Sohn lügt und macht keine Hausaufgaben

Hallo zusammen, mein Sohn geht in die 6.klasse einer Realschule und leidet an Konzentrationsstörungen. Außerdem reagiert er oft impulsiv und stört auch den Unterricht. Hausaufgaben trägt er nie in sein Hausaufgabenheft ein und auf Nachfrage behauptet er keine auf zu haben bzw erzählt er mir irgendetwas was nicht stimmt. Wenn ich dann bei Schulfreunden nachfrage, kommt oft etwas anderes heraus. Die Leistungen in der Schule sind natürlich miserabel im Moment zumal er auch im Unterricht nicht mitarbeitet bzw nichts notiert. Er stört auch sehr oft den Unterricht, so dass es nun als "Ordnungsmaßnahme" der Schule eine Klassenkonferenz gibt. Ich bin mit meinem Latein ziemlich am Ende was ich noch tun kann, zumal er es auf der Schule sehr leicht haben könnte wenn er etwas mitarbeiten würde. Seit ca. einem Jahr sind wir kinderpsychiatrischer Behandlung wegen der Konzentrationsstörung und des impulsiven Verhaltens. Nach vielen Testungen wurde eine leichte Form von ADS diagnostiziert und er soll nun auf Medikinet eingestellt werden. Bin mir da noch etwas unsicher ob das wirklich was bringt.

Vielleicht gibt es ja hier jemanden der so ein ähnliches Problem hat und der mir ein paar Tips, Erfahrungen etc. mitteilen kann

Vielen Dank

LG Daniela

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mein erster Gedanke war auch ADS, schon beim Lesen.
Hast du ja dann geschrieben und den Weg dort hin.

Nun, ich habe selbst ADHS. Irgendwie kam ich durch die Schule. Allerdings Hausaufgaben habe ich auch nie eingetragen.

Diagnose und Medikament bekam ich im Erwachsenenalter und bin froh drum.
Medikament nehme ich freiwillig, weil es SEHR VIEL bringt.
Dieses, was von außen so leicht aussieht "warum machst du nicht?" "nur ein bisschen mehr anstrengen" etc. sind SEHR schwer. Ohne Medikament brauche ich für solche Kleinigkeiten wie mal was aufschreiben, mich konzentrieren 99% meiner Energie und habe entsprechend 1% Energie für das Wesentliche, den Inhalt, das Merken, das Verarbeiten, das Tun, das Umsetzen etc. übrig. Ergebnis, grade so machbar.

Mit Medikament brauche für konzentrieren 0,1% Enerige und alles andere läuft mit 50-80% nebenher. Ergebnis gut, sehr gut. Wenn ich dann selbst noch freiwillig etwas Enerige investiere (so auf 30%) gehe, bekomme ich 100% Ergebnis bei der Leistung.

Da ich selbst auch Brillenträger bin und den Unterschied zwischen mit und ohne Brille kenne, hier ein Beispiel:

versuche mal eine Brille aufzusetzen, mit der du alles verschwommen siehst. Damit einen Tag im Alltag zu bestehen. Von morgens aufstehen, anziehen, zähne putzen, lesen. Gerne auch mit Watte in den Ohren.

Wie viel Energie brauchst du wirklich? Für wie viel Ergebnis?
Was lässt du "gut sein" / machst es nicht, um mal durchatmen zu können? Welche Dinge erledigst du wirklich, um irgendwie über die Runden zu kommen? oder weil sie dir wichtig sind?

Es ist vielleicht kein optimaler Vergleich, aber durchaus eine Form der Einschränkung bzw. nachfühlen der Energieverteilung und wie sich Konzentration im Alltag auswirkt. Was Konzentration rauben kann.


Wichtig finde ich bei ADS/ADHS neben dem Medikament begleitenede Therapien, Aufklärung, Alltags-unter-die-Lupe-nehmen, verstehen was ADS/ADHS (um so selbst heraus zu finden, was für einen selbst wichtig ist und was nicht, wo man Hilfestellungen braucht und wo nicht)
Hilfestellungen können sein: Form der Ordnung, die auf die Bedürfnisse angeordnet sind, Zeit beim aufstehen / oder strikte Taktung, Pausen oder strikte Momente im Tagesablauf etc. mit Hilfe des Wissens zu dem Thema selbst den Tag beleuchten und schauen, wo man sich selbst dem Alltag anpasst und wo man den Alltag den eigenen Bedürfnissen anpasst.

