ADS - will ich es wissen?

Hallo,

die Überschrift ist ja schon ziemlich suggestiv... Tatsächlich weiß ich nicht, ob meine Tochter (3. Klasse) ADS hat oder etwas anderes oder gar nichts.

Sie war immer schon ein kleines Träumerle, was bei einem Kleinkind/Kindergartenkind natürlich angenehm war.
Sie kann stundenlang im Spiel versinken und kriegt nichts mehr mit.
Sie liest stundenlang und ist dann nicht mehr ansprechbar.

Im ersten Schuljahr gab es schon ein Krisengespräch mit der Lehrerin, weil sie eben in der Gegend herumschaut und sich nicht konzentriert. Empfohlen wurde
- Reizarme Umgebung: nützt nix, da wird das Radiergummi zum Pferd, der Bleistift zum Ritter und dann geht am Schreibtisch die Post ab
- Keinen Ausblick vom Schreibtisch aus auf spannende Dinge: das wurde in der Schule wohl gut umgesetzt, Zuhause erlebt sie auch auf der weißen Wand spannende Abenteuer.

Es wurde besser.
Zum Beispiel bearbeitet sie Matheaufgaben inzwischen tatsächlich in der vorgegebenen Reihenfolge und nicht schräg über's Blatt, dann die unterste Reihe, dann die mittlere, um schließlich selbst die Übersicht zu verlieren... Einen gewissen Ehrgeiz hat sie also und gibt sich Mühe.

Allerdings belastet es auch unser Familienleben, weil ich zunehmend genervt davon bin, dass ich morgens beim Anziehen daneben stehen und jeden Schritt kommentieren muss. Und nein, mehr Zeit nützt nichts, sie kann problemlos eine halbe Stunde auf dem Klo sitzen, wenn niemand sie auffordert, weiterzumachen. Oder sie hört nach dem ersten Socken auf, sich anzuziehen und hockt dann auf dem Boden und spielt mit dem zweiten Socken "Rabbat und Ida".
Bei den Hausaufgaben sitze ich daneben und erinnere alle paar Minuten ans Weitermachen. Ich könnte auch einen MP3-Player programmieren, der in regelmäßigen Abständen "weiter", "nächste Aufgabe" sagt.

Heute kam sie in Hauspuschen aus der Schule - nach der letzten Stunde war die Zeit knapp und sie hat erst an der Bushaltestelle gemerkt, dass sie nicht die Schuhe gewechselt hat. Genauer gesagt, hat es ein Mitschüler gemerkt und ihr gesagt. Ob sie es irgendwann selbst gemerkt hätte? Nicht unbedingt.

Ihr Noten sind bisher nicht schlecht; allerdings wurde ja auch pro Fach erst eine benotete Arbeit geschrieben. Und wenn sie in Mathe eine 2 bekommt, obwohl sie nicht fertig geworden ist, ist das ja prima.
Allerdings hat sie, laut eigener Aussage, in dem Moment aufgehört zu arbeiten, als einige Mitschüler fertig waren und leise geredet haben - da konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Das gibt mir wieder zu denken. Was, wenn Mitschüler noch früher fertig werden oder vor dem Klassenraum Spaziergänger vorbeikommen?

Was nun?

Lehrergespräch? Hilft uns bei den Problemen Zuhause auch nicht. Sie tut mir halt leid, weil ausgerechnet sie eigentlich viel Zeit zum Spielen und für sich bräuchte... statt dessen dauert alles so lange.
Kinderarzt? Mit welchem Ziel? Was haben wir von einer Diagnose? Außer, dass ich eventuell noch mehr Geduld mit ihr habe, weil ich weiß, woran es liegt?

Gibt es Erfahrungen? Wozu genau nützt die Diagnose?
Und wie gesagt: dem Kind geht es nicht schlecht. Außer, dass sie halt gerne den ganzen Tag spielen würde... aber das geht nicht und wird außerhalb von Ferien und Wochenende auch niemals wieder gehen. 
Das Kind ist lieb, bemüht, sehr sozialkompetent mit hohem Gerechtigkeitsgefühl. Eigentlich die Idealbesetzung für eine Streitschlichter-ausbildung. Das will sie aber nicht, dann hat sie ja weniger Zeit zum Spielen ..

Aber es ist anstrengend. Für uns alle.

Was braucht so ein Kind? Eine Diagnose? Noch mehr Geduld und Begleitung? Zeit, sich zu entwickeln?
Wie unterscheide ich massive Faulheit von extremer Konzentrationsschwäche?

