Erwachsene "Waisen" - wie geht es euch?

Hallo,
erstmal die Formulierung ist vielleicht etwas komisch - offiziell gilt man ja wenn man volljährig ist nicht mehr als verwaist. Mich würde einfach interessieren, wie es anderen geht, die im eher jungen Erwachsenenalter ohne Eltern dastehen.
Meine Mutter ist gestorben als ich 29 Jahre alt war, mein Vater dieses Jahr. Ich war also mit 35 Jahren elternlos. Ich habe zwei kleine Kinder, die ihre Oma nicht kennengelernt haben, den Opa nur im Rollstuhl und so weit eingeschränkt, dass sie keine echte Beziehung aufgebaut haben. Ich merke einfach, dass es mir oft schwerfällt damit umzugehen, dass es auf meiner Seite keine Großeltern für meine Kinder gibt und auch für mich keinen elterlichen Rückhalt mehr. Gerade zu solchen Anlässen wie Weihnachten, wo das Thema Familie allgegenwärtig ist (die anderen Familie fahren zu den Großeltern, die kommen her etc...) finde ich das wahnsinnig schwierig. Ich schwanke dann zwischen Trauer (nur so bedingt weihnachtlich), Neid (noch schlimmer, dafür fühle ich mich dann auch noch schlecht) und Wut darüber, dass bei mir eben niemand mehr da ist. Bei uns kommt auch noch dazu, dass auf der Seite meines Mannes auch "nur" noch der Vater lebt, bei dem mein Mann aber nicht aufgewachsen ist.

Ich würde nur gerne mal hören, wie es anderen mit solchen Konstellationen geht? Gefühlt wird ja dann auch in der eigenen verzerrten Wahrnehmung jedes andere Kitakind täglich von liebenden Omas abgeholt...

LG

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Guten Morgen,

ich kann komplett nachempfinden wie es dir geht.
Mein Papa ist 2009 an Krebs gestorben und meine Mama ist 2012 auch daran gestorben.

Es waren beides wirklich ganz tolle Menschen, die uns Kinder einfach immer zur Seite standen.
Ich bin stolz darauf, wie toll sie uns erzogen haben.

Es ist so oft so schwer. Eigentlich kann man es kaum in Worte fassen, es schnürt einem so oft die Kehle zu.

Seit dem wir eine Tochter haben, ist es für mich noch schwieriger. Ich denke so oft, wie toll sie unsere Tochter gefunden hätten. Die kleine Maus lacht genau wie mein Papa.

Ich war aber auch schon in der Schwangerschaft sehr traurig, dass ich dieses tolle Erlebnis nicht mit ihnen teilen konnte und es tut mir jeden Tag so sehr weh, dass sie diesen wunderbaren kleinen Menschen nie kennengelernt haben.

Es gibt noch so viele Sachen, die ich ihnen gerne gezeigt hätte. Wir haben uns vor zwei Jahren ein Haus gebaut, sie wären so stolz auf mich gewesen. Ich habe nochmal angefangen zu studieren, dass wollte mein Papa immer, er hätte sich so gefreut. Manchmal ertrage ich es kaum, dass ich ihnen das alles nicht mehr zeigen konnte.

Tja, irgendwelche positiven Worte kann ich dazu leider nicht finden, denn es ist einfach das schlimmste, was mir bis jetzt in meinem Leben passiert ist.

LG pj

P. S. Sorry, falls da Fehler im Text sind, ich werde ihn aber nicht nochmal lesen.

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Hallo meram,

auch wenn ich nicht komplett in derselben situation wie du bin, möchte ich dir sagen, dass ich dich sehr gut verstehen kann. Deine Gedanken und auch die Widersprüchlichkeit der Gefühle...Trauer, Neid, Wut...

Ich habe im März 2015 meinen Vater verloren, er war zwei Jahre schwer krebskrank und meine Mutter hat ihn mit meiner Unterstützung gepflegt bis zum Tod. Mein Sohn war bei der Beerdigung dabei, liebte seinen Großvater. Mein Sohn war damals 4,5 Jahre alt.

Im Februar 2016 ist meine Mutter schwer an Brustkrebs erkrankt. Fast zum 1. Todestag meines Vaters. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg. Ich bin Einzelkind und hatte nun meine Mutter zu stützen, obwohl ich selbst noch schlimm um meinen Vater trauerte. Ich schaffte es irgendwie meine Mutter durch die OP und die zig Chemos zu begleiten, holte sie zu uns nach Hause etc. Sie war nicht einfach in der Zeit. Schwankte zwischen Hoffnung und Todessehnsucht. Es war für alle Beteiligten eine sehr schwere Zeit. Sie hat es geschafft. Sie ist krebsfrei seit September.

