Vergebung, aber wie?

Hallo,

Ich versuche gleich zum Kern der Sache zu kommen: Ich wurde vor 2 Jahren ungeplant schwanger. Da wir schon zwei Kinder haben, wollte mein Mann den Abbruch der Schwangerschaft. Ich konnte ihm in den ersten Wochen nicht gestehen, dass ich das Kind unbedingt behalten wollte. Da ich schon 2 MA vor der 12. Ssw hatte, habe ich gesagt "Lass uns den 1. US abwarten.". Der US sah gut aus.

Also haben wir in der 8. Ssw einen Beratungstermin bei pro familia in Anspruch genommen. Die Beraterin hat es geschafft, dass ich zugegeben habe, den Abbruch nicht durchführen zu wollen. Nach einem Gefühlsausbruch hat mein Mann eingelenkt und gesagt "Ok, dann behalten wir es.".

Leider hatte das Kind einen schweren Gendefekt (Fehlbildungen etc.) und wir haben uns letztendlich (nach langen, schweren Wochen) für einen Abbruch in der 21. Ssw entschieden. Da mein Mann bei der stillen Geburt nicht dabei sein konnte/wollte, habe ich unser Kind allein zur Welt gebracht. Diese 2 Tage im Krankenhaus haben mich verändert.

Ich leide immer noch sehr unter den Geschehnissen. Ich habe versucht, mich in die Arbeit zu stürzen und habe viel zu viel gearbeitet. Die Anerkennung, die ich dafür bekommen habe, half mir kaum bis gar nicht. Körperlich habe ich mich mit Arbeit, Haushalt usw. an den Rand der Erschöpfung gebracht, sodass ich nun seit 3 Monaten krankgeschrieben bin. Eine psychologische Unterstützung zu bekommen ist schwer. Eine Psychotherapeutin sagte mir kürzlich nach 4 Sitzungen offen, dass ihr das Thema "zu komplex" sei. Therapieende.

Neben den Erinnerungen/Flashbacks an die stille Geburt und die Trauer über unser totes Kind, ist da diese schreckliche Wut auf meinen Mann, die immer wieder hochkommt und mich so aggressiv macht. Ich habe mich in der Schwangerschaft so allein gefühlt. Habe das Gefühl gehabt, ich müsse dieses kleine Wesen vor seinem Vater beschützen, der es nicht wollte. Ich nehme es ihm übel, dass er bei der Geburt nicht dabei war und dass er unser Kind nicht ansehen konnte.

Ich bin ein Kopfmensch, aber auch empathisch. Ich weiß, dass ich ihm vergeben müsste, auch um meiner selbst Willen. Für uns und unsere Beziehung. Aber ich scheitere daran. Er fragt mich immer wieder, warum ich ihm nicht vergeben kann. Ich frage mich das auch. Ich liebe ihn sehr. Aber wenn ich in mich hineinhöre, ist da immer diese Wut und der Schmerz. Wir streiten deshalb sehr viel, obwohl wir eigentlich beide harmoniebedürftige Menschen sind. Jeder Streit setzt mir sehr zu (ihm auch). Eine Paartherapie vor einem Jahr mussten wir abbrechen, weil sie alles nur viel schlimmer gemacht hat.

Wie schaffe ich es ihm zu vergeben? Ich hatte gehofft, mit der Zeit würden Wut und Schmerz weniger werden. Aber es wird momentan nur schlimmer.

Vielen Dank fürs Lesen!

ELTERN -
Die beliebtesten Milchpumpen 2024

Hebammen-Tipp
Medela Handmilchpumpe Harmony, Produktkarton im Hintergrund
  • hoher Bedienkomfort
  • leicht und kompakt
  • flexible Brusthaube
zum Vergleich
1

Es hört sich an, als sei die stille Geburt für dich sehr traumatisch gewesen. Dafür sprechen u.a. die Flashbacks.
Eine therapeutische Begleitung scheint hier hilfreich zu sein.
(Deinem Mann) vergeben zu wollen, ist ein heres Ziel.
Ich glaube, zuallererst musst du dir vergeben. Das steht aber ganz am Ende des Weges.
Der Weg ist das Ziel.
Bei dir scheinen viele Gefühle zu sein. Diese gilt es wahr- und anzunehmen. Das Trauma - der Verlust des Babys - muss in deine Lebensgeschichte integriert werden.
Das ist alles leichter gesagt als getan.

