Gefühle für Therapeutin und Enttäuschung

Hallo,

Seit 3 Monaten gehe ich (weiblich) zu einer Therapeutin. Normalerweise bin ich heterosexuell aber ich habe für meine Therapeutin Gefühle entwickelt. Ich finde sie intelligent und lustig und ich mag einfach alles an ihr sehr gerne. Sie erzählt auch oft mal etwas aus ihrem Leben und ich hatte bisher den Eindruck das sie mich ebenfalls gerne mag. Ich kann nicht ganz einordnen ob meine Gefühle für sie freundschaftlich sind oder ob ich in sie verliebt bin. Nun habe ich das Problem eine riskante Lebensweise zu führen und das möchte ich ja auch ändern, da es mir damit nicht gut geht. Ich habe also auch über meine Schattenseiten ehrlich berichtet, da es schließlich wichtig ist in der Therapie ehrlich zu sein. Es ist so, dass ich gelegentlich Ladendiebstahl begehe und ich weiß das, dass nicht richtig ist. Es gehört zu der Problematik meiner psychischen Erkrankung. Nun hat sie darauf sehr negativ reagiert. Das sie so etwas eben total schlecht findet und das ich meine Moral hinterfragen soll und allgemein hatte ich danach das Gefühl, dass sie mir nichtmehr so viel Sympathie entgegenbringt wie vor dem Zugeständnis. Ich wollte komplett ehrlich sein und nun bereue ich das, weil ich das Gefühl habe mir jegliche Sympathie verspielt zu haben. Natürlich ist das moralisch verwerflich aber ich hätte mir trotzdem eine Offenheit gewünscht um mich trotz meines Fehlers weiter geschätzt gefühlt und ich möchte ja auch daran arbeiten. Ich bin so enttäuscht weil ich das Gefühl hab, sie mag mich jetzt nichtmehr. Kann denn so etwas die ganze Sympathie und Wellenlänge die vorher zwischen uns war zerstören?

1

Sigmund Freund wäre ja heute in vielem nicht mehr "up to date", aber in puncto "sich in den Therapeuten/die Therapeutin verlieben" hatte er absolut recht.

Wer den entsprechenden psychologischen Mechanismus durchschaut, sollte davor gefeit sein. Im übrigen spielt das Geschlecht des Therapeuten/der Therapeutin für dieses Moment des "sich verliebens" überhaupt keine Rolle. Wäre es ein Mann, würde wahrscheinlich das Gleiche entstehen.

Aber dieser Gesichtspunkt ist für mich (wohl nicht für Dich) der am wenigsten Verblüffende. Erschüttert bin ich eher ob der "moralischen Erschütterung" der Therapeutin, wenn dies überhaupt so stattgefunden hat. Oder aber Du schilderst hier ihre Rolle in einer wenig zutreffenden Weise, wie Du sie wohl empfindest. - Es mag Gründe für ihren moralischen Appell geben - aber da ich ja nicht "dabei" bin, kann ich die Gründe hier kaum nachvollziehen.

Moralische Wertung und Vorwürfe sind so gar nicht die Aufgabe eines/r Therapeuten/*in. Vielleicht ist ihr scheinbares Moralisieren Dir gegenüber eher eine Art von "Versuchsballon". Sie erwartet von Dir Gefühlsäußerungen, auf die sie vielleicht selbst reagieren möchte und die wohl nicht kommen? Denn der Hinweis "moralischer Verwerflichkeit" hat mit einem therapeutischen Ansatz ja nicht das Geringste zu tun und erschließt sich für mich in gar keiner Weise.

Ebenfalls gehört nicht zur Therapie, der Patientin irgendeine Art von "Wertschätzung" zu entziehen. Überhaupt ist die Abhängigkeit von Wertschätzung wirklich kein professionelles Therapieziel.

Ich würde daher offen mit der Therapeutin über Deine "Gefühle" sprechen. Noch gehe ich davon aus, dass sie weiß, was sie tut: Sympathie und Wertschätzung sind nämlich wichtig, aber zuviel davon ist wiederum schädlich.

2

Sehe ich auch so, das Moral und Abwertung nichts in einer Therapie zutun haben sollten!

Bearbeitet von Mommmy
3

@Mommmy.

Womit Du absolut recht hast.

Eine Therapeutin sollte nicht Leute therapieren, mit deren "Fehlverhalten" sie selbst so gar nicht klarkommt. Unter "Klarkommen" verstehe ich allerdings nicht umgekehrt Zustimmung oder positive Bewertung des Fehlverhaltens. Wenn alles so wunderbar wäre, bedürfte es ja der Therapie nicht.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen wird dies im wechselseitigen Interesse von Patient und Therapeut so und nicht anders gehandhabt. Therapeutinnen müssen nun auch nicht jeden Patienten akzeptieren. Eine Bekannte therapiert beispielsweise keine (tatsächlichen oder auch nur potentiellen) Sexualstraftäter, weil es sie persönlich zu sehr belasten würde - was dann letztendlich für niemand hilfreich wäre.

