Brief einer 20jährigen Schwangeren

Mein Kind,

Ich sitze hier, an einem kleinen Tisch in einem Kaffee in der Stadt und schreibe meine Gedanken auf einen einfachen Collageblock.

Draussen regnet es in Strömen, die Leute laufen hektisch mit ihren Schirmen durch die Strassen und starren mit verbitterten Blicken auf die Pflastersteine.

Die meisten von ihnen führen ein Leben, welches sie gar nicht möchten. Tag ein, Tag aus gehen sie arbeiten und funktionieren einfach. Nicht weil sie das so wollen, sondern weil es von der Gesellschaft so vorgegeben wird.
Es wird erwartet, dass jeder studiert, arbeitet und möglichst viel Geld verdient. Wenn man nach der Ausbildung mindestens 10 Jahre gearbeitet hat, die halbe Welt bereist hat, an unzähligen Partys alkoholisierte Nächte überstanden hat, erst dann, mit mitte 30 ist man bereit dazu, eine eigene Familie zu gründen. Denn dann kann man aus dem vielen Geld auch ein grosses Haus bauen, den Kindern tausende Spielsachen kaufen und verschiedene Frühförderungsangebote sicherstellen. Das ist das Bild vieler Menschen heutzutage. Die Erwartung an werdende Eltern sind extrem hoch. Das verunsichert mich, ja es macht mich sogar traurig.

Mir bedeuten all diese Dinge nämlich rein gar nichts. Klar, es ist wichtig, dass man eine gute Ausbildung abschliesst. Klar, man sollte eine stabile Partnerschaft führen. Klar es ist wichtig, das man eine Wohnung mit genug Platz besitzt. Klar, auch ein Auto für die nötige Mobilität ist gut. Klar, man sollte sich vorher genug Gedanken gemacht haben, eine Plan für die Zukunft verfolgen und sich sicher sein, dass man für die grosse Verantwortung, die ein Baby mit sich bringt, bereit ist. Die rosarote Brille sollte definitiv abgelegt sein. Aber ganz ehrlich, in dieser Welt ist gar nichts sicher. Pläne ändern sich in Sekundenbruchteilen. Wen man den Menschen gefunden hat, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte, wenn man sich sicher ist, das alles passt, wieso sollte man dann noch warten?

Mein Kind, dein Papa und ich, wir waren uns noch nie so sicher wie jetzt. Wir lieben uns über alles und haben einen gemeinsamen Herzenswunsch. Wir wünschen uns eine eigene Familie. Auch wenn wir erst 20 resp. 26 Jahre alt sind.

Alle Grundvoraussetzungen sind bei uns gegeben. Wir haben uns schon so viele Gedanken gemacht und sind der festen Überzeugung, dass das Wichtigste, was man einem Kind geben muss, ganz viel Liebe, Zuneigung und ein herzliches, warmes Zuhause ist. Solange man das hat und natürlich für Lebensmittel, Gesundheitskosten, Kleidung und Spielsachen aufkommen kann, ist alles für eine perfekte Kindheit vorhanden.

Trotzdem habe ich grosse Angst. Ich habe Angst, verurteilt und nicht ernst genommen zu werden. Die komischen Blicke und das Getuschle der Dorfbewohner verletzen mich. Ich wünsche mir von Herzen, dass die Leute ihre Augen öffnen und die ewigen Vorurteile vernichten.

Gewisse Fernsehsender wie zum Beispiel RTL, vermittel mit ihrem Inszenierungen ein völlig falsches Bild von jungen Müttern. Man wird dort als dumm, verantwortungslos und naiv dargestellt. Das es auch ganz andere, positive Beispiele von jungen Familien gibt, interessiert leider niemanden.
Zu oft, habe ich schon mit anderen jungen Müttern gesprochen. Sie haben mir Sachen erzählt, die teilweise wirklich schrecklich waren. Von verurteilenden Blicken über unangebrachte Bemerkungen und Fragen bis hin zu älteren Mütter, die ihre eigenen Kinder nicht mit denen der jungen Mama spielen gelassen haben, aus Angst, die Kinder wären sowieso nicht richtig erzogen und hätten einen schlechten Einfluss. Solche Geschichten machen mich richtig wütend. Nur weil man ein par Jahre jünger ist, ist man doch nicht automatisch eine schlechtere Mutter. Wenn das Kind das Wichtigste in den Augen einer Mutter ist, man sich dafür einsetzt, das es ihm gut geht und man immer dafür da ist, dann spielt das Alter meiner Meinung nach überhaupt keine Rolle. Eine zwanzigjährige Mutter kann genau so gut sein, wie eine dreissig-/vierzigjährige. Jeder Mensch ist unterschiedlich.
Aber genug jetzt, von diesen negativen Gedanken. Der Sinn davon, das ich dir das jetzt erzählt habe ist folgender. Ich möchte dir etwas ganz wichitges mit auf deinen Lebensweg geben.

Es spielt keine Rolle, was andere Leute denken. Nur du bist wichtig, denn es ist dein eigenes Leben. Dein Papa und ich, wir haben uns gewagt. Wir haben auf unser Herz gehört und wir haben uns für dich entschieden. Obwohl alle hinter unserem Rücken über uns lästern. Obwohl viele unserer sogenannten „Freunde“ sich von uns abgewannt haben. Obwohl niemand uns zugetraut hat, das wir das schaffen.

