Berliner dürfen sitzen bleiben

Hallo und guten Abend,

ich hatte mit meiner Tochter gerade eine Diskussion über ein Thema, welches durch die Medien ging. Es geht um das freiwillige sitzen bleiben (auf Antrag) für Berliner Schüler bis Klasse 10, die sich durch die Unterrichtsausfälle benachteiligt fühlen.

Meine Tochter meint, es sei eine historische Chance, aber ist das wirklich so? Wir selbst wohnen in NRW und bei meiner Tochter geht es ums Abitur. Ich hatte darüber schon berichtet, aber ohne jetzt ins Detail zu gehen. Ist das generell die Lösung der aktuellen Schulproblematik?

Wie denkz ihr darüner?

VG

Löst freiwillig sitzen bleiben die Probleme?

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Hallo,

die absolute Lösung ist es nicht, aber eine Chance. Auch in Thüringen kann man freiwillig wiederholen. Ich hatte gestern darüber auch ein Gespräch mit 2 Freundinnen. Hier in Thüringen schreibt man am Gym in der 10. Klasse eine BLF. Das ist quasi die Prüfung, um den Realschulabschluss zu bekommen. Mein Mittlerer ist in der 10. Klasse Gym und muss diese Prüfung dieses Jahr schreiben. In der Klasse fielen die Halbjahreszeugnisse bei einigen nicht so berauschend aus. Zum einen weil Noten fehlten und zum anderen, weil am Anfang Stoff vom letzten Lockdown durchgeprügelt wurde. Es fehlt auch noch einiges an Stoff. Die Vornoten sind also schlechter als zu normalen Bedingungen. Als Abschlussnote zählt die Vornote zu 50 % und die Prüfungsnote zu 50 %. Da hier die 10. Klassen am Gym erst ab einer bestimmten Inzidenz in die Schule dürfen, kann es sein, dass Schüler aus manchen Landkreisen viel früher wieder im Präsenzunterricht sind als andere. Es muss aber eine zentrale Prüfung geschrieben werden. Ich würde mein Kind auch lieber freiwillig wiederholen lassen als Gefahr zu laufen, dass es einen schlechteren Realschulabschluss schafft oder ihn gar nicht schafft. Schafft der Schüler ihn nicht, gilt es als "Sitzenbleiben" und es wird auf die Verweildauer in der Schule angerechnet. Von meiner Freundin der Sohn ist eigentlich ein guter Schüler. Dieses Jahr hat es aber rein gehauen. Er steht in einigen Fächern 4. Da würde ich definitiv freiwillig wiederholen lassen. Denn im Falle, dass man das Abitur nicht schafft, steht man mit einem schlechten Realschulabschluss da. Das macht die Ausbildungssuche erschwerlich und birgt auch Gefahr, an Schulen nicht aufgenommen zu werden um eventuell FOS zu machen. Ich habe bei meinem Sohn auch genau durch gerechnet. Er steht allerdings in den meisten Fächern 2. Sollte er in den Prüfungen 5en bekommen, stünde er 3,5 und könnte durch eine mündliche Nachprüfung noch eine 3 bekommen. Er ist mündlich stark und deshalb gehe ich davon aus, dass er das dann auch schafft. Eine 3 im Realschulabschluss ist zwar nicht berauschend, er hat aber damit dennoch die Möglichkeit, auf Schulen zu wechseln, die FOS anbieten. Im Fall meines Sohnes wäre wiederholen Blödsinn. Von daher macht es wirklich Sinn, einen Schritt weiter zu blicken und zu überlegen "Was wäre wenn?".

LG
Lotta

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Ich denke, dass man das nicht pauschal beurteilen kann. Genau deshalb ist es ja freiwillig. Hier in Thüringen ist die freiwillige Wiederholung auch unabhängig von Corona möglich, wahrscheinlich werden aber auch wie im letzten Schuljahr bereits die Hürden dafür weiter gesenkt.
Sind große Lücken entstanden, ist es sicherlich sinnvoll. Geht es wirklich nur um die Notenverbesserung, verspricht man sich davon wahrscheinlich zu viel.