Eine sensible, empathische, therapeutische Begleitung - evtl. auch zusammen mit deinem Mann, denn in ihm wird auch einiges vorgehen - wäre hier anzustreben, meiner bescheidenen Meinung aus der Ferne nach.

2

Eine Therapie scheint unumgänglich. Und die Zeit des Wartens auf einen Platz würde ich doch sagen, gebt der Paartherapie eine Chance. Ungewöhnlich wenn diese zu Verschlimmerung geführt hat. Ich lese auch sehr viel Druck in Bezug auf die Vergebung raus. Das muss ja nicht gleich heute geschehen. Ich würde erstmal die Tage nehmen wie sie kommen und versuchen das Familienleben dennoch harmonisch zu gestalten und vllt eine Pause von den Thema zu machen. Ich hätte ihm das auch übel genommen, keine Frage und es macht mich sauer wie einfach Männer sich aus der Verantwortung stehlen. Aber wenn du mit ihm zusammen bleiben möchtest, dann kannst du momentan nur bei dir anfangen und mit kleinen Schritten an der Harmonie arbeiten.

3

Therapien machen manchmal gefühlt ersteinmal alles schlimmer, weil sie alles aufreißen und dann neu sortieren. Neue Gefühle, die in einer Therapie herauf kommen, können sich furchtbar beängstigend anfuhlen. Auf dem Sessel muss man sich öffnen und dem Partner zuhören und vieles zulassen, was man unterdrücken möchte. Dass man dies als Verschlimmerung wahrnimmt, ist verständlich aber da sollte man durch.

Vielleicht war der Therapeut zu unsensibel.

Was ich mir noch mehr vorstellen kann ist dieses, dass ihr vor einem Jahr einfach noch nicht bereit wart, an diesem Schmerz zu arbeiten. Es war einfach noch zu frisch.
Und jetzt bohrt sich dieser Schmerz aber unaufhörlich in eure Beziehung hinein.

Ich denke nicht, dass du um eine Therapie herum kommst, wie die anderen auch. Das Thema scheint wirklich komplex zu sein, aber mit einem besseren Therapeuten könntet ihr euch besser begleitet fühlen in der Aufarbeitung.

4

Hallo du,

es tut mir sehr leid, in was für einer schwierigen Situation du steckst. Man kann die Anspannung und den Schmerz aus deinen Zeilen herauslesen.

Die Sache mit der Vergebung, ja... Das ist ein sehr komplexes Thema. Mal denkt man, man schafft das, dann ist dieses Ziel wieder meilenweit entfernt. Bei dir ist meines Erachtens klar: du bist noch nicht soweit. Kein Wunder, nach allem was passiert ist.

Was am Anfang des Prozesses stehen sollte, ist dein eigenes Trauma aufzuarbeiten. Dazu solltest du idealerweise therapeutische Unterstützung bekommen und dir Zeit nehmen, viel Zeit. Niemand darf dir da Druck machen, auch du selbst nicht. Ein Beinbruch heilt auch so lange, bis man eben wieder laufen kann. Mit der Seele ist das auch so, zumal du dieses Paket plus einen gewaltigen Burnout nun schon eine Weile mit dir herumträgst. Während der Heilungszeit: keine Streits, keine Anschuldigungen, auch wenn das super-schwer ist. Erlaube dir, den Fokus auf dich zu lenken, sorge dafür, dass du deine Wut in Bahnen lenkst, wo sie ungehindert fließen kann, ohne destruktiv zu sein. Du hast gesehen, dass das Versinken in Arbeit als Ventil ungeeignet ist. Meine Methode ist der Sport. Beim Squash mit einem Ball auf eine Wand eindreschen finde ich sehr befreiend. Laufen, gefühlt bis ans Ende der Welt, am besten mit einem Hund als Begleiter. Eine Bekannte von mir hat nach einem traumatischen Erlebnis das Malen für sich entdeckt. Interessant war's, zu sehen, wie die Bilder sich entwickelt haben. Was könnte dein Ventil sein?
Dein Mann soll im Übrigen Verständnis haben und das Thema dir überlassen. Er kann dir an der Stelle nicht helfen. Idealerweise solltest du mal ein paar Wochen "raus" im Rahmen einer Kur oder Ähnlichem.

Im Anschluss daran und erst, wenn du dich dazu bereit fühlst, kannst du versuchen, dich in die Lage deines Mannes zu versetzen - bitte nicht falsch verstehen: nicht um zu entschuldigen, was er getan oder auch nicht getan hat, sondern nur, um seine Seite zu beleuchten - emotional und rational.

