Auch Männer werden schwanger
Es ist so eine Art Naturgesetz bei werdenden Eltern: Ist die Frau schwanger, "wächst" auch der Bauch des Mannes. Lies hier, warum das eigentlich so ist.
Schwangerer Mann: Auch er will brüten

Bei Axel waren es immerhin zehn, bei Bernd und Holger satte 15. Von Kilos ist hier die Rede. Von Kilos, die nicht nur die werdende Mutter, sondern auch so mancher werdende Vater während der Schwangerschaft seiner Partnerin zulegt.
In Fachkreisen nennt man dieses und andere männliche Schwangerschaftssymptome Couvade-Syndrom (vom französischen couver = brüten). Typisch sind Müdigkeit, Gefühlsschwankungen, Bauch- und Rückenschmerzen, später Sodbrennen und eben - besonders augenscheinlich - ein deutliches Zunehmen des Leibesumfangs. Die Bremer Diplompsychologin und Geburtsvorbereiterin Ulrike Hauffe stellte bei einer Studie an 150 Männern eine durchschnittliche Gewichtszunahme von vier Kilogramm fest. Eine im britischen Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ veröffentlichte Studie berichtet von deutlichen Hormonschwankungen bei werdenden Vätern, die denen ihrer Partnerinnen im Verlauf der Schwangerschaft bis zum Hormonabfall nach der Geburt auffallend ähneln. Besonders ausgeprägt waren die Hormonschwankungen bei den Männern, die auch unter Gewichtszunahme litten und sich als besonders fürsorgliche Väter erwiesen. Das Forscherteam vermutet, dass sowohl das veränderte Verhalten der Schwangeren als auch von ihnen produzierte Geruchsstoffe – sogenannte Pheromone – den Hormonspiegel der Männer beeinflussen.
Solidarität oder Ausdruck eines Bedürfnisses?
Grundsätzlich gibt es viele verschiedene Vermutungen zur Begründung der männlichen Schwangerschaftssymptome. Die naheliegenste und einfachste Erklärung bietet wohl der veränderte Lebensrhythmus des schwangeren Paares. Im gleichen Maße wie sich der Nahrungsbedarf der Frau steigert, reduziert sich ihre Bewegungsmöglichkeit. Anstatt gemeinsam Badminton oder Tennis zu spielen, Roller Blades oder Fahrrad zu fahren, verbringt das schwangere Paar nun immer mehr Zeit auf der heimatlichen Couch und macht es sich mit einigen Leckereien gemütlich. Auch beim mitternächtlichen „Eisbein-mit-Sauerkraut-Snack“ gibt sich so mancher werdende Vater gerne solidarisch. Gemeinsame Aktionen beschränken sich früher oder später zunehmend darauf ins Kino oder Restaurant zu gehen - auf Sitzen und Essen. Eine einfache Erklärung für den zunehmenden Leibesumfang des schwangeren Mannes ist also die schlichte Anpassung an die veränderten Bedürfnisse und Möglichkeiten seiner Partnerin: Indem er wie sie mehr isst und sich weniger bewegt nimmt er logischerweise ebenfalls entsprechend zu.
Anteilnahme rund um den Bauch
Auf einer tieferen Ebene kann man das Mitwachsen des männlichen Bauches aber auch als physischen Ausdruck eines emotionalen Bedürfnisses verstehen. In diesem Sinne wäre er Ausdruck für den Wunsch nach Nähe und Anteilnahme, für die Suche nach einem gefühlsmäßigem Zugang zu diesem für Nicht-Schwangere doch recht abstrakten Wissen um das Entstehen und Wachsen eines neuen Lebens. Vielleicht ist der größer werdende Bauch auch Ausdruck des Bedürfnisses, dem Baby ein körperliches Nest zu bieten, sowohl kuschelig als auch imposanter in der Statur zu sein, um so emotionalen Schutz und Geborgenheit zu geben.
Schwangerschaft: Vater werden, aber wie?
