Feste Nahrung statt Brei?

Baby-led Weaning: Wann darf ein Baby alles essen?

Beim Baby-led Weaning - dem Baby-gesteuerten Entwöhnen - bestimmt der Säugling den Beikoststart selbst und bekommt keinen Brei, sondern in Stücke geschnittene Nahrung angeboten. Kinder- und Jugendärzte warnen jetzt vor diesem Trend, da er beim Kind zu Mangelernährung führen könne.

Autor: Gabriele Möller

Feste Kost – Wer gibt das Startsignal?

Beikost Start gelingt einfach

Ein Vater füttert seinen Sohn mit Babybrei

Foto: © iStock, svetikd

Als für meine Tochter Elina der Tag der ersten Breimahlzeit gekommen war, war ich ein bisschen aufgeregt. Sie war sechs Monate alt und bisher voll gestillt worden. Unerfahren wie ich war, erwartete ich auf ihrer Seite nun so etwas wie freudige Erregung über den ersten Breilöffel. Die kleine Menge Möhrenmus, die ich ihr auf einem Löffelchen anbot, wurde denn auch bereitwillig in den Mund genommen. Doch dann legte sich die Stirn meiner Tochter in bedenkliche Falten  und mit einem angeekelten Blick, der nichts Anderes besagte als „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Mama!“ wurde der Brei wieder aus dem Mund herausgeschoben. So ging es auch an den folgenden Tagen.

Die Hebamme und Gesundheitsberaterin Gill Rapley aus England wundert das gar nicht. „In den meisten Familien wird der Beikoststart von den Eltern initiiert. Du entscheidest, wann dein Baby mit fester Nahrung anfängt. Das kann man als ‚elterngesteuerte Beikosteinführung‘ bezeichnen.“ Da sei es kein Wunder, wenn Babys anfangs alles ausspuckten oder sich das Essen später gar zum Machtkampf entwickle. Rapley findet es daher natürlicher, wenn nicht die Eltern, sondern das Baby selbst entscheidet, wann und vor allem auch was es essen möchte. Deshalb nennt sie ihr Programm Baby-led Weaning („babygesteuertes Entwöhnen“, kurz BLW).

Das selbstbestimmte Baby

Ein wichtiger Eckpfeiler der Methode: „Feste Nahrung wird eingeführt, sobald das Baby zeigt, dass es selbst essen kann. BLW erlaubt dem Baby, diesen Prozess selbst zu steuern, wobei es seine angeborenen Instinkte und Fähigkeiten benutzt“, so Gesundheitsberaterin Rapley. Wann genau das ist, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. „Wenn man ihnen die Chance gibt, zeigen fast alle Babys ihren Eltern, dass sie bereit sind für etwas anderes als Milch, und zwar einfach indem sie sich ein Stück Nahrung greifen und es in den Mund stecken.“ Dabei hat Rapley die Beobachtung gemacht, dass sich die meisten Babys im Alter von etwa sechs Monaten für die Familienkost zu interessieren beginnen und diese auch probieren möchten.

Deshalb ist es ihr wichtig, dass das Baby die Gelegenheit hat, an allen Familienmahlzeiten teilzunehmen, dass es also nicht separat von den anderen gefüttert oder gestillt wird. Nur so könne es Interesse an der Familienkost bekommen und andere Familienmitglieder nachahmen. Diesen Punkt sieht auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) so. „Wenn es möglich ist, sollten Eltern anstreben, dass ein Baby an den Familienmahlzeiten teilnimmt, sobald es selbständig sitzen kann. Manchmal ist das anfangs schwierig, weil das Füttern natürlich Zeit in Anspruch nimmt oder weil das Kind noch nicht sitzen kann“, so Dipl.-Oecotrophologin Silke Restemeyer von der DGE im urbia-Gespräch.

Tipps vom Kinderarzt: Ab wann sollten Babys Brei bekommen?

