Wenn alle meinen, es besser zu wissen

Ungebetene Ratschläge zur Erziehung

Hast du auch manchmal das Gefühl, dass offenbar alle Welt besser zu wissen glaubt, wie du dein Kind erziehen sollst? Hier gibt es Tipps, wie Eltern konstruktiv mit ungebetenen Ratschlägen umgehen können.

Autor: Dr. Andrea Schmelz

"Also bei uns früher..."

Frauen Buero Konflikt
Foto: © iStockphoto.com, killerb10

Hast du auch manchmal das Gefühl, dass offenbar alle Welt besser zu wissen glaubt, wie du dein Kind erziehen solltest? Dann bist du nicht allein. Die meisten Mütter bekommen irgendwann unerwünschte Ratschläge oder werden von Außenstehenden in Bezug auf ihre Eltern-Kompetenzen kritisiert. In einer Umfrage der Universität von Michigan berichteten beispielsweise sechs von 10 Müttern von Kindern im Alter bis zu fünf Jahren, dass ihre Fähigkeiten schon einmal angezweifelt wurden – und das oft von Mitgliedern der eigenen Familie, vor allem von den Eltern der Mutter. Ein Ratschlag ist natürlich nicht zwingend etwas Schlechtes, doch die Mehrheit der Mütter gab an, dass sie jede Menge nicht hilfreiche Ratschläge von anderen Menschen bekommen. Einmischung in Erziehungsfragen ist daher für viele Eltern generell ein Reizthema.

Die Formen der Einmischung sind mehr oder minder subtil: Sie reichen vom „Glaubst du nicht, es wäre besser…“ über „Also bei uns früher…“ bis hin zum massiven „Du verwöhnst das Kind!“. Sie schleichen sich als „besserwisserische“ Geschenke ein: die von Oma favorisierte Wollmütze oder das Modepüppchen Barbie, das Sie nie kaufen wollten und das jetzt die Patentante mit einem „Aber alle Mädchen haben doch so eine“ aus der Tasche zaubert. Bei den Geschenken haben Sie, obwohl Sie stinksauer sind, zu allem Überfluss noch das Gefühl, sich bedanken zu müssen.

Wer sich einmischt, hat' s nötig

Bei vielen ungebetenen Ratschlägen geht es weniger um das Wohl Ihres Kindes als um die Person des Ratgebers. Egal, ob Großeltern, Freunde, Nachbarn – häufig empfinden Menschen, die gerne Ratschläge erteilen, dies als Aufwertung ihrer eigenen Person. Denn sie drücken damit aus, dass sie etwas besser wissen, und drängen Ihnen ihre Hilfe in Erziehungsfragen auf. Das gibt ihnen ein Gefühl von Wichtigkeit.Und zur Erziehung kann ja nun wirklich jeder etwas sagen, denn jeder Mensch hat als Kind selbst Erziehung genossen (oder erduldet?)… Die Erziehung spiegelt darüber hinaus nicht nur die offensichtlichen Ansichten über Schlafenszeiten und Fernsehkonsum wider, sondern das gesamte Wertesystem eines Menschen. Viele ungefragte Ratgeber haben selbst Kinder erzogen und wollen mit ihren ungebetenen Ratschlägen unbewusst ihr eigenes Wertesystem und ihre früheren Erziehungsmethoden verteidigen. Und je unsicherer die betreffende Person ist, um so eher fühlt sie sich durch andere Ansichten – also auch Ihre – bedroht.

Tipp: Speziell bei ungebetenen Ratschlägen aus dem Familienkreis sollten Sie sich fragen: "Wie stehe ich zu der Person, die mir etwas rät? Warum gibt sie mir Ratschläge?" Wenn Sie die Motivation erkannt haben, fühlen Sie sich weniger schnell angegriffen und können nachsichtiger reagieren.

Mütter nehmen Einmischungen schneller persönlich

Eltern empfinden ungebetene Ratschläge anderer zu Recht als unangemessen. Schließlich sind sie die einzig wahren Experten für ihr Kind und kennen es mit all seinen Facetten am besten. Deswegen brauchen sie sich von niemandem sagen lassen, was gut oder schlecht für den eigenen Nachwuchs ist.

