn wer wartet, bis das Hungergefühl zu stark ist, kann sich beim Essen kaum noch zügeln.

Mit Vorsicht zu genießen ist dagegen das Gefühl von Heißhunger: Es wird nicht durch echte Bedürfnisse ausgelöst, sondern durch ein Blutzuckertief, warnen Experten. Meist hat man bei der letzten Mahlzeit kohlehydratreich (Süßes, Weißmehlprodukte) gegessen, was den Blutzucker hochschießen ließ. Sein zu schnelles Absinken danach löst oft eine "Fressattacke" aus. Auf den "heißen Hunger" sollte man daher lieber cool reagieren: ein, zwei Stücke Obst mit Mineralwasser zum Shake pürieren oder etwas Traubenzucker kauen. Einige Minuten später nochmal erspüren, ob und worauf man wirklich Hunger hat. 

Die Intuition weiß, wann es genug ist

Auch für das Wahrnehmen des Zeitpunkts, an dem man satt ist, ist die Unterscheidung zum Appetit wichtig. Der sorgt zwar dafür, dass wir gern auch noch zum Nachtisch Ja sagen - dies ist aber kein Indikator dafür, dass wir nicht längst schon satt wären. Sättigung erkennt man daran, dass das Gehirn meldet: Okay, ich sehe das Essen. Aber ganz ehrlich? Es täte mir nicht besonders weh, den Rest jetzt liegen zu lassen.

Weile statt Eile

Damit wir diese Botschaft aber auch wahrnehmen, müssen wir die Eile vom Tisch verbannen. Die Meisten essen zu schnell und überholen damit zeitlich die Nachricht des Magens, dass er satt ist, die gemächlich und mit etwas Verzögerung eintrifft. Als Übung kann man anfangs nach jedem Bissen Messer und Gabel kurz hinlegen, bis man fertig gekaut und geschluckt hat. Wer sich etwas mehr Gemütlichkeit beim Essen angewöhnt, stellt fest: Ein Sättigungsgefühl stellt sich viel früher ein als bisher. Wer in diesem Moment aufhört zu essen, nimmt ab. 

Welches Essen passt zu mir?

Doch was genau sollte man bei der intuitiven Ernährung denn nun essen? Das Schöne ist: Nichts ist vorgeschrieben! Man darf einfach spüren: Worauf habe ich jetzt Lust? Was spricht mich beim Einkauf an? Bei welchem Gemüse fällt mir vielleicht spontan ein Gericht ein, was springt mir bei den Milchprodukten oder an der Fisch- und Fleischtheke förmlich ins Auge? Es ist nicht nötig, nur "gesund" einzukaufen und zu essen. Denn nur, weil etwas als gesund empfohlen wird, heißt das nicht, dass es uns auch gut tut: Viele Menschen vertragen beispielsweise keine Rohkost, sie bekommen Blähungen. Umgekehrt kann auch scheinbar Ungesundes gut sein: Das Gehirn braucht auch Zucker (Kohlehydrate), um zu funktionieren. Und auch, wenn wir etwas nicht mögen, wäre es jetzt störend für eine funktionierende Intuition, es trotzdem zu essen, nur weil es gesund ist.

Das Essen nach Intuition berücksichtigt deshalb, "dass unsere Bedürfnisse individuell ganz verschieden sind. Die optimale Kost ist deshalb die, auf die ein Mensch Lust hat, die ihm schmeckt und die ihm bekommt", betont Psychologe und Gesundheitswissenschaftler Thomas Frankenbach in einem Interview. Unsere Bedürfnisse aber verändern sich je nach Lebenslage, seelischer und körperlicher Belastung, nach Alter und Jahreszeit. Nur wir selbst können also die passende Nahrung finden.

Was richtig ist, macht ein gutes Bauchgefühl!

Wenn ein Nahrungsmittel uns gut tut, können wir das spüren: Wir sind satt, aber nicht voll, haben ein wohliges Gefühl im Bauch, sind nicht müde, haben danach keine Blähungen, kein Aufstoßen oder  Sodbrennen. Wir haben auch nicht das Gefühl, dass jetzt noch etwas Süßes oder Salziges fehlt. Diese Wahrnehmungen sind zuverlässig - wenn wir sie wirklich beachten. "Wenn jemand eine Liter-Eisdose verdrücken kann, ohne Übelkeit zu verspüren, hat er vermutlich seine somatische Intelligenz in den Keller gesperrt!", sagt Dr. med. Aspalter.

Intuitiv zu essen, heißt aber auch, die "Spätfolgen" des Essens wahrzunehmen: Hat die Haut vielleicht auf Süßes mit Ausschlag oder auf fettes Fleisch mit der Verschlimmerung einer Hautkrankheit reagiert? Hatte man einige Zeit nach dem Essen Bauchschmerzen oder Kopfweh? Kommt schon bald nach dem Nudelgericht oder Fastfood der Hunger zurück, weil diese schnell verdaut werden und der Blutzuckerspiegel danach rasch absackt? Solche Erfahrungen wollen künftig in die Kauf- und Kochentscheidung mit einfließen.

