Kraft- und humorvolle erste Geburt im Geburtshaus

Mein Sohn ist vor einem Jahr geboren, jetzt bin ich endlich dazu gekommen, den Geburtsbericht zu schreiben. Klein T ist mit 3370 Gramm und 52 Zentimetern in einer kraftvollen interventionsfreien Geburt im Geburtshaus zur Welt gekommen. Achtung: Recht lang, aber schön! :-)

Der errechnete Termin kommt und geht, ohne dass sich bei mir etwas rührt. Jetzt gehe ich täglich zur Kontrolle ins Geburtshaus. Es vergehen die Tage, die Hebammen schlagen erste Hausmittel vor, um die Geburt in Gang zu bringen, und ich werde langsam unruhig. Eine Woche nach Termin habe ich schon große Angst vor einer Einleitung, in vielen Kliniken wäre das bereits der Stichtag dafür. Jeden Abend, bevor ich schlafen gehe, bete ich dafür, von Wehen geweckt zu werden. Doch es rührt sich gar nichts. An Tag 8 nach Termin gehe ich wieder hoffend und bangend ins Bett. Mitten in der Nacht wache ich auf – weil ich auf Toilette muss... Frustriert lege ich mich zu meinem Mann aufs Sofa (wir schlafen getrennt), ich habe einen starken Drang, nicht alleine zu sein. Ich weine stumm ein paar Tränen, dann lege ich die Hand auf den Bauch und trete mit meinem Baby in Kontakt. „Ich habe alles vorbereitet, ich bin bereit dass du kommst, jetzt liegt es an dir“, sage ich zu ihm, und wirklich, T tritt mich kräftig, als würde er antworten, „hab verstanden, Mama.“ Ich schlafe wieder ein.

Eine Stunde später werde ich von Wehen geweckt. Es ist ein wunderbar willkommenes Wehtun. „Ich glaube, es geht los“, sage ich zu meinem Mann, und er antwortet, „dann lass mich noch ein bisschen schlafen.“

Wenig später sind wir aber beide auf den Beinen, frühstücken gemeinsam. Mann schaut sich das Handout vom Geburtshaus an, das den groben Verlauf einer Geburt skizziert, und verkündet optimistisch, um 18 Uhr könnte T auf der Welt sein. Die Fruchtblase scheint gerissen, es tröpfelt. Ich rufe im Geburtshaus an und bekomme die Anweisung, möglichst zu entspannen und Kraft zu sammeln. Also lege ich mich ins Bett, wo die Wehen bald intensiver werden. Mann legt sich hinter mich, hält meine Hand, spricht mir Mut zu. In der Badewanne versuche ich, zu entspannen, doch die stärker werdenden Wehen machen mir zunehmend zu schaffen. Das erste Mal kommen Zweifel in mir auf. „Schaffe ich das ganz ohne Schmerzmittel?“, frage ich Mann, und bin erstaunt, mit welcher absoluten Sicherheit er diese Frage bejaht. Trotzdem sinkt meine Motivation weiter, mit jeder schmerzenden Wehe huschen mir die Worte „Krankenhaus“ und „Kaiserschnitt“ durch den Kopf.

Wieder im Bett: „Schreib Mama und Schwester, ich will, dass sie jetzt an mich denken“. Und: „Bring mir ein Glas Wasser und eine Banane.“ Kurz darauf muss ich mich übergeben.

13 Uhr, ich rufe im Geburtshaus an. Hebamme Rosie kommt wenig später vorbei, um festzustellen, ob es schon Zeit zum Aufbrechen ist. „Das hat mir vorher niemand gesagt, dass das so wehtun würde“, sage ich noch scherzhaft. Rosie untersucht mich. „Du hattest mit uns vereinbart, dass wir dir nicht den Zentimeterstand des Muttermunds nennen, richtig?“, fragt sie. Ich nicke. Sie bleibt vage - „Bleib lieber noch etwas zuhause.“ Im Nachgespräch erzählt Rosie mir, dass ich da bei gerade mal zwei Zentimetern war. Hätte sie mir das zu dem Zeitpunkt gesagt, hätte ich den Mut aufgegeben.

