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Spätere Option auf ein Kind - ohne Garantie

Social Freezing: Kinderwunsch auf Eis gelegt

Eizellen in der Hochzeit der Fruchtbarkeit einfrieren und damit später im Leben schwanger werden, wenn es besser passt: Dank dieser Möglichkeit scheint Social Freezing eine verlockende neue Familienplanungsmethode. Ist sie das wirklich? Für wen kommt sie in Frage?

Autor: Kathrin Wittwer

Fruchtbarkeit auf Eis gelegt

Social Freezing Beratung
Foto: © panthermedia.net/ dolgachov

Schon seit den 1980er Jahren ist es möglich, die unbefruchteten reifen Eizellen einer Frau einzufrieren. Entwickelt wurde diese sogenannte „Kryokonservierung unfertilisierter Oozyten“ für medizinische Probleme, zum Beispiel, um Krebspatientinnen vor einer fruchtbarkeitsstörenden Behandlung gesunde Eizellen zu entnehmen und ihnen damit später ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Was ist sozial am Social Freezing?

Inzwischen nutzen Frauen das Verfahren auch dann, „wenn sie ein Eizellenreservoir anlegen wollen, weil sie ihre Familienplanung augenblicklich nicht verwirklichen können“, erklärt Prof. Dr. Katrin van der Ven, Oberärztin am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde des Uniklinikums Bonn, wo diese Möglichkeit besteht. „Augenblicklich“ heißt: in der Zeit ihrer natürlichen Fruchtbarkeit. Die Konservierung der jetzt noch tipptoppen Eizellen soll die Option auf ein Kind in einem späteren Lebensabschnitt erhalten, wenn eine Schwangerschaft aufgrund sinkender Fruchtbarkeit auf natürlichem Wege schwierig wäre. Weil das Einfrieren hier aus rein sozialen und nicht medizinischen Überlegungen angewendet wird, nennt man das „Social Freezing“.

Einfrieren, auftauen – schwanger werden?

Nur das reine Einfrieren und Auftauen von Zellen führt allerdings nicht zum Kind: Dafür braucht es auch eine komplette Kinderwunschbehandlung. Zunächst werden also per Hormonbehandlung die Eizellen zur Reifung angeregt, dann entnommen, eingefroren, gelagert, bei Bedarf aufgetaut, per ICSI im Reagenzglas künstlich befruchtet, wenn nötig, der Zyklus der Frau mit Hormonen unterstützt, die Embryonen eingesetzt, die müssen anwachsen und sich entwickeln. 

 

Was wird beim Social Freezing genau gemacht?

Interessenten: Akademikerinnen bis Ende 30 ohne Partner

Der gesamte Prozess kann je nach Anbieter locker einen fünfstelligen Betrag kosten, zu dem, da ohne medizinische Indikation, keine Krankenkasse etwas zuzahlt. Kein Wunder, dass sich vornehmlich Frauen mit dem entsprechenden Einkommen nach Social Freezing erkundigen: „In unseren Beratungen sitzen in der Regel Akademikerinnen, die sich in der Karriereplanung oder mittendrin befinden“, sagt Prof. van der Ven. 

Social Freezing nimmt den Druck

Der Hauptanlass für ihr Interesse (und das ist international so) ist allerdings bei fast allen ihre private Situation: „Sie sind durchweg ab Mitte 30, gerade ohne Partner oder frisch vom Partner getrennt und sich zunehmend bewusst, die Fruchtbarkeit lässt sich nicht mehr einfach so noch fünf Jahre erhalten, und man kann ja keinen neuen Partner gleich in den ersten zwei Monaten mit einem Kinderwunsch überfallen.“ Das bestätigt Prof. Dr. Frank Nawroth, Frauenarzt, Endokrinologe und Reproduktionsmediziner in einem Hamburger Facharzt-Zentrum sowie Mitglied des Leitungsteams von FertiPROTEKT, einem „Netzwerk für fertilitätsprotektive Maßnahmen“, dessen Mitglieder auch das Social Freezing anbieten: „Zumindest die spätere Option auf ein Kind zu haben, ist für Frauen eine Erleichterung, es nimmt ihnen Druck.“

Paare könnten dies übrigens ebenfalls für sich nutzen: Wer absolut sicher ist, dass man zusammenbleibt, jetzt aber in der Fruchtbarkeitszeit beruflich bedingt keine Luft fürs Kinderkriegen hat, kann (finanziell günstiger) bereits befruchtete Eier einfrieren lassen. „Dann brauchen wir zum späteren Auftauen und Einsetzen aber das schriftliche Einverständnis beider Partner.“

Oft zu hohe Erwartungen an Erfolge

Doch eines – und dafür ist eine seriöse Beratung vor einer Entscheidung absolut nötig – muss jeder Frau, jedem Paar ganz klar sein: Social Freezing ist längst keine garantiert erfolgreiche Familienplanungsmethode. „Fast alle Kinderwunschpaare überschätzen die Möglichkeiten der Medizin, auch beim Social Freezing“, weiß Prof. Nawroth. „Wir gehen von einem durchschnittlichen Einnistungspotential einer eingefrorenen Zelle von ca. 10 Prozent und einer Geburtenrate von ca. 8 Prozent pro Eizelle aus.“ Bei normalen künstlichen Befruchtungen ohne vorheriges Einfrieren liegen die Chancen auf eine Schwangerschaft bei durchschnittlich etwa 30 Prozent.

