Familiengründung im Netz

Co-Parenting: Kind ja, Liebe nein

Kann man zusammen ein Kind bekommen, ohne gleich eine Familie zu gründen? Man kann! Co-Parenting heißt das noch junge Modell, bei dem sich Frauen und Männer für eine gemeinsame Elternschaft ohne Liebesbeziehung entscheiden.

Autor: Heike Byn

Co-Parenting: Zwei Mamas, ein Papa

Mutter und Vater mit ihrem Kind
Foto: © djile / shutterstock

Im Hintergrund ist fröhliches Baby-Gebrabbel zu hören. Dann ein heftiger Rumms, es folgt lautes Geschrei. Während ich mit Hannah Buhlmann* der Mutter des kleinen und gerade extrem genervten David telefoniere, wechselt die jetzt lieber den Raum – der Lautstärke wegen. Ist auch kein Problem, schließlich sind ja Davids Mutter Kerstin Lappel* und sein Vater Tom Ostberg* da und passen auf. Wer bis hierhin aufmerksam gelesen hat, stutzt jetzt: Wieso hat das Kind zwei Mütter? Ganz einfach, oder auch nicht: Hannah ist Davids leibliche Mutter, seine „Bauchmama"; Kerstin Lappel ist seine „Mama" und Tom Ostberg sein Papa. Was das Trio so ungewöhnlich macht, ist nicht, dass alle drei homosexuell sind und sich gemeinsam um David kümmern, sondern dass sie sich vor zwei Jahren im Netz kennengelernt haben, um ein Baby zu bekommen. Hannah und Kerstin waren da schon eine ganze Weile ein Liebespaar und wollten ein Kind. Tom auch, liebte aber Robert, der sich bis heute nicht vorstellen kann, mit einem Kind zusammenzuleben. Während beide Paare einst ganz konventionell in ihrer Freizeit kennengelernt hatten, fanden sich Hannah und Tom – Davids biologische Eltern – im Internet über die Plattform Co-Eltern. Dort hatte Hannah ausdrücklich nach jemandem gesucht, der sich nicht nur als Samenspender zur Verfügung stellen wollte, sondern sich auch in jeder Hinsicht als aktiver Vater einbringen wollte.

Web-Portale: Nachfrage nach Co-Elternschaft steigt

Hannah, Kerstin und Tom sind längst keine Einzelfälle mehr: Immer mehr Männer und Frauen mit Kinderwunschentscheiden sich bewusst fürs Co-Parenting. Das im deutschsprachigen Raum noch relativ neue Familienmodell kam in den 1960er Jahren erstmals in den USA auf und ermöglicht zwei oder mehr Menschen, die keine Liebesbeziehung miteinander haben, die gemeinsame Erziehung eines Kindes. Patchwork-Familien, die zum Beispiel durch eine Trennung oder ein spätes Coming-out eines Elternteils entstehen, sind nicht mit Co-Parenting vergleichbar. Auch die sexuelle Orientierung ist – anders als viele glauben – hier nicht ausschlaggebend, vielmehr steht das gemeinsame Elternsein auf freundschaftlicher Basis im Mittelpunkt. Passende Partner finden Frauen und Männer nur selten im eigenen Umfeld, stattdessen immer häufiger auf darauf spezialisierte Online-Portalen, die wie Kontaktbörsen funktionieren und die es inzwischen auch hierzulande gibt. Nach den Zahlen der dort registrierten Mitgliedern gibt es seit einiger Zeit einen kontinuierlichen Anstieg an Nutzern. Dabei ist eines offenkundig – auch wenn es unser Beispiel am Anfang vielleicht anders vermuten lässt: Co-Parenting ist keineswegs nur für Lesben oder Schwule mit Kinderwunsch eine alternative Form der Familiengründung, sondern auch für Heteros. Viele von ihnen möchten schon länger ein Baby haben, doch es fehlt ihnen entweder dazu der richtige Partner oder die biologische Uhr tickt zunehmend lauter – manchmal auch beides.