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Dass man in Thüringen schon immer freiwillig wiederholen kann wusste ich, aber wird das dann auch nicht auf die Verweildauer angerechnet? Muss man dazu bestimmte Kriterien erfüllen oder können das die Eltern einfach selbst entscheiden?

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In BW gibt es die Möglichkeit des freiwilligen Wiederholens auch. Das gab es schon zu meiner Schulzeit und kann zum Beginn eines Schulhalbjahres stattfinden.
Allerdings ist freiwillig Wiederholen gleichzusetzen mit Sitzenbleiben, außer in diesem Schuljahr, da zählt es nicht als Sitzenbleiben.
Wenn Lücken da sind, die man gut aufschließen kann, dann halte ich die Möglichkeit immer für gut. Sitzenbleiben wegen eklatanter Wissenslücken holt man meist nicht mehr auf.

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Ich kenne das aus meiner Schulzeit (BaWü)
und bei meinem Kind wäre es auch vor Corona schon gegangen.

Bedingungen vor Corona war eigentlich nur: die Schule hat im Jahrgang darunter einen Platz frei. Bei Profilklassen schwierig. Also ein Kind, das Französisch gewählt hat, kann nur dann wiederholen, wenn in der Französischklasse ein Platz frei ist. Sind 4 Plätze in der Lateinklasse frei, Französischklasse voll, dann geht es nicht.

Zwangsweise Sitzenbleibende und Zugezogene haben Vorrang.

Ist dann noch ein Platz frei, kann freiwillig wiederholt werden.
Wollen 5 Kinder wiederholen und 2 Plätze sind frei, dann geht es nur für zwei Kinder. Das ist dann auch Schulentscheid. Entweder nach Dringlichkeit oder im Losverfahren.

Für Abijahrgänge war/ist es etwas schwieriger. Sowohl gewählte Leistungsfächer sind zu beachten, als auch, dass man bei den Noten/Punkten keine Probleme einhandelt oder unfaire Chacnen verschafft. Damit habe ich mich nicht intensiv genug beschäftig. Ich weiß nur, dass es da ein paar Punkte mehr zu beachten gibt.


Mit Corona ist es insofern einfacher geworden. Normalerweise gibt es Zeitabstände wie oft man wiederholen darf. Durch Corona ist das etwas lockerer.
Letztes Schuljahr gab es kein sitzen bleiben müssen, weil keine Chance bestand Noten noch mal auszugleichen. Wohl aber die Chance zusammen mit Lehrern und Eltern zu besprechen, ob Wiederholung sinnvoll ist , um Lücken zu schließen
oder ob man noch ein/zwei Schuljahre abwartet und dann wiederholen lässt, wenn wieder mehr Präsenzunterricht läuft. Dafür dann mit Nachhilfe und zusätzlicher Unterstützung.

Die Fragen sind dabei dann auch, ob es am Homeschooling lag oder ob es bereits generell Lücken gibt oder ob in einem Fach / mehreren Fächern schon vorher Grundlagen fehlen.
Braucht das Kind Zeit und kann diese Grundlagen auch während Homeschooling nachholen, kann frewilliges Wiederholen sinnvoll sein.
Hinkt die gesamte Klasse hinterher und man muss gucken, wo man die gesamte Klasse dann abholt, dann wäre noch etwas abwarten sinnvoll. Schon mal Budget für Nachhilfe einplanen (für Fächer, die einem im Schnelldurchlauf nicht so liegen; für die man Grundlagen braucht oder wo man im Homeschooling Schwierigkeiten hat).

Für die Fächer, die mein Kind gerne macht, klappt es auch so. Da findet sie auch Erklärvideos und arbeitet sich selbst ein.
Fächer, die ich ganz gut kann, kommt sie hin und wieder fragen.
Ihr gar nicht gern mögen Fach, bei dem ich auch gar nicht wirklich helfen kann, wird es nach Corona 1:1 Nachhilfe geben. So viel plane ich schon mal ein.
Wie lange? Kommt darauf an. Soweit, dass die Grundlagen vorhanden sind. Noch geht es zwar auch so. Da hatte sie vor Corona schon ihre Abneigungen, Probleme und im Homeschooling auch nicht soooo das, um wirklich gut mithalten zu können.

