Falscher Groll

Hallo Forum,

Long Story Short: unser kleines Kind (13 Monate) ist seit 4 Wochen im Krankenhaus. Ich bin mit ihm aufgenommen von Anfang an.
Seit der Geburt war ich 4 Monate mit ihm im Krankenhaus, teilweise Intensivstation. Er hat eine schwerwiegende Grunderkrankung inkl. GdB 100 und Pflegegrad 4, das wird uns immer wieder passieren.

Er ist vor 4 Wochen dem Tod von der Schippe gesprungen und nun stabil. Es geht nun um das Ausschleichen eines letzten Medikaments, dass er während der Beatmung erhalten hat. Er macht also einen Entzug durch.
Wir haben es schon fast nach Hause geschafft. Morgen Mittag steht die Entlassung an, wenn er nicht so hart unter dem Entzug leidet, dass er wieder mehr vom Medikament bekommt.

Mein Partner fährt jeden Abend nach Hause und kommt entweder am Vormittag her oder trifft sich mit seiner Prüfungsgruppe. Er hat aktuell seine Prüfungen vom Staatsexamen, 2 schon bestanden in den letzten 2 Wochen. Er MUSS lernen, es geht nicht anders. Und trotzdem verbringt er viel Zeit bei uns.

Nun sitze ich hier wie jede Nacht mit unserem Kind auf dem Bett und versuche, die Zeit mit dem Kleinen durchzustehen. Der Schlafmangel und emotionale Stress der letzten Wochen bringen mich auf den letzten Metern um den Verstand.
Ich weiß, dass mein Partner sich nicht zweiteilen kann und trotzdem denkt mein Kopf, dass er heute mit uns dadurch sollte und mir emotional beistehen sollte. Er hat heute wieder Lerngruppe. Ich verfluche ihn, dass er abends Feierabend hat und schlafen kann.

Aber ich weiß, dass ich unfair werde, denn die Situation ist für ihn ja auch miserabel. Von uns getrennt, Prüfungsstress, dieselbe Angst ums Kind.

Was mache ich nur mit meinem Kopf? Wie stehe ich heute und morgen noch durch? Wie stelle ich diese Gedanken ab, denn ich möchte diesen falschen Groll nicht hegen.
Wahrscheinlich gibt es keine Lösung außer „Augen zu und durch“.

Übermüdete Grüße

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Ihr macht das Beide toll. Psychisch seid ihr beide gleichermaßen belastet. Es ist nicht leicht Prüfungen abzulegen während die Frau mit dem Kind im Krankenhaus ist, aber man muss auch an die finanzielle Zukunft denken. Diesen Part erfüllt dein Mann gerade für euch.
Ich glaube nicht, dass er ruhige und entspannte Abende hat.
Klar, du bist genauso extrem gefordert indem du hautnah am Geschehen bist. Schlaflosigkeit und Sorge zerren extrem.

Aber ihr dürft eines nicht vergessen, ihr macht das alles für euren Sohn.
Und ihr seid toll.
Alles Gute für euch.

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Danke für diese Worte. Ich wünschte, ich könnte sie öfter selber zu mir sagen.
Das Ausjammern tat trotzdem gut.

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Mach es einfach. Man darf sich auch mal selbst auf die Schulter klopfen.

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Ich habe die light Version von euch durch. Kürzer. Ohne akute Lebensgefahr. Aber diese starke emotionale Anspannung, diese nicht in der Dimension erfassbar Müdigkeit, das Loch wenn man dann daheim ist...

Kannst du dir jemand anderen ans Bett holen? Deine Mama? Eine gute Freundin?
Wir gehen in eine grosse OP am Donnerstag und meine Mutter wird danach kommen um mich aufzufangen damit ich nicht wieder so mit den Energien absaufe wie bei der letzten.
Ich drücke Euch alle Daumen.

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Alles Gute für die OP. Das wäre für mich ja schon im Vorlauf schwer auszuhalten. Also, ich wäre schon vorher angespannt, wollte ich sagen.
Klar, Familie und Freunde ständen sofort parat. Dann hakt es an mir selbst: den Kleinen „alleine“ lassen, um zu essen, geht nur bei meinem Mann. Vor allem schlafe ich, wenn mein Mann mich „ablöst“. Das könnte ich nicht wirklich, wenn Freunde etc. hier wären. Also auch ein bisschen hausgemachte Probleme.
Man bräuchte ein Patentrezept für die moralischen Durchhänger.