Mit Begleittherapien meine ich z.B. Elterntraining, z.B. eine Form von Ergotherapie die sich auf ADHS spezialisiert hat (Kunst oder was auch immer geht auch, wichtig ist, dass sich die Fachkräfte in der jeweiligen Praxis mit ADS/ADHS auskennen und nicht irgendwas anderes Standard machen.

Bedenken zum Medikament kann ich gut verstehen. Diese hatte ich zunächst auch. Da ich aber auch an einem Leidenspunkt war, zusammen mit der Freude endlich zu wissen, was mit mir los ist, habe ich es probiert. Zumal ich selbst schon erwachsen war und es an mir selbst ausprobiert habe (das macht im Punkt Bedenken durchaus einen nachvollziehbaren Unterschied).
Daher aus Betroffenen-Sicht. Medikament kann helfen. Abhängig macht es nicht. Entzugserscheinungen habe ich keine, auch wenn ich es mal nicht nehmen kann.

Es gibt verschiedene Medikamente. Der Wirkstoff ist zwar meistens der gleiche, die Zusammensetzung unterschiedlich. Entsprechend wirken verschiedene Präparate beim einzelnen auch anders. Da nicht sofort aufgeben, wenn eines noch nicht gleich passt. Wichtig ist die Beratung und Begleitung dabei! Ein Arzt der es nur verschreibt, aber nicht aufklärt - nicht nachfragt etc, halte ich für kritisch. Begleitung bedeutet für mich z. B. in regelmäßigen Abständen nachzufragen. Wirkung, Veränderungen, damit klar kommen etc. zumal bei Heranwachsenden die Dosierung sich auch verändern kann im Laufe der Zeit. Entwicklung, Wachstum, körperliche Veränderung etc. fließen als Faktoren mit ein.

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P.S. das Lügen wegen der Hausaufgaben kann ich ein Stück weit nachvollziehen - ich heiße es NICHT gut.

Überforderung, Angst vor Ärger, Angst etwas tun zu müssen, was ihn überfordert, hinausschieben .... können Bestandteil sein.

Auch ist die Frage, ob er bewusst lügt. Z.B. um etwas nicht tun zu müssen. Aus Angst - vor Ärger, vor den Hausaufgaben, vor dem "ich muss es machen, fühle mich aber als Versager, weil ich stundenlang etwas mache, was mich so sehr anstrengt und doch kein sichtbares / für andere zufriedenstellendes Ergebnis bringt.
Ist es schlichtes vergessen - und dann nicht wissen, was er sagen soll, weil er es WIRKLICH nicht mehr weiß. Etwas nicht mitbekommen zu haben, ist durchaus häufig bei ADHS/ADS, nur wird das oftmals vom Umfeld nicht akzeptiert, weil "andere können doch auch"
Daher auch die Idee mit der absichtlich falschen Brille und Watte in den Ohren für einen Tag. "andere können doch auch / sonst kann ich das doch auch" .... und wie schmerzhaft das sein kann. Wenn das Wollen da ist, aber das können nicht und das können als nicht wollen gleichgesetzt wird :-(

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Vielen Dank für Deine ausführliche Meinung
Du hast mir sehr geholfen

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Mein Sohn hat ein starkes ADHS und bekommt für die Schule 20mg Medikenet. Er verträgt es gut und sagt von sich selbst das die Medikamente für ruhe im Kopf sorgen.

Versuch es mit dem Medikenet. Solange man es beobachtet und von einem guten Doc verfolgt wird, wird alles gut gehen:)
Alles liebe

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Vielen Dank für die Antwort
Selbstverständlich Medigabe nur unter ärztlicher Kontrolle
lG

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Mein Sohn darf derzeit keine Medikamente nehmen, deshalb bleiben uns nur äußere Hilfen. Die kristallisieren sich so im Laufe der Zeit heraus.

Er bekommt in der Schule einen Nachteilsausgleich, der ihm gestattet im Unterricht begrenzt Pausen einzulegen, in denen er Lärmschutzkopfhörer aufsetzt und einige Minuten vor sich hin malen darf. Die Zeit stellt er auf seiner Uhr ein. Der Öehree soll ein kurzes Zeichen bekonmen.

