
Das "doc" Prinzip - Verhältnis zu den Eltern immer schlechter
Guten Abend,
ich muss schwarz schreiben, da mich sicher einige Leser hier erkennen werden.
Es geht um meine Eltern: Mein Vater ist Landarzt, gesellschaftlich hoch angesehen, workoholic - er arbeitet oft 16 - 18 Stunden täglich am Stück ohne zu ermüden, selbst sehr asketisch lebend - daher hat er im Laufe der Jahre auch riesige finanzielle Rücklagen gebildet. Für Gefühle, etc. hat er wenig emotionalen Raum. Er funktioniert seit Jahrzehnten. Meine Mutter ist böse gesagt "Frau Doktor", die "nach oben" geheiratet hat, ihm den Rücken freihält, grundsätzlich alles gutheißt, was er macht und den sozialen Status genießt. Sie ist für die drei "K" zuständig und nickt sonst alles ab, was "der doc" entscheidet. Er ist -in der Praxis und privat" gewöhnt, dass alles auf ihn zuarbeitet und ihm gehorcht.
Wir Kinder genügten leider nie den familiären Ansprüchen. Es ging schon im Kindergarten los, dass wir und unsere Leistungen sehr oft in Frage gestellt wurden. Wir waren gut in der Schule - aber nicht sehr gut. Wir machten Abitur, aber gewannen keine Preise. Wir studierten, aber nicht Medizin, was für ihn eine riesige Enttäuschung war. Spätestens da kippte das Verhältnis und er (und damit sie) verlor jedes Interesse an uns. Zuvor hat er uns mit Erwartungen, die wir nicht erfüllen konnten, unter Druck gesetzt. Dann hat er nicht einmal die Erwartungen verbalisiert. Er warf uns vor, dass Medizin auch nicht sein Traumjob gewesen, aber er das Beste aus seinem Abitur herausgeholt hätte und er und der Job, sie seien nun eins "nachdem die Phase jugendlicher idealistischer Spinnereien vorbei waren". . Wir würden uns "eben anstellen" und "Sentimentalitäten" folgen, wo er doch alles für aufgebaut hätte - einen Landsitz, eine Praxis ...
Ich hänge emotional an meinen Eltern und schaffe es seit Jahrzehnten nicht, mich da zu lösen, aber es gab z.B. zwei Auslandssemester - ich bin nicht sicher, ob sie sich gemeldet hätten, wenn ich nicht angerufen hätte. Sie wissen auch nicht genau, was ich studiert habe. Im Studium wurden meine Geschwister + ich finanziell sehr knapp gehalten und haben dann auf 650DM Basis gejobbt und in den Semesterferien voll gearbeitet um über die Runden zu kommen. Wir bekamen das Kindergeld überwiesen und 100DM monatlich- für das, was mein Vater verdiente, war das ein Hohn. Wagte ich zu erwähnen, dass mich mein (schlecht bezahlter) Studijob und das Studium mitunter an meine Leistungsgrenze brachten, wurde ich ausgelacht, da er selbst "Erschöpfung" nicht kennt oder an sich wahrnimmt. Er kann einfach ohne Pause durcharbeiten. Es gab wenige Auseinandersetzungen, da wir immer als "undankbar" und "geldgierig" hingestellt wurden und wir das Thema immer umschifften und als Lösung wurde immer das "Medizinstudium" aufgefahren.
Bizarrerweise haben wir einen Cousin, der so war, wie sich mein Vater sein Traumkind vorstellte - schon in der Grundschule Klassenbester, bestes Abitur, bester Abituraufsatz, bestes Latinum. Dieser Cousin studierte dann ... Medizin. Vollfinanziert von meinem Vater, ohne finanzielle Probleme, Engpässe oder Nebenjobs - mit Auslandssemestern und -praktika. Vollfinanziert. Suchten wir das Gespräch, endete das immer in den hässlichsten Familienstreitigkeiten, in denen uns absolute Eifersucht vorgeworfen wurde - und ein hässlicher Charakter. Wir haben das damals geschluckt und uns damit getröstet, dass es für meinen Vater schwer ist, dass wir nicht mit einsteigen in die Praxis. Und dass es das Geld meines Vaters ist, nicht unseres.
Die finanzielle Situation zu Studizeiten war schwierig, aber emotional war es mitunter die Hölle. Als ich meinen Uniabschluss machte, kam er nicht zur Zeugnisübergabe. Ich war erst einige Monate arbeitslos, was ich in einem Supermarkt überbrückte - mit entsprechenden Kommentaren. Ich fand eine Stelle, ich liebe meinen Job, aber ich verdiene nicht so gut wie er. Ich wünschte mir, dass er mich einfach einmal in den Arm nimmt und sagt "gut gemacht - auch wenn es nicht Medizin war". Aber davon sind wir himmelweit entfernt.