In jedem Fall kann die individuelle und soziale Umstellung des werdenden Vaters, das Formen einer neuen Identität , ebenso groß sein wie die seiner Partnerin. In der Regel wird den männlichen Bedürfnissen und Konflikten während einer Schwangerschaft in unserer Gesellschaft jedoch wenig bis gar kein Wert beigemessen. Nicht selten fühlen sich die Männer hierin vernachlässigt. Die an sie gerichtete Erwartung beschränkt sich auf das Zurücknehmen der eigenen Konflikte zugunsten der totalen Umsorgung der schwangeren Partnerin. Doch auch der werdende Vater macht während dieser neun Monate eine tiefe emotionale Erfahrung durch. Versteht man das Couvade-Syndrom psychosomatisch , so spiegelt es die Konflikte wider, die durch die Schwangerschaft ausgelöst werden. Diese können Neid und Feindschaft sein, aber auch als Versuch gesehen werden, die Erfahrung der Frau intensiv zu teilen. Es ist für einen Mann schwierig zu wissen, was er genau tun kann und soll, um seine Umwandlung zum Vater auszudrücken. Vielleicht sind die Couvade-Syndrome ein unbewusster Versuch diese Frage zu beantworten.
Männer in Gebärhütten
In anderen - meist sehr naturverbundenen - Kulturen gibt es hingegen auch für den Vater ganz bestimmte vorgegebene Regeln und Verhaltensweisen während der Zeit der Geburt. Sie werden in der Anthropologie unter dem Begriff rituelle Couvade zusammengefasst. Häufig beinhalten sie gewisse rituelle Bräuche, Einschränkungen des Speiseplans und Arbeitsverbote. Zum Teil ziehen sich die Männer sogar in Gebärhütten zurück um sich in Wehenschmerzen zu winden, nachdem sie ihre frisch entbundenen Frauen zurück zur Feldarbeit geschickt haben.
Das exponierte Verhalten des werdenden Vaters in der Gemeinschaft führt dazu, dass auch Verwandte und Freunde seinen besonderen Status anerkennen. Es hilft ihm bei der Schwangerschaft und der Geburt eine wichtige Rolle zu spielen und sich in den Augen der anderen besonders anschaulich zum Vater zu entwickeln. Insofern haben die Couvade-Rituale für das Paar eine wichtige psychologische Funktion.
Väter sind nicht länger nur Ernährer
In unserer modernen zivilisierten Gesellschaft fehlen Rituale und damit ein Rahmen für das Vater-werden fast vollständig. Immerhin bietet der zunehmende Trend, dass auch die Männer wichtige Stationen der Schwangerschaft wie Vorsorgeuntersuchungen, Geburtsvorbereitungskurse und nicht zuletzt natürlich die Geburt des Kindes selbst begleiten, eine gewisse Möglichkeit der Anteilnahme und des Eingebundenseins. In diesem Sinne wird der schwangere Mann also auch hierzulande zunehmend gesellschaftsfähig und gibt sich - zur Freude der meisten Frauen - nicht länger mit der Rolle des Ernährers zufrieden.
Man(n) wächst auch innerlich
Das „Mitwachsen“ der schwangeren Männer bezieht sich also nicht allein auf ihren Bauchumfang. Vielmehr korrespondiert der wachsende Bauch mit einem inneren Wachstumsprozess. Er – der sich in den Vordergrund drängende männliche Bauch - scheint uns fast: „Hallo, alle mal hergucken, auch hier verändert sich was!“ zuzurufen.
Vielleicht sollten wir in Zukunft mehr darauf achten, auch den besonderen sich verändernden Status der Väter zu berücksichtigen und so auch der männlichen Schwangerschaft die ihr gebührende Aufmerksamkeit schenken.
Literaturtipps:
Kester Schlenz: Mensch, Papa. Vater werden – Das letzte Abenteuer.“
Hermann Bullinger: „Wenn Männer Väter werden.“