Wie Eltern eine Therapie empfehlen?

Hallo,

Meine Eltern haben vor 2-3 Jahren ein sehr unschönes Erlebnis gehabt, das sie sehr mitgenommen hat emotional und mit dessen Folgen sie immer noch im echten Leben zu tun haben, weil die Bürokratie drumherum sehr aufwändig und nervenzehrend ist. Hinzu kommt, dass durch Corona ihnen der würdevolle Weg in den Ruhestand verwehrt wurde. Sie haben beide gern und viel gearbeitet. Jetzt gab es keinen Abschied, nichts, einfach tschüss und danke per Telefon und Brief, aber nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten. Das trifft sie beide sehr tief.
So glaube ich zunehmend, dass es sie auch psychisch mitgenommen hat und zwar viel tiefer als bisher gedacht. Kurz, sie leiden unter Wahnvorstellungen. Ständig glauben sie, dass irgendjemand etwas gegen sie hat, gegen sie arbeitet, sie nicht respektiert und so weiter. Es ist wirklich anstrengend manchmal, mit ihnen zu kommunizieren, weil sie sehr empfindlich sind und sehr schnell das Gefühl haben, man respektiert sie nicht-und das gilt wirklich für so ziemlich alle in ihrer Umgebung.
Ein Beispiel unter vielen: Nachbar fragt sie, wo die Mülltonnen sind, mein Vater ist persönlich beleidigt, er wäre nicht der Hausmeister, früher hätte man ihn noch respektiert.
So war mein Vater früher nicht.

Ich bin zunehmend davon überzeugt, dass sie dieses Erlebnis aufarbeiten müssen, so geht es nicht weiter.

Nur, wie spreche ich das am besten an ohne dass sie sich angegriffen fühlen und von mir nicht-ernst-genommen fühlen, ergo nicht respektiert? ... es ist ein echter Teufelskreis.
Danke!

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Ich denke eher deinen Eltern fehlt die Wertschätzung.
Gerade die ältere Generation, die gebuckelt hat, bis zum umfallen tut sich damit sehr schwer, wenn die Anerkennung und Wertschätzung wegbricht.
Viele bekommen tatsächlich einen Dämpfer, wenn es halt zur Rente nur einen Handdruck gibt und ein Strauß Blumen.
Viele erhoffen sich da wohl mehr und sind auch der festen Überzeugung, ihre Arbeit würde mehr geschätzt werden. Dementsprechend ist die Enttäuschung groß, wenn es am Ende nicht so ist, wie sie es sich gedacht haben.
Immerhin haben sie ja immer gearbeitet. Ihre Kinder immer irgendwie untergebracht, nie gefehlt, waren nie krank geschrieben etc. Darauf ist vor allem die ältere Generation sehr sehr stolz.
Mein Schwiegervater brüstet sich noch heute damit, dass er damals sogar mit einem gebrochenem Fuß arbeiten war und mit 40 grad Fieber..
viele ältere haben sich im Berufsleben Anerkennung „geholt“ die fehlt jetzt. Es ist eine Lücke, die sie nicht füllen können.
Im Grunde lastet es, dass sie für ihre ‚Lebenslange‘ Arbeit zum Schluss nicht die Anerkennung erhalten haben, die sie verdienen. Das wird dann in viele andere Dinge projektiert und mit Respektlosigkeit im Umfeld assoziiert.
Eine Therapie ist immer etwas schwierig, wenn Patienten ein gewisses Alter erreicht haben. Oftmals sind das alles ja keine Themen, die mit ein paar Sitzungen erledigt sind. Zum Teil sind es tief verwurzelte Gründe, warum diese Menschen so auf diese Anerkennung fixiert sind. Z.b Anerkennung die es aus dem Elternhaus nie gab und Ähnliches. Da sitzt die Ursache so tief, dass man da schwer rankommt.
Klar kann man es versuchen, aber ab einem bestimmten Alter würde ich fast dazu raten nicht noch weiter am Gerüst zu rütteln. Manchmal (je nachdem worum es geht) kann man mehr aufreißen, als man mit einer Therapie kitten könnte.
Man muss dann immer schauen, wie wahrscheinlich es ist, dass sich ein Erfolg so zeigt, dass die Personen tatsächlich noch einen Nutzen daraus hätten.
Ich würde es eher niederschwellig versuchen.
Zur Zeit nicht so einfach, da aufgrund von Corona nicht viel möglich ist.
Aber neue Hobbys können auch helfen, dass man sich auf etwas anderes fokussiert.
Anerkennung kann man sich auch über tolle Projekte ‚holen‘. Schöne Bilder, wenn Kunst Spaß macht. Bildhauerei, oder alte Möbel restaurieren... es gibt da wirklich viel.

