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Hingehen oder zu Hause lassen?

Mein Kind geht nicht gern in den Kindergarten

Die Eingewöhnung hat eigentlich gut geklappt, aber plötzlich will Ihr Kind nicht mehr in den Kindergarten. Es gibt Tränen oder Diskussionen. Woran kann das liegen? Sollten Eltern nachgeben oder den Besuch trotzdem durchsetzen?

Autor: Gabriele Möller

"Ich will da nicht mehr hin!"

Kind traurig Kindergarten
Foto: © iStockphoto.com/ skynesher

"Ich will da nicht hin! Die schimpfen immer mit mir!", erklärte der vierjährige Mika neuerdings fast jeden Morgen. "Mika bezeichnet es aber auch als 'schimpfen', wenn man ihn nur auffordert, seine Jacke wegzuräumen. Deshalb dachte ich zuerst, dies sei einfach eine Phase, oder er wolle mal austesten, was passiert, wenn er nicht gehen will", berichtet seine Mutter Marina. "Doch es hörte nicht auf. Ich dachte jeden Morgen, 'oh nein, jetzt will er schon wieder nicht hin!', das war sehr belastend." Es ist gar nicht selten, dass Kinder, die eigentlich gut im Kiga eingewöhnt sind, auf einmal nicht mehr dort hingehen möchten. Der Grund ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, weshalb Eltern etwas Ursachenforschung betreiben sollten.

Mein Kind will nicht in die Kita und weint, was kann ich tun?

Antwort gibt der bekannte Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge hier:

Ungünstiger Altersmix in der Gruppe

Manchmal liegt es an einer ungünstigen Alters- oder Geschlechterverteilung innerhalb der Kindergartengruppe. "Mika wechselte vor einiger Zeit zu den ab Vierjährigen. Dort gibt es aber eine starke Gruppe von Vorschuljungen, die älter sind als er und oft den ganzen Vormittag in der Bauecke herum sitzen. Nach einiger Zeit wurde Mika unzufrieden: Er fegte öfters die Sachen der anderen weg, wurde auf den 'stillen Stuhl' gesetzt, bekam das Image eines Rabauken", berichtet Marina. Im Gespräch mit den Erzieherinnen kristallisierte sich heraus: Mika versteckte sich noch oft hinter der Rolle des 'klein Seins'. "Es half ihm dann, dass er zum Beispiel beim  Basteln mehr gelobt und dabei auch mehr unterstützt wurde." Auch Erzieherin Heike Boden aus Karlsruhe betont: "Eltern sollten auf jeden Fall das Gespräch mit den Erzieherinnen suchen und hören, was sie im Gruppenablauf beobachtet haben. Sie können auch darum bitten, einmal dableiben und zu hospitieren zu dürfen, um einen eigenen Eindruck zu bekommen." 

Schwierige Chemie zwischen Kind und Erzieherin 

Manchmal aber liegt es auch an der Beziehung zur Erzieherin, wenn ein Kind sich nicht wohlfühlt. "Mein Sohn Maximilian war so ein Kind, das nie gern in den Kiga gegangen ist. Die Gruppenleiterin war oft monatelang krank, und die andere Erzieherin war unheimlich streng und altbacken, hatte so eine ganz herrische Art", erinnert sich eine Mutter. Wenn auch Gespräche hier keine Veränderung bewirken, kann man versuchen, mit der Leiterin einen Wechsel in eine andere Gruppe zu vereinbaren.

Zoff führt leicht zum Kiga-Streik

Manchmal ist ein Kind auch unglücklich, weil die beste Freundin oder der beste Kumpel sich mehr an ein anderes Kind oder eine andere Clique anschließt. "Das ausgegrenzte Kind ist dann traurig und hat oft keine Lust mehr auf Kiga", so Erzieherin Heike Boden. Eher ungünstig sei es hier, wenn die Eltern aus dem Hintergrund versuchten, die Freundschaften zu beeinflussen, was das Problem oft noch verstärke. Man kann aber neue Freundschaften fördern, also beiläufig herausfinden, welche Kinder der Nachwuchs noch sympathisch findet, um Verabredungen zum Spielen zu arrangieren. Wer nachmittags zu zweit gespielt hat, geht auch am nächsten Tag im Kiga problemlos aufeinander zu.

"Unser Sohn (3,5) will seit neuestem nicht mehr in den Kindergarten. Er meint, die Kinder seien gemein zu ihm. Von der Erzieherin haben wir erfahren, dass auch er die Anderen ärgert, weshalb er dann gerügt wird", berichtet eine Forumsuserin. Zoff unter Kindern schaukelt sich manchmal so auf, dass ein Kind streikt. Hier sollten Eltern die Erzieherinnen auf das Problem aufmerksam machen und zugleich fragen, was diese tun werden, um mehr Frieden in die Gruppe zu bringen. Nach einiger Zeit können die Eltern mit den Erzieherinnen Bilanz ziehen, ob sich die Stimmung gebessert hat.

Zu Hause tut sich was - und ich bin nicht dabei!

Es gibt aber auch Kinder, die nicht ungern in den Kindergarten gehen - sondern ungern von zu Hause weggehen. "Wir sind gerade mitten im  Umzugsstress, und unser Sohn (4) möchte plötzlich nicht mehr in den Kindergarten. Er sagt, es ist schöner, mit Papa oder mir zu spielen als mit den Kindern dort", seufzt eine Mutter. Ihr Vierjähriger spürt, dass sich zu Hause spannende Dinge tun. Eine Lösung kann es sein, wenn der Nachwuchs nachmittags den Eltern beim Einpacken oder bei Renovierungsarbeiten zur Hand gehen darf. So fühlt er sich an der großen Veränderung aktiv beteiligt.