Erst an diesem Punkt kann etwas wie Akzeptanz überhaupt entstehen. Akzeptanz ist unerlässlich für Vergebung, eben dieses Bewusstsein: Es ist passiert - nichts in der Welt macht es ungeschehen. Mein Gegenüber hat mich sehr verletzt, aber ich verzichte auf Angriffe, Rückzug oder Schuldzuweisungen. Erst dann kann Vergebung entstehen.

Lange Rede, kurzer Sinn: erst muss die Wut raus, das Trauma muss heilen... Dann kann's erst an die Vergebung gehen. Ich wünsche dir dafür nur das Beste!

Liebe Grüße,
DieKati

5

Wow, ich lese ja jetzt schon eine Weile in diversen Foren hier mit und finde es immer wieder großartig, wie konstruktiv, eloquent und empathisch (vor allem letzteres) du antwortest. Das ist wirklich großartig. Vielen Dank dafür!

6

Danke für dein Feedback, das bedeutet mir viel und freut mich sehr!

7

Liebe Herzweh,
ich habe hier auf Urbia eure Geschichte verfolgt und es tut mit wahnsinnig Leid, was ihr alles erleben musstet, insbesondere für dich. Ich glaube du musst erst mit der Vergangenheit und dir ins Reine kommen ehe du weitermachen kannst (Arbeit, Kinderwunsch, Vergebung) und das mit Begleitung eines guten Therapeuten, das Thema ist zu viel und zu komplex für dich allein. Und in meinen Augen solltet ihr auch die Paartherapie wieder angehen, gerade am Anfang ist eine Verschlechterung normal, aber ohne, dass ihr euch mit euren Problemen, den Vorwürfen und der Wut auseinandersetzt kann keine Heilung kommen. Dein Mann hat dich in dem Moment allein gelassen, als du ihn am meisten gebraucht hättest, das vergisst man nicht einfach, manchmal reicht Zeit vergehen lassen einfach nicht aus.
Alles erdenklich Gute für euren Weg...

Bearbeitet von DerWeg
8

Ach Mensch,

Du hast schon oft auf Urbia geschrieben.
Erst neulich, dass ihr dringend an einem weiteren Kind arbeitet. Bitte lass das, wenn eure Beziehung nicht sicher ist!

Ohne dich ärgern zu wollen: Ich kann mir vorstellen, dass du deinen Mann da auch grad noch mehr Schuld zuschiebst als er hatte.

Deine ersten Beiträge damals waren, meine ich, auch nicht für das Kind und das hatte auch Gründe.

Es tut mir sehr leid, dass du psychologisch nicht die Hilfe bekommst, die du brauchst. Ich hoffe, dass du irgendwann wieder Freude an dem empfinden kannst, das du hast.

Hoffentlich nehmen deine beiden größeren Kinder das alles nicht so wahr.

9

Ich weiß, dass ich ihm vergeben müsste, auch um meiner selbst Willen. Für uns und unsere Beziehung.

Dieser Satz stößt mir etwas auf. Es ist eine romantisierte Vorstellung vergeben zu müssen. Nein, das musst du nicht, Manches kann man doch auch nicht vergeben, wieso auch? Dass du es dir wünschst, das verstehe ich, für eure Ehe. Aber müssen tust du es nicht.

Wieso war die Paartherapie so schlimm? In der Paartherapie wird in Vergangenheit und in Gefühlen gewühlt, um in der Gegenwart und die Zukunft wieder eine Basis zu haben und damit kaltzukommen. Das tut natürlich weh. Es klingt ein bisschen, als hättet ihr abgebrochen als aller Schmerz offenlag. Da aufzuhören ist nicht ratsam, denn der Schmerz gehört ja bearbeitet und nicht entfesselt, dass er vor sich hinmodert und euch vergiftet.
Ich kann deine Situation nachfühlen, war in einer, ich würde sagen ähnlichen Situation und die Beziehung ging in die Brüche, der Mann ist für mich bis heute gestorben und ich werde weder vergeben noch vergessen. Es waren aber keine 2 gemeinsamen Kinder involviert. Da versteh ich deinen Wunsch zu vergeben natürlich, aber erzwingen kannst du es nicht. Vielleicht soll es nicht sein? Vielleicht ist eine Trennung in eurem Fall wirklich das Beste, und wenn es nur erstmal räumliche Distanz ist. Denn das was er getan hat, ist in meinen Augen unverzeihlich, dich so im Stich zu lassen, nachdem er dich fast genötigt hat abzutreiben (was übrigens strafbar ist!).