Eltern und Geschwister werden nachgeahmt

Auch mit der Auffassung, dass das Baby den Start der Beikost mitsteuern sollte, steht Rapley keineswegs allein da. Die Ernährungsfachleute von der DGE finden ebenfalls, dass man die Signale des Babys aufgreifen sollte: „Beim Beginn der Beikost muss man auch das Interesse des Babys berücksichtigen. Manche Babys finden schon nach dem vierten Monat Geschmack an Breinahrung, manche möchten erst mit sechs Monaten damit beginnen. Erzwingen kann und sollte man das Essen nicht“, betont auch Silke Restemeyer.

Fast revolutionär ist jedoch Rapleys Idee, einem Baby keinen Brei, sondern gleich feste Kost anzubieten. Babys könnten schon im Alter von sechs Monaten Nahrungsstücke aufnehmen und in den Mund stecken, um darauf herumzukauen, beobachtete die Hebamme. Ein Baby folge dabei „dem Instinkt, seine Eltern sowie seine Brüder und Schwestern zu kopieren, um die Fähigkeit zu essen so auf natürliche und freudige Weise zu entwickeln“.

Ist harte Nahrung in ganzen Stücken wirklich geeignet?

Schon die allerersten Nahrungsstückchen sollten daher bei der Methode des Baby-led Weaning die Größe einer Babyfaust haben. Sie sollten dabei allerdings etwas länglich geschnitten sein, also einen „Griff“ haben. Die Essenstücke, zum Beispiel ein Möhren- oder ein Apfelstift, ein Stück Fleisch, gekochte Kartoffel oder Broccoli werden vor das Kind gelegt, ihm also nicht in den Mund geschoben. Nur, wenn es das Essen selbst aufnimmt und in den Mund steckt, ist es auch so weit. Babys, die noch nicht sitzen könnten, sollten dabei einfach auf dem Schoß in gerader Position gehalten werden, findet Rapley, das Baby dürfe zudem nie allein gelassen werden mit dem Essen. Angeblich sei dann die Gefahr des sich Verschluckens nicht größer als bei Breiernährung.

Doch hier hat Ernährungsfachfrau Restemeyer Bedenken: „Einem Baby mit fünf bis sieben Monaten, also gleich zu Beginn der Beikostphase, Lebensmittel zum Beispiel in Form von länglichen Möhren- oder Apfelstücken anzubieten, kann die Gefahr des Verschluckens erhöhen oder dazu führen, dass das Essen in die Luftröhre gelangt, vor allem, wenn das Kind noch nicht sitzen kann.“

Wie werden Nährstoffe am besten aufgenommen?

Auch der Verband der Kinder- und Jugendärzte meldete sich mit Bedenken gegenüber dem Baby-led Weaning zu Wort (PM vom 29.3.17), um vor dem Baby-gesteuerten allmählichen Abstillen zu warnen. Denn neben der Gefahr, dass sich Babys verschlucken (und lebensgefährliche Erstickungsanfälle erleiden) sehen die Mediziner auch das Problem einer möglichen Mangelernährung. Denn zum Baby-led Weaning gehört, dass das Kind anfangs nur auf den Lebensmittelstücken herumkaut oder -lutscht und zunächst wenig davon schluckt. Doch nimmt ein Kind im Beikostalter so wirklich genug Nährstoffe auf? „Aus einem festen Stück Nahrung, das nur angenagt oder angelutscht werden kann, da häufig noch keine Zähne vorhanden sind, werden nur wenig Nährstoffe aufgenommen, die nicht wesentlich zur Bedarfsdeckung beitragen“, wendet Silke Restemeyer ein. Und was die teilweise von Rapley empfohlenen Rohkoststücke angehe, komme hinzu, „dass z. B. das Vitamin ß-Carotin aus Möhren besser aufgenommen wird, wenn diese gegart wurden und wenn außerdem etwas Fett oder Öl hinzugefügt wurde, da es sich um ein fettlösliches Vitamin handelt.“ 

Auch die Kinder- und Jugendärzte weisen auf die Bedeutung eines ausgewogenen Nahrungsmittelangebotes hin. Dies könne bei Säuglingen, die "von der Hand in den Mund" leben, auf der Strecke bleiben. Zu bedenken ist zum Beispiel die Möglichkeit, dass das Kind so nicht genug Eisen aufnimmt (falls die Mutter kaum mehr oder gar nicht mehr stillt). Denn die Eisenspeicher der Babys seien kurz nach dem Abstillen fast leer. Vom Herumlutschen auf einem Stück Fleisch aber bekommt ein Kind kaum Eisen. Außerdem könne es sein, dass ein motorisch nicht so geschicktes Kind bei dem Fingerfood-Konzept nicht richtig satt wird.

