2 Stunden Geburt und 100 Stunden Kreissaal

Während der Schwangerschaft habe ich immer gerne die Geburtsberichte hier gelesen und mich gefragt, wie es wohl für uns laufen würde... Komplikationen hatte ich eigentlich nicht ernsthaft erwartet, da meine Mutter, Großmutter und sogar Urgroßmutter immer schnelle und unkomplizierte Entbindungen hatten.

Die Schwangerschaft war leider recht beschwerlich, ich habe immer wieder zwischendurch hier im Forum mal etwas geschrieben. Blutungen ab Einnistung bis zur 18. Woche (teilweise sehr heftig, so dass ich in einer Blutlache aufgewacht bin, ausgelöst durch eine tiefsitzende Plazenta und ein Hämatom), ab der 18. Woche keine Blutungen mehr, aber immer wieder Kontraktionen. Da ich in Schweden lebe, hatte ich leider keine Möglichkeit dies im niedergelassenen Bereich frauenärztlich abklären zu lassen, so dass ich zwei Mal auf der Notaufnahme war und mir ansonsten von den Allgemeinmedizinern in der vårdcentral (Gesundheitszentrum) immer wieder habe sagen lassen dürfen "jetzt entspannen Sie sich mal, ist alles normal..." (leider ohne dass jemand außer einem Urinstix weitergehend untersucht hätte, denn Ultraschall oder vaginale Untersuchung können nur die Spezialisten im Krankenhaus). Dann habe ich leider auch noch in der 23. Woche die Influenza mitgenommen - sehr unangenehm, aber immerhin ohne weitere Komplikationen.
Bis zu 34+1 habe ich es so (mit einer Krankschreibung zwischendrin) geschafft. Im letzten Trimenon ging es mir endlich richtig gut, bis auf die Kontraktionen, die mich ja nun mittlerweile schon eine ganze Weile begleitet hatten und zwar unangenehm, aber unregelmäßig waren. Dann fielen bei einer Routineuntersuchung bei der Hebamme erhöhter Blutdruck und Eiweiß im Urin auf - und da hat auch sie nicht mehr lange gefackelt, sondern mich in die Schwangerenambulanz der Uniklinik geschickt, die mich direkt stationär aufgenommen haben. Die folgenden knapp zwei Wochen waren geprägt von einer Mischung aus Langeweile, Vorfreude, Sorge... Von einem Tag zum nächsten habe ich mich so gehangelt, mit langsam steigenden Blutdruckwerten (trotz Medikamenten), schlechter werdender Nierenfunktion und glücklicherweise nur leichten Ödemen. Auch das Kind war gut versorgt, lieferte täglich Lehrbuch-CTGs und hatte ein absolut durchschnittliches Gewicht mit rund 2,5kg.

Und am 2.4. (35+6) war es dann soweit, dass die vormittags visitierende Ärztin (fast jeden Tag jemand anderes) sich die langsame Verschlechterung nicht weiter mitanschauen konnte und nach Rücksprache mir Kinder- und Nierenfachärzten erklärte, heute solle eingeleitet werden. Welch Gefühlsmischung: Überraschung, Erleichterung, Nervosität – aber insgesamt war ich selber erstaunt, wie ruhig ich mich gefühlt habe während ich darauf wartete für die Untersuchung und Einleitung in den Kreissal zu kommen...

Mein Mann ist dann erst einmal losgezogen um Mittag zu essen (so eine Einleitung kann ja dauern), Einiges von zuhause zu holen und ein paar letzte Einkäufe zu machen. Um 15 Uhr wurde ich von einer Hebamme abgeholt und in den Kreissaal gebracht – den Aufzug haben wir nur wegen ihrer schlechten Hüfte genommen. :) Unten angekommen staunte die betreuende Unterschwester nicht schlecht als ich in meiner normalen Kleidung mit meinem Rucksack auf dem Rücken ankam statt im Rolli und weißen Kittelchen. Nun kam auch endlich mein Mann und die Hebamme, die bei der Geburt anwesend sein sollte – etwas älter, sehr erfahren und besonnen, wir haben uns direkt wohlgefühlt! Nach einem letzten CTG begann sie gemeinsam mit der begleitenden Medizinstudentin zu untersuchen, zunächst äußerlich, dann den Muttermundbefund – und da sah sie auf einmal sehr erstaunt aus. Es war nicht nur der Gebärmutterhals verstrichen, sondern der Muttermund war bereits 5-6cm geöffnet, ohne eine einzige geburtseinleitende Maßnahme und ohne regelmäßige oder wirklich schmerzhafte Wehen. So viel zum Thema „alles normale Vorwehen, jetzt beruhigen Sie sich doch einfach mal“, das ich die gesamte zweite Schwangerschaftshälfte bei den Vorsorgeuntersuchungen gehört hatte ohne dass ein einziges Mal jemand untersucht hätte.