Mit der ganzen Klasse werden zwischdurch Lockerungsübungen gemacht. Kennt man in dem Alter nicht mehr so, tut aber allen Schülern gut.

Die Lärmschutzkopfhörer waren meine Idee. Die Sonderpädagogin war begeistert und schafft welche für die Schule an.

Er erhält begrenzt die Möglichkeit sich rauszunehmen. Aber er kommt um die wichtigen Aufgaben nicht herum.

Er besucht eine offene Ganztagsschule. Hausaufgaben sind deshalb nicht vorgesehen. Es ist deshalb gut möglich ihm Nacharbeiten aufzubrummen.

Die Lehrer tragen solche Aufgaben notfalls selber im Schulplaner ein, wenn er gerade verweigert. Das ist mit uns abgesprochen und wir sorgen zuhause dafür, dass er es auch tut. Gern auch am Wochenende.

Äußere Struktur und Freiheiten wechseln sich ab. Seit diesem Schuljahr hat er keine vorgegegebene Zeitbeschränkung mehr, was den Medienkonsum betrifft. Er muss sich an Absprache halten und Termine wahrnehmen, aber wenn er nichts hat, darf er. Darauf hat er lange gewartet und es motiviert ihn anscheinend sehr. Er will das Privileg nicht wieder verlieren. Als Strafe verordnen wir sonst Pausen im Zimmer für 1-2 Stunden. Die kann er durch Wohlverhalten wieder etwas abkürzen, z.B. weil er die Pause sinnvoll nutzt, lernt, ein Buch liest oder aufräumt.

Natürlich sorgen wir für regelmäßige Termine, damit er auch mal raus kommt.

Wir versuchen nicht zu meckern. Das ist bretthart, denn sein Verhalten kann durchaus herausfordernd sein. Man kann sein Missfallen auch in einer Form äußern, die es ihm leichter macht, runterzukommen und einzulenken. Wir sind Meister im Brücken bauen.

Um ihm im Alltag zu helfen, nutzen wir technische Hilfsmittel. Er hat ein Smartphones und eine Smartwatch.
Die nutzt er in der Freizeit zum Daddeln. Klar. Aber er nutzt sie im Schulalltag zur Orientierung und Strukturierung.

Sein Stundenplan und andere Termine sind im Google-Kalender und der wieder sendet Benachrichtigungen an die Smartwatch. 5 Minuten vor Beginn der Stunde vibriert die Uhr und zeigt an: Mathe, Deutsch, Physik.
Er selbst nutzt die Uhr, um die Stunden zu takten in 10 Minuten-Intervallen. Das hilft ihm bei der Stange zu bleiben. Seine Idee und eine gute dazu; er lernt äußere Herausforderungen in kleine zu teilen. Und seine Kurzpausen timt er damit auch.

Das ganze Gebilde ist natürlich sehr fragil. Aber der Start lief sehr gut.

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Mein Rat:
Finde heraus, warum er verweigert und was anders sein müsste, seiner Meinung nach.
Sieht er ein, dass Schule sein muss?
Und dass sie weit weniger scheiße ist, wenn man nicht dauernd über seine Lücken stolpert?

Legt den Fokus nicht auf die Noten, sondern auf Arbeitsweise und Regelmäßigkeit.

Um ihn auf den Geschmack zu bringen, wähle ein Fach aus, wo Potential besteht. Einmal auf eine Klassenarbeit vorbereitet und eine gute Note, kann motivieren. Mein Sohn hat am Ende des letzten Schuljahres einen Versuch in Geographie gehabt. Ich zwang ihn von Mitschülern die Themenvorgabe zu erfragen. Durchsuchten seinen Hefter nach passenden Infos. Die ergänzten wir durch Infos aus dem Netz und dem Arbeitsheft unter Tränen und Protest. Das Ganze fragte ich zwei Tage lang ab. Er hatte die einzige 1 in der Klasse. Das Versprechen in Zukunft Infos wenigstens imm Hefter zu haben und sie vor der Arbeit mal anzuschauen, hat er nicht vergessen.

Um Dinge durchzusetzen, muss man anwesend sein. Wenn du das nachmittags nicht kannst, bitte die Lehrer darum, dass er die Aufgaben am Wochenende nachholen darf. Fehlt Zeug, organisiert dir die Mitschnitten von Mitschülern, z.B. Foto machen, per WhatsApp schicken und dann abschreiben lassen. Stört die anderen kaum, geht schnell und sorgt dafür, dass sie Inhalte da sind und er sich damit befassen muss.