Schon unsere Vorfahren kauten die Nahrung vor

Ähnliche Bedenken hat auch Dr. med. Andrea Schmelz, Ärztin für Allergologie und Umweltmedizin, die einen regelmäßigen Elternratgeber für Kindergesundheit herausgibt: „Was ich beim BLW für befremdlich halte ist, einem Baby ein Stück gekochtes Fleisch in die Hand zu geben, damit es darauf herumlutschen kann. Ich denke, was die Nährstoffe angeht, hat das Baby mehr davon, wenn es das Fleisch in pürierter Form schlucken kann. Wer BLW machen möchte, sollte sicherheitshalber beim Kinderarzt den Eisenwert im Blut des Kindes kontrollieren lassen", rät die Ärztin, die sich mit Rapleys Methode auseinandergesetzt hat. Sie hält trotzdem den Start mit Brei für den natürlicheren Weg: „Ich denke, dass Breikost am Anfang der Beikostfütterung die physiologischere (von der Natur vorgesehene) Variante ist. Wahrscheinlich haben schon die Neandertaler Nahrung für ihre Babys und Kleinkinder zu Brei gekaut, zumal die Ernährung damals hauptsächlich aus Fleisch und gesammelten Früchten bestand, und diesen Brei dann den Kleinen in den Mund gesteckt", so die Ärztin.

Milchfütterung parallel zur Beikost fortführen

Beim Trinken soll ein Baby nach der Methode BLW ebenfalls der Familie nacheifern dürfen. Dabei betont Rapley, dass es hier trotz des Begriffs Entwöhnung (Weaning) nicht ums Abstillen gehe, sondern das erste Essen parallel zum Stillen erfolgen sollte. Zwar solle das Kind also weiter gestillt (oder mit Milchnahrung ernährt) werden, doch zusätzlich darf es auch schon die Getränke der Großen probieren: „Getrunken wird Wasser oder Tee in einer Tasse." Mit ihrem Plädoyer für das Weiterstillen geht Rapley konform mit den Empfehlungen, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) auch hierzulande gibt: „Mütter stillen ihre Babys für das erste Lebenshalbjahr, mindestens bis zum Beginn des 5. Lebensmonats ausschließlich." Auch nach Einführung der Beikost mit vier bis sechs Monaten wird von der DGE empfohlen weiterzustillen. Wie viel Kalorien ein Baby in Form von Milch und wie viel in Form von Brei oder festerer Nahrung aufnimmt, ist bei beiden Richtungen, der traditionellen und der von BLW, variabel und richtet sich nach dem Baby.

Bunte Vielfalt ist schon früh erlaubt

Es wurde deutlich: Das BLW unterscheidet kaum noch zwischen Beikost auf der einen und Familien- oder Vollkost auf der anderen Seite. Ein Baby darf von Anfang an fast alles essen, was auch die Großen essen, damit es sich nicht ausgeschlossen fühlt. Babys sollen dabei schon früh möglichst viele und natürlich auch möglichst wertvolle Nahrungsmittel probieren. Ausnahmen sind daher Zuckerhaltiges, Fast Food, Fertiggerichte und zu stark Gesalzenes oder Gewürztes. Die Vielfalt befürworten auch die Ernährungsexperten in Deutschland: „Inzwischen empfiehlt die DGE, einem Kind nach dem Start in die Beikost ruhig vielfältige Nahrungsmittel und Geschmäcker anzubieten. Die früher empfohlene Vorsicht mit zu vielen verschiedenen Lebensmitteln, die Allergien vorbeugen sollte, gilt inzwischen als überholt. Wichtig ist aber, nicht zu viele neue Geschmäcker auf einmal anzubieten, denn so eine ‚Geschmacksexplosion' kann ein Baby, das bisher nur Milch kannte, auch verwirren oder überfordern. Nach und nach kann man aber neue Lebensmittel in Mini-Mengen anbieten", erläutert Silke Restemeyer.