Außerdem gehe ich davon aus, dass die Patientin in dem hier vorliegenden Fall ihr eigenes Verhalten ja wohl weder beschönigt noch irgendwie gut und gesellschaftlich akzeptabel findet.

Bearbeitet von Zweifler
weiteren Kommentar laden
4

Wenn du jetzt so stark das Gefühl hast, dass sie dich nicht mehr mag, bringst du ihr zuviel Gefühle entgegen.

Du musst das Thema ansprechen, sonst hat die Therapie keinen Wert. Denn ab jetzt sprichst du nur noch über die Dinge, über die sie sich freut, damit sie dich wieder mag. Das ist völlig kontraproduktiv in der Therapie.
Sprich dein Gefühl so an, wie du es hier beschrieben hast. Das ist mega wichrig.

6

Das, was du als Verliebtsein empfindest, verwechselst du mit dem Gefühl, was entsteht, wenn man sich einer Person komplett anvertraut. Es gibt zahlreiche Experimente dazu, dass sich Menschen verlieben, wenn sie das Gefühl haben, ihr Inneres nach außen kehren zu dürfen und angenommen zu werden. Das hat weniger damit zu tun, dass man den anderen toll findet, als dass man sich sehr nach Intimität und Wertschätzung sehnt. Passiert fast in jeder Therapie irgendwie, irgendwo, irgendwann.

Die Therapeutin klingt, so wie du das schilderst, unprofessionell: erstens: Sie erzählt aus ihrem Leben. Das hat meines Erachtens gar nichts in einer seriösen Therapie zu tun. Zweitens: sie fällt Werturteile über dich.

Auf beides würde ich sie ansprechen und fragen, was sie damit bezweckt, für das Gefühl von Verliebtheit gilt: Feelings are no facts… das Unterbewusstsein ist ein sehr toller Gaukler. Immer schön kritisch hinterfragen ist ne gute Devise.

9

Aus dem eigenen Leben erzählen ist jetzt erst einmal gar nicht so tragisch. Solange es nur oberflächliche Dinge sind, denke ich. Alles andere geht natürlich gar nicht.

7

Nein, als Therapeutin ist sie schlimmeres gewohnt und sie kommt damit klar das ist ihr Beruf. Vermutlich hat sie nur deine Verliebtheit bemerkt oder vermutet es und reagiert entsprechend.

8

Du brauchst eine neue Therapeutin. Gefühle zu dieser Person machen eine Therapie unmöglich.
Dass die Therapeutin ihre persönliches Empfinden so äußert finde ich auch unangebracht.
Du solltest dich nach jemand anderen umschauen, wenn du wirklich Hilfe möchtest.

10

Gefühle machen eine Therapie nicht "nicht möglich", ganz im Gegenteil. Mit und durch Gefühle lässt sich oft hervorragend therapeutisch arbeiten, da gehört eben nur viel Professionalität dazu.

Und ja, es gibt Ausnahmen. Aber oft können Klient:innen ganz viel mitnehmen, wenn die Phase des Verliebtseins in der Therapie entsprechend wertschätzend aufgearbeitet wird.

Bearbeitet von xenotaph
11

Erstens:

"Es kommt darauf an."

Differenzierung ist hier notwendig und schwierig.

Zweitens: Es existieren verschiedene Schulen. Damit beziehe ich mich auf professionelle akademische Schulen. Die Unterschiede gelten nicht als gravierend, da das Grundkonzept ähnlich ist.

Heute schält sich eher die Ansicht heraus, dass ein Therapeut/in da sehr flexibel sein muss, um zu erkennen, ob und wie sich mit emotionalen Beziehungen mit/gegenüber/von dem Partienten/*in agieren lässt oder nicht.

Bei mir beispielsweise wäre eine emotional-persönliche "Beziehung" jedweder Art verheerend und würde mich misstrauisch machen. Für jemand anderen hingegen ginge es absolut nicht ohne eine solche Art von "Bindung" und größerer persönlicher Emotionalität.

Aber wir sollten uns auch darüber im klaren sein, dass persönliche Beziehungen eine Grenze haben müssen (alles andere würde gegen den Kodex des Standes verstoßen). Ich würde die Grenze lieber früher als später ziehen. Denn jede Therapie sollte ja auch ein potentielles und kontrolliertes "Ende" haben und hängt mit irgendeinem Bezahlsystem zusammen.

Beziehungsabbruch wegen Therapieende? Das wäre fatal und eher wieder krankheitsauslösend.

Also: Über die Begrenzung der therapeutischen Beziehungen müssen sich beide Seiten stets im klaren sein. Und wenn die Therapeutin dann zur "Geliebten" werden würde, sollte einige Zeit vorher die Therapie beendet werden. Dann darf man sich "irgendwann" ja auch privat begegnen. (NICHT mein IDEALBILD!!! Nur unerlässliche Voraussetzung).