Der Erfolg ist vor allem eine Frage des Alters

Die Erfolgsrate ist allerdings wie bei jeder Kinderwunschbehandlung stark vom Alter abhängig, in dem eine Frau ihre Eizellen hat einfrieren lassen: „Bei Eizellen von Frauen Mitte 20 kann das Einnistungspotential bei 15 bis 20 Prozent liegen, bei Eizellen einer 40-Jährigen nur bei 5 Prozent“, erklärt der Reproduktionsmediziner. Der Grund: Ab Mitte 30 geht es mit der Qualität und oft Quantität der Zellen rapide abwärts. Durch Stimulation überhaupt ausreichend geeignete Eizellen zu gewinnen (10, besser 15 sollten es im Idealfall sein), wird schwieriger, während die Erfolgsaussichten sinken. „Deshalb entnehmen wir in unserer Praxis Eizellen auch nur bis höchstens 38, 39 Jahre.“

Gesetzliche Grauzone, viele Fragen offen

Solche Entscheidungen, in die kommerzielle Interesse hineinspielen können, liegen oft im individuellen Ermessen des Arztes. „Spezielle Gesetze gibt es nicht. Das ist ein komplexes Thema mit vielen offenen Fragen, da holpern wir der Technik noch hinterher“, sagt Prof. van der Ven. Zum Beispiel darin, bis zu welchem Höchstalter es medizinisch und ethisch vertretbar ist, Eizellen wieder einzusetzen. Kritiker befürchten zunehmend Schwangerschaften noch nach der Menopause, wird Social Freezing doch als Chance für Frauen gesehen, die biologische Ungerechtigkeit auszugleichen, nicht wie Männer bis ins hohe Alter fortpflanzungsfähig zu sein.

Eine Richtlinie zu Social Freezing von FertiPROTEKT, die zumindest den über 100 Mitgliedern des Netzwerkes als verbindlich gilt, hat 50 Jahre als Obergrenze festgesetzt. Prof. Nawroth selbst setzt Eizellen nur bis 45 wieder ein. Die meisten seiner Klientinnen, sagt er, „sind sehr vernünftig und haben verstanden, dass man zwar mit 55 mit jüngeren Eizellen noch ganz gut schwanger werden kann, aber dass natürlich die Schwangerschaftsrisiken sehr hoch sind, und dass man mit 70 von seinem Kind nicht mehr viel hat, wenn das gerade Konfirmation feiert.“

Spätere Befruchtung nur mit festem Partner

Von den 35 Frauen, die sich 2013 von Prof. Nawroth beraten ließen (2014 werden es etwa doppelt so viele sein), haben inzwischen 20 ihre Eizellen eingefroren. Wie viele diese auch wieder abholen werden, steht noch in den Sternen. Einen Ehepartner als zukünftigen Vater müssen sie dann in Prof. Nawroths Praxis auf jeden Fall mitbringen. Zwar sei – als Alternative bei nach wie vor fehlendem Partner – eine  Samenspende für Alleinstehende und Unverheiratete nicht verboten, „aber wir machen das nicht, da ist noch zu viel rechtlicher Freiraum, wer der rechtliche Vater ist, welche Rolle der Arzt als ‚Mittler’ spielt“, begründet der Mediziner.

Über solche Voraussetzungen für eine künstliche Befruchtung ihrer eingefrorenen Eizellen sollten sich Interessentinnen beim Arzt ihrer Wahl gut informieren. Die Anforderungen können nicht nur aufgrund der unsicheren Rechtslage variieren, sondern auch regional, weil „die Richtlinien zur assistierten Reproduktion von den Landesärztekammern erstellt werden“, erklärt Prof. van der Ven. So gilt bei ihr in Bonn, dass für Unverheiratete ein gemeinsames Kind möglich ist, sofern sie ihre feste Beziehung notariell beglaubigen lassen. „Dies ist bei etlichen anderen Ärztekammern nicht mehr der Fall."

Noch kein großer Run auf Social Freezing

Verlässliche Zahlen, wie viele Frauen das Social Freezing bei uns insgesamt nutzen bzw. schon genutzt haben, gibt es für diese hierzulande noch sehr junge Anwendung nicht, zumal keine Meldung an ein zentrales Register erfolgen muss. FertiPROTEKT hat dies zumindest für seine Mitglieder etabliert. Demnach ist trotz gestiegener Nachfragen der ganz große Hype bisher ausgeblieben: Die Beratungen im Netzwerk haben sich von unter 40 in 2012 auf knapp 200 in 2013 erhöht. 2012 hatten etwa 20 Frauen ihre Eizellen einfrieren hatten, 2013 waren es ca. 130. Die Zahlen für 2014 stehen noch aus. Zum Vergleich: Laut Deutschem IVF-Register gab es 2012 insgesamt rund 65.400 reproduktionsmedizinische Behandlungen in Deutschland. Davon betrafen knapp 17.600 einen Kryotransfer.

