Unzufrieden statt glücklich

Warum viele Eltern nur ein Kind bekommen

Vater, Mutter, zwei Kinder: So sieht unsere Idealfamilie aus. Trotzdem bleiben etliche Eltern bei „nur“ einem Kind. Einen Grund zeigt eine neue Studie: Nach der Geburt ihres ersten Kindes fühlen sich viele Eltern unglücklicher als zuvor. Das macht keine Lust auf weitere Kinder.

Autor: Kathrin Wittwer

Elternsein macht viele erst mal unglücklich

Foto: © iStock, ArtMarie

Die Debatte um „ Regretting Motherhood" hat sich gerade wieder beruhigt, da zweifelt eine weitere Studie* daran, dass es Eltern immer glücklich macht, Kinder zu haben: Ganz im Gegenteil sind die meisten Eltern nach der Geburt ihres ersten Kindes zunächst deutlich weniger glücklich als davor, stellte das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock fest. Mehr als ein Drittel der Eltern ist sogar unglücklicher als wenn der Partner gestorben wäre. Und: Je unglücklicher die Eltern in dieser Zeit sind, desto seltener bekommen sie weitere Kinder.

Geldsorgen, Paarprobleme, Freiheitsverluste: Das macht Eltern unzufrieden

Die Studie hat zwar nicht erhoben, was genau die Eltern unglücklich macht. Aber man weiß bereits, „dass viele Aspekte zum Glückverlust beitragen, die sich nicht voneinander trennen lassen", so Prof. Mikko Myrskylä, Direktor des MPIDR und einer der Studienleiter. „Frühere Untersuchungen heben Faktoren wie Schlafmangel, eine schlechter werdende Paarbeziehung und Geldsorgen hervor." In der Tat stehen eine gute Partnerschaft und finanzielle Sicherheit ganz oben auf der Liste unserer Anforderungen an ein gutes Leben, und gerade diese Punkte leiden häufig nach einer Geburt. Fehlende Unterstützung aus der Familie, das Gefühl, jegliche Freiheiten verloren zu haben und das leidige Thema der Vereinbarkeit können Eltern ebenfalls sehr belasten, wie auch eine schwierige Schwangerschaft und Geburt. „Das tue ich mir definitiv kein zweites Mal an", schreibt eine Mutter im urbia-Forum, die dies erlebt hat. „Ich traure dem auch nicht nach. Mein eines Kind fordert mich täglich mehr als genug und auch so empfinde ich die Einschränkungen, die man hat, als groß genug."

Alltag mit Kind: So habe ich mir das nicht vorgestellt

Nicht die Kinder selbst sind also das Problem, sondern die Veränderungen, die eine Familiengründung mit sich bringt. „Das weiß man doch vorher, warum tut man sich das dann an, wenn man es nicht packt?" schütteln andere Mamas den Kopf. Nur: Man weiß es eben nicht (alles) vorher. Veränderungen können überraschend kommen, unerwartet heftig ausfallen oder man kann sie schlicht unterschätzen. „Ich war mir vor der Schwangerschaft und Geburt meines Huschels auch sicher, später mal 2 Kids zu haben. Seit mein Kind auf der Welt ist, weiß ich: kein zweites mehr. So ein anstrengendes Kind hab ich mir im Leben nicht vorgestellt ... so oft wie ich schon an meine Grenzen gekommen bin ... das will ich kein zweites Mal erleben", beschreibt es eine zweite Mutter, und eine dritte gibt zu: „Ich habe Angst wie ich das mit zweien managen sollte. Die letzte Geburt, Stillzeit, Schreimonate, Zähne kriegen, Trotzphase ist / war der Horror." Was ein Alltag mit Kind wirklich bedeutet, lässt sich eben erst so richtig mit Herz und Kopf begreifen, wenn man es selbst live erlebt: die überwältigende Liebe, die beängstigende Verantwortung, die großen Glücksmomente, die täglichen Kraftakte. „Früher wollte ich immer 2 Kinder. Aber das Leben lehrt einen, dass es ne Menge Arbeit und Verantwortung bedeutet so einen Wirbelwind groß zuziehen", stellt eine vierte Mutter fest.

