Früher Tod der Mutter, Vater hat sich stark verändert

Ich muss für diese „Frage“ oder den Hilferuf leider etwas ausholen…. Ich versuche allerdings mich kurz zu fassen.
Wir sind eine Patchworkfamilie. Meine Mama hat sich von unserem leiblichen Vater scheiden lassen als ich 7, meine Schwester 8 war. Also wir dann so ca. 10 und 11 Jahre alt waren, lernte sie einen neuen Mann kennen, unseren heutigen Stiefvater. Er hat sich in unserem Leben immer sehr liebevoll um uns gekümmert und für uns ist er mehr ein Vater als sonst irgendwer. Er brachte damals in die Beziehung ebenfalls eine Tochter mit, die zwei Jahre jünger war als ich, aber bei ihrer leiblichen Mutter wohnte. Meine Schwester und ich haben den Kontakt zu unserem leiblichen Vater abgebrochen. Soweit zur Grundsituation.
Unsere Patchworkfamilie bekam dann noch einmal Zuwachs, als unser kleiner Bruder geboren wurde. Er ist 18 Jahre jünger als ich. Zwei Jahre nach seiner Geburt starb unsere Mama ziemlich plötzlich mit nur 42 Jahren. Das ist nun fünf Jahre her. Unser Stiefvater und unser kleiner Bruder wohnen, wegen unserer Ausbildung und unseres Studiums über 500km von uns und seiner leiblichen Tochter entfernt. Man kann also nicht mal eben schnell rüber fahren.
Nachdem unsere Mama gestorben war, stand unser Stiefvater natürlich alleine mit einem Kleinkind da. Mein kleiner Bruder ist ein ziemlich intelligentes Kerlchen dem man eigentlich drei Schritte voraus sein muss, damit er einen nicht auf der Nase herum tanzt. Und man muss schnell denken, bzw. mitdenken können. Das beides sind leider Eigenschaften, die unserem Stiefvater nicht gegeben sind. Er ist unglaublich liebevoll, aber mein kleiner Bruder treibt ihn oft in den Wahnsinn, weshalb es auch öfter Mal knallt. Er hat schließlich auch jede Menge um die Ohren und leider auch keine Familie in der Nähe, die ihn unterstützen könnte (seine Eltern wohnen ebenfalls ganz wo anders). Meine Schwester und ich versuchen natürlich so oft wie es uns mit Studium und Job möglich ist, auszuhelfen und sie zu besuchen, aber das reicht bei Weitem nicht aus. Jetzt haben wir, zur Entlastung ein AurPair, was die Lage hoffentlich ein bisschen entspannen kann.
Neben der Tatsache, dass unser Stiefvater oft überfordert ist mit unserem kleinen Bruder, haben wir auch festgestellt, dass er, seit dem Tod unserer Mama, sehr viele komische und nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen an den Tag legt. Viele seiner Freunde sagen inzwischen über ihn „Naja er war ja schon immer ein bisschen verplant, aber so weltfremd wie er es inzwischen ist, war er es früher nicht“. Er versteht zwischenmenschliches oft nicht mehr, er schätzt die Reaktionen von Leuten auf eine bestimmte Situation falsch ein (Beispiel: auf Arbeit gab es Probleme mit einem Kunden. Der Kunde teilte das seinem Chef mit, weshalb sein Chef ihm den Kunden weg nahm. Da das Gespräch darüber, seiner Aussage nach, freundlich ablief, ging er davon aus, dass sein Chef ihm eine Last abnehmen wollte und fand das total nett von ihm. Ich als seine 25 jährige Tochter musste ihn dann darauf hinweisen, dass das alles andere als „nett“ war, sondern, dass sein Chef lediglich die Notbremse gezogen hat. Und dass das eigentlich sehr schlecht für ihn ist und natürlich auch kein gutes Licht auf ihn wirft), er ist sehr festgefahren auf seine Meinungen uns seine Prinzipien (ganz schlimm ist es die letzten beiden Jahre auf Grund von Corona), er legt extremen Wert auf absolute Nichtigkeiten und vernachlässigt im Umkehrschluss die eigentlich relevanten Sachen (Bsp: letztens hat er meinen kleinen Bruder total angemotzt, weil der, nachdem er fertig war mit Essen, sein Besteck nicht an die richtigen Positionen (wie im Restaurant) gelegt hat. Das mein kleiner Bruder mit seinen sieben Jahren aber die ganze Mahlzeit davor eigentlich mit Händen anstatt mit Besteck gegessen und dabei den gesamten Tisch eingesaut hat, war ihm egal, bzw. darauf gab es keine Reaktion seinerseits. Da Frage ich mich wirklich nach der Priorität), sein Zeitmanagement ist eine absolute Katastrophe und er hat überhaupt kein Gefühl mehr dafür ob etwas was er gerade tut vllt unangebracht oder sogar peinlich ist (Bsp.: Er hat jetzt zum neuen Jahr eine, wie er sie nennt, „Neujahrsansprache“ verfasst, die zwanzig Minuten lang ist und die er an all seine Kontakte geschickt hat. Und in dieser Ansprache geht es natürlich auch um Corona und ein paar andere Dinge) Versteht mich nicht falsch, er darf ruhig seine Meinung dazu haben, auch wenn ich sie nicht zu 100% teile. Aber muss man seine Meinung zu einem bestimmten Thema zwanzig Minuten lang aufnehmen und es an Neujahr als „Neujahrsansprache“ dann an all seine Kontakte verschicken? Ich denke nicht, vor allem nicht bei einem so „heiklem“ Thema wie Corona und Corona-Maßnahmen.
Bei den meisten seiner Freunde wird er auf Grund dessen nur noch aus Höflichkeit eingeladen. Ernst nimmt ihn keiner mehr, meine ältere Schwester regt sich eigentlich nur noch über ihn auf (die beiden können inzwischen eigentlich nicht mehr in einem Raum miteinander sein ohne das der eine böse auf den anderen wird) seine leibliche Tochter hat ihn eigentlich abgeschrieben und findet ihn oft lächerlich oder gar erbärmlich (ihre Wortwahl, nicht meine. Ihr Verhältnis war allerdings sowieso noch nie das beste) und ich versuche immer wieder, ihm ein bisschen die Augen zu öffnen, ihm Tipps zu geben und ihm „die Welt zu erklären“. Wir reden viel miteinander und ich habe ihn sehr lieb, aber ich komme langsam an meine Grenzen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich der Erwachsene bin und er das Kind, dem man alles erklären müsste.
Und es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, dass sich all seine Freunde Stückchen für Stückchen von ihm entfernen, weil sie nichts mehr mit ihm gemein haben und ihn uns sein Handeln nicht verstehen (das tue ich oft auch nicht, aber ich finde er hat das einfach nicht verdient).
Ich bin mit meinem Latein langsam echt am Ende, weil ich nicht mehr weiß was ich tun soll. Ich ziehe demnächst zurück in ihre Gegend und hoffe, dass ich ihm die Arbeit mit meinem kleinen Bruder dadurch ein wenig erleichtern kann.
Aber was seine Wesensänderung angeht bin ich wirklich völlig ratlos. Ich frage mich immer wieder, wie es sein kann, dass ein Mensch nach einem Schicksalsschlag so weltfremd wird und überhaupt nicht mehr zurecht kommt. Es war für uns alle extrem hart. Meine Schwester und ich hatten beide ebenfalls eine extrem enge Bindung zu unserer Mama und es vergeht auch heute noch kein Tag, an dem ich nicht an sie denke. Und wir haben uns auch alle verändert. Aber ich denke, wir haben uns eher weiterentwickelt und dazu gelernt, während man bei ihm das Gefühl hat, dass er sich zurück entwickelt. Wie ist das möglich (kann das eine psychologisches Phänomen sein)? Was kann man dagegen tun? Und vor allem wie kann ich/wir ihm helfen?
Ich erwarte nicht, dass jemand eine explizite Antwort auf diese Fragen hat. Aber manchmal hilft einem vllt schon ein zweiter Blickwinkel von außerhalb.
Ich würde mich über Antworten und Anregungen von euch freuen!
Luna 252

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Hallo,

jeder Mensch trauert anders und - auch wenn man Trauer eigentlich nicht aufwiegen sollte - du kannst die Trauer einer Tochter, nicht mit der Trauer des Ehemannes vergleichen.

Wenn der Ehepartner stirbt, fehlt von einem Moment auf den nächsten ganz vieles. Deine Mutter war noch sehr jung, die gesamte Lebensplanung ist mit ihr gestorben. Sie ist ganz plötzlich gestorben, das kann für deinen Stiefvater traumatisierend sein. Du lebst dein Leben und nabelst dich naturgemäß von deiner Mutter ab, sein Leben ist dagegen eine Katastrophe.

Trauer um den verstorbenen Partner kann mehrere Jahre dauern, das ist nicht ungewöhnlich oder gar unnormal. Dazu kommt, dass dein Stiefvater wahrscheinlich überhaupt keine Zeit zum Trauern gefunden hat, weil er deinen kleinen Bruder großziehen musste, der damals ein Kleinkind war. Das ist keine leichte Aufgabe.

Wenn du deinem Stiefvater wirklich helfen möchtest, solltest du ihm Trauerbegleitung ans Herz legen, eventuell auch eine Therapie. Wenn du versuchen möchtest, dich in seine Lebenswelt einzufühlen, empfehle ich dir entsprechende Literatur zu lesen.

LG

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dein Stiefvater ist immr noch nicht über den Tod weggekommen, er braucht profesionelle Hilfe

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Liebe Luna,
Ich empfinde deinen Text als sehr emphatisch, du machst dir viele Gedanken um deinen Vater und deinen kleinen Bruder. Gleichzeitig bist du ja selbst noch ein junger Mensch der am Anfang seines (erwachsenen) Lebens steht.
Es ist wirklich toll von dir, dass du deinen Vater so unterstützt und für beide noch mehr da sein willst, wenn du wieder in die Nähe ziehst. Aber vergiss auch dich und dein Leben darüber nicht!
Dein Vater scheint tatsächlich mit allem überfordert zu sein. Neben Trauergruppen oder einer Trauerbegleitung fällt mir noch eine Familienhilfe ein. Am Besten wäre wahrscheinlich, sich an entsprechende Beratungsstellen z.B. bei der Caritas zu wenden, um herauszufinden, welche Art der Unterstützung und Hilfe es gibt.
Liebe Grüße
Karbi