Pathologisieren versus Probleme nicht sehen

Mein Mann und ich sind in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich.
In manchen Bereichen ist es ein Segen, weil wir uns gut ergänzen, in anderen führt es leider zu ständigen Diskussionen und Streitereien.

Ich bin ein sehr reflektierter Mensch, weiß genau wo meine Maken, Problemchen sind, kenne meine "Krankheiten" sehr gut und versuche mich diesbezüglich zu ändern, auch wenn es mir schwer fällt und nicht immer gelingt.
Mein Mann lebt so dahin und geht in meinen Augen augenscheinlichen Problemen aus dem Weg. Er wirft mir vor, dass ich jedem eine Störung andichten möchte und die Leute nicht so akzeptieren kann wie sie sind. Im konkreten Fall bedeutet das bei ihm zb, dass ich akzeptiere, dass er eben im Haushalt Dinge nicht wegräumt, weil er sie oft nicht sieht. Er sei eben so, das müsse ich akzeptieren, ich soll ihm deswegen nicht immer Vorwürfe machen. Das ist nur eines von mehreren Themen, die wir ständig durchkauen. Seine Bereitschaft am Verhalten etwas zu ändern ist enden wollend und irgendwie zeigt er auch wenig Verständnis für meine Aufregung.

Ich persönlich - Achtung, jetzt kommt das "pathologisieren" - denke, dass er eventuell ADS haben könnte. Auch sein Sohn ist davon betroffen. Obwohl er davon weiß und schon mal Interesse bekundet hat, hat ers bis heute nicht geschafft sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Eigentlich wollte der schon vor Monaten an einem Eltern-Workshop dazu teilnehmen. War dann doch irgendwie nicht motiviert genug dafür.
Mir ist es unterm Strich egal, wie seine Art mit Dingen umzugehen heißt, ob es eine Störung/Krankheit ist oder nicht. Ich finde sein Verhalten teilweise für ein Zusammenleben nicht geeignet und er macht sichs viel zu leicht einfach zu sagen "Ich bin halt so".

Am liebsten wärs mir, er würde da mal länger in sich gehen und sich fragen, warum er Dinge so oder so sieht und wie wir da einen Kompromiss finden können. Daran hat er aber wenig Interesse.

Ich weiß langsam nicht mehr weiter...

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"Ich finde sein Verhalten teilweise für ein Zusammenleben nicht geeignet und er macht sichs viel zu leicht"

Oder Du machst es Dir zu schwer. Wäre ja auch eine Möglichkeit.

Das Beispiel mit den nicht weggeräumten Dingen, ist m.M. so semi-gut, weil das schlicht mit Bequemlichkeit zu tun hat und natürlich gebe ich Dir hier insofern Recht, dass man Kompromisse eingehen muss wenn man zusammenlebt. D.h. ich kann, je nach Ordnungsbedürfnis meiner Partnerin, nicht ständig meine Brocken in der Gegend herumliegen lassen.

Aber jemanden zu pathologisieren, ist eine ganz andere Hausnummer. Ich hatte mal eine Beziehung zu einer Psychologin, auch noch promoviert, die permanent analysierte (so kam es mir rückblickend vor), Verhaltensweisen sezierte, herumdokterte und mir diese oder jene Anomalie unterstellte. Das hatte fast schon etwas Zwanghaftes, was ich dann ebenso als Störung ettiketieren hätte können. Vielleicht war das bei ihr eine Art Berufskrankheit aber das hat mich förmlich aus dem Haus getrieben. Sie selbst hielt sich für unglaublich reflektiert. Am Ende war sie für mich v.a. eine selbstverliebte Egozentrikerin, die sich selbst gerne reden hörte in einer Welt voller gestörter und unvollkommener Menschen. Eine Stilblüte von ihr war z.B., dass sie, und zwar direkt nach dem Sex (!) inkl. der unverzichtbaren Zigarette danach, meine, zugegebenerweise, Vorliebe für Oralverkehr als Kompensation für mangelhafte Küsse meiner Mutter in meiner Kindheit herbeiorakelte. So kann Frau Mann auch die Freude am Lecken verderben, abgesehen davon, dass ich in der Folge in eben dieser Stellung nun häufiger an meine Mutter denken musste. Furchtbar.

"warum er Dinge so oder so sieht und wie wir da einen Kompromiss finden können"

Ich habe beim Lesen Deines Posts nicht den Eindruck, dass es Dir um Kompromisse geht, eher um die Umerziehung und Modellierung Deines Partners nach Deinem Gusto. Und schlussfolgernd daraus, wenn er Dir nicht folgt, wird dann die ganze Beziehung in Frage gestellt. Und so ergibt sich dann am Ende die Frage, in wie weit Du Dich tatsächlich selbst reflektierst.

Wie gesagt, Kompromisse im Alltag müssen sein, da bin ich völlig d'accord mit Dir. Aber jemanden ändern oder gar manipulieren zu wollen, ist selten von nachhaltigem Erfolg gekrönt.

Bearbeitet von the.sunking
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Hallo,
ob Dein Mann und sein Sohn ADS haben oder einfach nur bequem sind, kann man aus der Schilderung ihres Verhaltens allein nicht sagen. Aber frag deinen Mann mal ernsthaft, ob er einDurcheinander, Unordnung oder Schmutz, der zu beseitigen ist in einem teuren Hotelzimmer, das er gemietet hat, auch nicht sehen würde. Ich gehe mal davon aus, dass ihm das schon auffallen würde...
Ich vermute also eher, dass das eine Ausrede ist und er einfach andere Prioritäten als Du setzen möchte / ihm die Ordnung und Sauberkeit nicht so wichtig sind...

Bearbeitet von Klickklack
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Ich möchte sein Verhalten bzw. sein Denken einbisschen konkretisieren:
Im Zuge einer Paartherapie hatten wir ein interessantes Gespräch. Er hat mich gefragt, ob ich mir immer, wenn ich einen Gusto auf eine Schoko oder einen Apfel hätte, mir das hole. Ich habe mit grundsätzlich ja geantwortet.
Er meinte, dass er da immer im Kopf eine Art "Kosten-Nutzen-Rechnung" anstellt, so in die Richtung, wie hoch ist der Aufwand jetzt in die Küche zu gehen um es zu holen und wie groß ist der Appetit. In der Mehrheit der Fälle würde er dann drauf verzichten.

Dann haben wir über das nicht weggeräumte Nusssackerl vorm TV gesprochen. Für mich ist das ein Vorgang: Wenn ich mir das Sackerl hole, weiß ich insgeheim schon, dass ich es nachher wegräume und tue es dann auch, ist ja nicht der große Aufwand.
Er meinte, bei ihm wären das viele einzelne Prozesse, an die er da denken müsste und spätestens wenn er dann vorm TV die Nüsse genießt, dann hat er das Wegräumen einfach nicht mehr am Schirm. Er "sieht", meinte er, das Sackerl dann quasi nicht mehr, wenn ers mal abgestellt hat.

Wir haben dann wirklich sehr lange über dieses plakative Nussackerl mit der Therapeutin gesprochen. Es fiel ihm richtig schwer mir dort zu versprechen, zumindest das leere Sackerl danach wegzuräumen.

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Ich kann mich da ganz gut wiederfinden, und zwar ein wenig auf beiden Seiten.

Das ist auch eines der Themen, über die mein Mann und ich am meisten streiten; ich bin aus seiner Sicht die, die Dinge rumstehen lässt, obwohl er es mir tausend Mal gesagt hat - und tatsächlich geht es bei uns auch oft um eine einzelne Tasse oder ähnliches. Und: ich würde ihm auch nie "versprechen", dass das nicht mehr vorkommt, weil das ja von mir keine böse Absicht ist, sondern ein Nicht-dran-Denken, weil irgendwas anderes war, zB jemand im Nebenraum ein Gespräch anfängt, ich rüber gehe, und die Tasse ist aus meinem Kopf verschwunden. (Sehr wohl aber kann ich versprechen, dass ich mich bemühen werde, dran zu denken...)

Mir fiel es sehr schwer, nachzuvollziehen, wie er sich da so massiv aufregen kann. Zum einen, weil es wirklich absolute Kleinigkeiten sind, und immer nur kurz, zum anderen, weil er umgekehrt auch sehr viel stehen und liegen lässt, oft die gleichen Dinge, über die er sich bei mir aufregt...

