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Experten-Interview

Kinder sollen trinken, bevor sie durstig sind

Kinder dazu zu bewegen, genug und auch noch das Richtige zu trinken, ist manchmal gar nicht so leicht. Wir fragten eine Ernährungs-Expertin zur richtigen Trinkerziehung.

Autor: Petra Fleckenstein

Wenn Kinder zu wenig trinken, drohen Kopfschmerzen und Konzentrationstiefs

Maedchen trinkt Becher
Foto: © Panthermedia.net, Ingram Vitantonio Cicorella

Kinder daran zu gewöhnen, ausreichend und das Richtige zu trinken, stellt für Eltern eine nicht immer ganz leichte Aufgabe dar. urbia fragte Diplom-Oecotrophologin Alexandra Renkawitz vom Deutschen Grünen Kreuz (DGK), was Eltern dabei beachten sollten und wie die optimale Trinkerziehung aussehen kann.

Sie sagen, Kinder trinken erst, wenn sie durstig sind und das sei im Grunde bereits zu spät. Kann man sich denn nicht auf die Signale des Körpers, also einfach auf das Durstgefühl verlassen?

Alexandra Renkawitz: Kinder und Senioren haben oft kein verlässliches Durstempfinden. Und bei Erwachsenen tritt der Durst oft erst dann ein, wenn dem Körper bereits Wasser fehlt. Deshalb müssen wir das regelmäßige Trinken lernen, also zu trinken bevor wir Durst spüren.

An welchen Symptomen kann man denn erkennen, dass ein Kind nicht genug trinkt?

Renkawitz: Das lässt sich nicht an einem einzigen Symptom festmachen. Das Kind ist möglicherweise unkonzentriert, klagt über Kopfschmerzen oder fühlt sich müde.

Welche Folgen genau hat zu sparsames Trinken?

Renkawitz: Wird zu wenig getrunken, leidet der gesamte Organismus. Für den Blutkreislauf bedeutet das zum Beispiel, dass der Puls steigt und das Herzminutenvolumen abnimmt. Konkret: Die Gefäße verengen sich, die Blutmenge ist verringert, das Blut eingedickt. So benötigt das Herz deutlich mehr Kraft, um die viskose Masse durch die Adern zu pumpen. Die Nährstoffversorgung von Muskulatur und Gehirn ist herabgesetzt.

Wie sieht in Ihren Augen die optimale Trinkerziehung aus?

Renkawitz: Eltern sollten ihre Kinder immer wieder zum Trinken auffordern und selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Nur so lernt das Kind von klein an regelmäßiges Trinken. Zudem sollte bei den gereichten Getränken von vornherein auf die Geschmacksqualität „süß“ verzichtet werden. Saftschorlen oder Erfrischungsgetränke stellen eine Ausnahme dar, nicht die Regel. Wichtig ist, kontinuierlich Getränke anzubieten: zu jeder Mahlzeit, unterwegs und beim Sport. Wird in der Schule oder dem Kindergarten nichts angeboten, muss dem Kind eine Trinkflasche mitgegeben werden.

Wie oft und wie viel sollten Kinder im Baby und Kleinkindalter/ im Kindergarten und im Schulalter denn trinken?

Renkawitz: Optimal wäre alle halbe Stunde bis Stunde ein paar Schlucke - das entspricht bei einem Kleinkind ungefähr 0,1 Litern. Das ist aber nicht immer praktikabel. Wichtig ist: Regelmäßig kleine Mengen sind besser als selten große Mengen. Der Bedarf hängt natürlich auch von äußeren Faktoren, wie Witterung, Klima oder körperlicher Belastung, ab. Babys benötigen in der Stillzeit nur bei sommerlicher Hitze oder Fieber zusätzliche Flüssigkeit. Kleinkinder sollten im Mittel 1,3 Liter pro Tag aufnehmen, Grundschulkinder bis 1,8 Liter. Diese Menge muss nicht komplett getrunken werden, denn auch in der Nahrung ist Wasser enthalten. Pflanzliche Nahrungsmittel wie Gurken oder Himbeeren enthalten sehr viel Wasser, eiweißreiche tierische Kost dagegen kaum.

Wann ist Trinken sinnvoll? Vor, zu, nach oder zwischen den Mahlzeiten?