Wir feiern dieses Jahr Weihnachten wieder ohne meinen Papa, aber mit meiner Mutter. Ich beneide meinen Mann, dass seine Eltern noch so fit sind. Bin wütend, dass meine Eltern so viel leid durchleben mussten, wo sie so grandiose Menschen sind. Mein Vater war ein Engel. So ein guter Mensch..und musste so früh gehen. Ich weiß, dass es den meisten so geht, die jemanden verloren haben. Aber das hilft mir nicht.

Ich kann also nachfühlen, wie ambivalent deine Gefühle sind, kann dir aber kein "Rezept" dagegen mitgeben. Du bist nicht alleine. Fühl dich mal fest gedrückt #liebdrueck

LG
Albu

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Ich kann Dir zu dem Thema nicht wirklich etwas erzählen, aber ich hatte lange Zeit zu meinen Eltern nur wenig Beziehung, hatte eher ein anderes älteres Ehepaar als Vorbild und Elternersatz angenommen, mit denen ich viel Zeit verbrachte. Es gibt doch auch Leihomas. Ich hoffe, dass Du bald liebe Freunde als "Elternersatz" findest, bei denen Du Dich einfach wohl fühlen kannst. Vielleicht kannst Du Dich ja auch an Weihnachten sozial engagieren bei Leuten, die auch keine Familie mehr haben?

Liebe Grüße.

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Hallo meram,

ich kann deine Gefühle zumindest teilweise nachempfinden, da ich dieses Jahr im Sommer meinen Vater verloren habe. Ich bin 28. Es war nicht immer einfach mit ihm, da er psychisch sehr krank war, aber ich hab ihn über alles geliebt und er fehlt mir sehr: Leider ist drei Monate später dann auch noch mein Opa gestorben, der für mich auch wie ein Vater war. Da wo mein eigener Vater mir nicht wirklich eine Vaterfigur sein konnte, wegen seiner Erkrankungen, war mein Opa da. Immer. Deswegen klafft für mich natürlich dort jetzt eine große Lücke in meinem Herzen. Mein Opa mütterlicherseits ist zwar noch da, aber mit dem habe ich nicht sehr viel Kontakt und wenn dann ist dieser auch nicht sehr herzlich.

Ich kann deine Gefühle aber absolut nachvollziehen. Ich habe zwar selbst noch keine Kinder, aber mein Mann und ich möchten definitiv Kinder. Und der Gedanke, dass sie von meiner Seite keinen Opa haben werden tut sehr weh. So sehr, dass ich sogar ein schlechtes Gewissen haben, warum wir so lange gewartet haben. Denn ich weiß, wie sehr gerade mein Opa sich über Nachwuchs bei uns gefreut hätte. Zumal ich die einzige Enkelin bin. Aber ich wollte erst einmal mein Studium zu Ende machen und dann weiter sehen. Ein Teil von mir bereut das. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn wir mal Kinder haben. Ob es mir dann gehen wird wie dir, dass ich vielleicht auch mit Neid und/oder Trauer auf andere Blicke, die ihren Kindern noch einen Opa 'bieten' können.

Ich weiß nur jetzt schon sicher, dass ich meinen Kindern sehr viel erzählen werde und so versuchen werde für sie ein lebendiges Bild von ihrem Opa und Uropa zu zeichnen.

Fühl dich gedrückt. Du bist nicht allein mit solchen Gedanken.