Wir haben aber inzwischen viel darüber gesprochen und haben festgestellt, dass es überhaupt nicht um "diese eine Tasse" geht, sondern um das Gefühl: "Du lässt das stehen, weil du normal findest, dass ich hinter dir aufräume, was bedeutet, dass du mich nicht respektierst". Dazu kommt, dass mein Mann aus einem wirklich schlimmen Messi-Elternhaus stammt und bei Unordnung schnell Angst bekommt, dass es bei uns auch mal so werden könnte.
Für mich ist jedoch (s)eine Tasse, die rumsteht, lediglich eine Tasse, die rumsteht und die ich, wenn sie mich stört, einfach mit wegräumen kann.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch bei euch nicht ausschließlich um die einzelnen Gegenstände geht, die liegen bleiben - dass kann man ja wirklich schnell machen, sondern um was tieferliegendes. Vielleicht könntet ihr diesbezüglich nochmal sprechen..?

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Dich stört seine Unordnung. Du hast es bei ihm zig (!) Mal angesprochen mit der Bitte, etwas mehr Ordnung walten zu lassen. Das Ergebnis ist aber, dass er es nicht schlimm findet und nichts ändern kann und wird. Nun ist es wieder an dir, wie du mit dieser Botschaft umgehst, denn ändern kannst du einen erwachsenen Menschen ja nicht. Willst du ihm hinterher räumen, damit du dich wohler fühlst oder willst du mehr Unordnung tolerieren und an deinen Vorstellungen arbeiten oder kannst du auf Dauer damit nicht leben. Das sind dann deine nächsten Schritte.
Du willst was, er gibt es dir aber nicht - und nun?
Ich finde, das Leben ist zu schade, um sich bei solchen Kleinigkeiten (ich lese nichts von herumliegender dreckiger Wäsche, sondern sehe es eher als eine Kaffeetasse, die nicht in die Spülmaschine geräumt wird) ständig zu reiben. Entweder formulierst du deine Bitten noch nicht konkret a la "benutzte Kaffeetasse kommt sofort in den Spüler", oder du musst dir ein Hobby oder eine Aufgabe suchen, die dir mehr gibt, als das Stänkern mit deinem Partner wegen Ordnung oder ihr führt getrennte Haushalte - jeder so, wie es ihm passt. Aber immer auf dem gleichen Thema rumhacken ohne Kompromisse oder Ergebnisse, macht doch keinen von euch beiden mehr glücklich und treibt euch vermutlich voneinander weg.

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Grundsätzlich verstehe ich worauf du hinauswillst.
Diese sogenannten "Kleinigkeiten" tauchen aber täglich mehrfach auf. Es geht um nicht weggeworfene Taschentücher, angekackte Windeln unseres Sohnes, rumstehende Gläser, rumliegende Brösel am Tisch, usw.

An sich wärs ja ein Dealbreaker. Wenn einer etwas unbedingt so haben möchte und der andere nicht, dann sollte man sich trennen. Wenns da aber hauptsächlich um den Haushalt geht, dann klingt das etwas absurd.

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"Wenns da aber hauptsächlich um den Haushalt geht, dann klingt das etwas absurd."

Stimmt. Ist furchtbar banal. Aber eben ein game changer. ich denke, dass 50% der geschiedenen Ehen nicht geschieden worden wären, wenn die Beteiligten nicht zuammengewohnt hätten. Oder zumindest in ehausungen gewohnt haätten, die gross genug sind um dem anderen nicht zwingend zu begegnen.

Wo genau ist jetzt nochmal das Verhalten Deines Partners pathologiserbar? Deine Beispiele, leere Tüte Nüsse, volle Windel, leere Gläser etc fallen unter Unaufmerksamkeitsblindheit. Das ist aber keine Störung.

Bearbeitet von the.sunking
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Und was ist, wenn der Frust bezüglich deines Partners daraus resultiert, dass du dich ständig reflektierst und versuchst zu optimieren? Wie wäre es, wenn du deine eigenen Macken genauso akzeptierst und sie anderen Menschen zumutest wie dein Mann das tut?

Nur mal so als These in den Raum geworfen…

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Naja...ihr seid unterschiedlich. Aber nciht ausergewöhnlich. Keine Ahnung wie viel Prozent der Paare genau diese Streitgespräche führen...sehr viele jedenfalls. aber die allerwenigsten haben ADS ..also ja, ich finde du pathologisierst. Und das Problem ist, dass nur du eines hast...und das sieht dein Partner auch, aber du nicht.

In deinem Kopf hast du eine Vorstellung, wie man sich zu Hause verhalten muss. wAs man aufräumen muss, was man nciht stehen lassen darf usw. Aber das ist kein "so ist es richtig"..das ist nur deine Vorstellung davon. Dein Partner hat seine Vorstellung. Die ist genauso richtig, oder falsch wie deine.
Das ist die eine Ebene...auf dieser Ebene kannst du dich mit deiner Vorstellung auseinandersetzen und mal sehen, ob die wirklcih so starr befolgt werden muss und warum. Und du kannst dich damit auseinendersetzen, dass die Vorstellung des Partners ebenso richtig ist wie deine. Und sein Wunsch, dass seine Vorstellung gelebt werden kann, ebenso große wie deiner.