Für Mütter ist der Erfolg (oder auch Misserfolg) der Kindererziehung zum großen Teil auch ein persönlicher Erfolg (oder Misserfolg). Deswegen reagieren sie auf Kritik an ihrem Erziehungsstil viel schneller mit Verunsicherung oder auch Ärger. Väter reagieren auf Einmischungen meist gelassener und fühlen sich dadurch nicht persönlich angegriffen.

Tipp: Sagen Sie sich immer wieder, dass ewige Besserwisser oft mit sich selbst die größten Probleme haben, von denen sie mit ihren „guten“ Ratschlägen abzulenken versuchen. So fühlen Sie sich nicht so schnell persönlich angegriffen.

Fünf Antworten, mit denen Sie jedem Besserwisser Kontra geben können

  • 1. "Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?" Mit dieser Frage lassen sich Besserwisser von Menschen mit echten Verbesserungsvorschlägen unterscheiden.
  • 2. "Danke für die Anregung, ich werde darüber nachdenken." Zustimmung nimmt dem anderen den Wind aus den Segeln und verhindert längere Belehrungen.
  • 3. "Können wir später darüber reden?" Damit nehmen Sie in heiklen Situationen eine Auszeit, ohne den anderen vor den Kopf zu stoßen.
  • 4. "Ich respektiere deine Meinung. Aber ich möchte gerne meine eigenen Fehler machen." So verbitten Sie sich permanente Ratschläge von Eltern oder Schwiegereltern.
  • 5. "Das geht Sie nun wirklich nichts an und ich möchte auch keine Ratschläge von Ihnen bekommen." Eine ganz klare Aussage für ganz hartnäckige Nachbarinnen oder andere Außenstehende.

Manche Ratschläge können durchaus hilfreich sein

Viele Erziehungstipps und Ratschläge sind völlig überflüssig, doch können manche Entwicklungen deines Kindes einem Außenstehenden tatsächlich eher auffallen als dir selbst, die du dein Kind tagtäglich sehen. Langsame Prozesse wie etwa eine mäßige, aber stetige Gewichtszunahme oder aber eine Verzögerung der Sprachentwicklung können von Eltern relativ leicht übersehen werden. Wenn du einen entsprechenden Hinweis von anderen bekommst, solltest du versuchen, offen zu reagieren, ohne dich angegriffen zu fühlen. Frage dich, ob wirklich etwas dahinter stecken könnte, und ziehe die nötigen Konsequenzen, etwa einen Kontrollbesuch beim Kinderarzt.

Manchmal haben sich unbemerkt und unbeabsichtigt auch tatsächlich schlechte Angewohnheiten in die eigene Erziehung eingeschlichen. Wenn du stark unter Stress stehst, kann es z. B. vorkommen, dass du schnell gereizt und oft auch zu heftig reagierst. Wenn eine Oma das einfühlsam anspricht und dir gleichzeitig anbietet, dir das Kind einen Nachmittag abzunehmen, damit du einmal etwas für dich tun kannst, lohnt es sich, darüber nachzudenken.

So kommt Ihre Anregung richtig an

Selbst wenn Sie absolut nicht der Typ für ungebetene Ratschläge sind, kann es durchaus vorkommen, dass Sie Ihre Freundin oder Schwägerin auch einmal auf etwas hinweisen wollen. Jetzt brauchen Sie viel Fingerspitzengefühl. Sprechen Sie möglichst in Form einer Ich-Botschaft. Wenn Sie beispielsweise das Gefühl haben, dass sie viel zu streng mit dem Kind umgeht und viel zu viel von ihm verlangt, obwohl das seinem Alter nicht entspricht, dürfen Sie Ihr Unbehagen zum Ausdruck bringen. Wenn Sie sagen „Mir fällt auf, dass du in letzter Zeit sehr streng mit deiner Tochter/deinem Sohn bist.“, wird sich die angesprochene Mutter viel weniger angegriffen fühlen als durch ein „Du kannst doch mit der/dem Kleinen nicht so streng sein. Die/der kapiert das ja noch gar nicht!“ Sinnvoll ist auch, Verständnis zu zeigen und eine Brücke zu bauen, mit der die Angesprochene die Kritik leichter annehmen kann. Ein „Ich kenn das. Wenn ich unter Zeitdruck bin, reagiere ich auch schnell so streng“, hilft dem Gegenüber, einen Gesichtsverlust zu vermeiden.

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