Mein Kind, in deinem Leben wirst du viele schwierige Entscheidungen treffen müssen. Du wirst dir immer wieder die Frage stellen, wie es jetzt weitergehen soll und was du machen sollst. Bitte versprich mir, dass du immer auf dein Herz hörst. Hör in dich rein und frag dich, was du möchtest, was du brauchst, um glücklich zu sein. Du musst das tun, was du für richtig hälst, und nicht das, was alle Anderen wollen und erwarten.

Dein Papa und ich werden immer hinter dir stehen. Wir werden dich unterstützen, ganz egal was für Entscheidungen du triffst und in welche Richtung du gehen möchtest. Du hast unser Leben schon jetzt bereichert. Obwohl du noch nicht mal bei uns bist.

Es ist unglaublich. Ich sitze hier, an meinem Tisch und stelle mir vor, wie du eines Tages diese Zeilen liest. Ich muss zugeben, ich habe einige Tränen in meinen Augen. Aber nicht, weil ich traurig bin. Sondern weil ich unendlich glücklich und stolz über unsere Entscheidung bin. Wir haben das Richtige gemacht. Wir lieben dich unendlich fest und freuen uns wahnsinnig darauf, dich in unsere Arme zu schliessen.

Wenn du diesen Brief liest, sind schon viele Jahre vergangen. Du bist alt genug, das zu verstehen und dein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Vergiss nie mein Schatz. Menschen kommen und gehen. Aber die Familie bleibt für immer.

Ich liebe dich.
Deine Mama

1

Voll schön geschrieben 😍

2

Ein schöner Brief. Und ich kenne diese Blicke, Vorurteile und Sprüche nur all zu gut. Es interessiert nicht, was man geleistet hat oder alles leistet. Man wird auf sein Alter reduziert und gesagt jung = schlechte Mama. Und dann kommen noch so tolle Beiträge im TV von Teeny Mütter, die nichts in den Griff bekommen und alle anderen, die vielleicht sogar alles super meistern (perfekt ist ja eh niemand) leiden unter Vorurteilen, die auf sowas basieren. Ich finde es traurig. Alles ist machbar wenn man nur will und dafür kämpft... und das auch als wirkliche Teeny Mama.

3

Deine Zeilen zu lesen gibt mir wieder Hoffnung in eure Generation, ganz ehrlich. Eine wunderschöne Rückbesinnung auf die Dinge, die wirklich wichtig sind. Mir haben solche Sachen wie du sie anfangs beschreibst auch nie was bedeutet. Aber es wird uns eingetrichtert, damit wir brav zur Arbeit marschieren, uns ausbeuten lassen und schön konsumieren. Mit überflüssigen Konsumgütern werden wir ruhiggestellt und die Maschinerie am Laufen gehalten. In anderen Ländern kommen die Menschen mit so wenig aus und wir hier mit unseren Luxusproblemen...da sollte einem schlecht werden! Alles erdenklich Gute für eure Familie! Möge Gott euch beschützen!

4

Wunderschön geschrieben, Liebes.
Daran sieht man doch, dass du keinesfalls Unreif oder zu jung für ein Kind bist, denn du hast verstanden was Kinder wirklich brauchen.
Und das ist grenzenlose Liebe und uneingeschränkte Unterstützung.
Ich bin selber vor 5 Wochen mit 21 Mama geworden.
Man wird schief angeschaut & es wird sowieso ständig vermutet es sei nur ein „unfall“ gewesen.
Aber ich und mein Freund wollten dieses Kind & unsere Meinung kann uns niemand geben.

Ich hatte tränen in den Augen bei deinem Text, dein Kind wird es unglaublich gut bei euch haben.

Ich wünsche euch alles erdenklich gute & lass die anderen reden.
Das werden sie immer machen!


Liebste Grüße 💗
Teresa mit Julia im Arm 🎀🤱🏻

5

Ich war mit 21 das erste Mal schwanger und mich hat niemand schief angeschaut.
Klar ist das jung, aber nicht extrem jung..

Aber vielleicht habe ich die Blicke auch ausgeblendet, weil ich voller Stolz die Kugel trug und sich vorher nie etwas so dermaßen richtig angefühlt hatte für mich wie dieses Kind in meinem Bauch :)

Und vielleicht macht auch die Ausstrahlung viel aus.
Ich war einfach nur unglaublich glücklich. Da kamen wenige auf die Idee, dieses Glück in Frage zu stellen.

Nur bei den Schwiegereltern hatte ich etwas Bammel, als wir es sagten. Aber da sie selbst genau so jung damals waren, haben sie es sehr locker aufgenommen und sich gefreut<3

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Ich habe meine Tochter mit 27 bekommen und das nächste vorrausichtlich mit 30. Ich wurde trotzdem komisch angeschaut und musste mir einige Kommentare anhören. Sogar im Krankenhaus. Ich muss überall noch meinen Ausweis vorzeigen und niemand glaubt mir meine akademischen Titel. Dafür freue ich mich dann mit 60 auf Mitte 20 geschätzt zu werden 😁