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Wenn's im Kinderzimmer kracht

Streit unter Geschwistern

Fürchterliches Geschrei ertönt aus dem Kinderzimmer. Die herbeigeeilte Mutter sieht gerade noch, wie der Große ein Lego-Klötzchen in die Richtung seines jüngeren Bruders schleudert. Schon wieder Streit! Was können Eltern in dieser Situation tun?

Autor: Dr. Andrea Schmelz

Eltern sehnen sich nach Harmonie

Bruder Schwester streiten Teaser
Foto: © mauritius images/ image source

Eltern mit zwei oder mehr Kindern wünschen sich nichts sehnlicher als ein harmonisches Familienleben. Doch in vielen Familien streiten die Geschwister erbittert um Kleinigkeiten, sodass sich die Eltern verzweifelt fragen: Warum nur? Und vor allem: Was können wir dagegen tun? Die meisten Eltern haben schon alle möglichen Methoden versucht, Streit zwischen ihren Kindern zu schlichten. Doch es ist wie verhext: Wie sehr sie sich auch bemühen, die Streitereien werden nicht weniger, sondern – im Gegenteil – oft sogar noch schlimmer.

Geschwisterrivalität ist normal und bis zu einem gewissen Maß auch unvermeidbar. Trotzdem schaffen es die wenigsten Eltern, sich wirklich aus den Streitigkeiten herauszuhalten und die Kinder ihre Probleme selbst lösen zu lassen. Schuld daran könnte der an uns allen unbewusst nagende Zweifel sein, ob wir wirklich allen Kindern als Eltern gerecht werden können. Bricht nun zwischen den Geschwistern ein Streit aus, verspüren wir den Impuls, das ein oder andere Kind (vorzugsweise das "Schwächste") in Schutz nehmen zu wollen. Im Nu entsteht so aus zwei streitenden Kindern ein Konfliktdreieck aus den beiden Streithähnen und einem Elternteil. Dadurch, dass Eltern sich in den Streit hineinziehen lassen und möglicherweise für eines der Kinder Partei ergreifen, wird die Geschwisterrivalität noch verschärft.

Warum streiten Geschwister oft so erbittert miteinander?

Das begehrte Spielzeug, um das heiß gekämpft wird, so lange es jedes der Kinder haben möchte, und das danach unbeachtet in der Ecke liegt, ist oft nicht der wahr Grund, sondern bloß der sprichwörtliche Zankapfel.
Kinder streiten in den allermeisten Fällen um die Aufmerksamkeit der Eltern. Streitende Kinder wissen sehr genau, dass Kampfeslärm aus dem Kinderzimmer meist sehr schnell die Mutter oder den Vater auf den Plan ruft, die dann versuchen zu vermitteln oder auch den Schwächeren in Schutz zu nehmen. Kinder wollen so immer wieder austesten, auf wessen Seite Vater oder Mutter denn nun steht. Starke Eifersucht oder Konkurrenz unter den Geschwistern verschärft dieses Verhalten noch.

Kleinkindern bis etwa drei oder vier Jahren geht es manchmal wirklich darum, einen Besitz zu ergattern bzw. den Besitz auch zu verteidigen. Da sie oft keine andere Möglichkeit sehen, als das begehrte Stück an sich zu reißen oder sich durch Schlagen zu verteidigen, bricht schnell ein heftiger Streit aus. In diesen Fällen sollten Eltern lenkend eingreifen, während die wirksamste Streitvermeidungsmethode darin besteht, den Streit einfach zu ignorieren!

Geschwister werden zu Rivalen, wenn

  • sie ungerecht behandelt werden und etwa ein Kind bevorzugt wird.
  • eine starke Konkurrenzsituation besteht, etwa bei geringem Altersabstand, besonders wenn es sich um zwei Schwestern oder – noch ausgeprägter – zwei Brüder handelt.
  • ein Kind häufig überfordert wird, etwa durch Vergleiche mit dem Geschwisterkind.

