Warum so neugierig und taktlos?

Hallo,
lieber möchte ich hier anonym schreiben....
Wir leben auf dem Land, zum großen Teil gut situierte Gegend. Unser ältester Sohn ist 5Jahre und hat leider einen seltenen Gendefekt. Er hat nur ein Ohr und sein Gesicht ist ein bisschen schief. Als Baby und Kleinkind hatte er große Probleme beim Schnaufen und musste mit einer Magensonde ernährt werden. Jeder kennt uns hier im Ort.
Mittlerweile geht ist er ein kluges, munteres Kerlchen geworden. Er kann selber essen, bewegt sich gerne und ist im Kindergarten recht beliebt.
Leider ist es noch immer so, dass sein fehlendes Ohr für großen Gesprächsstoff sorgt. Auch für Kinder die ihn seit Jahren zB aus der Krabbelgruppe oder Musikgruppe kennen.
Sind wir auf dem Spielplatz und er will toben und klettern wie die anderen Kinder, wird er angestarrt und er oder wir immer wieder zu seinem fehlenden Ohr befragt. Er wird dann abwechselnd traurig oder nervös/genervt, ebenso wir als seine Familie.
Oft sind es die Kinder aus dem anderen Kindergarten und sie fragen immer wieder, auch deren Eltern. Ich würde mir oft wünschen, sie wären einfach mal so taktvoll und würden ihren Kindern sagen, jetzt ist mal gut. Nein, sie wirken fast schon stolz, dass ihre Kinder dafür so viel „ Interesse“ zeigen.
Auch wenn ich dafür jetzt vielleicht gesteinigt werde, meistens sind diese schicken Ökofamilien am schlimmsten. Bei den eher einfacheren habe ich oft das Gefühl sie besitzen in dieser Hinsicht mehr Taktgefühl und Anstand.
Ich wünsche mir einfach für mein Kind dass es nicht ständig auf sein Anderssein angesprochen wird und ungestört Kind sein kann. Ist das zu viel verlangt?

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Ich habe auch ein Kind mit seltenem Gendefekt und muss ehrlich sagen: ich persönlich mag es lieber, man spricht mich darauf an als wenn man nur starrt und nichts sagt. 🙈😅 Dabei fühle ich mich immer extrem unwohl muss ich sagen.
Ich finde andere Dinge, die gesagt werden und sicherlich "nett gemeint" sind da seeeehr viel schlimmer... 😱

Das heißt aber nicht, dass dein Empfinden falsch ist und das meine ich damit auch gar nicht. Nur daran siehst du, wie unterschiedlich die Wahrnehmung da vielleicht auch ist und die Wünsche die man an die Umwelt hat. Leider können grade Familien, die keine oder kaum Berührung zu Kindern mit Behinderung haben das natürlich nicht nachempfinden aber wie auch?! Sie sind nunmal nicht betroffen. Ich hatte bis vor meiner Tochter auch nichts damit am Hut und hätte mich sehr wahrscheinlich auch ein bisschen merkwürdig benommen... 🤪
Ich verstehe dich absolut. Denke aber auch, dass es da einfach gar kein richtig oder falsch gibt... 😕 niemand hat eine böse Absicht wenn er es anspricht, genauso wenig hat jemand eine böse Absicht wenn er nur schaut und gar nichts sagt.
Jede Familie mit Special Needs Kind ist da anders, jedes Special Needs Kind selbst ist da anders.
Ich kenne viele Familien mit behinderten Kindern inzwischen und ausnahmslos JEDE geht völlig anders damit um.

Das gehört sicherlich einfach auch zu den Herausforderungen mit denen wir zu kämpfen haben. Ich weiß nicht so ganz, was man dir am besten rät, denn deine Botschaft wäre ja:"Leute hört bitte auf, Familien mit behinderten Kindern auf ihr behindertes Kind anzusprechen! Die wollen das nicht!"
Und da widerspreche ich ganz klar. Das kann man nicht pauschal so sagen wie du siehst.
Vielleicht musst du dann selbst einfach ganz eigene Grenzen setzen und das so kommunizieren, dass du jetzt gerade nicht gerne darüber sprechen möchtest. 🤷‍♀️

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Ich stimme dir zu.
Mein zweites Kind kam ebenfalls nicht ganz gesund auf die Welt, ihr ist aber äußerlich nichts anzusehen.
Wenn das Gespräch mal zufällig auf das Thema kommt ist es mir viel lieber, wenn ich direkt darauf angesprochen und „ausgefragt“ werde.
Betretenes Schweigen und spürbare Unsicherheit des Gegenübers finde ich immer viel unangenehmer. Das löst bei mir dann auch schnell Unsicherheit und Unbehagen aus. Dementsprechend versuche ich dann, schnell und klar zu kommunizieren, was mir lieb ist („Du kannst mich ruhig zu dem Thema befragen, wenn du etwas wissen möchtest.“). Dies löst in der Regel eher Erleichterung aus und die Leute stellen dann tatsächlich viele Fragen und die Atmosphäre ist direkt entspannter.