Stressoren wahrnehmen

Das neu entdeckte Gefühl für das, was gut tut und was nicht, kann jetzt auch auf andere Lebensbereiche ausgeweitet werden. Zum Beispiel machen auch unbewältigte Belastungen übergewichtig. " Die Hauptursache für das Dicksein ist nicht Willensschwäche, sondern Stress!", sagt der Hirnforscher Professor Achim Peters aus Lübeck. Diese Belastung kann von zu viel Arbeit, aber auch von einer Arbeitslosigkeit her kommen, von der anstrengenden Mutterrolle wie von Partnerschafts- oder Geldproblemen. Deshalb seien "Zuneigung, Geborgenheit, Sicherheit", wichtiger als Diäten, so Peters in einem SPIEGEL-Interview. 

Weil aber nicht jede Belastung aufgelöst werden kann, hilft jetzt auch alles, was Stress- und Angst abbaut. Hier helfen Methoden wie Autogenes Training oder Meditation, die schon nach wenigen Wochen den Stresslevel nachweislich senken. Man darf die eigene Intuition fragen, welche Methode jetzt zu einem passt oder mit welcher man vielleicht schon lange liebäugelt.

Auch Bewegung hilft in anstrengenden Zeiten, weil Stresshormone beim Sport abgebaut werden. In Sachen Intuition ist deshalb wichtig, auch die Körperwahrnehmung zu verbessern: Wie fühlt man sich nach langem Sitzen - wie nach einem zügigen Spaziergang von 20 Minuten? Wie geht es der verspannten Lendenwirbelsäule vor einer Viertelstunde Yoga, und wie danach? Wer das ausprobiert, mag bald nicht mehr auf Bewegung verzichten - einfach, weil sie sich gut anfühlt.

Der beste Einstieg ins intuitive Essen für jeden Typ

Es ist gar nicht so leicht, immer auf den Bauch und andere Körpersignale zu hören. Je nach Persönlichkeitstyp rutschen wir anfangs schnell wieder in die alten Verhaltensmuster. Die drei häufigsten Ess-Persönlichkeiten, und wie sie am besten ins intuitive Essen einsteigen:

1. Die Esserin in Dauer-Diät

Sie hält gerade wieder einmal irgendeine Diät ein. Ihr Gewicht schwankt im Laufe der Jahre stark. Ihre Bemühungen haben trotz aller Entschlossenheit selten dauerhaften Erfolg. Schafft sie es abzunehmen, kann sie ihr Gewicht nicht länger als ein bis zwei Jahre halten. Sie hat sofort Schuldgefühle, wenn sie etwas Kalorienreiches isst.

Viele Diäten sind ungesund und machen langfristig dick, das ist wissenschaftlich erwiesen. Das Diäthalten darf man daher einfach aufgeben - und die Schuldgefühle gleich dazu! Denn nur, wenn sie sich Genuss erlaubt und sich entspannt, kann frau wirklich ihre Aufmerksamkeit darauf richten, was ihr Körper gerade braucht, und wann sie satt ist.

2. Die kontrollierte Esserin

Sie ist normalgewichtig, achtet aber streng auf das, was sie isst. Sie weiß fast alles über gesunde Ernährung. Sie denkt viel an die Mahlzeiten, die sie schon beim Einkauf durchplant. Sport macht sie, weil er gesund ist, nicht weil er Spaß macht. Auch sie hat sofort Schuldgefühle, wenn sie zu viel oder etwas "Falsches" gegessen hat.  

Ein großes Kontrollbedürfnis killt jede Intuition. Schon beim Einkauf darf dieser Esstyp ab jetzt mehr auf die Sinne, anstatt auf angelesenes Wissen achten: Welches Brot gefällt dem Auge heute am besten? Welches Obst riecht gut, welche Gemüsefarbe macht Appetit? Welches Fleisch, welcher Fisch wird in der Pfanne saftig bleiben? Welches Milchprodukt hat die Konsistenz, die man so mag? Beim Essen dann das Genießen üben - und die Reaktion des Körpers entspannt wahrnehmen.

3. Die unbewusste Esserin

Sie isst häufig aus Langeweile, aus Frustration, oder einfach: weil etwas da ist. Sie isst mit Freunden, Kollegen oder bei Einladungen auch dann mit, wenn sie eigentlich kaum hungrig ist. Sie isst oft nebenbei: beim Fernsehen, Autofahren, Telefonieren oder der Arbeit. Sie kocht nicht so gern, sondern greift oft auf Fertigprodukte zurück.

Die beiläufige Esserin hat oft noch kein gut entwickeltes Gefühl für ihren Körper. Sie muss daher vor allem die Wahrnehmung von Hunger- und Sättigungsgefühlen üben. Doch auch der Hunger der Seele will wahrgenommen werden. Wie geht es ihr wirklich? Braucht sie vielleicht eher eine Umarmung oder ein offenes, nicht wertendes Ohr für ihre Nöte, anstatt eine schnelle Pizza?

Service:

Thomas Frankenbach: "Somatische Intelligenz - hören, was der Körper braucht", KOHA Verlag (2014), ISBN-13: 978-3867282499.

Elyse Resch, Evelyn Tribole: "Intuitiv abnehmen: Zurück zu natürlichem Essverhalten", Goldmann Verlag (2013), ISBN-13: 978-3442173860.