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Hm, ich denke nicht, dass sie unbedingt eine Therapie brauchen, ich würde eher sagen, ihnen fehlt eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Und leider ist genau das schwierig im Moment zum Anfangen. Kurse, Pensionistentreffs, Kultur ende, es gibt ja nichts davon im Moment, sie können nur miteinander die Zeit totschlagen.
Warte ab, bis die Krise vorbei ist, dann eröffnen sich viele neue Möglichkeiten für deine Eltern und sie werden wieder ausgeglichen sein und die Rente genießen können 👍

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"Kultur Ende“ Kulturabende hätte das heißen sollen 🙈

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Merkwürdig, dass plötzlich beide unter Wahnvorstellungen leiden sollen.
Kann es sein, dass du da etwas übertreibst?

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So, wie du es beschreibt, sind deine Eltern kurz vor dem Ruhestand das erste Mal so richtig vom Leben enttäuscht worden.

Leider beschreibt du nicht, worum es bei dem Erlebnis geht. Sowas wie ein Wohnungsbrand oder so?

Auch der Renteneintritt an sich ist ein einschneidendes Erlebnis. Unter diesen Umständen erst recht.... Nicht umsonst hatte mein ehemaliger, sehr großer Arbeitgeber Kurse a la "Sinnvolle Gestaltung des Renteneintritts"

Aber ich glaube auch, dass wir hier nicht über Wahnvorstellungen reden. Wir reden über (erstmals?) sehr frustrierte Menschen.

Sie brauchen in erster Linie Zuwendung. Mach ihnen Vorschläge, wo sie diese bekommen können.. .

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Du sagst dein Vater war früher nicht so und deine Mutter auch nehme ich an. Sag ihnen, dass du die Menschen, die sie früher waren vermisst.
Haben sie einen geliebten Menschen verloren? Ich kann mir nur schlecht etwas anderes vorstellen, weil es sie so sehr aus der Bahn zu werfen scheint.

Auch wenn es was ganz anderes ist, biete Ihnen deine Unterstützung an. Sag ihnen deine Gedanken bezüglich Therapie.
Ob sie selbst etwas ändern wollen wird sich zeigen. Wenn nicht musst du das leider Gottes akzeptieren.