Nimm dir Zeit und hör in DICH hinein. Wenn es nicht geht, geht es einfach nicht. Alles Liebe

10

Liebe Te!
Als erstes möchte ich dir mein tiefes Mitgefühl zu deinem schweren Verlust mitteilen.
Du hast etwas Schreckliches erlebt, und das tut mir sehr leid!
Einige Gedanken möchte ich dir jedoch mitgeben.
Kann es sein, dass dein Mann deshalb nicht bei der Geburt war, da er sich doch auf das Kind gefreut hatte und ihn der Verlust mehr traf als du denkst? Männer und Frauen trauern oft sehr unterschiedlich und meiner Erfahrung nach neigen Männer oft zur vollständigen Verdrängung.
Oder wäre es möglich, dass er dich so sehr liebt, dass er es nicht geschafft hat dein unendliches Leid mitzuertragen? Auch hierbei frei nach dem Motto "Wenn ich es nicht sehe, gibt es es auch nicht"
Außerdem habe ich den Gedanken, dass du deshalb nicht verzeihen kannst, da du deinem Mann Schuld an der Entscheidung zu einer Tötung des Ungeborenen gibst, da du vielleicht doch nicht ganz dahinter gestanden bist und vielleicht dann mit dem Kopf nicht mit dem Herzen entschieden hast.
Kann es sein, dass du ihm insgeheim die Schuld gibst?
Es gibt Hebammen und Psychologinnen, die auf das Trauma der stillen Geburt spezialisiert sind. Ich denke so jemand wäre der richtige für dich.
Sollte er/sie zu weit weg sein kannst du die Therapie sicher auch telefonisch machen und es ist einmal egal ob die Kasse bezahlt oder nicht, nimm das Geld deiner Familie zu Liebe in die Hand, egal was es kostet, Hauptsache ihr kommt da gesund wieder raus!
Alles Gute!

11

Hallo

Meine gute Freundin hat sich eine Schwanherschaft aufgrund Trisonomie abgebrochen. Sie war danach nicht mehr dieselbe und bekam Depressionen. Sie wollte dann unbedingt noch ein Kind und glaubte erst dadurch wieder heil zu werden. Abgesehen davon das eigentlich die Rahmenbedingungen gar nicht so optimal waren ( eigentlich zuwenig Platz und sie sagt sie ist mit ihren zwei schon komplett ausgelastet) war sie überzeugt das nur ein weiters Kind ihre Familie komplett macht. Sie war aber schon ü 40 und nach unzähligen Behandlungen gab sie auf. Es stand sogar eine EZS Spende im Raum (sie waren sowieso in der kiwu Klinik ) aber ihr Mann wollte das aufgrund der bereits vorhandenen Kindern nicht ( wir kennen da 2 Fälle im Bekanntenkreis die problematisch sind).
Sie fand dann nach langer Suche einen Therapeuten der zu ihr passte und der ihr half. Als erstes musste sie lernen sich selbst zu vergeben und zu akzeptierend ,dass dieses Kind nicht mehr zu ihr zurück kommen kann. Sie sagte mal sie stand 100 % hinter der Entscheidung aber trotzdem hatte sie in ihrem tiefsten inneren ein schlechtes Gewissen. Und viele Beziehungen gehen nach so einen schweren Verlust in die Brüche, weil man unterschiedlich trauert und jemanden sucht der Schuld an der Situation ist. Du warst in einer furchtbar Situation und hast dir zu Recht, die Hilfe deines Mannes gewünscht. Er war ziemlich sicher auch unfassbar traurig und hat die Geburt einfach ignoriert damit er sich mit dem Schmerz nicht auseinander setzten musste. Das bedeutet aber nicht dass er nicht getrauert hat, oder Schuld daran ist dass der Abruch stattfand. Wie war eure bisherige Beziehung. Hat er dir in schwierigen Situationen geholfen? Konzentriere dich auf seine guten Seiten, wo war er für dich da und lass nicht zu, dass eure Beziehung von einer Ausnahme Situation zerstört wird. Jeder handelt mal falsch , es war auch von ihm falsch dich alleine zu lassen, aber es ist geschehen und jetzt kommen wieder andere Tage in denen ihr euch gegenseitig unterstützen könnt.