Wie Wut in den Griff kriegen?

Ich wende mich fast schon verzweifelt an euch. Wir haben eine sehr glückliche Ehe und haben drei Kinder. Unsere fast 6jährige jedoch treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn. Bevor ich meine Tochter hatte kannte ich ganz ehrlich dieses Wutgefühl gar nicht richtig. Die schlimmsten Wutgefühle kommen in mir hoch, wenn sie ihre kleine Schwester wie Dreck behandelt und ihr gegenüber aggressiv und gewalttätig ist. Jahrelang hatte ich so viel Geduld mit ihr und sie bekommt sowohl von meinem Mann als auch von mir sehr sehr viel Liebe und Aufmerksamkeit. Seit einer Weile jedoch merke ich, wie ich meine Wut fast nicht mehr kontrollieren kann und öfters mal sehr laut werde und sie auch ab und zu mal stärker anfasse als ich es für gut befinde. Ich fühle mich dann wie eine absolute Scheißmama und ich will so nicht sein. Ich bin so viel traurig und hätte nie gedacht, dass ich mal so mit meinem Kind umgehen könnte. Nun ist meine Frage, was soll ich nur tun?? Ich habe an eine Erziehungsberatung gedacht. Meint ihr das könnte helfen? Wie kontrolliere ich meine Wut? Die üblichen Tipps wie einen Schritt zurück treten, tief durchatmen, Raum verlassen etc. kenne ich alle und sie helfen einfach nicht, mich in diesem Bruchteil einer Sekunde zu kontrollieren. Über eure Ratschläge wäre ich sehr dankbar.

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Dann musst du länger rausgehen und rausfinden, wie du dich in den Griff bekommst. Es klingt, als ob du nicht ein Problem mit Erziehung hättest, sondern mit dir selbst und deinen Gefühlen.

Deine sechsjährige Tochter *kann* deine Kleine gar nicht wie Dreck behandeln. Dazu ist sie aufgrund ihrer fehlenden kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung noch gar nicht fähig. Warum projizierst du das in sie rein? Da würde ich ansetzen.

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Du hast wahrscheinlich recht! Ich habe ein Problem mit diesen Gefühlen umzugehen, ich glaube ich habe das nie wirklich gelernt! Aber wie tue ich das? Bzw wo? Sie ist einfach unglaublich clever und sagt so schrecklich verletzende Sachen zu ihr. Aber es scheint mich in einem nicht normalen Maße zu triggern. Kannst du vielleicht ein Buch empfehlen, wo ich mich besser darüber belesen kann?

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Ich bin leider extrem impulsiv und schaffe es meistens nicht bis zu dem Punkt rauszugehen, weil mein Gehirn wie ausgeschaltet ist in diesem Moment der Wut

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Hallo Du!
Das kenne ich. Ich mache ein Coaching (sie macht mit mir Seelsorge / Aufarbeitung und Coaching im Sinne von Verhaltensmuster durchdenken und neue lernen).

Dazu habe ich das Buch: Erziehung mit Liebe und Vision von Danny Silk gelesen. Super Buch!
Und momentan dazu noch das Buch: Die 5 Sprachen der Liebe für Kinder von Gary Chapman. Auch sehr hilfreich. Beide Bücher gut zu lesen, Verständlich.

Alles Gute!

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Vielen Dank! Das scheinen ja christliche Bücher zu sein, das finde ich super, vielen lieben Dank für den Tipp!! Darf ich mal fragen, ist so ein Coaching teuer? Wie oft machst du das? Machst du das online?

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Guten Morgen!
Ja genau, die Bücher bauen auf christlichen Grundlagen auf. Sie sind wirklich super.

Also das Coaching - ich bin aus der Schweiz. Ich mach das bei jemandem, der etwas weiter weg wohnt und daher „treffen“ wie uns via Zoom, ab und zu mal „live“. Sie verrechnet mir nur das Coaching, Seelsorge bleibt ich glaube bei vielen kostenlos. Das Coaching kostet hier in der Umgebung zwischen 70.- jnd 120.- die Stunde. Aber wir machen 1 Stunde alle 6 Wochen, daher geht es finanziell gut auf. Meine „Coacherin“ sagt immer, das meiste passiert zwischen den Coachings, da lernen wir, was wir an Inputs bekommen haben.

Alles Gute! Und danke für den Post, ich lese auch mal noch etwas mit und besorge mir hinterher wahrscheinlich auch mal noch das ein oder andere empfohlene Buch :)

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Wenn ich deinen Text lese, assoziiere ich ihn zuerst mit „Wut als sekundäre Emotion“.

Das bedeutet, dass jemand eigentlich andere Emotionen fühlt, diese aber nicht zulassen kann oder möchte und sich daraufhin die Wut darüber legt.

Das passiert manchmal bei Gefühlen der Hilflosigkeit, der Schwäche, der Ohnmacht und da derjenige diese nicht fühlen möchte zum Beispiel aus Selbstschutz oder ein anderes Selbstbild heraus, entsteht eine riesige Wut, die man nicht bändigen kann ohne die ursprünglichen Gefühle anzugehen.