Und die andere Ebene ist, dass zumeist so ein Gefühl wie "unsere Beziehung/ich/meine Gefühle sind ihm nciht wichtig genug, als dass er xyz tut", "warum ist der nciht kompromisbereit", "er findet sich wichtiger als mich"...losgeht. Es passiert also zwischenmenschlich etwas und man interpretiert von unaufgeräumten Tassen zu fehlendem Respekt und Bemühen. Auch hier: Er kann das andersrum genauso sehen und fühlen wie du. "Warum nörgelt sie ständig an mir rum..warum kann sie nicht akzeptieren,d ass ich entspannt leben möchte...ich bin doch nciht auf der WElt um die Wohnugn klinisch rein zu halten".

Ja Kompromisse und gegenseitiges Verstehen wären gut...leider sind die Paare meist schon in einer ungünstigen Spirale, wenn ihnen das einfällt...und dann hat sich schon ein "ich verteidige was ich gut finde, ich lass mich nciht verbiegen" eingeschlichen...aber mit externer Hilfe müsste man das schon wieder hinkriegen.

Und: sich von seinen eigenen glaubenssätzen zu befreien und lockerer zu werden, bereichert einen auch...

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Ganz ehrlich ich bin auch jemand der das Nussackerl nicht gleich wegräumt nachdem es vor dem Fernseher gegessen wurde, ich lass auch manchmal das Nuttelaglas stehen und das benutze Nutellamesser liegt am Waschbecken fall ichs später noch brauche. Ja, es kommt auch mal vor das ich mir ein Brot schmiere und die Krümmel erst am nächsten Tag beseitige. Ich bin nun mal nicht so ordentlich aber jetzt auch kein Messi.
Ich würde es schrecklich finden wenn ich mich jetzt für meinen Freund ändern müsste und zwanghaft an das Nussackerl denken müsste. Das bin halt nicht ich.

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Weil sich da viele an diesem "Nussackerl"-Beispiel aufgehängt haben:
Das Nusssackerl per se ist wirklich eine Banalität, aber steht für viele andere Themen und ich hab ja nicht selbst so lange drauf rumgehackt, sondern hatte die Therapeutin aus irgendwelchen Gründen da einen Narren dran gefressen.

Wenn wir getrennte Haushalte hätten (was mit gemeinsamen Kind eher schwierig ist), dann könnte er bei sich so leben, wie er möchte, da hätte ich nichts zu sagen, klar. Ich würde mich vielleicht noch so wohl fühlen und das auch kommunizieren, wenns ihm dann trotzdem egal ist, dann habe ich Pech.

Dieses Haus gehört uns aber beiden und wir sollten uns beide drinnen wohl fühlen. Man muss ja fairerweise festhalten, dass ich ihn umgekehrt mit meiner "Ordnung" ja nicht ins Unwohlsein treibe. Er hats dann durchaus auch gerne aufgeräumt, aber es ist ihm per se nicht so wichtig. Umgekehrt stört mich aber das Chaos.
Und man mag über die Begriffe Ordnung oder Unordnung ja verschiedene Auffassungen haben, was total ok ist. Aber für mich gehört zu diesem Thema zb auch Hygiene dazu. Wir haben wir erklärt ein kleines Kind, das herumkrabbelt. Wenns ihn dann auch null interessiert, ob gesaugt ist, dann find ichs dem Kind gegenüber nicht wirklich fair. Wir wollen ja eigentlich beide nicht, dass es Lurch frisst, weil soviel davon umliegt.

Und um nochmals auf leere Nusssackerl zurückzukehren. Irgendjemand muss es ja schließlich von dort wegräumen, es kompostiert ja nicht am Couchtisch ;-). Wenns nur darum ginge, dass ers halt erst nach 2-3 Tagen wegräumt, ja ok. Aber er würds halt irgendwie nie wegräumen. Ich denke, dass er einfach von klein auf gewohnt war, dass ihm immer irgendjemand hinterherräumt.
Und dann zu sagen, dass es ihn nicht stört, wenn sich langsam Müll im Haus ansammelt ... hm, das würde ich ihm gar nicht abnehmen.