Neben den verschiedensten Breisorten (Gemüse, Fleisch, Getreide, Obst) darf ein Baby dabei auch weiches Brot und andere Mehlprodukte essen. „Während man früher davon wegen des Klebereiweißes Gluten davon abriet, sie im ersten Lebensjahr anzubieten, weiß man heute, dass kleine Mengen davon sogar das Risiko einer Glutenunverträglichkeit senken können. Wenn ein Baby dies mag, darf es also auch schon Stückchen von weichem Butterbrot ohne Rinde oder eine Dinkelstange kauen."

Zwischen Beikost und Vollkost wird nicht mehr streng unterschieden

Die Trennlinie zwischen Beikost und Vollkost wird also auch von den Fachleuten weniger deutlich gezogen als früher. Während die Beikost, die ab einem Alter von vier bis sechs Monaten gegeben werden soll, nach Ansicht der DGE jedoch noch eher mild, weich und von Breis bestimmt sein sollte, darf die Vollkost schon etwas kräftiger sein. „Zur Voll- oder Familienkost geht man dann etwa ab dem zehnten Lebensmonat über, das hängt aber auch vom Kind und seiner Neugier und Bereitschaft ab. Hierbei darf alles angeboten werden, was nicht zu stark gesalzen oder zu stark gewürzt ist. Man braucht keine ‚Schonkost' einzuhalten, sondern kann das Kind alles probieren lassen", erklärt Restemeyer. „Denn wenn ein Kind keine Gelegenheit hat, auch vielfältige Geschmäcker kennenzulernen, kann es passieren, dass es später Lebensmittel ablehnt. Zum Beispiel darf das Kind gerne auch Sauerkraut oder Grünkohl probieren, es sei denn, es neigt beispielsweise zu starken Blähungen."

Der richtige Weg zur Familienkost

Unter Eltern findet die Methode der babygesteuerten Beikosteinführung BLW auch in Deutschland zunehmend Anhänger und wird in den einschlägigen Onlineforen angeregt diskutiert. Die Methode berücksichtigt das Bedürfnis vieler Eltern, Rücksicht auf die angeborenen Fähigkeiten ihres Babys zu nehmen und seinem Instinkt zu vertrauen. Sie berücksichtigt auch die Tatsache, dass es Babys gibt, die sich nie wirklich mit Brei anfreunden können. In vielen Punkten weichen die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gar nicht so sehr von denen des BLW ab. So können Eltern ihr Baby selbst entscheiden lassen, wann es (frühestens im Alter von vier Monaten) mit der Beikost starten möchte und ihm dabei zugleich auch eine bunte Vielfalt an Lebensmitteln anbieten.

Brei – das sagt neben den Fachleuten auch der gesunde Menschenverstand – erlaubt dem Darm des Babys eine bessere Aufnahme mancher Nährstoffe (z. B. vom Eisen aus Fleisch) als ein festes Stück Nahrung zum Lutschen. Wer seinem Baby gern auch stückige Nahrung anbieten möchte, kann dies im ersten Lebensjahr auch zusätzlich zum Brei tun. Ein Stück Banane, eine Dinkelstange oder auch ein mürber Apfel als „Fingerfood" eignen sich für neue Geschmacksexperimente und befriedigen auch den Drang des Babys, Dinge aufzunehmen und in den Mund zu stecken, um verschiedene Formen, Beschaffenheiten und Geschmäcker zu erkunden.

Service

Gill Rapley und Tracey Murkett:
„Baby-Led Weaning: The Essential Guide to Introducing Solid Foods and Helping Your Baby to Grow Up a Happy and Confident Eater",
Experiment Verlag 2010, ISBN-13: 978-1615190218 (nur englisch).