Kolumne 'Mamma Mia'

Geschlafen wird nicht: Kinderbetreuung auf Italienisch

Ein Familienleben ohne Oma ist aus italienischer Sicht kaum vorstellbar. Dass unsere Autorin Julia Rubin ohne diese Institution in Turin auskommen muss, beschert ihr manch mitleidigen Blick. Wie es ihr dennoch gelingt, ab und zu einen kinderfreien Abend zu verbringen, lesen Sie in dieser Folge.

Autor: Julia Rubin
Italienisches Familienleben Kinderbetreuung
Foto: © Julia Rubin

Mamma mia: ohne Oma in Bella Italia!

Wenn man – so wie wir – seine Sachen gepackt hat, um für ein paar Jahre im Ausland zu leben, dann merkt man ziemlich schnell, was man alles nicht im Koffer mitnehmen konnte. Und das fehlt dann eben. Bei uns ist es deutsches Brot, Mainzer Fleischwurst und: die Omas und Opas. In Deutschland wohnen die vier in nächster Nähe. Also nah genug, um die Kinder mal einen Nachmittag oder ein Wochenende zu sich zu nehmen. Nah genug, um mal eben Hühnerfrikassee oder Käsekuchen vorbeizubringen. So sehr wir den Oma-Opa-Luxus in Deutschland genossen haben, so sehr vermissen wir ihn hier in Italien. Aber ein Trost: wir werden hier bemitleidet. Sehr bemitleidet, vor allem, seitdem wir mit Leo zu fünft sind. Eine Familie mit drei kleinen Kindern und ohne Oma – ein aus italienischer Sicht untragbarer Zustand. Ein geseufztes „senza nonna,  mamma mia“ – gefolgt von der italienischen Kummerfalte zwischen Stirn und Augenbrauen. Die Oma (nonna) ist die Familienmanagerin. Sie bringt die Kleinen zum Kindergarten, knutscht sie, kocht, wäscht, knutscht sie wieder, näht kaputte Hosen, holt die Kinder ab, knutscht nochmal, ermahnt sie und: sie ist natürlich immer da, wenn die Eltern mal nicht auf die Kinder aufpassen können oder wollen. Ohne „nonna“ läuft es nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass sich daran in der letzten Zeit etwas ändert:

Notizzettel Samstag Zebra
Übersetzungshilfe: Samstag, 7. Mai von 20 bis 24 Uhr. Kinder-Unterhaltung im „Casa di Dada“ für Eure Kinder und ihre Freunde. Bitte an der Pinnwand unterschreiben, dass Ihr den Hinweis gesehen habt und ob Eure Kinder mitmachen. Danke
Foto: © Julia Rubin

Trotz der herausragenden Stellung der italienischen Oma scheint es immer mehr Familien zu geben, die ohne ihre Anwesenheit auskommen müssen (oder wollen?). Denn immer häufiger entdecke ich hier im Umkreis von Turin neue „Baby-Parking“, das sind Einrichtungen, in denen man sein Kind betreuen lassen kann, wie man es eben braucht: Betreuungszeiten von 8 bis 19 Uhr. Abgerechnet wird pro Stunde. Je mehr Betreuungsstunden man im Voraus bezahlt, desto billiger werden sie. Wer zum Zahnarzt muss, gibt sein Kind für eine Stunde dort ab, wer in Ruhe shoppen will, kann die Kleinen für zwei oder drei oder fünf Stunden dort betreuen lassen. Morgens eine Stunde, nachmittags zwei Stunden – alles möglich. Noch nie habe ich flexiblere Betreuungszeiten für Kinder gesehen. Die Eltern sind entspannt, die Kinder betreut und mehr Spaß als mit Mama im Zahnarzt-Wartezimmer zu sitzen macht es im „Baby-Parking“ allemal. Hier spielen, singen, tanzen, malen und lesen erfahrene Erzieherinnen und Erzieher so lange mit den Kindern, bis Mama und Papa wieder da sind. Und wenn die nicht kommen können, stehen Oma und Opa an der Kindergartentür.

Ruhige Abende für die Babysitterin

Omas und Opas haben wir hier also nicht, und die mitleidigen Blicke der Italiener bringen uns für einen kinderfreien Abend auch nicht viel. Deshalb haben wir uns auf die Suche nach einer Babysitterin gemacht – und sie gefunden: Michela, Italienerin, schätzungsweise Mitte Zwanzig. Sie kocht zwar nicht, und sie flickt auch keine durchgerutschten Jeans, aber sie liest unseren Kindern italienische Gute-Nacht-Geschichten vor, und Kinder abknutschen wie eine „nonna“ kann sie allemal. Und es hatte einige Erklärungen gebraucht, dass  „Vorlesen“ auch das Einzige ist, was sie am Abend mit unseren Kindern machen soll. An ihrem ersten Babysitter-Abend stand Michela um Punkt 19 Uhr vor der Tür, bepackt mit Taschen voller Spiele, Bücher, DVDs, … . Meine Gedanken wurden wirr: `Habe ich wieder mal etwas nicht richtig übersetzt? Sie aus Versehen als Au-pair für zwei Monate statt nur für einen Abend engagiert?` Mit einem Fragezeichen in meinem Gesicht sah ich sie an und … mit einem Fragezeichen in ihrem Gesicht schaute sie zurück: hinter mir standen nämlich unsere beiden großen Jungs im Schlafanzug. „Ma Julia, cosa fanno con il pyjama???“ Was sie mit dem Schlafanzug hier machen? Ja was wohl? Abends um kurz nach sieben? Schlafengehen! Und da wurde es deutlich: auch nach zwei Jahren in Italien sind wir immer noch sehr deutsch. Abendessen gibt es bei uns gegen halb sieben, danach Umziehen, Zähneputzen, Gute-Nacht-Geschichte lesen und um spätestens viertel vor acht sind die Jungs im Bett. Keine Spiele oder DVDs bis kurz vor Mitternacht. Bei uns zu Hause wird abends und nachts geschlafen. Es dauerte ein paar Minuten und einige Übersetzungs-Anläufe, bis ich das Gefühl hatte, dass Michela das wirklich verstanden hatte. Und ich glaube, sie war letztlich sogar froh, in einem deutschen Haushalt gelandet zu sein. Denn für sie sind Babysitter-Abende bei uns immer sehr entspannend: die Kinder schlafen und Michela kann in Ruhe Fernsehen schauen. DVDs und Spiele lässt sie nun zu Hause, Bücher bringt sie aber weiterhin mit. Denn keiner liest unseren Kindern so schön italienische Gute-Nacht-Geschichten vor wie sie…