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Im Moment geht es noch.
Ich hab den Chirurgen sorgsam gepickt und volles Vertrauen in das Team. Meinen Job hab ich gemacht, jetzt sind andere dran...
Wir haben danach eine Zeit lang Ruhe nach dieser OP bevor es weiter geht.
Aber frag mich nochmal Donnerstag früh. Zur Narkose abgeben ist grausam. Schlichtweg.

Ich versteh dich da sehr. Für mich hat mein Mann auch eine andere Wertigkeit als Freunde oder die Oma. Wenn ihr die Situation immer wieder habt und sich ob der Grunderkrankung da nichts dran ändern wird bist du nicht im Sprint sondern in einem 10-20-30-x Jahre Marathon. Da macht wirklich eine weitere Hilfsperson bzw ein Supportnetz Sinn.
Du kannst maximal gut für dein Kind da sein wenn du selber vernünftig im Saft stehst. In dem Moment wo du am Zahnfleisch bist ist es auch für Dein Kind nicht optimal.

Ggf kannst du zumindest ein wenig schlafen oder dösen wenn wer mit dem Kind im Raum ist? Das ist nicht so erholsam wie ein timeout aber allein das Gefühl nicht allein die Verantwortung zu haben finde ich zB schon sehr entlastend. Selbst wenn ich mit im Raum sitze... Try. Mit einem Burnout bist du für Dein Kind keine Stütze...

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Oh krass. Es tut mir so Leid, dass ihr diesen Kummer erleben müsst.
Das ist eine mega belastende Situation auch für eure Beziehung. Und ich denke jeder kann verstehen, dass du dir Beistand wünschst. Normalerweise gibt es in jedem Krankenhaus einen Krankenhausseelsorger. Dem kannst du wenigstens mal richtig von deinem Kummer berichten und darfst mal frei heraus sagen, was dich bewegt. Frag mal die Schwestern.

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Hier gibt es eine tolle Psychotherapeutin für die Eltern, sie hat uns schon nach der Geburt begleitet. Die ist jedoch in ihrem - völlig verdienten - Wochenende.

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Frag mal nach dem Krankenhausseelsoger. Ich hab das selbst mal gemacht und hatte auch am Wochenende Dienst. Bzw. konnte ich auch in dringenden Fällen sofort kommen. Ist aber nicht überall so. Viele sind gehemmt sich an die zu wenden, weil das ja meistens Pastoren sind, aber die können auch toll zuhören bei ganz menschlichen Problemen.

Ich will dir nicht noch ein Kummerthema auf´s Herz legen, deshalb habe ich überlegt ob ich dir das überhaupt schreibe. Aber solche Erlebnisse lassen eine Familie und eine Beziehung schnell zerbrechen. Man fühlt sich vom anderen nicht ausreichend unterstützt oder teilt seine Art der Trauer- und Frustbewältigung nicht. Passt gut auf euch auf und sucht euch jede Unterstützung, die ihr finden könnt. Ihr dürft auch mal Pause machen und im Krankenhaus gemeinsam alleine mal eine Kaffee trinken. Solche kleinen Rituale können Ehen retten.

Fühl dich ganz doll gedrückt und entschuldige meine vielleicht etwas aufdringliche Bitte.
Ganz liebe Grüße und gute Besserung

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Versuche mal die Situation umgekehrt zu betrachten. Stelle dir vor, dass du jetzt lernen müsstest und nur kurz zu deinem Kind könntest. Du wünscht dir eine Auszeit oder Beistand. Das ist verständlich. Aber wenn du physisch nicht bei deinem Kind wärst, wo wäre dein Kopf dann? Könntest du wirklich schlafen?

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Seine Situation ist ebenfalls Mist.
An meinem Mann kann ich „gut“ abgeben. Aber ob es in der Krankenhaussituation erholsam wäre, kann ich nicht genau sagen.
Ich weiß, dass ich ohne meine Tochter nicht nach Hause könnte. Ich würde dann über Nacht ins Hotel.

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Hat dich dein Partner denn nicht ab und an mal abgelöst - und wenn es nur von 19 - 7 Uhr ist, sodass du mal in Ruhe schlafen, duschen kannst? 4 Wochen sind eine verdammt lange Zeit! Im Krankenhaus ist es nie still, die Nächte unruhig, ich kenne das gut.
Sofern nein, finde ich deinen Groll nicht unberechtigt, muss ich sagen.
Alles Gute und toi toi, dass ihr entlassen werdet morgen!

