Eine Herausforderung für Eltern

Wenn Kinder trotzen

Es passiert vielleicht auf dem Wickeltisch oder beim Anziehen für einen Spaziergang. Plötzlich will das Kleinkind etwas ganz Alltägliches nicht mehr tun und schreit, als ginge es um sein Leben. Willkommen im Trotzalter! Aber warum trotzen Kinder?

Autor: Petra Fleckenstein

Wickeln wird zum Ringkampf

Ein Kind weint und wirkt sehr trotzig.

Foto: © iStock, Nadezhda1906

Es kommt meist unerwartet: Das Wickeln zum Beispiel, bisher Zeit der Zärtlichkeit zwischen Mutter/Vater und Kind, verwandelt sich plötzlich in einen Ringkampf. Keine Chance mehr, dem zappelnden und sich wie eine Schlange windenden Körper eine Windel zu verpassen. Oder es tritt beim Anziehen der Schuhe vor dem Gang nach draußen zutage: Das fröhliche Kind, das bisher freudig "draußen gehen" rief, sobald jemand zum Aufbruch rüstete, schreit nun um sein Leben und beißt jeden, der ihm die Schuhe überstreifen will. Oder es passiert auf dem Weg zum Einkauf: Der knapp zweijährige Spross, der sich bisher mit Vergnügen herumkutschieren ließ, macht sich plötzlich steif wie ein Brett, wenn Mutter ihn in den Buggy hieven will: Unmöglich, das sich aufbäumende Kind in das Gefährt einzufädeln.

Alle halbwegs informierten Eltern wissen, was es die Stunde geschlagen hat: Die Zeit der Dauerharmonie geht zu Ende, im Kind erwacht der eigene Wille. Es spürt, dass seine und Mamis Wünsche nicht immer gleich sind - eine Erfahrung, die das Kind verunsichert und ängstigt. Zugleich ist es noch nicht in der Lage, seine starken Wünsche zu regulieren. Werden sie ihm versagt, kommt es häufig zu einem Ausbruch heftigen Gefühls von Wut, Zorn und Verzweiflung – die berühmt-berüchtigten Trotzanfälle.

Ist Trotz das richtige Wort?

Der Begriff "Trotz" wird unter Fachleuten immer wieder kritisch gesehen. Möglicherweise verführt er dazu, den Trotzanfall schlichtweg als willkürliches Aufmüpfigsein des Kindes zu verstehen, das nicht allzu ernst genommen werden, bzw. dem man auf keinen Fall nachgeben sollte. Der Pädagoge Manfred Hofferer ist zum Beispiel dafür, die Trotzphase als "Autonomiephase" zu bezeichnen. Autonomie bedeutet Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Die so genannte Trotzphase gilt heute - wie auch die Pubertät – als eine ganz normale und sogar wichtige Phase auf dem Weg zur Selbständigkeit eines jeden Menschen.

Wenn ein eigener Wille erwacht

Eine alltägliche Szene

Jonas hat sein großes Geschäft in die Windel gedrückt – was durch eine Duftwolke, die sich im Zimmer verbreitet, deutlich zu registrieren ist. Als seine Mutter ihn auffordert, mit zum Wickeltisch zu gehen, antwortet Jonas "nein, nich wickeln". Sie versucht es mit Erklärungen: "Das riecht aber schlecht und du wirst wund, wenn das AA zu lange in der Windel ist." Jonas daraufhin schon etwas lauter: "Nich wickeln!!!" Nun nimmt seine Mutter Jonas auf den Arm und versucht ihn zum Wickeltisch zu tragen. Der Zweijährige brüllt, zappelt mit Händen und Füßen und krallt sich wütend in Mutters Haar. Als sie ihn dennoch auf den Wickeltisch befördert, schnappt er die Ölflasche und wirft sie mit voller Wucht, knapp am Kopf seiner Mutter vorbei, gegen die Wand. Die Flasche geht auf, Öl fließt heraus, läuft die hübsch tapezierte Wand herunter auf den Teppich, Jonas tritt und schreit "Nicht wickeln!!!"

Was hat das zu bedeuten?