Ich liege weiter seitlich im Bett, halte einfach nur den Schmerz aus, veratme. Und bin verunsichert, ich hatte mir doch vorher immer vorgestellt, in welch sportlichen Positionen ich die Wehenarbeit machen würde. Ich muss aktiv werden! Stelle mich in den Türrahmen, Hände an den Rahmen geklammert, die nächste Welle nehme ich im Stehen! Die Welle kommt und drückt mich in die Knie. Ich gehe auf alle viere, will aus irgendeinem Grund rüber ins Wohnzimmer krabbeln. Aber jetzt kommen die Wellen in so kurzen Abständen, dass ich kaum noch Pause habe. „Ich muss mich entspannen!“, presse ich verkrampft zwischen den Zähnen hervor. Ich merke, dass es nun schnell voran geht. Mann ruft im Geburtshaus an, wir wollen los. Ich muss all meine Kraft sammeln, um mich in den Wehenpausen anzuziehen und den Weg bis zum Auto zu schaffen. Um 15:30 fahren wir los. Es liegt ein Gewitter in der Luft, einzelne dicke Regentropfen wehen mir ins Gesicht, als ich das Fenster für etwas Erfrischung öffne. Wir nehmen jede rote Ampel auf dem Weg mit, und jedes Mal überrollt mich eine Welle, die ich, an den Türgriff geklammert, still über mich ergehen lasse.

Um 16 Uhr kommen wir im Geburtshaus an. Hebamme Jasmina öffnet uns die Tür, ich gehe an ihr vorbei ins Geburtszimmer und lasse mich schwer in den Vierfüßlerstand auf den Boden fallen. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, keuche ich entmutigt. „Ach doch, das schaffst du!“ Ich lege mich aufs Bett, Mann neben mich. Jasmina weist ihn an, ruhig noch etwas zu dösen, das könne noch eine Weile dauern – während ich denke, nein, das geht hier bald los! Jasmina gibt mir ein pflanzliches Mittel, das den Muttermund weich machen soll. Dann will sie, dass ich aufstehe. Ich setze mich vor der Sprossenwand auf einen großen Gymnastikball und halte mich an einem Tuch fest, das von der Decke baumelt. In den Wehenpausen kreise ich auf dem Ball, während der Wehe zieht Mann den Ball hinter mir weg und ich gehe in die Hocke. Wie eine Skispringerin. Endlich komme ich in Bewegung, so wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Ich bin wieder motiviert, es geht vorwärts. Jasmina feuert mich an, das sehe ja aus wie im Bilderbuch. Ich spüre enormen Druck nach unten und verschwinde für eine Weile auf der Toilette.