Bis Mitternacht in den Kindergarten

Italienische Kinder lernen schon früh, bis tief in die Nacht durchzuhalten und wach zu bleiben, ohne zu meckern. Lange Abende gehören (vor allem mit Beginn der Sommerzeit) zum südländischen, italienischen Leben einfach dazu. Das gilt für die Eltern genauso wie für ihre Kinder. Und diese Einstellung wird auch in unserem italienischen Kindergarten gelebt: einmal im Monat gibt es hier samstags den Kinderabend. Dann schließt Erzieher Alo um kurz vor 20 Uhr den Kindergarten auf und spielt mit den Kindern und ihren Freunden bis um Mitternacht (solange dauert die Kinderbetreuung). Kinder, die bei diesem Samstagabend-Kindergarten-Programm dabei sein wollen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllen: sie müssen windelfrei sein, zu Abend gegessen haben, dürfen keine Schlafanzüge tragen und: sie müssen wach bleiben. Geschlafen wird nicht. Wer müde wird, kann sich in die Kuschelecke setzen, aber die Betten werden nicht aufgebaut. 20 Euro pro Kind kostet dieser Samstags-Abends-Betreuungsdienst und die Eltern (und Großeltern) der Kindergarten-Kinder trifft man an diesen Abenden in sämtlichen Restaurants im Umkreis von zehn Kilometern rund um den Kindergarten. Unsere Jungs werden diesen Kindergarten-Abend allerdings nie erleben. Denn spätestens um neun würden sie vor Müdigkeit zusammenbrechen. Und das wäre weder für den Erzieher noch für die anderen Kinder ein Vergnügen. Deutsche Kinder mit italienischer Kinderbetreuung  - diese zwei Welten passen irgendwie nicht zusammen.

Abends ins Restaurant und am nächsten morgen in die Schule? Kein Problem!

Natürlich gibt es bei uns in der Umgebung auch Eltern, die wie wir keine Omas in der Nähe haben und noch dazu keine Möglichkeit eines Kinderabends im Kindergarten. Aber auch diese Eltern wollen abends ausgehen. Eine einfache Lösung: dann kommen die Kinder einfach mit. Statt eines Babysitters, der zu Hause vorliest oder spielt, werden die Kids vor einen Teller Pasta gesetzt und harren im Restaurant aus, bis die Eltern das Fünf-Gang-Menü beendet haben. Müde Kinder legen den Kopf auf den Tisch und schlummern eine Runde – das habe ich tatsächlich schon öfter gesehen, und nicht nur am Wochenende.  Am nächsten Tag ist Schule oder Kindergarten? „Non c`è problema“ – kein Problem … da müssen die Kinder eben durch. Das italienische Leben spielt sich vor allem am Abend ab. Bei vielen Italienern ist das die gemeinsame Zeit in und mit der Familie. Und wenn der Papa lange arbeiten muss, dann geht er eben abends um zehn mit seinem zweijährigen Sohn auf den Spielplatz. (Dieser Papa war ein Mitarbeiter meines Mannes, und mein Mann fragt sich noch immer, wer am folgenden Tag müder war: Papa oder Sohn. Der Papa war auf jeden Fall ziemlich fertig). Ich muss sagen: ich bin froh, dass unsere Kinder in diesem Bereich noch nichts Italienisches an sich haben. Ihre Nacht und unser Feierabend beginnt um 19.30 Uhr. Dann genießen mein Mann und ich Zeit für uns und unsere Kinder ihren Schlaf im Bett. Wir haben hier zwar keine Oma, aber wenigstens jeden Abend unsere Ruhe. Wenn ich das unseren italienischen Freunden erzähle, dann ist genau das der Moment, in dem sie uns nicht mehr um die fehlende Oma bemitleiden, sondern um unsere schlafenden Kinder beneiden. Abends um halb acht ins Bett gehende Kinder schlagen hier in Italien dann doch jede Oma-Unterstützung.

Wir genießen also ab und an einen kinderfreien Babysitter-Abend außerhalb unseres Hauses, fast jeden Abend kinderfreie Ruhe zu Hause und freuen uns einfach drauf, wenn wir wieder in Deutschland sind. Dann können unsere Kinder auch mal wieder spontan ein Wochenende lang bei den Großeltern Urlaub machen. Das macht Großeltern und Enkel glücklich und noch dazu sind die kaputten Hosen unserer Jungs  danach auch wieder repariert …