Jonas hat zwar noch nicht die sprachlichen Fähigkeiten, seiner Mutter zu erklären, warum er nicht gewickelt werden will: Aber einen eigenen Willen hat er neuerdings und der sagt ihm offenbar: "Nee, darauf habe ich gerade überhaupt keine Lust!" Er wird dabei von der Heftigkeit seines Gefühls selbst überrascht und kann diese starke Emotion auch nicht abstellen, als seine Mutter ihm zu erklären versucht, warum das Wickeln jetzt wichtig ist. Als seine Mutter seinen Willen missachtet und ihn dennoch zu wickeln versucht, geht es völlig mit ihm durch. Er wird überrollt von seiner Wut.

Was tun?

  • Trotz nicht nur als störend bewerten
    Gewickelt zu werden ist nötig, solange ein Kind noch nicht ins Töpfchen macht und es fällt Erwachsenen daher schwer, die Uneinsichtigkeit und die große Wut des Kindes zu verstehen, das sich einem alltäglichen und unbedingt erforderlichen Vorgang plötzlich verweigert. Auch wenn die Verweigerung des Kindes lästig und anstrengend ist und zusätzliche Arbeit macht: Als Mutter oder Vater kann man sich in solchen Momenten bewusst machen, wie gut und wichtig ein eigener Wille und das mutige Vertreten eigener Vorstellungen im weiteren Leben ist. Wenn der "Trotz" des Kindes nicht nur als störend bewertet wird, fällt es leichter, Lösungswege aus dem Konflikt zu finden. Im obigen Beispiel könnte die Lösung so aussehen:
  • Den Willen des Kindes ernst nehmen, Kompromisse suchen
    Am Wickeln geht kein Weg vorbei. Aber die Mutter hat zum Beispiel die Möglichkeit, Jonas Willen nicht gewickelt zu werden, zu diesem Zeitpunkt nachzugeben und ihn noch eine Weile spielen zu lassen. Im günstigsten Fall reicht dieses vorläufige Einlenken und eine viertel Stunde später ist Jonas bereit, sich wickeln zu lassen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Jonas bezüglich des Wickelns etwas Neues vorzuschlagen: "Soll ich dich heute mal nicht auf dem Wickeltisch, sondern auf dem Boden wickeln?"
  • So wenig Regeln und Verbote wie möglich
    Wichtig: Die "Trotzphase" erfordert von den Eltern, den alltäglichen Ablauf, ihre Regeln und Verbote neu zu überdenken. Als Faustregel gilt: So wenig Regeln und Verbote wie möglich. Das bedeutet nicht, dass man nun in allem nachgeben müsste. Aber sich durchsetzen nur um des Durchsetzens oder des Konsequent-Bleibens willen, gilt heute nicht mehr als hilfreich. Mit dem eigenen Kopf des Kindes konfrontiert zu werden, erfordert von den Eltern, da wo es wichtig ist, konsequent zu bleiben und da wo es möglich ist, den Wunsch des Kindes ernst zu nehmen und - zumindest teilweise - nachzugeben.

Wenn ein Kind mehr möchte als es kann

Eine alltägliche Szene

Als Jonas Vater seinem Spross zum Essen ein wenig Sprudel einschenken will, reist dieser ihm die Flasche aus der Hand und verkündet: "alleine machen." Mit konzentrierter Miene versucht er den Drehverschluss zu öffnen, was ihm leider nicht gelingt. Als sein Vater Hilfe anbietet, fängt Jonas an zu jammern: "Nein, alleine machen." Noch einmal versucht er, den Verschluss zu öffnen und läuft bereits rot an vor Wut, als es einfach nicht klappen will. Der Vater nimmt die Flasche und öffnet sie ein wenig, so dass Jonas weiterdrehen kann. Nun will er sich auch selbst einschenken und hievt die volle Flasche mühsam über seinen Becher: der erste Schwall schießt über das Ziel hinaus und setzt das Tischset unter Wasser, dann stützt Jonas die Flasche zu fest auf den Becher, so dass dieser umkippt. Jonas sitzt brüllend auf seinem Stühlchen und ist vorerst nicht mehr zu beruhigen. An Essen und Trinken ist auch erst einmal nicht mehr zu denken.

Was hat das zu bedeuten?