So können Sie Machtkämpfen und Streit vorbeugen

Wenn Sie die Faktoren beachten, die die Geschwisterrivalität verschärfen, können Sie aktiv gegensteuern:

1. Jedes Kind braucht genügend Raum, Zeit und Liebe

Nutzen Sie die Gelegenheit, mit allen Kindern gemeinsam etwas zu unternehmen oder zu spielen. Das schafft Gemeinsamkeiten und Gelegenheit, den friedlichen Umgang miteinander zu trainieren. Reservieren Sie aber auch für jedes Kind etwas Zeit, die Sie mit ihm allein verbringen. Dabei ist es besonders wichtig, dass jedes Kind gleich viel Aufmerksamkeit bekommt. Die gerechte Zeitverteilung ist natürlich in Familien mit einem Säugling oder einem chronisch kranken bzw. behinderten Kind besonders schwierig, worunter ältere bzw. gesunde Kinder oft zu leiden haben. Hier kann eine enge Bezugsperson außerhalb de Familie, etwa eine Oma, ein Opa oder eine Tante, helfen, einen Ausgleich zu schaffen.

2. Streit darf kein Tabuthema sein

Es ist völlig in Ordnung, wenn Kinder sich streiten. Streit ist sogar wichtig, um Konfliktlösungsstrategien auszutesten und durchsetzungsfähig für die eigenen Belange einzutreten. Sicher wünschen Sie sich, dass Ihr Kind sich später auch, wenn nötig, wehren kann! Wird Streit ständig unterdrückt, kann das dazu führen, dass Kinder alles in sich "hineinfressen". Verbieten Sie Ihren Kindern das Streiten nicht und streichen Sie Sätze wie "Bei uns wird nicht gestritten!" aus Ihrem Vokabular.

3. Vergleichen Sie Ihre Kinder nicht miteinander

Jedes Ihrer Kinder ist eine einzigartige Persönlichkeit. Gerade bei hohem Konkurrenzdruck (etwa geringem Altersabstand) ist es z. B. sehr schwierig für das ältere Kind, wenn ihm Leistungen des jüngeren Kindes („Schau mal, das kann ja sogar schon deine jüngere Schwester!“) vorgehalten werden. So steigt nur der Frustpegel, der schnell neuen Streit ausbrechen lässt.

4. Behandeln Sie Ihre Kinder gerecht, aber nicht unbedingt gleich

Alle Kinder gleich zu behandeln, kann nicht funktionieren, weil sie nun einmal nicht gleich sind. Die Erstgeborenen müssen oft mehr Aufgaben übernehmen, da sie ja älter sind, sollten dafür aber auch Privilegien besitzen. Natürlich ist das Nesthäkchen als jüngstes Kind vielleicht noch langsamer und schwächer, bekommt aber auch am meisten Hilfe. Mittelkinder sind oft die Verlierer, weil sie je nach Situation zwar schon groß genug für Pflichten, in manchen Fällen aber noch zu klein für die Privilegien des Ältesten sind.
Auch besondere Situationen müssen berücksichtigt werden, etwa wenn ein Kind in Schule oder Kindergarten Schwierigkeiten hat und deshalb gereizt ist. Gerade wenn Ihr Kind fast schon regelmäßig nach dem Kindergarten oder der Schule aus unerfindlichen Gründen "ausflippt", kann das ein Hinweis darauf sein, dass es sich dort wohl mehr angepasst als durchgesetzt hat. Sprechen Sie mit der Erzieherin oder der Lehrkraft, damit Ihr Kind die notwendige Unterstützung erhält, seine Konflikte dort zu lösen, wo sie auftreten.
Es gibt auch besonders eifersüchtige Kinder oder Kinder mit leichten Schwächen (etwa Lese-Rechtschreib-Schwäche), die aus einem Gefühl der Unterlegenheit heraus schnell Streit vom Zaun brechen. Hier sind Schuldzuweisungen ("Immer musst du deinen Bruder ärgern!") völlig fehl am Platz, denn diese Kinder brauchen eine Extraportion Zuwendung!