Glück und Lebenssinn: zwei Paar Schuhe

Eltern schätzen ihr eigenes Leben trotzdem oft positiver ein als das von Kinderlosen – widerspricht sich das nicht? Nein: Abgesehen davon, dass neben all den Sorgen und dem Stress gleichzeitig auch mehr Freude in ihrem Leben herrscht, finden Eltern einen Lebenssinn darin, Kinder großzuziehen. Die Kinder bereichern sie also durchaus.

Das ist aber nicht automatisch dasselbe wie glücklich sein und bedeutet weder, dass Eltern sich jeden Tag von früh bis spät pudelwohl mit ihren Kindern fühlen, noch dass alle Eltern mehrere Kinder brauchen. „Nichts gibt meinem Leben mehr Sinn als mein Kind, schon allein weil es mich ständig spiegelt und wir uns permanent aneinander reiben", bestätigt eine Mutter. „Aber genau deshalb fordert und erschöpft mich auch nichts mehr als das Muttersein. Ich wüsste gar nicht, woher ich die Kraft nehmen sollte, mich noch um andere Kinder zu kümmern."

Perfektionismus: Gift für den Kinderwunsch

Nicht selten schwingen in Sätzen wie diesen Scham- und Schuldgefühle mit, solche vermeintlichen Unzulänglichkeiten zugeben zu müssen – andere schaffen das doch auch! Und da kommt eine weitere Hürde fürs Elternglück ins Spiel, die sich die Deutschen stellen: Bei uns herrscht ein wahnsinnig ambitioniertes Eltern- und Mütterideal, hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) im Frühjahr 2015 festgestellt. Das beginnt schon mit der Kinderplanung, für die beste Voraussetzungen gegeben sein müssen, allen voran eine stabile Beziehung und sichere Jobs. Sind die Kinder da, wollen Eltern total engagiert sein, verantwortungsbewusst, hingebungsvoll, sehen sich in der Pflicht, sich für ihre Kinder aufzuopfern und ihre eigenen Bedürfnisse unterzuordnen. Dieser absolute Perfektionismus baut hohen Druck auf. Und Angst, dem nicht gerecht werden zu können. Das ist Gift für den Kinderwunsch: Die einen bekommen deshalb gleich gar kein Kind. Die anderen eben „nur" eins, weil die Ansprüche am Alltag scheitern. Das hilft kaum, glücklich zu sein – zumal die allermeisten Deutschen zwei Kinder pro Familie ideal fänden. Aktuell haben bei uns etwa 30 Prozent aller Mütter ein Kind, 50 Prozent zwei Kinder.

Finanzielle Entlastung, weniger Ansprüche: Wie werden Eltern glücklicher?

Was fehlt also, um zufriedener zu werden? Was hilft, die Familiengründung, das Elternwerden nicht als so große Belastung zu erleben und sich die oft gewünschten mehreren Kinder auch zuzutrauen? Immerhin, berechneten die Rostocker Forscher, könnten wir bis zu 14 Prozent mehr Familien haben, die mindestens zwei Kinder bekommen, gäbe es nur diesen Glückseinbruch nach der ersten Geburt nicht, der von weiteren Kindern abhält.

Weil finanzielle und berufliche Probleme – vor allem bei Frauen – die größten Sorgen machen und Kinderwünsche schrumpfen lassen, schlussfolgert Prof. Dr. Norbert F. Schneider, Direktor des BiB, es sei Aufgabe der Politik, die „ Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie zu erleichtern, den finanziellen Spielraum durch alternative Steuermodelle zu erweitern oder alle Lebensformen, in denen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, rechtlich gleichzustellen."