Stattdessen hat er uns eröffnet, dass er meinem Cousin (inzwischen eine Gemeinschaftspraxis) auch das Haus überschreiben wird, da wir "nicht so sind, wie er sich das vorgestellt hat" und mein Cousin (und seine Frau, auch eine Ärztin) sich aus dem "Nichts" hochgearbeitet haben. Das sagte er mal total nüchtern an Weihnachten, auch, dass er das mit dem Anwalt geklärt hat, damit wir nicht mit Pflichtteil oder so kommen - den gäbe es nicht mehr, es wäre "alles in trockenen Tüchern". Irgendwie dreht sich alles ums Geld. Ich mag meinen Cousin, bewundere ihn für die Arbeit und dass er den "doc", der sich auch in seine privaten Lebensbereiche einmischt, klaglos aushält. Der ganze Post klingt entsetzlich materialistisch, aber bei Gesprächen dreht es sich wirklich oft um Geld.
Vor einigen Jahren wurde ich (bzw uns, ich hatte da schon Mann und Kinder) wegen Eigenbedarf gekündigt, ich hatte wenig finanzielle Rücklagen und wusste, wenn ich weiterhin irgendetwas miete, dann käme ich nie aus der Situation heraus. Ich fasste mir ein Herz, gar nicht wegen mir, sondern wegen meiner Kinder und bat meinen Vater -zum ersten Mal in meinem Leben- um finanzielle Hilfe. Er sprang ein und übernahm 1/3 des Kaufpreises für unser Eigenheim, ich glaube aber auch, dass er Getuschel vermeiden wollte.
Leider entfremden wir uns seither immer mehr und meine Mutter wirft mir nun vor, ich hätte ihn finanziell ausgenommen bis aufs Letzte und wäre aber nicht bereit, mich "unterzuordnen" und einfach "gierig" und "undankbar". Ich bin aber emotional überhaupt nicht nah genug dran, irgendetwas anders zu machen. Rufe ich an, kann ein Telefonat 45 Sekunden dauern "die Praxis ist voll" oder die Arzthelferin fragt, was sie ihm ausrichten soll und er ruft nicht zurück. Oft lädt er seine Enkel (also meine Kinder) samstagabends zum Essen ein - ich (und mein Mann natürlich auch) sind ausgeladen. Da fährt er vor, nickt kurz, verbringt den Abend mit den Kindern und liefert sie wieder ab. Keine Frage, wie es uns geht. Keine Chance, mit ihm bei diesen "Übergaben" ins Gespräch zu kommen, ihn zu fragen, wie es ihm geht, uns irgendwie auszutauschen.
Mein Vater ist der "doc" und alles arbeitet auf ihn zu. In dieser Patriarchenrolle fühlt er sich wohl. In der Familie ist es nur friedlich, wenn er seinen Willen bekommt. Ich kann das nicht mehr. Er ist eine Schattengestalt in meinem Leben, der alles, was ich tue, kritisiert und niedermacht. Meine Mutter hat mir kürzlich vorgeworfen, ich sei eine Schmarotzerin, die damals gerne das Geld genommen hätte, aber emotional Lichtjahre von ihnen entfernt sei. Versuche ich zu sagen, dass mir das emotional total weh tut, dass ich mir es anders wünsche, dann werde ich ausgelacht, als "gefühlsduselig" und "selbst Schuld" kommentiert.
Mich belastet die Situation immens. Ich würde ihnen am liebsten das Geld vor die Füße werfen und einen klaren Cut machen (den es ohnehin schon gibt)- ich weiß aber, dass ich dann das Studium meiner Kinder nicht finanziell hinbekomme ... und die werden auch nicht Medizin studieren. Ich fühle mich sehr schuldig, dass sein Geld in meinem Haus steckt, was er als "riesigen Fehler" bezeichnet. Ich sehe das auch so. Wie gesagt, es ist kein "ausuferndes" Haus, ich könnte refinanzieren, ihn wieder ausbezahlen - dann wären aber meine Kinder beim Studieren in der gleichen Lage wie ich es war. Andererseits ist es wirklich so, dass das Geld ihm finanziell überhaupt nicht weh tat und ich denke, dass mein Cousin am Ende des Tages alles bekommt ... Praxis, Anwesen ... Von daher wäre es wirklich blöd, versuchen, es zurückzuzahlen. Emotional hintert mich dieses Geld aber daran, mich einfach zu verabschieden.
Also kurz: Rational wäre eine Rückzahlung das Dümmste, was ich machen könnte. Emotional würde ich nichts lieber machen - aber es geht zu Lasten meiner Kinder. Was tun?