Auch nach Ankunft eines neuen Geschwisterchens möchten manche Kinder nicht mehr in die Kita gehen. "Das ist sozusagen der Klassiker. Zuerst fühlt sich das Kind 'vom Thron gestoßen', und dann muss es noch in den Kiga, während das Baby zu Hause bleiben darf", beschreibt Boden die Gefühlslage dieser Kinder. Um die Eifersucht etwas zu lösen, können Eltern beiläufig erzählen, dass das Baby fast den ganzen Vormittag schläft und es zu Hause ziemlich langweilig ist. Sie sollten das ältere Kind zudem nachmittags bei der  Babypflege helfen lassen und betonen, wie froh sie über diese Unterstützung sind.

Klammernde Kinder haben oft Verlustängste

Eine Trennung kann ein weiterer Grund sein, wenn ein Kind den Kiga bestreikt. "Ich bin jetzt alleinerziehend, habe zwei Söhne (7 und 5), und auf einmal will der Jüngere nicht mehr in den Kindergarten. Mit totalem Geschrei hängt er sich an mich, und kann nur durch Festhalten der Erzieherin davon abgehalten werden, hinter mir herzulaufen", klagt eine Userin. Kinderpsychologen betonen, dass eine Trennung Verlustängste auslöst: Wenn der Vater (oder die Mutter) zu Hause  ausgezogen ist, fürchtet manches Kind, dass auch der andere Elternteil weggeht. Diese Angst braucht Zeit und die Erfahrung, dass beide Eltern greifbar und verlässlich bleiben, auch wenn sie getrennt leben.

Holpriger Neustart nach Krankheit

Manchmal will ein Kind aber auch nach einem Urlaub oder einer Krankheit nicht mehr in die Betreuung. Es ist heraus aus der Kiga-Routine, die Freundschaften innerhalb der Gruppe haben sich vielleicht verändert, alles wirkt fremd. "Meine Tochter war drei und ging schon ein halbes Jahr problemlos in den Kindergarten. Doch dann hatte sie eine  Erkältung, und anschließend wollte sie nicht mehr dorthin. Ein täglicher Kampf begann. Monatelang versuchten wir fast alles, von gutem Zureden über Versprechungen bis zur Radikalmethode, sie einfach da zu lassen - erfolglos", berichtet eine Mutter. Ist es in so einem Fall vielleicht besser, dem Kind nachzugeben? 

Sollen wir unser Kind zu Hause lassen?

Viele Experten raten dazu, standhaft zu bleiben. Dr. Fritz Jansen, Psychotherapeut und Lehrtherapeut für Verhaltenstherapie betont: "Trotzdem gehen! Und die Erzieherin später fragen, wie lange das Kind geweint hat. Bis zu zehn Minuten ist alles unproblematisch. Es bedeutet, dass das Kind nicht in Nöten ist, sondern sich noch eine Extraportion Zuwendung von den Eltern holt." Bei manchen Kindern funktioniert Konsequenz gut: "Seitdem ich mich auf keinen Machtkampf mehr einlasse, klappt es. Meine Kinder müssen hin, ob sie schreien oder nicht", erklärt eine Mutter energisch. "Ich habe zuvor mit den Erzieherinnen gesprochen, und auch ihnen war nichts Negatives als Ursache aufgefallen. Wenn die Kinder merken, dass man selbst unsicher ist, spüren sie das. Meine Entschiedenheit dagegen beruhigt sie eher."

Was für das eine Kind richtig ist, muss es für ein anderes nicht sein

Die Mutter des erwähnten Mädchens, das nach einer Krankheit nicht mehr in den Kiga wollte, nahm sie eine Zeitlang ganz aus dem Kindergarten heraus. "Wir beschlossen gemeinsam mit der Leitung, dass unsere Tochter acht Wochen Urlaub vom Kindergarten bekommt. Sie blühte sichtlich auf. Die ersten drei Tage im Kiga waren danach zwar hart. Doch dann hat sie innerlich den Schalter umgelegt. Seitdem geht sie wieder sehr gern, und es gab bis jetzt keine Tränen mehr."

Kompromisse können helfen

Auch Mittelwege sind möglich. Erzieherin Heike Boden fand bei ihren eigenen Kindern einen Kompromiss: "Ich habe darauf bestanden, dass sie vormittags regelmäßig gehen, aber nachmittags nur, wenn sie wollten. Ich denke, es ist wichtig, dass Kinder diese morgendliche Routine auch im Hinblick auf den späteren Schulbesuch bekommen, besonders im letzten Kigajahr." Manche Eltern machen auch gute Erfahrungen damit, die Bleibedauer zu verkürzen: "Meine Tochter (4) ist auch jetzt noch lieber zu Hause. Als es ganz schlimm war, habe ich sie nur vier Tage die Woche in den Kindergarten geschickt, das hat unwahrscheinlich geholfen", so eine Mutter.

Was Eltern jedoch vermeiden sollten: jeden Morgen aufs Neue zu diskutieren, ob das Kind in den Kindergarten geht oder nicht. Dies verunsichert den Nachwuchs und verschärft das Problem. Wenn ein Kind auch langfristig gar nicht mehr in den Kindergarten gehen möchte oder dort morgens anhaltend weint, empfiehlt Dr. Jansen, dass ein Fachmann zu Rate gezogen wird. Dies kann ein Kinderpsychologe sein. "Der Profi muss sich die Sache vor Ort angucken, also so viel Zeit im Kindergarten verbringen, bis er weiß, was los ist."