„Ich denke, das Interesse am Social Freezing wird noch etwas zunehmen und die Klientel zukünftig etwas jünger werden“, prognostiziert Prof. Nawroth – wenn sich rumgesprochen hat, dass der beste Zeitpunkt zum Einfrieren von Eizellen vor dem 30. Geburtstag liegt. „Aber es wird nie dieser ‚befürchtete’ Anteil sein, der die normale Reproduktion außer Kraft setzt. Dafür ist die natürliche Fortpflanzung einfach viel zu erfolgreich, vor allem, wenn die Menschen sich im idealen Alter, also in den 20ern, Kinder wünschen.“

„Kalkül des Geburtentimings ökonomisch rational“

Frühes Kinderkriegen sei auch finanziell sinnvoll, weil dann die Lohneinbußen am geringsten sind, schreibt Dr. Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut, in einer Stellungnahme zu den wirtschaftlichen Aspekten von Social Freezing. Eine Aufschiebung hingegen könne sich dann als „ökonomisch rational“ erweisen, wenn eine Frau mit einer Trennung rechne, nach der sie die Folgen ihrer Lohnausfälle durch Familienarbeit selbst tragen müsse. Hier verschaffe Social Freezing einer Frau – genau wie die Pille – zusätzliche Wahlfreiheit. Ob damit für Eltern und Kind aber auch Lebensqualität gewonnen werde, sei fraglich, und so hieße die eigentliche Herausforderung, „Familienleben im Hier und Jetzt attraktiv“ zu machen.

Social Freezing eröffnet Chancen – aber schöner ist’s, wenn’s die Natur richtet

Für passende Rahmenbedingungen, damit Frauen, die Mitte 20 ihren Traumprinzen gefunden haben, sich nicht aus Karrieregründen davon abgehalten fühlen, das Kinderkriegen rauszuschieben, bis der Prinz am Ende wieder weg und die Fruchtbarkeit futsch ist, müsste wiederum die Politik sorgen. „Gerade für Akademikerinnen hat sich dieser Widerspruch, dass sie ausgerechnet in der massiven Etablierungsphase im Job auch noch schwanger werden müssten, noch in keinster Weise gelöst“, kritisiert Prof. van der Ven. „Da sehe ich die Diskussionen um Social Freezing als eine Chance, die Gedanken anzuregen, was läuft eigentlich falsch, wenn so eine Methode benutzt werden soll, um das Dilemma mit der Rushhour des Lebens zu lösen.“ Denn auch wenn Social Freezing eine spannende Entwicklung und ein Trend mit Potential zur breiteren Anwendung sei: „Im Idealfall werden die Frauen ohne uns schwanger, das wünschen wir jeder.“ 

Weitere wissenswerte Fakten über Eizellenkonservierung & Social Freezing

  • Das erste Baby nach Kryokonservierung unbefruchteter Eizellen wurde 1986 im australischen Adelaide geboren. Das zweite folgte 1987 in Deutschland in Erlangen.
  • Weit verbreitet ist die Technik zum Beispiel in den USA und in Spanien, vor allem im Rahmen von Eizellspendeprogrammen (bei uns verboten).
  • Eizellen können auf zwei verschiedene Arten eingefroren und aufgetaut werden: langsam (= slow freezing) oder ultraschnell (= Vitrifikation). Letztere ist die modernere und effektivere Variante, mit höheren Überlebens- (ca. 80 – 90%) wie auch Befruchtungsraten (ca. 70%). Zellen jüngerer Frauen haben wesentlich bessere Chancen als ältere.
  • Gelagert werden die Zellen bei - 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff. Das ist unbegrenzt möglich, ohne dass es den Zellen schadet.
  • Das Risiko von Fehlbildungen beim Baby liegt mit etwa 1 Prozent nicht höher als bei natürlicher Empfängnis. Für die Frauen können sich Risiken u.a. aus der Hormonbehandlung zur Eizellenstimulation, aus der Narkose zur Eizellentnahme und aus einer späten Schwangerschaft ergeben. Bei letzter sind auch Frühgeburten wahrscheinlicher.

Service

Die Homepage des Netzwerks für fertilitätsprotektive Maßnahmen informiert über Technik und Chancen, listet Mitgliedszentren, bei denen Social Freezing möglich ist, und gibt Empfehlungen zur Beratung von Interessentinnen.

Zum Lesen

  • Sarah Elizabeth Richards: Motherhood, Rescheduled. The New Frontier of Egg Freezing and the Women Who Tried It. Simon & Schuster. 2013. ISBN-13: 978-1416567028. (nur englisch)