Elesta

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Hey,

meine Mutter ist gestorben als ich 20 war. Ich hatte nur sie. Ich bin Einzelkind und sie war alleinerziehend. Wir haben auch noch zusammen gewohnt und ich hab mich um das meiste nach ihrem Tod allein gekümmert. Ich bib dankbar, dass ich damals schon meinen Partner hatte. Ich weiß nicht, wo ich heute ohne seine Unterstützung stehen würde. Ich hab sonst nur nich meine Großeltern.
Wir haben nun dieses Jahr, 4 Jahre nach ihrem Tod, unsere Tochter bekommen und ich bin auch oft traurig, dass meine Mama keine Zeit mehr mit ihr hatte. Sie hätte sie so sehr geliebt. Schon als ich noch ein Teenie war, hat sie sich auf ihre Enkelkinder gefreut, die sie irgendwann mal haben wird. An so Tagen wie Weihnachten ist es natürlich besonders schlimm.
Ich bib auch manchmal wütend, weil andere nicht mit so harten Schicksalsschlägen umgehen müssen und es mich schon oft getroffen hat. Auch mein Partner war zwischenzeitlich schwer krank, ist nun aber wieder gesund.
Die größte Zeit schaffe ich es jedoch mich über die Zeit zu freuen, die ich mit meiner Mama hatte. Traurig wird man wohl immer etwas sein, da man immer weiß, dass der Moment mit dem geliebten Menschen noch toller wäre als er es sowieso schon ist.

Liebe Grüße

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Hallo,
Meine Eltern sind gestorben als ich 18 und 19 Jahre Alt war.
Mittlerweile bin ich 30 und habe 2 Kinder.
Meine Mäuse haben zum Glück ein ganz liebe Oma, eine Superliebe Tante(Schwester von meinem Mann) und einige Tiefe Bindungen zu Freunden von uns.
Ich selbst habe keine Geschwister.
Da fehlt schon oft was...
Ich sehe einfach auch, das die Bezirhung von Enkel zur Oma von Mamas Seite noch tiefer ist. Mehr "Hilfe" angeboten wird, etc.
Aber ich hab mein Weg gefunden. Ich denke hätten meine Eltern länger gelebt oder würden heute noch leben, wären viele Dinge anders in meinem Leben!
Aber ich bin glücklich wie es ist!
Ganz oft kommt aber der "Wunsch", dass ich viiiiiel länger für meine 2 Mädels da sein kann als meine Eltern es für mich durften!
Lg

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Hallo!

Mein Vater ist vor 2 Jahren gestorben, mein Schwiegervater vor einem Jahr, zur Schwiegermutter besteht kein Kontakt. Meine Mutter lebt Gott sei Dank noch.

Klar ist es traurig, wenn man nur noch kümmerliche Reste an Familie hat (meine Mutter und meine beiden Brüder, von denen aber einer am anderen Ende Deutschlands lebt), das wars dann aber auch schon. Gerade an Weihnachten wo andere Leute eher planen, wie sie die ganzen leute in die kurzen Feiertage rein quetschen können sitzen wir eben zu Hause.

Aber ich bin auch nicht groß anders aufgewachsen, meine Mutter ist ganz ohne Vater aufgewachsen (im Krieg gefallen), ihre Mutter starb als ich zwei war, kurz darauf meine andere Oma. Mein Opa väterlicherseits ist dagegen sehr alt geworden, aber war schon zu gebrechlich, um sich noch groß um seine Enkel zu kümmern - er kam halt alle paar Wochen ein paar Stunden zu Besuch, aber das war es halt schon.

Als Kind war ich auch manchmal neidisch auf andere Kinder die Omas hatten, aber so wirklich vorstellen konnte ich es mir auch wieder nicht. Was man nie hatte kann man auch nicht vermissen.

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Hallo Meram,
ich bin seit meinem 20. Jahr Halbwaise, als meine Mutter verstarb, die ich bis zuletzt gepflegt hatte.
Ich vermisse sie immer noch unglaublich, wir hatten ein sehr enges, liebevolles Verhältnis- und die Tatsache, dass sie ihre Enkelin nie kennengelernt hat, bringt mich immer mal wieder zum Weinen.
Gerade Weihnachten war "unsere" Zeit - sie fehlt einfach.

Zum Vater hatte ich nach ihrem Tod keinen Kontakt mehr, weil er nicht nur gewalttätig war sondern auch schlimmere Dinge getan hat.

Als ich mit Mitte 30 erfuhr, dass er verstorben war, war ich so erleichtert, weil ich teilweise immer noch Angst vor ihm hatte. Anfangs musste ich mich immer wieder neu erinnern, dass mir nichts mehr passieren kann.
Jetzt ist alles gut und wenn ich mal dran denke, dass er tot ist, spüre ich wieder die Erleichterung, aber eigentlich denke ich nicht an ihn.