17 Uhr. Hebamme Jasmina hätte jetzt eigentlich Feierabend, aber sie merkt, dass es schnell gehen wird und will bis zum Ende bleiben. Währenddessen treten die nächsten Hebammen, Rosie und Alina, ihren Dienst an. Da aber keine andere Geburt ansteht, habe ich plötzlich eine Drei-zu-Eins-Betreuung. Was für ein Luxus! Ich lege mich ein letztes Mal aufs Bett, da beginnen schon die Presswehen. Es fühlt sich an, als würde etwas mit aller Kraft durch meinen Unterleib rollen. Jasmina bereitet die Badewanne vor. Pure Erleichterung, als ich ins Wasser sinke. Und dann geht es richtig los. Die Presswehen schieben das Baby mit aller Kraft nach unten, und mir wird plötzlich bang davor, dass es jetzt soweit sein soll. Dass da jetzt wirklich ein Kopf aus mir herauskommen wird. Jasmina und Mann sind am Beckenrand, Rosie und Alina bleiben an der Tür und feuern mich an. Ich setze mich in den Yogi-Squat, Jasmina fragt, ob ich diese Position aushalten werde, aber ich habe keine Zweifel, so kraftvoll fühle ich mich auf einmal. Presswehe – es breeeeennt! Ich schnaufe tief durch, warte auf die Nächste. Hab zum Glück einen Moment zum Verschnaufen, meine Gesichtszüge entspannen sich. Jasmina ermuntert mich, mir zwischen die Beine zu fassen. „Er hat Haaare“, rufe ich ganz verzückt. Presswehe – ich schreie mit ganz tiefer Stimme. Wusste gar nicht, dass ich so tief schreien kann, wie ein Tier. Pause. „Zieh dein T-Shirt aus, damit du ihn gleich auf den Arm nehmen kannst!“, rufe ich meinem Mann zu, ich finde die Vorstellung so schön, dass die beiden schon mal kuscheln, bis ich aus dem Wasser bin – bin dabei aber etwas voreilig, denn: „Da ist noch die Nabelschnur, das geht nicht“, erinnert mich Jasmina lachend. Dann kommt die letzte Presswehe, es brennt noch einmal, und um 18:08, wie Mann es vorausgesagt hatte, schießt T aus mir heraus auf den Boden der Wanne. „Nimm ihn, nimm ihn!“, rufen Mann und ich gleichzeitig. Alles muss man selber machen – ich hebe meinen Sohn aus dem Wasser. Halte ihn im Arm. Ich dachte, ich würde weinen, aber ich lache nur ungläubig, du bist endlich da! Unbeschreiblich, diesen nassen, warmen, schutzbedürftigen Körper zu halten.

T verzieht das Gesicht, ist erst gar nicht glücklich, in die kalte Welt hinausgeworfen worden zu sein, aber er beruhigt sich schnell. Mann springt über seinen Schatten und schneidet die Nabelschnur durch. T wird warm eingewickelt und Mann trägt ihn rüber ins Geburtszimmer, während ich noch schnell die Plazenta gebäre, kurz abgeduscht werde und dann auch, von einer Hebamme gestützt, rüber ins Zimmer gehe. Ich liege im Bett und bekomme meinen Sohn zum Kuscheln. Wir schauen uns tief in die Augen und es ist, als würde ich mich selbst angucken. Alles um uns herum verschwindet. Ohne Zweifel ist das der intimste Moment meines Lebens.

Mit ein bisschen Untersützung der Hebammen klappt auch das erste Stillen. Was für ein verrücktes Gefühl! Ich bin so erleichtert.

Mann assistiert bei der U1-Untersuchung – Apgarwerte 10/10/10 – während sich zwei Hebammen liebevoll und in aller Ruhe (insgesamt eine Stunde lang!) um meine Geburtsverletzungen kümmern. Währenddessen plaudern wir über ihren Beruf und ich schicke erste Fotos des Neuankömmlings in die Welt.

Mann, T und ich kuscheln noch ein wenig im Bett, da kommen die Hebammen mit einem kleinen Schokoküchlein mit Kerze – zu Ts „Geburts“tag! - den ich stellvertretend für ihn essen darf. Um 21.30, dreieinhalb Stunden nach der Geburt, machen wir uns auf den Heimweg. Im Auto überkommt uns beide nochmal ein Adrenalinrausch. Ganz aufgekratzt erzählen wir einander Szenen der zurückliegenden Stunden, ganz ungläubig darüber, wie gut alles geklappt hat! Was für ein Erlebnis!

1

Wow - dein Geburtsbericht ist wahnsinnig toll geschrieben! Er liest sich wie ein spannendes Buch - richtig gut #verliebt

Ich musste weinen beim Lesen #schein Aber solche Berichte lassen hoffen, dass man es auch schaffen wird - noch 15 Wochen #verliebt

♥️-lichen Glückwunsch und alles Gute für euch!

2

Ach so schön 😍
Das war der erste Bericht bei dem ich weinen 😢 musste.
Warte auch schon sehlichst auf unseren dritten Schatz 😍 bin jetzt 37+1

Gratuliere zu dieser schönen Geburt!