Weniger theoretisch gesprochen, glaube ich, dass du eine andere Ebene an Emotionen unter deiner Wut hast. An deiner Stelle würde ich versuchen zuerst herauszufinden, was du unter der Wut fühlst, warum es für dich schwer ist, diese Gefühle zuzulassen und warum du wütend wirst. Macht es Sinn für dich?

Ich habe mit Anfang 20 sehr viel Wut gespürt und wusste nicht wohin damit. Ich habe aus meinem Elternhaus nie gelernt damit umzugehen, weil negative Gefühle tabuisiert waren. Ich musste Schritt für Schritt daraus finden. Mittlerweile weiß ich sehr genau was ich fühle und alleine das Wissen warum ich welche Gefühle habe, nimmt die Wucht der Gefühle und die Macht von ihnen.

Das beste Buch zur Umgang mit Gefühlen finde ich „Relationship Cure“ von Prof. John Gottman . Es ist eigentlich ein Beziehungsbuch, aber geht sehr tief und praktisch auf Emotionen ein und der Umgang damit im zwischenmenschlichen Kontext ein.

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Vielen Dank für denke wirklich sehr hilfreiche Antwort. Weiter unten habe ich noch etwas ausführlicher berichtet

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Ich habe deinen Text unten gelesen und was mir ins Auge gestochen ist, ist „das Böse“, wo du nicht weißt, wo es herkommt und was du nun wieder in dir siehst bzw. in deinem Kind.

Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass diese Wut daraus entstehen kann, wenn das eigene Selbstbild an dem eigenen Handeln vorbei geht.

Du verurteilst dich selbst oder ein Teil von dir als Böse. Du fühlst Schuld gegenüber deiner eigenen Schwester und jetzt wo dein Kind sich ähnlich benimmt als du, verurteilst du es als „böse“, wie du es schon bei dir getan hast. Die Wut richtet sich mMn nur bedingt gegen dein Kind, sondern kommt auch aus deiner Schuldgefühle, deiner Hilflosigkeit heraus und richtet sich primär gegen dich selbst.

Was meiner Erfahrung nach im ersten Schritt hilft ist diese Selbst-Verurteilung als „böse“ zu vermeiden. Wenn wir uns solche Charaktereigenschaften zuschreiben, dann werden wir handlungsunfähig. Diese Handlungsfähigkeit führt zu Hilflosigkeit. Und diese Hilflosigkeit führt zur unbändigbaren Wut.

Du warst ein Kind. Du hattest schlimme Dinge zu deiner Schwester gesagt, die du als Erwachsene niemals gesagt hättest. Jedoch entwickelt sich die Fähigkeit zur Empathie erst mit dem Aufwachsen. Als Kind sind Gefühle der anderen spannend, auch die negativen. Und aus Gedankenlosigkeit heraus werden schlimme Dinge gesagt. Du hast es damals nicht besser gewusst. Du hast es verstanden später, du hast gelitten, du hast dich entschuldigt - es wird Zeit mMn auch dir selbst zu verzeihen.

Es hilft bereits, wenn du dir selbst nicht mehr sagst, du hast eine „böse Seite“. Sag dir anstatt dessen: Damals hast du es nicht besser gewusst, du warst kognitiv noch nicht so weit entwickelt. Und heute bist du nicht „böse“, denn heute musst du noch lernen mit dieser schleppten Schuld umzugehen.

Ich glaube, es könnte hilfreich sein, diese Sache mit deiner Schwester aufzuarbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass darin der Wurzel des Übels liegt.

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Liebe TE,
Als ich deinen Text gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass auch ich ihn hätte schreiben können. Bei mir sind es sicherlich andere Situationen, die mich triggern und ich glaube, dass das mit der Wut als sekundäre Emotion, wie es eine Vorschreiberin schrieb, eine große Rolle spielt. Auch, wie sehr ich am Tag schon an meine Grenze gekommen/gegangen bin. Ich lese mal mit. Wie oft kommt das denn bei dir so vor mit dieser Wut? Ist das schon immer so, dass dich Verhalten deiner großen Tochter stresst oder ist es speziell diese Art des ärgerns?