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Ich erlebe es gerade selber mit einer lieben Bekannten, wie es ist, wenn man mehr oder weniger per A****tritt aus der Firma in die Rente geschubst wird, für die man zig Jahre gearbeitet hat, krank wurde und nun "nichts mehr bringt".
Echt schlimm, die Frau hat auch schwer daran zu knabbern. Deswegen "Wahnvorstellungen" zu vermuten, ist schlicht Unsinn. Die Leute sind schwer gefrustet, enttäuscht, traurig, desillusioniert und bis tief rein verletzt. Das spricht auch dafür, dass sich Dein Vater gleich als nicht respektiert ansieht.
Therapie werden die beiden nicht machen, in unserem Alter rennt man nicht mehr zum Therapeuten, das ist eine Empfehlung unter Jüngeren. Außerdem - was will man dem sagen? Meine Firma hat mir nicht gedankt, dass ich mir den Ar*** aufgerissen habe für sie? Bringt nichts. Ich habe 49 Berufsjahre hinter mir, ich kenne alle Varianten von Vollblutidioten als Chefs bis hin zu tollen Kollegen, was Gottseidank überwog.
Wäre ich auf eine hässliche Art in die Altersteilzeit samt Rente verabschiedet worden, hätte mich das auch zutiefst verletzt, da hätte mir kein Therapeut helfen können.
Deine Eltern müssen darüber hinwegkommen und anstatt ihnen Wahnvorstellungen zuzuschreiben, solltest Du Geduld haben und EINZELN mit ihnen reden, lieb und einfühlsam. Vielleicht finden sie ein Ehrenamt, mit dem sie sich anfreunden können, wenn sie kein Hobby haben. Vielleicht kannst Du ihnen klarmachen, dass das asoziale Verhalten der Firma nichts mit ihnen als Mensch zu tun hat sondern das Berufsleben heutzutage einfach ein Haifischbecken ist, wo der Einzelne wenig Wert hat. Nicht schön, aber Realität.
Wenn sie realisieren, dass sie in ihrer Familie durchaus noch respektiert und angenommen werden, kann ihnen das mehr helfen als irgendein fremder Therapeut - vielleicht ein 35jähriges Jungchen kaum vom Studium weg, der sich recht wenig in einen 65jährigen einfühlen kann. Würde bei mir auch nicht klappen. Soll nicht abqualifizierend klingen, ist nur Lebenserfahrung. Im übrigen kriegst Du auf viele Monate hinaus sowieso keinen Termin bei irgendeinem Therapeuten, die sind mit Coronageschädigten beschäftigt und werden sich dieses Jahr reihenweise die Häuser und Sportwagen verdienen. Ist sarkastisch, aber traurige Realität.
Viel Glück und wie gesagt, sprich einzeln mit ihnen und liebevoll, Du bist ihr Kind, es könnte schon klappen.
LG Moni

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>>>in unserem Alter rennt man nicht mehr zum Therapeuten, das ist eine Empfehlung unter Jüngeren.<<<

Da liegst du aber ziemlich falsch. Auch ältere Menschen können in eine behandlungswürdige psychische Krankheit rutschen.
Gerade das mit dem in ein Loch fallen nach der Verrentung ist doch ein klassisches Beispiel für eine "Alters-Depression".

>>>vielleicht ein 35jähriges Jungchen kaum vom Studium weg, der sich recht wenig in einen 65jährigen einfühlen kann.<<<

Auch diese Aussage ist fragwürdig. Ob jemand ein guter oder weniger guter Therapeut ist, hat nichts mit dem Alter zu tun. Was glaubt du denn, warum diese Ausbildung so lange dauert?

Ich weiß, dass mein Beispiel hinkt, aber mir fällt gerade kein besseres ein: Glaubst du, dass ein Psychoonkologe selber Krebs gehabt haben muss, um einfühlsam, verständnisvoll und hilfreich mit seinen Patienten umgehen zu können?

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Ich habe nicht geschrieben, dass Ältere nicht psychisch krank werden können sondern dass sie es meist ablehnen, einen Therapeuten aufzusuchen. Das sind zwei Paar Stiefel. Altersdepression usw. ist mir sehr wohl bekannt. Nicht nur von urbia sondern auch aus dem eigenen Umfeld kenne ich es, dass aber Ältere vehement ablehnen, sich psychologische Hilfe zu holen.
Das ist nicht wegzudiskutieren.
Der Sohn einer Schulfreundin ist Psychologe, er hat keine alten Patienten; die Ältesten sind gerade mal Anfang 50 - und das sind nur wenige. Er sagte selber schon schmunzelnd, wenn er endlich graue Haare habe, würde er sicher "seriöser rüberkommen."
Wenn die Eltern der TE derart verletzt sind, dass sie sich so schnell nicht respektiert fühlen, gehen sie fast sicher nicht darauf ein, ihre angeblichen "Wahnvorstellungen" psychologisch behandlungsbedürftig zu sehen. Sie fühlen sich dann eher von der Tochter auch noch schlecht behandelt.
Ich selber habe 2015 Hilfe gebraucht - und habe lieber selber bezahlt, um jemand zu haben, von dem ich mich verstanden fühlte; die Frau hatte 3 erwachsene Töchter, der Draht zu ihr war sofort vorhanden. Sowas ist immer subjektives Empfinden, Qualifikation hin oder her.