5. "Mami, der/die hat mich schon wieder gehauen!"

Ergreifen Sie möglichst für keinen der Streithähne Partei und trösten Sie ggf. das geschlagene Kind kurz, ohne aber sofort mit dem Angreifer zu schimpfen. Natürlich müssen Sie eingreifen und dem Unterlegenen helfen, wenn Verletzungen drohen oder der Streit eskaliert. Versuchen Sie möglichst selten, "Recht zu sprechen". Sie waren bei Streitbeginn schließlich nicht dabei und haben den Streit nicht beobachtet. Sie können z. B. auch nicht wissen, ob das arme geschlagene "Unschuldslamm" den bösen Bruder vorher nicht kräftig provoziert hat! Je mehr eines der Kinder in die Rolle des "Bösewichts" gedrängt wird, um so eher wird es seiner Rollenerwartung mit der Zeit auch gerecht werden und sich mit neuem Streit und neuen Schlägen an der "Petze" rächen.

Sollen Eltern den Streit schlichten?

Diese Frage beantwortet Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge in diesem Video:

Da Streit vornehmlich auf das Erregen der elterlichen Aufmerksamkeit abzielt, wird Streiten schnell unattraktiv, wenn Mutter oder Vater den Streit so weit als möglich ignorieren. Bitte greifen Sie jedoch ein, wenn wirklich eine Schlägerei im Gange ist oder ein Kind Gefahr läuft, verletzt zu werden.

  • Tipp: Streit lässt sich oft erstaunlich schnell beenden, wenn Sie einfach den Schauplatz verlassen, etwa, um zur Toilette zu gehen. Hier können Sie sich unauffällig zurückziehen und haben sogar ein gutes Argument, die Türe abzuschließen, wenn die Streithähne plötzlich vor der Klotüre weiterstreiten!

Natürlich können Sie auch die streitenden Kinder aus dem Raum und in getrennte Zimmer schicken. Doch dazu müssen Sie zuerst von dem Streit Notiz genommen haben. Deshalb ist das komplette Ignorieren und zur Toilette zu gehen oft noch wirksamer, da den Kindern dann sogar der "Teilerfolg" (Mama oder Papa haben den Streit wenigstens zur Kenntnis genommen) verwehrt wird.

Kleinere Kinder brauchen noch Hilfe

Kinder bis etwa fünf Jahren müssen jedoch erst lernen, Konflikte zu lösen. Kleinere Streitigkeiten können Sie ruhig ignorieren, so lange Sie aufmerksam beobachten, ob es den Kindern gelingt, den Streit selbst beizulegen. Ist das nicht der Fall, sollten Sie zusammen mit den Kindern versuchen, einen Kompromiss zu erarbeiten bzw. bei Kindern unter drei Jahren selbst einen Kompromiss vorzuschlagen:

  • 1. Lassen Sie jedes Kind seine Sicht der Dinge schildern. Jedes Kind darf schildern, wie es sich fühlt und warum es seiner Meinung nach zum Streit gekommen ist. So lernen Kinder, Emotionen auszudrücken und auch der Gegenpartei zuzuhören.
  • 2. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsvorschläge. Fragen Sie Ihre Kinder ab etwa vier Jahren, ob sie sich eine Lösung für das strittige Problem vorstellen können. Setzen Sie akzeptable Vorschläge der Kinder sofort um. Sind Ihre Kinder jünger, können Sie einen oder zwei Vorschläge zur Auswahl anbieten.