Freiwilliges Wiederholen kann sinnvoll sein,
es kann auch nach hinten los gehen.
Vor Corona gab es dann auch Beratungsgespräche mit den Lehrern dazu.

Eltern, die nur wegen der Noten wiederholen lassen wollten, hatten weniger Chancen.
Wurde zusammen mit den Eltern erarbeitet, was dem Kind beim Wiederholen helfen kann, dann wurde meist auch zugestimmt. Ich kenne ein paar Kinder, wo das durchaus klappte.

Ideen waren z.B. Nachhilfe im Lückenfach. Freiwillige Wiederholung nach längerer Krankheit und Lücken in mehreren Fächern. Sehr junges Muss-Kind, das sozial in der Pubertät deutlich kaum mithalten konnte und dann schulisch blockierte. Von den Noten zwar durch gekommen wäre, grade so; emotional jedoch sich immer mehr ausklinkte.

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Freiwilliges Wiederholen eines Schuljahres ist ja nix Neues und war schon immer möglich. Das einzige, was in der aktuellen Diskussion neu ist, ist dass das freiwillige Zurücktreten nicht als solches gewertet wird. Sprich, man darf in dem wiederholten Schuljahr auch ohne Folgen gleich nochmal sitzenbleiben. Aber ob man in so einem Fall der Pandemie die Schuld für das Scheitern geben kann, halte ich für fragwürdig.

Historisch würde ich den Beschluss also nicht nennen.

Ausserdem: Es gibt sicher Kinder, die durch den Distanzunterricht benachteiligt wurden. Nämlich die, deren häusliches Umfeld Homeschooling schwierig bis unmöglich macht. Sei es durch mangelndes technisches Equipment, sei es durch das Fehlen eines ruhigen Arbeitsplatzes, sei es durch mangelnde Unterstützung durch die Eltern.
Ich befürchte aber, gerade bei diesen Kindern wird kein Mensch einen Antrag auf freiwilliges Wiederholen stellen. Das werden eher die Eltern tun, die sich ein glänzendes Abitur für ihr Kind als Ziel gesetzt haben. Und damit geht die Schere zwischen mehr und weniger priviliegierten Schülern noch weiter auf.

Nein, ich halte nichts davon.

Grüsse
BiDi

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Ganz wichtiger Punkt, den Du da nennst.

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Hallo
Die Frage ist halt was „die Probleme“ sind. Die Lösung aller Probleme ist es sicher nicht. Wer erst mal so weit in der Schule ist, geht ja schon ein paar Jährchen hin. Wenn es vorher schon nicht super toll lief und die Probleme jetzt erst zu Licht kommen, braucht es mehr. Man kann nicht alles auf die aktuelle Situation schieben.
Wenn eine Schule die letzten Monate katastrophal geplant hat und den Schülern sehr im Weg stand, kann das schon ganz anders sein.
Freiwilliges wiederholen, das nicht als sitzen bleiben gewertet wird, ist bei uns möglich. Als Individuelle Möglichkeit für diejenigen die möchten, super. Ist sonst allerdings auch möglich. Zwar zählt es im Hinblick auf weitere Jahre, aber eine Sache der Unmöglichkeit ist es keinesfalls.
Schrecklich finde ich die Rufe danach, das Jahr allgemein wiederholen zu lassen. Das ist natürlich ohnehin nicht umsetzbar, aber wäre für viele even auch ein Schlag ins Gesicht.

LG

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>> Schrecklich finde ich die Rufe danach, das Jahr allgemein wiederholen zu lassen. <<

Das finde ich auch.
Es gibt nämlich durchaus Schulen, die den Schülern auch im Distanzunterricht gute Lehre geboten haben und es gibt Schüler, die sich im Distanzunterricht mit Selbstdisziplin und guter Organisation eine Menge selber erarbeitet haben. Denen eine Wiederholung des Schuljahres aufzudrücken zu wollen, ist absolut unfair.

