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Jedes fünfte Kind betroffen

Hilfe! Mein Kind ist zu dick

Übergewicht ist nicht nur ein Grund für Hänselei, sondern dicke Kinder sind auch gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. In diesem Artikel geht es um die Frage, wie Sie Ihrem Kind das Abnehmen erleichtern.

Autor: Gabriele Möller

Jedes fünfte Kind hat zuviel auf den Rippen

Kind Uebergewicht Donut
Foto: © iStockphoto.com/ LisaValder

Sie keuchen schon nach zehn Treppenstufen, sie gehen schleppend, wo andere rennen, sie müssen sich fast täglich gemeine Kommentare anhören ("Boah, ist die fett!") und sind oft die Außenseiter der Klasse: übergewichtige Kinder. Und als ob dies alles nicht schon genug wäre, leben sie auch noch ausgesprochen risikoreich. Sie sind von schweren und zum Teil sogar lebensgefährlichen Folgeerkrankungen bedroht: Von Bluthochdruck und Diabetes mellitus (Zucker) über kaputte Gelenke, Fettleber, erhöhtes Krebsrisiko, ja sogar bis hin zu Herzinfarkt oder Schlaganfall reicht die traurige Palette der Krankheiten, die so gar nicht ins Bild der unbeschwerten Kindheit passen will.

Dicksein ist also nicht nur ein Schönheitsfehler. Auch und erst recht nicht bei Kindern. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist bereits zu dick, in den USA ist es sogar schon jedes vierte. Und noch einen Aspekt hat das Risiko Dicksein: Jährlich verursachen die Folgeerkrankungen der Adipositas, wie das starke Übergewicht im medizinischen Fachjargon heißt, in Deutschland Kosten von über 20 Milliarden Euro.

Babyspeck: oft gar nicht niedlich

Schon der süße Babyspeck, der bei den lieben Anverwandten gern für spitze Schreie des Entzückens sorgt, ist in manchen Fällen bereits alles andere als niedlich: nämlich der Grundstein oder sogar erstes Anzeichen für Übergewicht. "Bei vielen Kleinkindern scheint die Devise der Eltern ‚Flasche statt Zuwendung’ zu heißen", so die Hamburger Ärztin Dr. Christiane Petersen. Statt Liebe und Zeit zu investieren, stecken die gehetzten Eltern dem quengelnden Nachwuchs also lieber Essen oder Süßes in den Mund.

Was im Babyalter beginnt, verschlimmert sich im Kindergarten oft noch: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat festgestellt, dass auffallend viele Kinder bereits im Vorschulalter Defizite bei Ausdauer, Körperkraft und in der Koordinationsfähigkeit aufweisen. Zunehmend werden Haltungsschwächen festgestellt. Häufige Ursache: Übergewicht. Die BZgA hofft, durch eine bessere Information der Erzieherinnen eine Erziehung schon der ganz Kleinen zu richtigerem Ess- und Freizeitverhalten fördern zu können.

Die höchste Übergewichtsrate stellt die Schulärztin Dr. Petersen jedoch bei jungen Mädchen fest: "Besonders Ausländerinnen um das 14. Lebensjahr sind auffallend stark betroffen", so die Beobachtung der Medizinerin. Der Grund: "Sie müssen oft gleich in zwei Kulturen zurechtkommen: Zu Hause heißt es Tradition und Zurückhaltung, auf dem Schulklo wird dann heimlich der Mini angezogen und der Lidschatten aufgelegt." Doch auch Mädchen, die nicht in dieser besonderen Situation leben, straucheln zunächst oft an den seelischen Hürden, die die Pubertät mit sich bringt.

Ist unser Kind schon zu dick?

Wer sich nun nicht ganz sicher ist, ob das eigene Kind doch schon arg pummelig ist, oder vielleicht noch im Normbereich liegt, sollte sich an den Kinderarzt wenden. Er kann eine sogenannte Perzentilkurve erstellen, mit der man aus Geschlecht, Größe, Alter und Gewicht des Kindes errechnen kann, ob es bereits übergewichtig ist oder nicht. Jugendliche und junge Erwachsene können als Anhaltspunkt bereits den BMI (Body Mass Index) selbst ausrechnen. Der Wert dieses von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Richtlinie empfohlenen Index sollte über 18,5 und unter 25 liegen. Doch was kann man tun, wenn der eigene Nachwuchs bereits zu viele Pfunde auf die Waage bringt? Und was kann das Kind in seinem Alltag selbst tun, um schlanker zu werden bzw. zu wachsen, ohne weiter zuzunehmen?

Ab wann ist ein Kind zu dick?

"Dann iss halt weniger"

"Dann iss halt weniger und beweg’ Dich mehr". Diesen lapidaren Ratschlag bekommen dicke Kinder oft zu hören. Doch so einfach ist das nicht. Eingefahrene Gewohnheiten ändert man nicht von heute auf morgen. Wie auch die Schlanken ja eigentlich wissen müssten. "Oft ist es zudem seelischer Kummer, der zu Übergewicht führt", so Schulärztin Dr. Christiane Petersen, die in Hamburg ein Programm gegen Übergewicht bei Kindern mit dem frechen Namen Moby Dick ins Leben gerufen hat. Bei den psychischen Ursachen kommen ein Mangel an Liebe oder gar Gewalterfahrungen ebenso in Frage, wie Trennungserlebnisse oder andere Belastungen.