Auch in Sachen Ansprüche muss viel passieren: Erwartungen runterschrauben, realistischer sein, keinen unerreichbaren Idealmodellen nachjagen. „Politische Maßnahmen, die auf die Familie abzielen, sollen u. a. den Druck auf Eltern reduzieren helfen und die Lebensqualität von Menschen verbessern, um sie bei der Verwirklichung ihrer Lebensplanung unterstützen", so Prof. Schneider.

Privatsache Kinderzahl

Klar ist dabei: Wie viele Kinder man bekommen möchte, ist stets eine private Entscheidung, und Appelle, zu einem funktionieren Rentensystem beizutragen, sind kontraproduktiv. Es gilt zu respektieren, dass jeder sein Leben so lebt, wie es für ihn richtig ist. Für manche Eltern ist eine halbe Fußballmannschaft die Erfüllung und kein Problem. Für andere ist es eben ein einziges Kind, das ausreichend Heraus- und Anforderungen stellt. Am Ende geht das schlicht niemanden etwas an außer die Eltern.

Elternglück & Kinderzahl: Was die Forscher herausgefunden haben

Die Studie untersuchte, wie sich elterliche Zufriedenheit nach der Geburt des ersten Kindes darauf auswirkt, ob die Familie noch weiter wächst. Dafür wurden Daten aus dem „Sozio-oekonomischen Panel" ausgewertet. Diese Langzeiterhebung fragt jedes Jahr etwa 20.000 Deutsche u.a. danach, wie sie selbst ihre Lebenszufriedenheit einschätzen. Die Wissenschaftler um Mikko Myrskylä haben die Eltern also nicht direkt gefragt, wie es ihnen mit ihren Kindern geht, sondern geschaut, wie zufrieden sie nach eigenen Angaben über die Jahre waren und geschaut, welche Ereignisse in dieser Zeit in ihrem Leben auftraten. Dabei hat sich gezeigt, was viele Eltern sonst wohl kaum so offen sagen würden: dass sie nach der Geburt des ersten Kindes einen Glückeinsturz erlebten, und dass (vor allem ältere und gebildetere) Eltern, bei denen diese Einbußen sehr deutlich waren, öfter bei ihrem Einzelkind blieben.

Aus einer früheren Studie über Elternglück vor und nach der Geburt weiß Mikko Myrskylä auch, dass:

  • Kinder Eltern durchaus glücklicher machen können – aber eben nicht jeden, und wenn, dann in der Regel nur für eine gewisse Zeit rund um die Geburt. „In den meisten Fällen steigt die Zufriedenheit in den Jahren um die Geburt im Vergleich zu fünf Jahre davor an und geht einige Jahre später fast wieder auf das Ausgangsniveau zurück", bilanziert der Demograf.
  • ein bis zwei Kinder trotz anfänglicher Schwierigkeiten meist ein Pluspunkt für elterliches Glück sind. Mit dem dritten Kind kippt es wieder in die Unzufriedenheit: „Eltern mit drei Kindern sind im Durchschnitt langfristig unzufriedener als noch fünf Jahre vor der Elternschaft. Vielleicht, weil die Begeisterung über das Novum, Kinder zu haben, abflaut, vielleicht weil ein höherer Anteil der dritten Kinder nicht geplant war, vielleicht weil drei Kinder viel mehr Arbeit machen als zwei", nennt Mikko Myrskylä mögliche Gründe.
  • „Glücks- und Unglückseffekte bei Müttern sind größer als bei Vätern weil sie Schwangerschaft und Geburt natürlich ganz anders erleben als die Männer, und weil meist die Frauen eine höhere Verantwortung für die Kinder übernehmen", so Prof. Myrskylä. „Da sind positive wie negative Effekte größer."
  • vor allem Männer finanzielle Sicherheit brauchen, um Kinder als Glück zu empfinden. • gerade jüngere Eltern mit Glückseinbußen zu kämpfen haben.
  • eine Ehe, ein höheres Lebensalter der Mutter bei der ersten Geburt und eine sichere Jobsituation vielversprechende Voraussetzungen dafür sind, um als Eltern glücklicher zu sein – auch längerfristig.