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Dankeschön.
Komplette Nächte ablösen hat in den bisherigen Aufenthalten nicht geklappt, er hatte aber auch „Praktisches Jahr“ im Studium, hatte weiter entfernte Einsatzorte. Oft war es einfach nicht praktikabel.
Er könnte das auch nicht gut. Er ist so gut wie fertig im Vet-Med-Studium, aber wenn die Monitor-Alarme bei seinem Kind bimmeln, hält er das kaum aus.
Die Aufteilung ist schon richtig so, wenn ich drüber nachdenke, zerrt aber im Moment am Nervengerüst. An seinem aber wohl auch, das muss ich auch bedenken.

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Eure Situation ist wirklich schlimm. Dass dir die Kraft schon längst ausgegangen ist, ist klar. Trotzdem weiß ich aus eigener Erfahrung, wie krass die Staatsexamenszeit ist. Ich habe nicht nur tagsüber sondern zum Teil Nachts gelernt. Die Prüfungen sind so geballt und es ist soo viel zu lernen, dass man wirklich gar nichts anderes mehr auf die Reihe bekommt. Ich hatte zum Teil jeden 2. Tag eine Prüfung und hatte dann nur 2 Tage Zeit für 2-4 dicke Ordner zu lernen. Dass ich da nicht mehr schlafen konnte, um zumindest einen groben Überblick zu bekommen, war klar. Ich verstehe dich aus der Sicht einer Mutter. Dass du nicht mehr klar denken kannst und einfach deinen Mann als Unterstützung brauchst ist völlig verständlich. Aber sei nicht „neidisch“ auf ihn. Er kann nicht bei seinem Kind sein und ist noch dauerbelastet mit den Prüfungen. Das ist wirklich (auch) hart. Vielleicht kann da mal wirklich eine Oma einspringen oder gute Freundin, so dass du mal schlafen kannst.

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Gute Besserung für euer Kind. Auch wenn er Prüfungen hat, wäre es doch möglich, dass er mal eine Nacht übernimmt. Wahrscheinlich hast du deswegen Groll, weil du das auch denkst?

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Habe natürlich im Folgenden vergessen, mit dem Schwarznick weiterzuschreiten ^^

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Und mein Sohn ist eine Tochter, ich wollte die Situation etwas abändern, aber nun ist es auch egal, wo ich den Schwarznick vergessen habe.

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Liebe Übermüdete,
deine Situation kann ich sehr gut nachvollziehen, vor 4 Jahren war ich in der selben.
Unser Sohn ist leider auch mit einer schweren Behinderung geboren, 100% SBH und PG 3, Magensonde und Sauerstoff damals noch.
Ab seiner Geburt hatte ich zu all den Sorgen keine Ruhe und Privatsphäre mehr. Entweder die ganze Zeit im Krankenhaus oder mit Pflegedienst zu Hause. Mein Mann konnte wenigstens nach ein paar Wochen in den Alltag fliehen und ich konnte teilweise nichtmal einkaufen gehen.
Seinen ersten Geburtstag haben wir während eines 6 wöchigen KH Aufenthalts gefeiert, ich war gerade frisch schwanger mit unserer Tochter und so müde und erschlöpft.
Was hätte ich damals für ein ausgiebiges Bad und 5 Stunden ruhigen Schlaf am Stück gegeben. Ich kann dich so gut verstehen und ich war innerlich oft sehr wütend dass ich nicht einfach ein paar unbeschwerte Stunden in der Arbeit verbringen konnte.
Von diesem ganzen Stress und Kummer hab ich mich bis jetzt nicht erholt, obwohl es unserem Kind nun deutlich besser geht und unsere gesunde Tochter viel Freude in unser Leben gebracht hat. Ob man sich von so einem Schicksalsschlag jemals ganz erholen kann, wage ich zu bezweifeln.
Allerdings wird es mit der Zeit einfacher und ich konnte sogar positive Dinge beobachten.
Ich weiß unsere wahren Freunde zu schätzen und kann mich über Kleinigkeiten viel besser freuen.
Falls du das nicht schon machst, bitte nutze alle Vorteile des Pflegegrades. Ich habe über die Verhinderungspflege eine tolle Haushaltshilfe gefunden und über die Entlastungsleistungen eine sehr nette Babysitterin. Hilfe und kleine Auszeiten wirken Wunder und geben dir Kraft, die du für dein Kind nutzen kannst.
Alles Liebe für euch