Aber: Ich kann es auch verstehen, wenn jemand, wie die TE, nicht direkt über die Krankheit/ Behinderung / Einschränkung seines Kindes reden möchte. Da ist halt jeder unterschiedlich.

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Meine Tochter steckte zweimal ein Jahr in einem Rumpfgips und steifen Korsetten, meine Enkelin eineinhalb Jahre als Baby in Spreiz-Hüftgipsen und Schienen - ich kenne "die Leute" und blöde Fragen. Bei netten Fragen netter Leute gabs auch nette Antworten von uns.
Bei wiederholten dummen Bemerkungen hilft nur eine klare offensive Ansage an diese selten dummen und taktlosen Eltern. Eine Frau, die unverhohlen meine Enkelin anglotzte, die fröhlich grinsend im Einkaufswagen lag, fragte ich direkt " noch nie ein Kind gesehen oder was ist los?"
Auf die aufdringliche Frage (man lernt schnell unterscheiden zwischen einfach naseweis und nett anteilnehmend) "was hat denn das Kind?" gabs die Antwort "einen Gips, das sieht man doch".
Frägt Dich jemand naseweis-aufdringlich warum Dein Kind nur ein Ohr hat, würde ich wohl sagen "das trägt man jetzt so" - oder ähnliches.
Sprechen Dich die gleichen Leute immer wieder an, gibt es nur eine Antwort, nämlich "merken Sie eigentlich überhaupt nicht, wie taktlos und rücksichtslos Sie sind? Fehlendes Benehmen ist weitaus schlimmer als ein fehlendes Ohr!"
LG Moni

PS: Schreib mich bitte mal per PN an, habe evtl. einen Tip für Dich.

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Wenn jemand nicht in der Lage ist weiß er auch nicht was richtig und falsch ist und hat oft falsche Vorstellungen davon. Wenn es Euch stört, kommuniziere es offen. Wir haben selber ein Kind mit einer Besonderheit und ich sehe nichts schlimmes daran dass er gefragt wird. Jede Familie ist anders, ich kenne auch genug Familen mit behinderten Kindern die sehr offen damit umgehen und raus aus der "verschämte Blicke aber keiner fragt was" Ecke unbedingt raus wollen!

Unser Kind hat einen Stimmbandschaden und spricht daher sehr leise, heiser und teils sogar diphon, das heißt es klingt als hätte er "2 Stimmen". Er wird auch ständig darauf angesprochen warum er nicht "gescheit redet" und er erklärt das dann immer ganz selbstbewusst. Es stört ihn auch nicht, im Gegenteil. Er weiß das das eben etwas besonderes ist, und so wie er neugirig ist wenn er etwas besonderes sieht fragen ihn eben die anderen Kinder. Du schreibst euch stört es, Euer Kind wird unsicher ... ich kann Dir nur raten dass Ihr und Euer Kind lernt damit zu leben.

Und ich ermuntere mein Kind auch wenn es sich für jemanden mit einer Besonderheit interessiert ihn anzusprechen und zu fragen ob er fragen darf, da ich es selber hasse wenn ich merke dass Menschen uns mustern und man genau sieht dass sie mutmaßen was nun los ist anstatt einfach offen auf uns zuzugehen und zu sagen "was ist das".

Zum Umgang mit einer Besonderheit beim Kind gehört vor allem sein Selbstwertgefühl aufzubauen und ihn im Umgang mit den Fragen zu schulen, da Du das Verhalten der anderen nicht ändern kannst. Dein Kind ist eben was Besonderes, es liegt an Euch es zu einer Schwäche oder zu einer Stärke zu machen. Ungestört Kind sein kann man auch wenn man anderen stolz erklärt dass man eben nicht "Einheitsbrei" ist sondern eine Stimme hat die keiner immitieren kann, oder eben nur ein Ohr hat.
Bring ihm schlagfertige Antworten bei wenn er älter ist.