Zwei Konfliktlösungsbeispiele:

a) Kind 1 lässt Kind 2 nicht mitspielen. Bieten Sie Kind 2 eine neue Spielmöglichkeit an. Vielleicht wird Kind 1 dann neugierig und fragt, ob es mitspielen darf. Oder Kind 2 lädt Kind 1 später selbst zum Mitspielen ein.

b) Kind 1 nimmt Kind 2 das Spielzeug weg. Kind 2 kann daraufhin ein anderes Spielzeug von Kind 1 nehmen und sagen: "Gut, dann tauschen wir!" Ist Kind 1 damit nicht einverstanden, muss es selbst das Spielzeug von Kind 2 zurückgeben.

  • 3. Notfalls müssen Sie den Zankapfel entfernen. Wenn sich trotz aller Bemühungen der Streit nicht beenden lässt, weil jeder der Streithähne z. B. das umkämpfte Spielzeug sofort haben will, sollten Sie dieses je nach Alter der Kinder für fünf bis 15 Minuten ganz entfernen.

Streitkultur lässt sich lernen

Das beste Vorbild sind Sie als Eltern. Es schadet Kindern keineswegs, wenn sie einen fairen Streit oder eine Diskussion mit völlig gegensätzlichen Meinungen miterleben. Zwei Voraussetzungen sollten aber erfüllt sein: Ihre Kinder sollten auch sehen, dass Sie sich nachher wieder versöhnen. Ansonsten könnten Ängste aufkommen, dass Papi und Mami sich nicht mehr lieb haben. Und es sollte bei dem Streit weder um ein spezielles Beziehungsthema noch um eine Erziehungsfrage gehen. Helfen Sie Ihren Kindern, ihre Interessen und Gefühle mit Worten auszudrücken und nicht gleich loszuschlagen. Trainieren Sie, indem Sie viel mit Ihren Kindern sprechen, um ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu verbessern. Loben Sie, wenn es den Kindern gelingt, Meinungsverschiedenheiten ohne Streit zu lösen. Auch Rollenspiele helfen, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und durchzuspielen. Dabei können entweder die Kinder verschiedene Rollen ausprobieren oder Sie nehmen Puppen oder Kuscheltiere als Stellvertreter.

Mal richtig Dampf ablassen

Manchmal müssen Kinder einfach Dampf ablassen, wenn sie richtig wütend sind – nur sollte dazu nicht ein Geschwisterkind herhalten müssen. Geben Sie Ihren Kindern Gelegenheit, sich richtig, aber ohne Prügelei abzureagieren:

  • Vereinbaren Sie z. B., dass sie mit aller Kraft in ein Kissen oder in ihr Bettzeug schlagen statt auf Bruder oder Schwester loszugehen. Auch eine Kissenschlacht ist oft ein gutes Mittel, sich auszutoben. Oder drücken Sie jedem der beiden Streithähne eine alte Zeitung zum Zerfetzen in die Hand.
  • Hängen Sie einen Block oder einen ausrangierten Abreißkalender auf. Wer richtig wütend ist, kann sich hier einen "Wutzettel" abreißen, zerknüllen und mit aller Kraft in den Abfall werfen.
  • Wenn Schimpfworte nur so durch die Luft sausen, können Sie jedem der beiden Stänkerer einen "Brülleimer" in die Hand drücken. Gut geeignet sind dazu zwei leere Putzeimer. Jedes Kind kann sich einen davon vors Gesicht halten und seine Schimpfworte hineinschreien. Wenn diese dann, schaurig-schön verzerrt, aus dem Eimer zurückschallen, klingen die Schmähungen oft recht komisch. Häufig finden die Streithähne das dann so lustig, dass der Streit unter gemeinsamem Gelächter schnell beigelegt wird.

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Ein hilfreiches Buch zum Thema Streit (geeignet ab drei Jahren) ist "Die kleinen Streithammel" mit Plüsch-Hammel von B. Spathelf und S. Szesny (Albarello 2002; 32 Seiten; 13,70 EUR). Das Buch nennt eine ganze Reihe im Alltag umsetzbarer Streitregeln, die sich gut zu Hause einführen lassen.