Danke für alle Ideen und Erfahrungswerte.

LG

PS
Und was macht man nun mit den Hausaufgaben bei so einem Kind?
Wir dürfen nach 20 Minuten pro Fach abbrechen - aber da hat sie dann meist gerade erst angefangen. Wenn ich das durchgehen lasse, macht sie gar nichts mehr. 20 Minuten aufs Blatt schauen und die Gedanken schweifen lassen ist nämlich viel netter. Haben wir ausprobiert...

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Ach so, wir arbeiten natürlich mit verschiedenen "Tricks".

Anziehen um die Wette, Kleiderparcours auf dem Boden auslegen ..

Bei Hausaufgaben die Zeit der ersten Aufgabe stoppen und hochrechnen: Guck mal, so schnell kannst du fertig sein.
Smarties neben das Blatt legen: für jeden Block ein Smarties essen - so arbeitet sie zumindest einigermaßen selbstständig.

Wir besprechen, was man "en Block" erledigen muss: wenn man Hausaufgaben von der Tafel abschreibt, muss man sofort kontrollieren, ob man alle Bücher eingesteckt hat.
Wenn man sich die Jacke anzieht muss man gucken, ob man die Mütze auch dabei hat.
Usw..

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Hey!

So, wie du sie beschreibst, würde ich vermutlich auch eine Diagnostik anstreben. Mit der Begründung, dass deine Tochter in der Schule an die Grenzen kommt und nicht das Potenzial zeigen kann, das sie hat. Sie wird viel negatives Feedback zu ihrem Tempo und der Aufmerksamkeit erhalten.

Dann sprichst du an, dass es das Familienleben belastet. Das ist auch eine Indikation für die Diagnostik.

Ich habe in der Schule erlebt, dass Mädchen die Diagnose ADS erhielten und sich dank Therapie und Medikation wahnsinnig gut entwickelten. Also bringt eine Diagnose in dem Moment auch Hilfe und Entlastung. Ich selbst habe die Diagnose adhs als Erwachsene erhalten und auch dies hat mein Leben unsagbar positiv verändert, obwohl ich schon über 30 war und Abschluss und Ausbildung in trockenen Tüchern. Aber ich weiß nun, wieso ich bin wie ich bin.. und meine Baustellen habe. Die verschwinden ja auch nicht.

Diesen enormen Fokus auf Dinge, sodass man um sich herum nichts mehr mitbekommt, nennt man Hyperfocus. Wenn sie im Spiel die Welt um sich herum vergisst oder nicht bemerkt, dass sie die Schuhe nicht getauscht hat, ist das harmlos. Wenn sie aber mal in Gedanken vor ein Auto läuft oder sich sonst die in Gefahr bringt, ist es saugefährlich. Ich hatte da schon einige Schutzengel in Form von aufmerksamen S-Bahn-Fahrern, die rechtzeitig hupten 🙈

Daher wäre ich pro Diagnostik.

Liebe Grüße
Schoko

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Infos, die fehlten:
Regelmäßiges negatives Feedback ("Träumerle") kann ihr Selbstbewusstsein schädigen. Stichwort Hochstapler-Syndrom.
Weil so viel Energie für die Konzentration und Coping draufgeht, wird sie nicht ihr volles Potential entfalten können.

Ich bilde auch Streitschlichter aus. Ist eine tolle Sache- aber wird sie ihre Aufmerksamkeit so lang aufrecht erhalten können? Bei uns besteht eine Streitschlichtung aus 6 Schritten- den Streitenden zuzuhören dürfte ihr schwer fallen.

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Sie will ja diese Streitschlichtung gar nicht machen. Damit ist das sowieso vom Tisch.

Sie merkt also durchaus, dass ein Schulvormittag lang für sie ist und will da auf keinen Fall noch etwas dranhängen.
Das ist aber jetzt nicht so verwunderlich: in der 1.Klasse war sie mehr Zuhause als in der Schule (Lockdown+Quarantäne), in der 2.Klasse fand außer Schule quasi nichts statt und jetzt hat das normale Leben sie wieder - wobei sie 'normal'ja noch gar nicht kennt.
Sie hat wenig Hobbys - eigentlich gerade nur anderthalb - das reicht aber auch.

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Das könnte fast mein Sohn sein. Uns belastet es auch massiv im Alltag. Wir machen derzeit eine Diagnostik beim KJP. Ich bin nicht scharf auf eine gewisse Diagnose, aber mache es mit dem Hintergrund, dass es ggf. einen Nachteilsausgleich in der Schule geben könnte, da er für alles mehr Zeit braucht.