Renkawitz:Zu den Mahlzeiten und zwischendurch. Es gibt nur wenige Speisen, zu denen nicht getrunken werden sollte. So etwa ungewaschene Kirschen oder Pflaumen frisch vom Baum. Diese Früchte sind mit Hefen besiedelt, die von der konzentrierten Magensäure unschädlich gemacht werden müssen. Andernfalls drohen Bauchschmerzen. Nach dem Essen vergisst man oft zu trinken oder es ist kein Platz mehr im Magen. Besser ist, bereits vor dem Essen zu trinken, so stellt sich das Sättigungsgefühl schneller ein.

In vorbildlichen Klassen stehen Mineralwasserflaschen und Trinkbecher

In Schulen und Kindergärten ist es Kindern meist nicht erlaubt, jederzeit zu trinken. Lehrer begründen dies mit der damit verbundenen Unruhe. Was müsste sich hier Ihrer Meinung nach ändern?

Renkawitz: Während des Unterrichts befürchten viele Lehrer neben der gesteigerten Unruhe oft Spritzer auf Lehrmaterialien, Boden oder Mobiliar. Zuckerhaltige Getränke hinterlassen dabei klebrige Flecken. Doch langsam bemerke ich ein Umdenken. Es gibt vorbildliche Klassen, in denen immer Mineralwasserflaschen und Becher bereit stehen. Die Kinder können sich zumindest in den Pausen bedienen. Tun sie es nicht, werden sie sogar erinnert.

Als geeignetes Getränk plädieren Sie für natürliches Mineralwasser ohne Kohlensäure. Warum ohne Kohlensäure?

Renkawitz: Es gibt nur wenige Mineralwasser, die natürliche Kohlensäure enthalten. Die meisten Sprudelwasser werden im Nachhinein mit Kohlensäure versetzt. Das ist unnötig, die Säure greift die Zähne an, das Gas führt zum Aufstoßen und man kann weniger davon trinken.

Es heißt immer wieder, in stillem Wasser vermehrten sich Keime oder Bakterien schneller. Wie lange darf man offenes, stilles Wasser aufbewahren?

Renkawitz: Wer sein Mineralwasser aus Gläsern trinkt, kann sich ganz in Ruhe zwei bis drei Tage Zeit lassen, die angebrochene Flasche aufzubrauchen. Wer hingegen direkt aus der Flasche trinkt, sollte sie möglichst binnen 24 Stunden leeren.

Was halten Sie von Leitungswasser? Und was spricht gegen Tees oder Säfte bzw. Saftschorlen?

Renkawitz: Bei uns zu Hause bekommen die Kinder tagsüber Mineralwasser, ein Glas Apfelschorle ist auch drin, zum gemeinsamen Abendbrot gibt es meist Tee. Die Hygiene von Leitungswasser ist hier zu Lande streng kontrolliert, aber es hat auf dem langen Weg zum Wasserhahn von seiner Natürlichkeit viel verloren und ist als Getränk nicht sonderlich beliebt. Früchtetees enthalten viel Säure und greifen die Zähne an. Teesorten die nicht aus biologischer Erzeugung stammen, sind zudem oft aromatisiert – ein Unding für Babys und Kleinkinder.

Wie geeignet ist Milch als Getränk?

Renkawitz: Milch ist kein Getränk, sondern ein energie- und nährstoffreiches Lebensmittel. Als Durstlöscher ist es daher wenig geeignet. Zum Start in den Tag ist Milch aber optimal, insbesondere für Kinder, die das Haus ohne feste Kost im Bauch verlassen – entweder, weil sie nicht frühstücken können oder sich auf das gemeinsame Frühstück im Kindergarten freuen.

Eltern äußern immer wieder, dass ihr (Klein-)Kind partout nichts trinken wolle und das Trinken völlig verweigere. Sie greifen daraufhin zu gesüßten Gertränken, damit ihr Kind überhaupt etwas trinkt. Ist dies in Ihren Augen sinnvoll?

Renkawitz: Nein. Das lässt sich konditionieren, wenn auch ein Paar Stunden oder Tage die Nerven der Eltern strapaziert werden.

Noch ein Wort zur Vorbildfunktion der Eltern?

Renkawitz: Kinder ahmen ihre Eltern nach und lernen so sinnvolles oder unsinniges Verhalten. Steht zu Hause immer eine Flasche Mineralwasser parat und wird davon regelmäßig getrunken, gewöhnen sich auch die Kinder daran. Sehen die Kinder aber, dass Cola oder Limonade getrunken werden, weckt dies ihr Verlangen.

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