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Hallo! Schön von dir zu hören und es tut sehr gut zu wissen, dass man nicht alleine damit ist. Ich fand das mit der sekundären Wut auch sehr interessant und es trifft sicherlich auf meine Situation zu. Ich fühle mich in diesen Situationen absolut hilflos. Weil rational macht es wahrscheinlich kein Sinn, derart wütend wegen Geschwisterstreit zu sein. Ich war jahrelang selbst eine ganz miese Schwester gegenüber meiner kleinen Schwester. Bis ich vor einigen Jahren völlig zusammengebrochen bin vor lauter Schuldgefühlen und mich von Herzen bei ihr dafür entschuldigt habe. Sie hat mir ohne weiteres verziehen. Seit diesem Tag haben wir eine wirklich wunderschöne Beziehung zueinander und sie ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Woher jedoch dieses Böse in mir kam, das ich an meiner Schwester rausgelassen habe, weiß ich leider nicht. Wir haben ganz liebevolle Eltern und durften auch negative Emotionen zeigen. Und nun bin ich so traurig, dass dieses Böse erneut aus mir herausbricht (gegenüber meiner Tochter). Sie ist ein ganz tolles, kreatives und sehr schlaues Kind. Deshalb habe ich wahrscheinlich auch viel zu hohe Erwartungen an sie. Sie hat schon als Baby sehr viel geschrien, da war ich auch immer mal mit wutgefühlen konfrontiert. Sie hat wie ich sehr starke Emotionen und kann diese sehr schlecht regulieren und hat sich körperlich nicht gut unter Kontrolle (wie gesagt, sie haut ihr kleine Schwester häufig o.ä.) ihr Geschwister sind sehr anders und bei ihnen verliere ich übrigens nie die Kontrolle. In letzter Zeit war mein Baby viel krank und ich wurde nachts mehrmals die Stunde geweckt und hatte einfach ganz gan zfurchtbare Nächte. Dann ist die Zündschnur natürlich besonders kurz und es kommt schnell zu Eskalationen, auch weil kein Kindergarten, also Alltag war. Im normalen Alltag habe ich mich besser im Griff, da kommt es vielleicht einmal in der Woche oder alle zwei Wochen vor, dass ich sehr laut werde. Das mit dem härter anpacken war auch in der letzten schlimmen Zeit vermehrt der Fall, das habe ich davor so gut wie nie getan und das erschreckt mich eben so sehr. Ich habe auch so Sorge, dass ich ihr bereits einen emotionalen Schaden zugefügt habe. Ich habe gerade einfach zu viel inneres Chaos und benötige Hilfe :( .
Und weil du gefragt hattest, es geht fast ausschließlich um die Situationen, wenn sie schlecht mit ihrer Schwester umgeht, ansonsten habe ich meine Emotionen besser im Griff.
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Hallo und danke für deine Antwort und deinen Einblick in dieses schwierige Thema!

Hilflosigkeit ist hier bei mir auch ein großes Thema, Überforderung, keine Lösung zu haben. Ich kann bis heute nicht so richtig sicher sagen, in welchen Situationen mich diese Wut überkommt. Das macht es nicht unbedingt leichter, weil mich immer mal wieder die Angst umtreibt, dass ich für meine Kinder unberechenbar bin. Und das finde ich eine fürchterliche Vorstellung. Meine Kindheit war eher so lala und ich würde da verschiedene Begründungen finden können, warum ich manchmal so unbeherrscht bin, aber am Ende macht das, finde ich, auch nur begrenzt einen Unterschied.

Ich habe das Gefühl, dass es bei mir über die Jahre weniger geworden ist und auch mit der zunehmenden Anzahl an Kindern oder auch mit einem anderen Verständnis dafür, wie Kinder funktionieren. So recht weiß ich es auch nicht. Aber als die Große kleiner war, war das schon noch häufiger. Manchmal sind es solche Situationen, wo ich mich echt bemühe lange ruhig zu bleiben und wo mir dann irgendwann der Kragen platzt, z.B. war Zähneputzen bei unserer Mittleren lange ein Problemthema. Wenn der Lütte schreit und schreit, ohne, dass ich weiß, was er hat/will und was zu tun ist, kann das auch vorkommen, aber es sind schon recht unterschiedliche Situationen, glaube ich. Ich werde mir mal mitnehmen, dass ich genauer anschaue, welche Situationen es tatsächlich sind. Aber ja, ich glaube bei mir spielt Hilflosigkeit / Kontrollverlust eine große Rolle und manchmal auch sowas - auch wenn das widersinnig klingt - wie der Wunsch nach Harmonie. Ich wünsche mir manchmal so sehr, dass die Kinder einfach mitmachen, meine Versuche, es uns allen leicht zu machen, anerkennen und es dann eben auch versuchen leicht zu machen. Schwierig auf jeden Fall. Darf ich fragen, wie sich dann so ein "Ausbruch" zeigt? Und - was tust du danach?

Deine Tochter klingt so, wie ich meine auch beschreiben würde, zudem ist unsere Große sehr sensibel, empfindsam. Ich bin auch recht sensibel, nehme Stimmungen manchmal überdeutlich war und neige leider auch dazu bestimmte Unstimmigkeiten auf mich selbt zu projezieren. Das ist schon "besser" geworden, weg ist es aber nicht.

Ich glaube wohl, dass es eine große Rolle spielt, wie es einem selbst geht, wie viel Zeit man hat für Selbstfürsorge, wie die Nächte sind, wie viel Zeit man aufeinander "klebt". Viele Stressoren auf einmal machen es hier auch schwieriger. Ich versuche mir andersherum aber auch immer wieder klar zu machen, dass ich in 98% der Fälle wohl eine ziemlich gute Mutter bin. Das heißt nicht, dass ich die 2%, in denen ich einfach ätzend bin, vergessen will, aber manchmal hilft mir das mein Gedankenkarussel zu stoppen.

Bearbeitet von keineAntwort