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Wir sind gerade in der ads Testung unseres Sohnes. Aber… hie fliegt das Augenmerk akf konzentrationsschwierigkeiten und abdriften.

Offensichtlich kommt dein Kind sonst stoffmäßig gut mit. Daher würde ich da keine konzentrationsschwäche sehen. Aber natürlich gibt es noch zahlreiche andere andere Diagnosen die ein wegzuräumen und bummeln nach sich ziehen.

Letztlich würde ich testen lassen, wenn Leidensdruck von Seiten des Kindes vorhanden ist. Das ist bei unserem Sohn gegeben. Er denkt er wäre dumm, weil er schlecht schreiben und sich konzentrieren kann. Und daher wollen wir ihn helfen. Denn es wird ja sein ganzes Leben da sein und dazu braucht er einfach Hilfen und Strategien.

Also schau auf dein Kind und frag dich selbst, ob du nach einer Diagnose auch weiter gehen wirst…

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"Offensichtlich kommt dein Kind sonst stoffmäßig gut mit. Daher würde ich da keine konzentrationsschwäche sehen."

Ich weiß, was du meinst. Ich finde so Verallgemeinerungen aber immer zwiespältig.

Meine Tochter hat ADHS. Sie kommt überall mit. Sie ist ikmer weiter als die anderen und trotzdem macht sie Flüchtigkeitsfehler und driftet mit ihren Gedanken ab. Soe hat große Schwierigkeiten sich zu konzentrieren.

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Mein Sohn ist aufgrund sehr hoher Intelligenz in der Schule bis Klasse 5 Gymi durchgeflutscht mir der Schlamperei und Träumerei, aber dann wurde es heftig.

In der Schule mitkommen und ADS schließt sich nicht aus.

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Ich spreche mich auch klar für die Diagnostik aus.

Unsere Tochter hat aber selber darunter gelitten "anders" zu sein.

Unsere Tochter (8, 2. Klasse) ist diagnostiziert (ADHS und Hochbegabung). Sie war und ist auf eine andere Art auffällig, aber a) hat das Kind einen Namem, ihr bekommt Informationen und andere Ansätze, denn ADHSler brauchen zum Teil andere Strategien (Verhaltenstherapie, ergo sind da hilfreich), b) könnt ihr gezielt Hilfen organisieren - für euer Kind und euch.
Bei unserer Tochter z. B. Ging es letztendlich nur mit Medikamenten. Damit geht es ihr so viel besser. Sie kann zeigen, was sie kann und ist (zumindest im Unterricht) nicgt mehr der Störenfried.

Aber nochmal allgemein, unabhängig zur Diagnostik, zur Situation bei euch :

Was macht eure Tochter denn, wenn sie mal ohne Hausaufgaben zur Schule geht? Hier gelten die 20 min (find ich zu kurz für die 3. Klasse) auch, aber 20 Minuten arbeiten, nicht starren...
Wir haben regelmäßig Drama. Also lautes Drama... Ich Kämpfe nicht mehr. Ich sage ihr ganz klar, dass sie es erklären muss und ich ihr helfe, wenn sie bereit ist. Oft bricht sie ab, setzt sich dann 19 Uhr hin und ist in 5 Minuten fertig, weil ihne gehen, das geht nicht 🤷🏼

Ein Gang zum Arzt ist immer nötig, wenn jemand leidet. Und das tust mind. du. Gehe (am besten ohne Tochter) zum Arzt. Sprich mit diesem darüber, was dir Sorgen bereitet und bitte um eine Überweisung zum KJP. Ich empfehle interdisziplinäre zentren (mit Psychiatern und Psychologen).

PS: ich selber habe diese Jahr meine ADHS Diagnose (mit 34)bekommen. Mit den Medikamenten geht es mir soooo viel besser. Ich sitze nicht mehr und starre vor mich hin, verzettel mich nicht und und und. Auch hat es mir geholfen, mich zu verstehen. Denke, dass ws bei heranwachsenden auch so ist.

Alles Gute.

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Danke für deine Antwort.

Hier passiert nicht viel, wenn ein Kind keine Hausaufgaben macht. Der Lehrer sagt je nach Lust und Laune , sie muss es nachmachen oder er sagt nichts. Immer fällt es wohl auch nicht auf.
Wir hatten hier schon ziemlich Stress, weil ich meinte, fehlende Hausaufgaben werden am nächsten Tag nachgeholt. Aber der Lehrer hatte ja nichts gesagt...