Ich erzähle meiner Tochter gerne von meiner Mutter, schöne, lustige Geschichten - die andere Seite meiner Kindheit lasse ich wegfallen.
Sie hat auch nie nach ihrem toten Opa gefragt.
Da die Eltern meines Mannes sehr präsent sind, glaube ich nicht, dass ihr irgendetwas fehlt.
Ich wünsche mir nur so sehr, dass die Erinnerung an meine Mutter noch ein wenig weiterlebt
(wie ich mich z.B an meine Uroma mütterlicherseits, die ich auch nie kennengelernt habe, von der mir meine Mutter aber erzählt hat).

Ich kann dein Gefühlswirrwarr gut nachfühlen.
In manchen Situationen ist das einfach so nahe !
Während ich dir schreibe, bin ich ganz nahe am Wasser gebaut, wobei ich im Alltag eben nicht ständig daran denke.

Und genau jetzt denke ich, dass ich alles und mehr dafür geben würde, könnte ich meine Mama nur ein Stündchen so wie sie war zu uns holen, damit sie ihre Enkeltochter umarmen kann und ich sie auch noch einmal sehen und anfasen könnte.
So ein Schmerz vergeht nie, man lernt nur, damit zu leben und sich auf die schönen Dinge zu konzentrieren.
Ganz liebe Grüße ,
Emmi

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Hallo, mit 35 habe ich Vater und Mutter innerhalb eines Jahres auf den Friedhof gebracht. Mich stört es in Bezug auf die Kleine nicht, das ist halt der Lauf der Dinge. Es ist normal das die "Kinder" ihre Eltern auf den Friedhof bringen (zumindest für mich). Ich brauchte zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr wirklich den Rückhalt meiner Eltern. Niemand hat mich gezwungen erst mein Kind so spät zu bekommen, also sind auch die Konsequenzen daraus klar. Natürlich fehlen sie mir, wäre ja schlimm wenn nicht.

Gerade jetzt Weihnachten erwische ich mich dabei, das ich denke: "Puh, zum Glück haben wir diesen ganzen Streß nicht.". Ich habe es damals ja noch bei den Kindern meines Bruders erlebt, Weihnachten wurde nur von A nach B über C gerannt, immer die Uhr im Auge. Schrecklich. Praktisch nur für meine Schwägerin, ihre Küche blieb kalt.

Der Verlust deines Vaters ist ja noch recht frisch, da kann ich deine Gedanken und Gefühle völlig verstehen. Und neidisch bin ich auch manchmal, denn würden meine Eltern noch mein Kind vom Kindergarten abholen können, dann könnte ich mich ganz anders beruflich orientieren. Obwohl, das sind nur Gedanken, denn ich weiß das sie sich nicht vor meinen Karren hätten spannen lassen. Im Notfall einspringen, kein Problem,aber mehr auch nicht.

Ich kann das alles gar nicht so genau erklären. Sie fehlen mir natürlich und die Vorstellung, das mein Kind nicht bei ihnen am Küchentisch sitzen kann und mit meinem Papa malt oder von meiner Mama bekocht werden kann...klar schon schade für sie. Irgendwie fänd ich es aber schlimmer, wenn sie es erst kennengelernt hätte. Alles ist gut so wie es ist, ändern kann man es ja eh nicht. Und irgendwie hat sie sogar eine Art von Bindung zu ihren Großeltern, klingt vielleicht bescheuert, aber wir sind regelmäßig auf dem Friedhof unterwegs (besonders im Sommer, er ist wie ein großer alter Park), wir sitzen dann neben dem Grab auf der Bank und essen Eis, planschen in den Brunnen rum, dort kann sie Rad fahren und einen Spielplatz gibt es dort auch. Es heißt dann von ihr nicht "Wollen wir in den Park?", es heißt dann immer "Wollen wir zu Oma und Opa?".
Deine Formulierung als "verwaiste", in der Tat ist sie für mich merkwürdig. Ich fühle mich nicht als Waise, meine Eltern waren immer da....bis halt ihre Zeit kam. Und die kam ja nun wirklich erst, als man schon sein Leben alleine gelebt hat.

Ich denke, man empfindet halt genauso, wie es in der Familie immer gelebt wurde. Es gibt Familien, da wird der Tod komplett ausgeklammert, dann ist der Verlust immer sehr schwer. Und es gibt Familien, wie unsere, es wurde immer darüber gesprochen. Die Verstorbenen feheln, ganz kalr, aber sie haben schöne Spuren hinterlassen....überall, im Alltag, an Feitertagen, in Ritualen, ja auch mit Gegenständen, bei Kochrezepten.

LG