Bla. Man muss sich was einfallen. Es kostet leider Zeit und Nerven. Viele finden es sicher übertrieben, ihn in dem Alter so zu unterstützen, aber er wird von alleine nicht lernen, seine Defizite auszugleichen und zurechtzukommen. Und er merkt, dass Schule wichtig ist und weniger ätzend, wenn man mitkommt.

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Danke für deine ausführliche Antwort
Hast mir sehr geholfen

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Hallo,
mit ADS kenne ich mich nicht näher aus, aber mir fällt gerade bei uns in der Grundschule auf, dass Eltern gerade im Bezug auf Hausaufgaben ihren Kindern viel zu viel Verantwortung abnehmen und es vermutlich gerade deshalb zu einem unnötigen Machtkampf kommt.
Warum soll ich was aufschreiben, wenn Mama eh bei der Lehrerin oder den Klassenkameraden nachfragt?
Ich vermittle meinen Kindern von Anfang an, dass Hausaufgaben ganz allein ihre Baustelle sind. Klar dürfen sie mich fragen, wenn sie etwas nicht verstehen oder mir die Hausaufgaben zeigen, wenn ich nochmal drübersehen soll. Aber ich kontrolliere nicht von mir aus. Und wer keine Hausaufgaben hat, der bekommt ein Problem mit der Lehrerin, nicht mit mir.

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Die Problematik bei AD(H)S ist das sehr ausgeprägte Ausweichverhalten, gepaart mit emotionaler Unreife. Es ist daher relativ unwahrscheinlich, dass er aus der Konsequenz Vermeidung, Versagen, Schuldgefühl die richtigen Schlüsse zieht und Vernunft und Verantwortungsgefühl an den Tag legt. Eher wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, beginnend bei noch mehr Vermeidung als Folge des Schuldgefühls, ggf. sucht der Betroffene die Schuld bei anderen (gern dem, der die Quittung präsentiert oder Kritik übt).

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Egal ob Medikament oder nicht, würde ich ganz nah an der Schule sein.

Sprich mit der Klassenlehrerin, bitte sie deinen Sohn extra zu überwachen, in Bezug auf Eintag ins Hausaufgabenheft - z.B. muß sie ihr Zeichen unter die vom Ihm aufgeschriebenen Hausaufgaben machen, er geht mit dem Heft zu ihr....

Bitte sie dich-über das Hausaufgabenheft- über ihn zu informieren, da gibt es auch Hefte für Eltern-Schule-Kommunikation (ob die nötig sind weiß ich nicht), frage nach der Schulsozialabreiterin. Zeige der Schule, dass du "dran" bist und das geht nur, wenn du mit der Schule zusammen den selben Weg gehst.

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Hi
ADS hin oder her - du musst ja auch so eine Lösung finden. Ziemlich zackig sogar.
Sag mal, wie wäre es, wenn du ihm sagst, dass er nur dann alleine und selbständig mit den Aufgaben hausieren darf, wenn er es auch im Griff hat - und dass du ihm dieses Privileg nun eben wegnehmen musst? Sprich: er schreibt die HA ein, lässt es vom Lehrer visieren und somit weisst du, was läuft.


Finde ich doof, weil auch der Lehrer invoviert ist und der hat ja schon ziemlich die Hände voll mit deinem Kind. ABER es könnte für den Jungen sowohl Hilfe wie Schreck sein - ein Privileg zu verlieren, dass ein 2 Klässler hat... Und wenn der Lehrer sogar mitzieht, weil er eine Hilfe dadurch bekommt, dann ist das ja mal gut.
Nach 2 Wochen wird es wohl wieder laufen.

Dass das wie eine Strafe rüberkommt, könnte im Hinblick auf das Lügen durchaus angezeigt sein. Das geht ja wirklcih nicht. ADS hin oder her.
Aber es ist auf der anderen Seite nicht so drastisch, wenn der Lehrer von dir und dem Sohn kurz informiert wird und das einfach nach der Stunde kurz unterzeichnet. Ohne grosses Aufheben..

Wenn er es wieder im Griff hat, dann lass ihn aber wieder von der Angel. In dem Alter muss man HA selber organisieren können/dürfen.