„Jede Frau hat ein Recht auf Kinderwunsch“

So wie bei Tina Wolff*: Für die 34-jährige Frau war schon vor einigen Jahren klar, dass sie einmal ein Kind möchte. Doch ihrem letzten Freund war die Karriere wichtiger und Familiengründung kein Thema. Das Paar trennte sich. Nach einer Zeit der Trauer kam Tina zu dem Schluss: „Ich habe wie jede Frau ein Recht auf meinen Kinderwunsch. Es muss ja nicht zwangsweise eine klassische Liebesbeziehung sein, in der ich ihn auslebe." Eine Samenspende kommt dabei aber für die Berlinerin nicht in Frage. „Ich möchte keinen anonymen Vater für mein Kind, sondern lieber eine freundschaftliche Beziehung zu einem Mann, der mit mir gemeinsam und gleichberechtigt ein Kind aufzieht", sagt Tina Wolff. Aber eben ohne mit ihr und dem Kind unter einem Dach zu leben. Weil nun einmal solche Männer und potenziellen Väter schwer zu finden sind, hat sie sich vor einer Weile bei familyship angemeldet, einer Online-Plattform für Co-Parenting. Dort suchen Frauen und Männer nach passenden Partnern für das Abenteuer einer alternativen Elternschaft. Mit drei Männern hat sie sich bereits getroffen, der Richtige war noch nicht dabei. Auch wenn sie hin und wieder sich zweifelt, von der Idee des Co-Parenting ist sie nach wie vor überzeugt und hält Kritikern, die ihr Egoismus und Realitätsferne attestieren, entgegen: „Wer gibt mir denn bei einer Ehe die Garantie dafür, dass sie hält und die Liebe bleibt? Nach einer Trennung leben doch auch die allermeisten Elternteile nicht mehr zusammen und kümmern sich dennoch gemeinsam um die Kinder."

Co-Elternschaft: Portal gegründet, um Vater zu finden

Die gesellschaftliche Ablehnung und den Vorwurf des Egoismus' kennt die lesbische Ärztin und Gründerin der Co-Parenting Plattform familyship, Christine Wagner, gut: „Dabei ist doch der Kinderwunsch an sich schon egoistisch, und das ist auch gut so, sonst wär die Menschheit längst ausgestorben." Ihr berührender und teils abenteuerlicher Weg zum eigenen Kind lässt sich im familyship-Blog nachlesen. Die Kurzfassung: Wagner befand sich vor einigen Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und wollte ein Kind. Statt dabei an eine Samenspende zu denken, suchten die beiden Frauen nach einer Möglichkeit, ihrem zukünftigen Kind das Großwerden mit einem Vater zu ermöglichen. Die schwierige Suche gab schließlich den Anstoß für die Gründung der Plattform: Warum nicht mit Hilfe eines Portals im Netz beide Seiten gezielt zusammenbringen? So lernte Christine Wagner schließlich Gianni Bettucci kennen, einen schwulen Theatermanager. Eine schöne Freundschaft begann, die bis heute getragen ist von viel Zuneigung, Respekt, Fürsorge, Verständnis – und seit drei Jahren auch von der gemeinsamen Liebe zur kleinen Milla, deren Mutter und Vater die beiden sind. Christine, die inzwischen wieder Single ist, und Gianni leben in zwei verschiedenen, aber nahe gelegenen Wohnungen in Berlin und erziehen ihr Kind gemeinsam. Auch einige andere Co-Parenting-Familien haben durch familyship zusammengefunden, ihre Geschichten kann man auf der Website nachlesen. Rund 3.500 Nutzer sind derzeit dort registriert, die Zahl der homosexuellen oder heterosexuellen Mitglieder hält sich etwa die Waage.

Schwanger mit der „Becher-Methode“

Frank und frei erzählen viele der Co-Parenting-Eltern im Netz nicht nur vom manchmal schwierigen Weg zur Familiengründung, der Skepsis aber auch Unterstützung in ihrem Umfeld, sondern auch davon, wie ihr Kind gezeugt wurde: Eine Samenspende durch eine Insemination in einer Arztpraxis oder Kinderwunschklinik zu übertragen – bei der unter optimalen medizinischen Bedingungen das Sperma durch einen kleinen Schlauch direkt in die Gebärmutter eingebracht wird – ist in Deutschland bei Single-Frauen immer noch unüblich. Und auch auf Sex mit dem zukünftigen Vater ihres Kindes wollen sich die meisten Frauen aus unterschiedlichen Gründen nicht einlassen. Deshalb praktizieren viele die „Becher-Methode": Dabei führt sich die Frau das vom Mann gespendete Sperma zum Zeitpunkt des Eisprungs mit einer Spritze ein. Rein statistisch führt diese Methode allerdings nicht ganz so häufig zum Erfolg, wie eine ärztlich überwachte Insemination. Denn hier geht dem meist eine genaue Überwachung des Eisprung-Zeitpunkts oder sogar noch eine hormonelle Unterstützung voraus.