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Evtl. kannst du dir Tipps von anderen Rentnern holen. Falls du welche kennst.
Im Freundeskreis meiner Eltern (lange vor Corona) gab es einige, die in Depression gefallen sind. Die Umstellung von "Position", strukturiertem Tagesablauf, Arbeiten als Lebensinhalt zu ..... wer bin ich eigentlich? Was mache ich mit der Zeit? Ohne Arbeit - gibt es mich da noch? .... und einiges mehr, war für einige schwierig.
Auch Ehen kriselten oder standen vor der Scheidung. Von : beide haben ihre Tagesabläufe zu Hilfe, wir kennen uns ja gar nicht und nun haben wir soviel Zeit zusammen, brauchte Zeit, Arbeit, sich neu kennen lernen. Eigenes Leben neu definieren.

Evtl. haben andere Rentner da Tipps, wie sie für sich den Übergang gemeistert haben.

Gruppen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten sind momentan auch schwierig.

Falls es in Richtung medizinische Wahnvorstellungen geht, würde ich mit deinem Arzt darüber sprechen. Was sind Alarmzeichen, was nicht? Was ist zu beachten? Wie zeigen sich die Symptome? Ist es der Übergang? Ist es gefährlicher?

Wie werden sie denn aus dem Umfeld behandelt?
Mein Vater hat es gehasst, plötzlich wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Zum Glück nicht von allen ! Aber doch hin und wieder. So, du bist alt, halbseitig gelähmt und manche meinten ihn dann zu gängeln. Tu dies, tu das, mach doch mal, probier doch mal, bist du dir sicher? :-[ Irgendwann hat er dann gesagt: er habe einen Teil seiner Bewegung verloren. Nicht aber seinen Verstand!

Zum Ausstand: gibt es die Möglichkeit, das nach Corona nachzuholen?
Ja, es ist schwierig und dann wird es anders sein. Dennoch. Je nachdem wie der Kontakt zu ehemaligen Kollegen so ist, ob es da Möglichkeiten gibt. Dass dann ein Ausstand nachgeholt wird. Wenn es die Coronasituation zulässt, im Betrieb/Amt anfragen.
Sofern es ihnen bis dahin noch wichtig ist.

Erst mal ist die Umstellung schwer. Es ist ein neuer Lebensabschnitt.
Und Zeit mit sich selbst für sich selbst - ohne Fluchtmöglichkeiten vor sich selbst - kann durchaus überfordern.

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Diese "Wahnvorstellungen" nach großem (oft objektiv gar nicht so großem, aber für diese Person subjektiv so empfundenem) seelischem Stress (dazu gehören in dem Fall, den ich meine, empfundene fehlende Wertschätzung, Überforderung, und schlimme Erlebnisse, Enttäuschung) kenne ich in meinem Umfeld. Bei der Person, die ich meine, trat das aber schon früher gelegentlich auf.

Für mich wäre in dem Fall der Ansprechpartner der Hausarzt/die Hausärztin. Da ist für deine Eltern die Hemmschwelle nicht groß, sie haben wohl Vertrauen zu ihm/ihr und er/sie wird beurteilen können, ob Medikamente, Therapie, eine Weiterüberweisung an einen Facharzt sinnvoll erscheint. Als Tochter zur Therapie raten, das könnte nach hinten losgehen.

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Danke dir und euch allen für die guten Tipps!

Besonders die Idee, die Hausärztin anzusprechen, gefällt mir sehr gut, sie hat einen sehr guten Draht zu meinen Eltern, sie treffen sich gelegentlich auch privat, sie ist genau die Richtige...

Ich wollte nicht zu viel schreiben, aber das mit der Rente ist tatsächlich nur das I-Tüpfelchen, das traumatische Erlebnis wiegt schwerer. Ich habe mich eingelesen, als Laie würde ich sagen, es geht in Richtung posttraumatische Belastungsstörung ... es war wirklich schwerwiegend und viele Symptome passen sehr gut.

Und ja, vielleicht traue ich mich auch, es direkt anzusprechen. Im Grunde habe ich es auch die Tage schon durch die Blume gesagt und ich glaube, sie haben mich verstanden, so ist zumindest mein emotionaler Eindruck.