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Dann würde ich dir auch selbst einen IQ-Test empfehlen. 😀

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Es gibt Therapien für ADS. Marburger Konzentrationstraining, Ergotherapie, Reittherapie (PKV), Neurofeedback, Verhaltenstherapie kombiniert mit Elterntraining.

Erst in letzter Konsequenz wenn die anderen Sachen nicht helfen,wird über medikamentöse Behandlung nachgedacht.

Bei der Diagnose werden einige Sachen ausgeschlossen.

Geringe Intelligenz
Autismus
LRS
Wahrnehmungsschwäche visuell auditiv
dyskalkulie

Seid ihr beim Augenarzt gewesen wegen Prismen Fehlsichtigkeit. Ohrenarzt?

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Tatsächlich waren wir schon beim Augenarzt und beim HNO.
Ohne bestimmte Anfragen, aber zumindest beim Ohrenarzt mit dem Hinweis, dass sie oft nicht reagiert. Oder viel zu langsam reagiert.

"Halt. Leg das wieder hin" - reicht auf keinen Fall. Laut "STOP" schreien muss sein, wenn man will, dass das Kind keine Motorsäge untersucht o.ä.

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Genau das war übrigens bei unserem Sohn auch sehr krass und ganz typisch ADHS.
Jetzt reagiert er viel leichter.

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Es tut mir leid, dass euch die Situation so belastet. Ich würde mich auch eher für eine Diagnostik aussprechen, habe aber keinerlei Erfahrung. Ich arbeite an einer weiterführenden Schule und da gibt es zumindest Nachteilsausgleiche, wenn Diagnosen vorhanden sind. Ich möchte dir aber noch mit auf den Weg geben, dass dein Kind deinen Ausführungen nach ein unglaublich sympathischen Eindruck macht. Und es klingt, als ob sie soo viel Fantasie hat wie fast kein zweiter! Ich hoffe, ihr schafft es, diese Eigenschaften zu Stärken umzumünzen. Vielleicht wird sie ja eine zweite JK Rowling. 😉 Ich wünsche deiner Familie alles Gute.

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Ich bin etwas irritiert. Weiterführende Schule und keine Erfahrung mit ADS? In jeder Klasse gibt es mindestens 1 Schüler der davon betroffen ist. Auch Gymi.

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Danke!

Ja, sie ist ein tolles Kind. Ich will sie ja auch gar nicht verändern.

Ich bin einfach unsicher, was besser für sie ist:
Einfach an ihren Problemen arbeiten und da ein kleine Erfolgserlebnisse haben oder der Sache zusätzlich einen Namen geben.

Was ich bisher nicht erwähnt habe:
Sie verträgt keine Laktose und sie hat Kreidezähne und einen überzähligen Zahn, der demnächst operiert werden muss.
Sie fragt sich sowieso dauernd, warum sie so viele (gesundheitliche) Probleme hat und ihre Schwester überhaupt keine.
Soll ich da jetzt noch etwas hinzufügen, was nicht mehr weg geht? Definitiv nur, wenn die Diagnose zu konkreten Hilfen führt.

Tolle Ideen im Kopf sind super - aber wenn sie sie nicht aufschreiben will, weil das zu mühsam ist, wird nie ein Roman daraus.


Nun ist eine Reihe dieser Hilfen ja auch ohne Diagnose möglich.
Marburger Konzentrationstraining wurde uns schon mal empfohlen, aber es gibt hier wohl wenig Plätze.
Beim Aufräumen habe ich schon Tipps von Ads-Websites befolgt, das war ganz gut.

Hm...

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Ich habe leider erst Jahre nach der Diagnose davon erfahren, dass man bei ADS ggf. Anspruch auf Pflegegeld hat.
Mein Sohn war nicht angepasst genug für Nachmittagsbetreuung. So musste ich mittags Zuhause sein.

Oft gibt es auch Begleiterscheinungen bei ADS wie Enuresis, geringer Selbstwert, Hang zu Depressionen und Experimentierfreudigkeit in der Pubertät.

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Da die Diagnostik sich eine Weile hinzieht, würde ich auf alle Fälle einen Termin bei einem Kinderpsychiater machen, der um Anschluss auch die entsprechenden Therapien anbiete. Vom SPZ war ich etwas enttäuscht. Das Niveau war jetzt nicht so auf Akademikereltern abgestimmt.