Alles, was Recht ist: Experten raten zur Information

Nicht nur beim Thema Samenspenden und Kinderwunschbehandlung macht unser Recht einen Unterschied zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren: Von gesetzes wegen ist es auch so, dass sich im Gegensatz zu Ehepaaren die unverheirateten Eltern nicht automatisch das Sorgerecht für ihre gemeinsamen Kinder teilen. Hier liegt nämlich das Sorgerecht zunächst allein bei der Mutter. Wollen Mutter und Vater das ändern, müssen sie eine so genannte Sorgeeklärung abgeben. „Damit bestimmen die Eltern, dass sie das Sorgerecht gemeinsam ausüben wollen", erklärt der Cheminitzer Rechtsanwalt für Familienrecht Udo Wiemer. Eine gute Möglichkeit für Co-Eltern, ihr Sorgerecht rechtsverbindlich zu regeln – denn für die Sorgeerklärung müssen beide Elternteile nicht zusammenleben. Wichtig ist aber, dass diese Erklärungen persönlich abgegeben und öffentlich beurkundet werden, z.B. beim Jugendamt oder Notar. Alexandra Wullbrandt, Rechtsanwältin für Familienrecht, berichtet im Interview mit dem Portal familyship davon, „dass sich Frauen und Männer bei Co-Parenting schon vor der Zeugung oder Geburt des Kindes von mir beraten lassen und sich über ihre Rollen und Aufgaben einigen wollen." Nicht zuletzt auch für die rechtlich in manchen Teilen benachteiligten Väter bringt das die Sicherheit, bei wichtigen Themen wie der Gesundheitsvorsoge oder der Auswahl von Kita und Schule mitentscheiden zu können. Vor allem, wenn an einer Co-Elternschaft noch weitere Personen, wie die jeweiligen Beziehungspartner der leiblichen Eltern beteiligt sind, ist es ratsam, sich rechtzeitig den Rat von Experten zu Themen wie Unterhalt, Umgang, elterliche Sorge oder Erbrecht einzuholen. Anlaufstellen können hier z.B. Jugendämter sein, Fachanwälte für Familienrecht oder allgemeine Beratungsstellen wie pro familia.

Co-Parenting: Wie die Kinder aufwachsen

Ein Kind wohnt bei der Mutter, der Vater woanders; zwei lesbische Mütter leben mit dem Kind zusammen, der schwule Vater mit dem eigenen Partner um die Ecke. Wie ist das für Kinder, die so aufwachsen? Nicht viel anders, als in einer typischen Vater-Mutter-Kind-Familie auch. „Die Hauptsache ist, dass ein Kind eine sichere Bedingung zu mindestens einer Bezugsperson aufbauen kann. Dass seine Eltern ihm mit Liebe und Empathie begegnen, ihm Zeit und Aufmerksamkeit schenken", so der Bindungsforscher und Psychologe Hans Mogel. Die sexuelle Orientierung der Eltern sei für die Kinder auch nicht entscheidend, viel wichtig sei, ob die Elternteile liebevoll miteinander umgingen. Also gibt es beim Co-Parenting überhaupt keine Probleme? Nicht so ganz. Fakt ist auch, dass zwar Kinder, die in Familienkonstellationen großwerden, die sich von der allgemeinen Norm unterscheiden, öfter von anderen Kindern gehänselt werden. „Wir gehen schon davon aus, dass David später mehr Vorurteilen ausgesetzt ist als andere Kinder. Aber wenn man ihn so sieht – umgeben von gleich dreifacher Liebe und Aufmerksamkeit –, dann kann das doch nicht falsch sein, oder?", meint Hannah Buhlmann.

*Namen von der Redaktion geändert

 

Bücher zum Thema

  • Jochen König: Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien. Herder Verlag 2015, 192 S., 16,99 €. ISBN 978-3-451-31274-8
  • Anya Steiner: Mutter, Spender, Kind. Wenn Singlefrauen Familien gründen. Ch. Links Verlag 2015, 224 S., 18 €. ISBN 978-3-861 53821-9

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