Grüsse
BiDi

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>> Schrecklich finde ich die Rufe danach, das Jahr allgemein wiederholen zu lassen. <<

Im Grunde fußt diese Idee ja auf Chancengleichheit und Fairness

Aber: Einfach den Reset Knopf drücken und alle ein Jahr zurück geht nicht. Trotzdem sollte denen, die es wollen, eine Möglichkeit eingeräumt werden. Denn, es gibt auch Schulen, wo gar nichts lief. Mittlerweile ist auch von "No Shows" die Rede, also Lehrer und/oder Schüler, die völlig abgetaucht sind, von denen keiner was hörte. Der Begriff stammt eigentlich aus der Luftfahrt und bezeichnet Passagiere, die eingecheckt oder gebucht sind, aber plötzlich nicht auftauchen.

Zumindest bei den Schülern müssten sich Sozialarbeiter mit den Einzelfällen beschäftigen und nach den Gründen suchen, den Schülern dann ein Angebot einer Wiederholung machen, wenn es an technischen Vorraussetzungen haperte usw.

Ich finde es schrecklich, das es derartige Ungleichgewichte gibt, das Bildung abhängig ist, von:

- der Schule
- dem Lehrer
- der technischen Infrastruktur/schnelles Internet
- häusliches Umfeld

und vielem mehr.

Aber im Grunde auch von Selbstdisziplin und guter Organisation. Meine Tochter macht mir die Hölle heiß, und ihr ganzer Frust entlädt sich nun auch gegen Lehrkräfte. Die Liste der Versäumnisse, sowohl des Unterrichtsstoffs als auch der Schule allgemein ist lang. Es liegt nicht an der Disziplin und der Organisation, sondern daran, das in einigen Kursen sprichwörtlich ins Blaue gelernt wurde, ohne Feedback der Schule. Mittlerweile meinen auch andere Eltern, das einiges gar nicht geprüft werden könne, außer das Abi orientientiert sich da am Stand März 2020.

Zumindet haben die Verantwortlichen das Problem wohl erkannt ..abwarten!

Trotzdem vielen Dank an alle, die sich hier bislang an der Diskussion beteiligt haben und ihr Votum abgegeben haben.

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das wurde hier für BaWü auch so beschlossen. Allerdings ist da wohl noch eine Lehrerkonferenz für die Beurteilung dazwischen geschaltet.

Aber ja: im Einzelfall, also eher im Klassenfall, wenn es die Lehrer absolut nicht auf die Kette gebracht haben, den Grundlagenstoff, der Voraussetzung fürs nächste Jahr ist, zu vermitteln, - dann ist es eine Chance, ja.

Allerdings bin ich der Meinung, dass 2/3tel der Fächer Lernfächer sind, bei denen bei jedem neuen Thema die Würfel neu gemischt werden.
Nur Sprachen+ Mathe (und bei uns Physik7, wenn in der 8ten das naturwissenschaftliche Profil gewählt wird) sind meiner Meinung nach ein Knackpunkt. -- wenn ein Schüler nicht in der Lage ist, hier die Grundlagen eigenständig sicher zu lernen, dass er im nächsten Schuljahr weiterkommt, dann ist es eine Chance ja.

Aber ich finde das Angebot ehr für die ganz schweren Fälle gut und nicht für Helikoptereltern. (mir hat eine Mama, deren Tochter ein paar zweien, ein paar Dreien und einer vier hat doch tatsächlich erzählt, dass sie sich überlegt, diese schlechten Noten mit einer Wiederholung abfangen zu wollen).

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Im Land BRB haben die Abschlussjahrgänge Präsenzunterricht, also nichts verpasst. Daher sehe ich keine Gründe für ein freiwilliges Wiederholen aufgrund von Corona.

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Es ist wahrscheinlich die einzige Lösung.
Was ist denn die Alternative? Alle die während des homeschooling nicht mitgekommen sind oder auch weniger konsequent oder mit wenig häuslichem Support bei der Sache waren mit ins nächste Schuljahr schleifen?!

Es war ja nun schon letztes Jahr so, dass einige die sonst sitzen geblieben wären weiter gekommen sind weil man entschieden hat das niemand sitzen bleibt der das nicht will.

Nun ist die einzige Option zu nutzen, dass die zurück gehen die gemerkt haben: so gehts nicht!

Bleibt zu hoffen dass genug Personal da ist für die, die wiederholen wollen/müssen