Für die „Einleitung“ war es natürlich ein toller Befund – unserem kleinen Mäuschen wurde eine Kopfelektrode gesetzt, wobei ein kleines Loch in der Fruchtblase entstand. Ich sollte mich nun auf die Seite legen und zunächst einmal abwarten, sie würde in 20 Minuten wieder vorbeischauen. Und tatsächlich, nach einer Ruhephase von 20 Minuten (?) wurden die Wehen tatsächlich regelmäßiger, nun etwa alle 8 Minuten, und auch der Charakter änderte sich deutlich. Ich klingelte, da ich doch wissen wollte, ob ich nun aus der liegenden Positionen hochkommen düfte, und bekam von der Unterschwester ausgerichtet, die Hebamme könne aus einer weiteren Geburt nicht weg, käme aber in 20 Minuten. Nun wurden die Wehen schnell dichter und schmerzhafter und mir wurde zunehmend schlecht – etwa schon die Übergangsphase? Mein Mann (Physiker!) war völlig vom CTG und den tollen Wellen fasziniert, bis ich ihn dann irgendwann darauf hingewies, er solle doch bitte bei mir und nicht bei der dummen Kurve sein. ;)
Auf ein weiteres Klingeln kam die Medizinstudentin: die Hebamme käme in einer halben Stunde. Kaum war sie aus dem Zimmer, spürte ich wie unser Mäuschen stark nach unten drückte. Nun merkte auch die Unterschwester, die auf mein Klingeln kam, dass die Geburt wohl kurz bevorstand – es gingen nämlich schon die Presswehen los. Gleichzeitig versuchte sie mich zum Pressen zu animieren (war der Muttermund eigentlich schon vollständig, fragte ich mich?), alles für die Geburt zu richten und eine Hebamme zu organisieren. Zwischendurch fragte sie tatsächlich noch, ob wir uns eigentlich Gedanken zu Schmerzlinderung gemacht hätten. Da hätte ich trotz der rasch aufeinanderfolgenden Wehen fast gelacht, denn für diese Frage war es nun wirklich viel zu spät...!

Tatsächlich kam bald darauf eine fremde Hebamme ins Zimmer gesprintet. Ich habe währenddessen fleißig Wehen veratmet, denn die kurz bevorstehende Geburt war mir doch etwas unheimlich – vor einer guten Stunde war erst die Fruchtblase gesprengt worten und seit einer knappen Stunde hatte ich nennenswerte Wehen, die nun allerdings zugegebenermaßen wirklich heftig waren und mir vor allem so gut wie keine Pausen ließen. So ging es eine Weile hin und her: Anfeuerung durch Hebamme, Unterschwester und meinen Mann, eher zögerliches Pressen und Jammern „das geht viel zu schnell“ meinerseits. Irgendwann hörte ich dann, wie die Herztöne von unserem Mäuschen langsamer wurden (vorher waren sie die ganze Zeit einwandfrei) und habe mir selber gesagt „das kannst du, auch wenns grad nicht möglich scheint- Augen zu und durch“. Und dann ging es wirklich schnell, dass der Kopf und dann der Rest vom Kind kam. Ab auf den Bauch, „es ist ein Mädchen“ (wussten wir vorher nicht), Blut aus der Nabelschnur entnonmmen, abgenabelt, Vit. K-Spritze für unser Töchterchen, Oxytocinspritze für mich...

Jetzt würde ich eigentlich gerne weitererzählen, wie es nun ruhig wurde im Raum, wir unsere kleine Tochter bewundern konnten, irgendwann nebenbei die Plazenta kam – dann wiegen, anziehen, weiterbewundern und irgendwann die frischgebackenen Großeltern anrufen.

Statt dessen begann die Hebamme, ohne dass ich schon nenneswert Nachwehen gehabt hätte, an der Nabelschnur zu ziehen – „der Mutterkuchen muss noch kommen, noch mal pressen“. Und nach einigen Minuten Ziehen und Drücken kam er auch – mitsamt einer Menge frischem Blut und laut Hebamme „mit komischem Aussehen“. Notfallknopf, Raum voller Leute, Zugänge wurden gelegt, Blutkonserven bestellt und Ringer (Kochsalzlösung) angehängt. Dazu begann der Oberarzt eilig einen Riss zu versorgen, aus dem es blutete – nach einer kurzen Entschuldigung „dafür ist nun keine Zeit, wir müssen die Blutung stoppen“ ohne jede Betäubung. Von oben versuchte eine Hebamme die Gebärmutter zu komprimieren, ein Ultraschallgerät wurde gebracht. Nun kam auch endlich die Hebamme, die eigentlich bei der Geburt hätte dabeisein sollen. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, mit welcher Panik und Verzweiflung ich sie angesehen haben muss. Nun wurde mir unsere Tochter von der Brust genommen, die bis dahin dort liegenbleiben durfte und meinem Mann in den Arm gedrückt. Da die Blutung nicht zu stoppen und auch nach wie vor die Ursache nicht ganz klar war, wurde ich nun, eine Stunde nachdem die Kleine geboren war, unter Kompression von oben und unten schnellstens in den OP gebracht. Nie hätte ich gedacht so dankbar für eine Vollnarkose zu sein!

Im Aufwachraum im Hauptgebäude der Uniklinik wurde ich später wach – ein Teil der Plazenta hatte sich nicht gelöst, daher die starke Blutung. Fünf Stunden nach der Geburt und vier Stunden nachdem ich in den OP gebracht wurde, war ich dann gegen halb zwölf endlich bei meinem Mann und meiner Tochter auf der Perinatalstation. Nach einem kurzen Anruf bei meinen Eltern, die sich natürlich sehr über die Geburt ihres ersten Enkelkindes freuten, versuchten wir nun zu Ruhe zu kommen.

To make a long story short: zwei Stunden später, mitten in der Nacht, wurde ich mit akuten Nierenversagen wieder zur Überwachung zurück in den Kreissaal verlegt. Meine bereits vorher durch die Präeklampsie schlechten Nieren hatten den starken Blutverlust und damit verbundenen raschen Blutdruckfall (wenn auch noch im Normalbereich, aber vorher waren die Werte konstant sehr hoch gewesen) nicht verkraftet. Auch danach habe ich jede erreichbare Komplikation mitgenommen – der Elektrolythaushalt war absolut entgleist (zum Glück habe ich ein gesundes Herz, sonst hätte das ordentlich ins Auge gehen können), eine unklare Infektion, ein Hämatom musste ausgeräumt werden etcpp... Nach vier Tagen (genau 100 Stunden nach der Einleitung), mehreren Blut- und Plasmakonserven, unzähligen Antibiotika, Blutentnahmen, Spritzen und Infusionen, konnten wir endlich auf die Normalstation zurückverlegt werden. Und seit ein paar Tagen sind wir nun mir unserem völlig gesunden und unglaublich niedlichem Töchterchen zu Hause. Nun muss „nur noch“ die Präeklampsie abklingen, dann haben wir es hoffentlich endlich endgültig geschafft.
Insgesamt kann ich sagen, dass die drei Krankenhauswochen unendlich anstrengend waren – die Geburt war ohne Übertreibung der angenehmste Teil. Hilfreich und gleichzeitig bitter war für mich ein langes Gespräch einige Tage nach der Geburt mit der Hebamme, die eigentlich bei der Geburt hätte anwesend sein sollen. Sie sagte wörtlich „ich kann mir ganzem Herzen versprechen, dass das bei einer Hausgeburt nicht passiert wäre“. Ich habe mir selber nie vorstellen können eine Hausgeburt zu wagen und es wäre mit meiner Vorgeschichte eh nicht in Betracht gekommen – aber die Erkenntnis, dass mir die harte Zeit nach der Geburt durch etwas mehr Ruhe und Geduld bis die Plazenta von sich aus kommt, mit großer Wahrscheinlichkeit erspart geblieben wären, war und ist nicht einfach zu verarbeiten.

So hoffe ich nun sehr, dass unser nächstes Kind nicht wieder in Schweden zur Welt kommt, wo ich bei Schwangerschaft und Geburt nur sehr schlecht betreut worden bin (auch wenn mir ständig versprochen wurde, dass das mit meiner Vorgeschichte bei der nächsten Schwangerschaft selbstverständlich ganz anders laufen würde). Statt dessen hoffe ich auf die ganz normale Vorsorge in Deutschland durch einen Frauenarzt, dem ich vertraue und auf die Möglichkeit mir die Geburtsklinik selber wählen zu können (hier gibt es nur die Uniklinik). Wenn ich dann noch eine Beleghebamme hätte, die nicht mehrere Geburten gleichzeitig betreuen muss, so dass sie es während der Geburt nicht einmal zu mir schafft und die Plazenta 20 Minuten nach der Geburt holt, hätten wir wohl gute Chancen, dass das nächste Kind einen ruhigeren Start ins Leben bekommt...

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oh man, bin etwas sprachlos über deinen bericht und was sie mir dir nach der geburt gemacht haben, bzw. mit deiner plazenta. ich wünsche dir alles gute und das du in einer nächsten ss eine betreuung erhältst genau so wie du dir das wünschst.

hier in deutschland kann man sich zwar die klinik und die hebammen aussuchen, allerdings gibt es hier auch sehr viele schwarze schafe.

wähle und entscheide mit bedacht und bauchgefühl.

meine hebamme würde nie auf die idee kommen ohne extrem driftigen grund hand an die nabelschnur bzw. an die plazenta zu legen. ich würde ihr das auch gar nicht erlauben. da wird eben gewartet und wenns 2 stunden dauert.

lg und alles gute

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Danke für deine Antwort!
Ja, ich hoffe auch sehr, dass es bei der nächsten Schwangerschaft besser läuft. Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch einmal so kommt, ist ja zum Glück gering, aber es kann ja auch sonst allerhand passieren. Momentan bin ich einfach froh, dass wir ohne Spätfolgen aus der ganzen Geschichte herauszukommen scheinen, das ist das wichtigste!
Liebe Grüße,

Charlotte

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Das Wichtigste hatte ich vergessen:

~ Linnéa Elisabeth, 2700g, 50cm ~

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Hallo liebe Charlotte,

herzlichen Glückwunsch zur Geburt deiner Tochter. Ich wünsche euch, nach diesem mehr als "holprigen" Anfang eine wunderschöne und vor allem ruhige Zeit.

Ich bin absolut geschockt über das Vorgehen sowohl vor, während als auch nach der Geburt. Ich hoffe, du kannst diese Erfahrung gut verarbeiten und wünsche dir für dein nächstes Kind definitiv eine bessere Vorsorge und ruhigeren Start ins Leben.

LG, Mamutsch#blume

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Dankeschön!
Genießen die Zeit zu Hause nun sehr! Gegen die ersten Tage sind alle "Probleme" nun sehr bescheiden und bewältigbar, das gibt uns ein Stück Gelassenheit. ;)
Die ganze Geschichte ist vor allem für mich leider ein recht gewichtiger Grund über kurz oder lang wieder nach Deutschland zurückzuziehen. Es ist ja nicht nur die Schwangerschaftsvorsorge, die hier im Argen liegt, was das Gesundheitssystem betrifft... Ansonsten fühlen wir uns eigentlich recht wohl und sind gespannt, ob die Kinderbetreuung wirklich so gut funktioniert, wie es von Deutschland oft dargestellt wird.
Liebe Grüße,

charlotte