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Vielen Dank für eure zahlreichen Antworten.
Ich glaube ich habe mich ein bisschen unglücklich ausgedrückt...
Ich stimme euch zu, uns ist es auch lieber wenn wir direkt gefragt werden, als bloßes Starren oder Tuscheln.
Es kennen aber alle unser Kind und ich habe mich schon zu Genüge erklärt, es wird von manchen Kindern aber immer wieder gefragt und gestarrt und die Eltern scheint es nicht zu interessieren. Versteht ihr was mich nervt?
Wenn bestimmte Familien am Spielplatz sind würde er am liebsten gleich wieder umkehren und sagt sogar zu mir „ Mama gleich fragen sie wieder wegen meinem Ohr“
Würden sie ihn hänseln, würde ich eingreifen es ist aber eben „ nur „ fragen und kommentieren.
Manchmal sage ich dann sogar wir wissen es doch langsam alle dass A nur ein Ohr hat, er möchte trotzdem in Ruhe spielen.

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Also wenn klein Fritzchen fragt, was mit dem ohr ist, obwohl ihr es ihm schon erzählt habt. Wäre ich wahrscheinlich auch etwas genervt. je nach dem Fragendem würde ich etwas zwischen "ich glaube, das weißt du schon" bis hin zu "meinem Kind fehlt das ohr, dir offensichtlich die merkfähigkeit" antworten.

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Das ist wirklich nervig und du kannst fragen, ob sie trotz ihrer beiden Ohren nicht gut hören.
Ich würde hier aber wirklich die Eltern ins Boot holen und ihnen klar machen, dass das über das normale Interesse hinaus geht.
Kinder die sich kennen, sollten das irgendwann als "normal" ansehen, so kenne ich das zumindest.

Also nein, ich finde nicht, dass das "nur" ein fragen ist, wenn das IMMER kommt und dein Kind diese Kinder schon von weitem als nervig empfindet.

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Ich find es ja grundsätzlich auch gut, wenn gefragt wird. Aber wenn es jeder ständig tut, nervt es einfach.

Ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, wie es ist. Meine Tochter hat rote Haare und wirklich ausnahmslos jeder spricht mich darauf an (mein Mann ist schwarzhaarig, ich hab dunkelbraune Haare). Das nervt manchmal und letztens meinte ein Kind sogar, meine Tochter sehe „komisch“ aus, weil sie „hässliche und komische Haare hat.“ Da wurde selbst mir mal kurz anders und das ist ja nun eigentlich kein Vergleich.

Ich würde vermutlich schon jedes Mal antworten, aber auch sagen, dass sie ihn doch eigentlich kennen und es wissen. Also so „Ihr wisst doch, dass...“ „Wir haben euch doch erzählt, dass...“ usw.

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Kinder sind neugierig! Ich bin halbseitig gelähmt und benötige einen Gehstock. Wenn ich meine Söhne aus dem Kindergarten abgeholt habe, wurde ich immer wieder gefragt und ich habe auch immer wieder Antworten gegeben. Gut, ich bin erwachsen. Bestärke deinen Sohn, dass es normal ist "anders" zu sein. Besser als überhaupt nicht zu fragen und hinterm Rücken zu tuscheln. Alles Liebe für euch!

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Mal eine andere Frage, habt ihr vor, das Ohr rekonstruieren zu lassen, das ist u.U. schon ab 5 Jahren möglich.
Wäre es jetzt zur kalten Jahreszeit nicht möglich, mit Mütze und Ohrenschützern zumindest auf dem Spielplatz Abhilfe zu schaffen?

Ich persönlich halte mich bei jeglicher Art der Behinderung zurück, hab eine Freundin mit Spastik in allen Gliedmassen, die im Rolli sitzt. Sie sagt immer, wenn ich Hilfe brauche, Frage ich. Sie ist sehr tough, aber bei ihr starren auch manchmal Leute, weil sie durch die Spastik auch nicht so verständlich sprechen kann und halten Sie dann für geistig behindert. Das geht ihr dann auch nahe.

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Hallo, ich danke dir für deine Nachricht.
Ja, er bekommt ein 2. Ohr auch sein Kiefer wird korrigiert, seine Lippenspalte wurde schon operiert. Die Ohrenop wird aber noch dauern, da das künstliche Ohr nicht mitwächst. Es wäre deshalb jetzt entweder viel zu groß oder später deutlich zu klein.
Wir machen schon viel mit Mütze oder Käppi, gestern Nachmittag hatte es aber 15 Grad hier, da braucht er dann auch keine Mütze.
Ich verstehe deine Freundin sehr gut, unser Sohn ist auch sehr schlau, wird aber durch sein Handicap oft deutlich unterschätzt. Das tut einfach weh. Alles Gute für sie!

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Bis dahin bleibt er Dein kleiner Keinohrhase#verliebt

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Ich selber habe ein Syndrom, welches uns zu Minderwuchs führt. Wann immer ich als Kind gefragt wurde, warum ich so klein bin, habe ich geantwortet, mein Körper sei zu faul zum Wachsen.
Vielleicht überlegst Du Dir mit Deinem Sohn mal ein paar gute Antworten, die er diesen Kindern dann geben kann. Wahrscheinlich sind diese Eltern einfach nur stolz, dass das Kind ach so offen und neugierig ist und haben selber große Probleme damit, wenn ein Mensch eine Behinderung hat oder einfach anders ist. Ich glaube leider, es bringt nicht wirklich was, mit den Eltern zu reden. Sie denken, dass ihr Kind deinen Kleinen "normal" behandeln, weil sie das fehlende Ohr einfach zur Sprache bringen. "Normal" wäre aber ja wohl eher, es einfach zu akzeptieren und gut ist.

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Vielen Dank für deine Antwort, die mich sehr bestärkt, weil ich denke wie du.
Wir sagen dann auch immer Sachen wie der liebe Gott hatte für ihn nur 1Ohr übrig, aber er bekommt in ein paar Jahren ein tolles 2. Ohr gemacht, aber es tut trotzdem weh sein Kind so traurig zu sehen. Wir wollten nach besagtem Spielplatzbesuch überlegen was er sich heuer vom Christkind wünscht, da meinte er ein Ohr....
Alles Gute für dich!

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Ihr sagt ihm, daß der liebe Gott nur ein Ohr für ihn übrig hatte? #gruebel
Das finde ich grausam, ehrlich gesagt.

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Meine Tochter hat ein Blutschwämmchen mitten zwischen den Augen. Früher war es richtig violett und im Vergleich zu ihrem zarten Gesicht riesig. Heute ist es immer noch genauso groß aber nur noch rosa. Ich muss ganz ehrlich sein ... es gab Zeiten da habe ich mich mit ihr versteckt, weil ich die neugierigen Blicke, gut gemeinten Tipps und verletzenden Witze nicht mehr ertragen konnte. Böse hat es nie jemand gemeint. Aber manche Kommentare waren absolut unüberlegt und kränkend. "Dann wird sie wenigstens nicht geklaut." hat mal eine Frau gesagt, wie kann man sowas zu meinem hübschen Kind sagen?!

Letztendlich haben wir lernen müssen damit umzugehen. Ich bin den Leuten, die nett fragen, nicht mehr böse. Auch wenn es mich nervt, aber sie sind ja bloß interessiert und wissen nicht, dass schon 1000 andere die gleichen Fragen gestellt haben. Und jetzt mal Hand auf´s Herz, wenn du nicht die Geschichte mit deinem Sohn erlebt hättest, würdest du mich nicht auch irgendwann mal fragen was meine Tochter da für einen Fleck zwischen den Augen hat?

Es ist halt schwierig anders zu sein, weil man den anderen so viel erklären muss. In dem Augenblick wo ich das für mich akzeptiert haben wurde es für uns deutlich besser. Mittlerweile erzählt meine Tochter selbst überall rum, dass sie da einen Zauberfleck hat und deshalb die unsichtbaren Einhörner sehen kann. Wir haben unseren Weg gefunden.
Aber ich hoffe immer noch, dass sie irgendwann ohne Zauberfleck durchs Leben gehen darf, denn die Leute nerven natürlich trotzdem noch.

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Vielen Dank auch für deine Antwort.
Würde ich dich und deine Tochter auf dem Spielplatz kennenlernen und es ergäbe sich die Situation würde ich dich sicher einmal nach dem Hämangiom deiner Tochter fragen.
Ich würde es aber sicher verhindern, dass meine Kinder bei jedem Treffen mit euch das Blutschwämmschen deiner Tochter kommentieren. Gegen ein einfaches höfliches Fragen egal ob von Kindern oder Eltern habe ich nichts einzuwenden.

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Das verstehe ich.

Beziehungsweise: Ich hab das bei uns ganz anders erlebt als bei euch. Die Kinder haben einmal gefragt, weil sie Angst hatten, dass sie sich schwer verletzt hat. Dann wurde es erklärt und nun spielt es kaum noch ein Thema.

Tut mir total Leid, dass es bei euch so doof ist.