Doch manchmal sind es auch ganz simple Gründe, wenn sich die Pfunde vermehren wie die sprichwörtlichen Karnickel: falsche Essgewohnheiten im Elternhaus, träges Dauerhängen vor Glotze oder Computer sowie die genetische Veranlagung - wobei auch letztere durch eine gesunde Lebensweise ausgetrickst werden kann. Häufig ist das Übergewicht jedoch die Folge einer Kombination aus all diesen Faktoren, so dass man nicht eine Ursache allein dingfest machen kann.

Prima Tipps für dicke Kids

Wird nichts unternommen, schleppen die meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen (80 Prozent), ihr Übergewicht mit ins Erwachsenenalter. Handeln tut also Not. Ist das Übergewicht noch nicht extrem, kann der Haus- oder Kinderarzt Tipps geben, wie man den Pfunden beikommen kann, bzw. wo man sich fachkundige Hilfe besorgen kann. Oft helfen schon einige grundsätzliche Veränderungen bei den Essgewohnheiten, um zwar langsam, aber dauerhaft Abhilfe zu schaffen:

  • Lieber fünf kleine als drei große Mahlzeiten essen
  • Dem Kind Süßigkeiten nicht ganz verbieten, aber nur eine Süßigkeit pro Tag gestatten
  • Bei Wut oder Traurigkeit gemeinsam andere Möglichkeiten zum Abreagieren suchen, als das Essen (z.B. etwas Schönes machen).
  • Dem Kind nur kleine Portionen auf den Teller legen
  • Bremsen sie ihr Kind, wenn es raubtiergleich zu schlingen pflegt. Gründliches Kauen ist zwar zunächst mühsam und langweilig, wird aber mit der Zeit selbstverständlich. Das Kind merkt so besser, wenn es satt ist.
  • Zwischendurch (Erzähl-) Pausen beim Essen machen, auch so hat der Körper mehr Zeit, das Signal "Ich bin satt"“ zu geben.
  • Nach 19 Uhr abends sollte nichts mehr gegessen werden (auch nicht die üblichen Knabbereien vor der Glotze, hier ist auch die Selbstdisziplin der Eltern-Vorbilder gefragt).
  • Generell sollte nur am Familientisch gegessen werden, und das möglichst gemeinsam und vor allem in Ruhe. Essen zwischen Tür und Angel, im Kinderzimmer, vor dem Fernseher oder gleich aus dem Kühlschrank sollte tabu sein.
  • Ohne Bewegung geht’s nicht: Ob nun Radeln, Reiten oder Schwimmen – Sport frisst Kalorien und macht fit.
  • Gegen die Fernsehsucht der Kids hilft: Nur eine – vorher vereinbarte – Sendung am Tag anschauen, Zeit an Tablet oder Computer PC auf eine Stunde begrenzen.

Wichtig ist, dass das Kind von diesen Maßnahmen überzeugt ist und wirklich mitmachen will, denn mit Zwang statt Motivation erreicht man – genau wie in anderen Erziehungsbereichen - wenig.

Aufbruch in ein neues Leben

Ist der Nachwuchs jedoch schon schwer übergewichtig, braucht man professionelle Hilfe und sollte sich nicht scheuen, sie auch in Anspruch zu nehmen. Bewährt haben sich Langzeitmaßnahmen, wie sie das Adipositas Rehazentrum "insula" in der Klinik Bischofswiesen für Jugendliche und Erwachsene anbietet. Die stationäre Langzeittherapie geht über sechs bis neun Monate. Neben der rein medizinischen Betreuung wird auch psychotherapeutisch sowie in den Bereichen Ernährung, Sport und Erlebnispädagogik gearbeitet. Daneben gibt es Rat (und gemeinsame Treffen) für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt, damit das Erreichte bleibt und der eingeschlagene Weg fortgeführt wird. Eine stationäre Langzeittherapie heißt auch: Man muss bereit sein, Zeit und Geduld zu investieren. Denn der Schritt in ein neues, schlankeres Leben ist nicht von heute auf morgen getan. Doch eine gesunde, aktive und fröhlichere Zukunft des Kindes sollte dies wert sein.

Zur Nachahmung empfohlen ist auch das Projekt Moby Dick, das alltagsbegleitend funktioniert und keinen stationären Aufenthalt erforderlich macht. Es wird bisher jedoch nur im Raum Hamburg und Travemünde angeboten.

Infos

  • Informationen und Links zu kindlichem Übergewicht sowie nähere Details zu der oben aufgezeigten Berechnung des Normal- oder Übergewichts gibt es auf der Internetsite www.insula.de
  • Weitere Infos bei der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, sowie dem Adipositas Netzwerk
  • Informationen zu Dr. Christiane Petersens Langzeitprojekt "Moby Dick"
  • Die Langzeittherapie für stark übergewichtige Jugendliche wird angeboten im Adipositas Rehazentrum Insula, 83489 Bischofswiesen / Strub. Telefon: 0 86 52 / 59-522 oder 0 86 52 / 59-561, Fax: 0 86 52 / 59-225,
  • Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) stellt zur Unterstützung der ErzieherInnen in Kindergärten Arbeitsmaterialien und Broschüren zu wichtigen Themen der Gesundheitsförderung zur Verfügung (z.B. zu Bewegung oder Ernährung). Es gibt zudem eine kommentierte Literaturübersicht mit dem Titel "Bewegungsförderung im Kindergarten". Zu beziehen unter: BZgA: Band1: Bewegung im Kindergarten.