Die so genannte Trotzphase, also die Zeit, in der ein Kind beginnt zu spüren, dass es ein selbständiges Wesen mit einem eigenen Willen ist, beginnt meist im zweiten Lebensjahr und dauert ungefähr bis zum vierten Lebensjahr. In dieser Zeit kann ein Kind bereits sehr viel – verglichen mit dem Babyalter – und doch auch sehr wenig – wenn man es mit den Fähigkeiten eines Kindergartenkindes vergleicht. Mit dem Erwachen des eigenen Willens erwacht auch immer häufiger der Wunsch, etwas alleine zu schaffen. Wenn dann etwas nicht gelingt, erzeugt dies tiefe Enttäuschung und Wut. Will dann auch noch ein Erwachsener helfen, so empfinden sie dies geradezu als Beleidigung, weil es ja die Botschaft enthält: "Du bist noch zu klein, das kannst Du nicht. Ich kann es besser."

Was tun?

  • Zeit zum Ausprobieren
    In dieser Phase müssen Eltern ganz besonders viel Geduld mit ihrem Kind aufbringen. Denn alles, was das Kind nun alleine machen möchte, kostet Zeit und hinterlässt häufig Spuren, wenn beispielsweise etwas verschüttet wurde. Ein Kind gewähren zu lassen, das plötzlich selbst essen will und dabei die Hälfte des Essens auf dem Tisch, dem Stuhl und seiner Kleidung verteilt, kostet Erwachsene viele Nerven. Ihm die Zeit zu gewähren, wenn es versuchen will, sich alleine anzuziehen, ebenso. Immer wieder braucht es dabei doch die vorsichtige Assistenz seiner Eltern, ohne dass diese ihm zu viel entreißen und abnehmen dürfen. Dies jedoch als Vater oder Mutter auszuhalten, zahlt sich für alle Zeiten aus: Erhält das Kind die Zeit, seine Geschicklichkeit zu erproben und damit auch zu verbessern, erlangt es Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten. Es wird selbstbewusster und selbständiger als Kinder, die allzu oft die Botschaft erhalten haben: Das kannst Du noch nicht, das geht mir zu langsam oder das macht lieber die Mami, sonst verschüttest du wieder etwas.

Provozieren, austesten ? Was Trotz nicht bedeutet

Die klassische Situation – Stress im Supermarkt

Wenn ein Kind von zweieinhalb Jahren im Supermarkt kurz vor der Kasse vor Wut zu Boden sinkt und lautstark seinem tiefen Wunsch nach Schokolade Ausdruck verleiht, liegen auch die Nerven der Eltern häufig blank. Wie in dieser Situation die Wogen glätten?

  • Nicht hilfreich ist es, die Schokolade zu kaufen, nur um des lieben Friedens willen. Denn tatsächlich müssen Kinder lernen auszuhalten, dass es Grenzen gibt und dass sie nicht alles bekommen können bzw., dass nicht immer alles nach ihren Wünschen geht.
  • Ebenso wenig hilft es, das brüllende Kind anzuschreien und zu beschimpfen. Denn es ist noch nicht Herr seiner Gefühle. Der Wunsch ist da und so übermächtig und zugleich die Wut, seinen Willen nicht zu bekommen, so intensiv, dass das Kind nur noch hilflos brüllen kann.
  • Nicht hilfreich ist es auch, den Wutanfall des Kindes als ein willkürliches Austesten und Provozieren aufzufassen, dem man einfach mit Härte begegnen muss, um dem Kind zu zeigen, wer hier der Stärkere ist.

Was hilft?

Um mit der Wut des Kindes in dieser Situation klar zu kommen, hilft zunächst einmal die innere Einstellung von Verständnis und Mitgefühl. So gewappnet, gelingt es im günstigsten Fall klar - aber ohne Härte - zu sagen, dass die Schokolade nicht gekauft wird und den Wutanfall mit dem Kind zusammen durchzustehen. Das bedeutet, die Gefühle des Kindes zuzulassen, ruhig abzuwarten, bis der Wutanfall vorüber geht, das Kind zu trösten und ihm zu zeigen, dass man es lieb hat, obwohl man etwas verbietet und obwohl es so lautstark reagiert.

Wie reagiere ich, wenn sich mein Kind beim Einkaufen aus Trotz auf den Boden schmeißt? Experte Jan-Uwe Rogge gibt im Video Antwort: