"Opferkind"

Hallo ihr!

Es geht um einen Mitschüler meines Sohnes. Die ersten sechs Jahre gingen sie in eine Schule hier im Dorf. Mein Sohn wechselte dann auf die weiterführende Schule. Der andere blieb noch dort und wechselte erst letztes Jahr zum Beginn der 9. Klasse dorthin.

Die Mutter des Jungen treffe ich gelegentlich auf einen Kaffee und dabei erzählte sie mir kürzlich, dass ihr Sohn total unglücklich auf der neuen Schule sei und von allen anderen nur gemobbt werde. Sie bat mich auf meinen Sohn einzuwirken, damit dieser ihrem Sohn beisteht und die Pausen mit ihm verbringt. (Früher haben die beiden häufiger miteinander gespielt, seit dem Schulwechsel meines Sohnes bestand kaum noch Kontakt.

Als ich meinen Sohn darauf ansprach, meinte er, dem anderen sei nicht zu helfen, er sei total das "Opferkind".
Auf Nachfrage erklärte er mir, das der Junge anfangs ganz normal die Pausen mit ihm und seinen Freunden verbracht hat und auch zu Treffen in der Freizeit eingeladen worden war. Zu diesen Treffen sei er allerdings nie gekommen und habe immer fadenscheinige Ausreden gehabt.

Man muss dazu sagen, dass in der Gruppe alle recht sportlich und lebhaft bis wild sind. Natürlich verzocken sie auch mal eine Nacht vor der Konsole, aber meistens sind sie mit ihren Rädern unterwegs, basteln an diversen Fahrzeugen, fahren auch gerne mal zum shoppen in eine größere Stadt oder albern einfach rum. Der Junge ist eher ruhig, macht sich nichts aus Mode und verbringt die Wochenenden mit der Family.
Wenn mein Sohn und die anderen sich dann in der Schule über die Freizeitplanung unterhalten haben, habe der andere wohl zunehmend abschätzige Kommentare dazu abgegeben ("Was hat euch das jetzt gebracht, über eine Stunde Zug zu fahren nur um eine neue Hose zu kaufen?") -Was von den anderen natürlich nicht unkommentiert blieb.

Nach und nach hat der Junge wohl immer mehr unstimmige Storys erzählt (von teuren Urlauben, tollen Freunden und großen Geldgeschenken die es wohl alle nicht gab).

Daraufhin wollte die Gruppe halt nichts mehr mit ihm zu tun haben und hat ihn seitdem ignoriert, bzw weggeschickt wenn er in der Pause ankam. Dei den anderen aus dem Jahrgang war der Junge somit auch unten durch, da mein Sohn und seine Freunde halt als "die Coolen" gelten.

Ich würde dem Jungen (und seiner Mutter, die das sehr mitnimmt) gerne helfen, aber ich weiß nicht wie.

Mein Sohn sagt, der andere habe sich selbst in diese Lage gebracht und er habe bestimmt nicht vor jetzt dessen Freund zu spielen. -Kann ich auch verstehen.
Geärgert wird der Junge übrigens nicht von meinem Sohn und seinen Freunden, sondern vor allem von einer Gruppe Mädels aus dem Jahrgang -die Hintergründe dazu kenne ich nicht.

Habt ihr eine Idee, wie man mit dieser Situation umgeht? Mein Sohn ist im Sommer fertig mit der Schule, aber der andere macht noch ein Jahr länger.

Danke an alle, die bis hierher durchgehalten haben! Und noch mehr Dank für alle hilfreichen Antworten!

LG nobyna

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Hallo,

der Junge kann sich im Grunde nur selbst helfen. Indem man ihm erklärt, warum sich die anderen vor ihm zurück gezogen haben und er so die Chance hat, das Gespräch mit den Jungs zu suchen und sich ggf für abfällig Kommentare zu entschuldigen bzw. erklären.

Ich würde daher mit seiner Mutter sprechen, damit diese dann mit ihrem Jungen spricht. was sie dann mit den Informationen machen, ist deren Sache. Ach so: Du müsstest natürlich mit deinem Sohn klären, ob du diese Infos so weiter geben darfst.

So würde ich es machen.

vg, m.

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Ich habe inzwischen einiges Interessantes über Mobbingopfer gelernt.

Zum Einen sind wohl häufig die Opfer von Mobbing, die man als "Gefahr" betrachtet. Die könnten einem tatsächlich den Rang ablaufen. Im ersten Moment mag das oft nicht so erscheinen, aber ich sehe das bspw. derzeit ganz deutlich an einem Kollegen. Er wurde Opfer von Mobbing, von einem anderen Kollegen, der das immer dann abzieht, wenn er merkt, dass jemand viel auf dem Kasten hat.

Ansonsten hatte ich mal eine Schulung. Hier wurde bspw. angesprochen, dass die Art und Weise wie Menschen eben kommunizieren auch Einfluss darauf hat, wie sie wahrgenommen werden.

Es gibt bspw. eher weibliche Kommunikationsmittel und eher männliche. Diese sind verbal und non-verbal (z.B. zeigen Frauen sehr häufig ein bejahendes Verhalten in Form von Lächeln, nicken...). (Das weiblich und männlich ist übrigens keine Wertung und natürlich gibt es auch Frauen, die hauptsächlich männliche Verhaltensweisen haben und andersrum.)
Leider führen gerade die eher weiblichen Mittel dazu, dass man als Opfer wahrgenommen wird. Es gibt dazu auch tatsächlich Studien. Ein Mensch, der Selbstsicherheit ausstrahlt und dies eben auch zeigen kann, wird eher weniger Opfer von Mobbing werden.
Und das Schöne ist, daran kann man arbeiten. Es gibt dazu bestimmt auch Kurse.

Ansonsten würde ich mal mit meinem Sohn allgemein reden. Natürlich ist es doof, wenn der andere Junge dann Geschichten erfindet, aber ich glaube schon, dass er verstehen kann, wie der Junge sich fühlt. Ich würde meinen Sohn auch fragen, ob man Coolness tatsächlich an Kleidung ablesen kann.
Auf der anderen Seite wird Dein Sohn eventuell auch in einer Zwickmühle stecken. Er will ja auch dazu gehören, aber vielleicht kann er ihm zumindest nicht mehr das Gefühl geben, komplett abgelehnt zu werden.

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Hallo!

In dem Fall würde ich sagen: Das ist nicht dein Bier.
Dein Sohn sucht sich seine Freunde aus, nicht du. Solange dein Sohn nicht anfängt jemanden fertig zu machen, würde ich mich da raus halten und das auch der Mutter sagen.
Der Junge scheint einfach nicht in die Gruppe zu passen. Kommt vor und ist nicht schlimm. Er möchte wohl gerne dazu gehören und denkt sich deswegen solch ein Unfug aus (er möchter Interessant wirken) , das ist der falsche Weg und das muss er selber sehen.
Eigentlich müßte der Junge sich einen Freundeskreis suchen, der zu ihm passt. Was er aber wohl nicht macht. Er schießt sich mit seinem Verhalten ja selber ins Aus. Die anderen Jungs reagieren nur darauf.

Als wirkliches Opfer sehe ich ihn nicht. Wäre ich die Mutter, würde ich ganz klar sagen was sein Problem ist und das es nicht immer die Schuld der Anderen ist. Das sind aber so Sachen die hätten schon viel früher Thema sein müssen. Das Verhalten kommt ja nicht von Heut auf Morgen.
Es stellt sich mir die Frage ob er merkt das sein Verhalten nicht korrekt ist. Meine Tochter zb. kann sich schlecht in andere Hineinversetzen und wenn sie einen Spruch bringt, ist ihr manchmal nicht bewusst was der anrichten kann.

Also im Allgemeinen würde ich der Mutter sagen das ich mich da nicht einmischen werde und das vielleicht der Junge mal über sein Verhalten nachdenken soll.
Viel besser wäre es aber, wenn dein Sohn ihm Klipp und Klar sagt was Sache ist. Das sie eben keinen Bock auf ihn haben, weil er sich so sch.... benimmt. Alles Andere wäre nur Heuchlerei und das braucht der Junge wohl eher nicht.

LG Sonja

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Vielen Dank für eure Antworten!
Ich hab meiner Bekannten die Situation aus Sicht meines Sohnes geschildert (war okay für ihn). Sie will versuchen es mit ihrem Sohn und dem Klassenlehrer zu klären.
Mein Großer hat mir versichert, dass er und seine J. nicht fertig machen, sondern ihn nur ignorieren/weg schicken.

Ihr habt Recht, damit muss der Junge jetzt wohl selbst klar kommen.
Er tut mir aber nach wie vor irgendwie leid, auch wenn er es sich selbst zuzuschreiben hat.

LG nobyna

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Ich kann verstehen, dass Dein Sohn keinen Kontakt wünscht, aber zu sagen, dass der Junge es sich selbst zuzuschreiben hat, finde ich sehr unsensibel.

Auch das Ignorieren und Wegschicken kann unglaublich wehtun, wenn man eigentlich dazugehören möchte.
Überleg doch mal, wie Du Dich da fühlen würdest und wie Du da vielleicht als Kind/Jugendlicher reagiert hättest.

Du kannst natürlich Deinen Sohn nicht zwingen, aber zu sagen, er wäre ja selbst schuld...

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Wenn der Junge nicht mit den anderen Freizeit verbringen wollte, ist er wohl ein anderer Schlag Mensch und hat andere Interessen. Außer es wurde ihm verboten mitzugehen, wofür er nichts könnte, wovon ich jetzt aber nicht ausgehe!? Wenn man anders ist, muss man auch damit klar kommen dass man aneckt oder mal geärgert wird. Die einzige Chance ist, dass er seine Individualität dadurch noch stärkt und es ihm später nichts mehr ausmacht. Er könnte sich ja auch Freunde außerhalb der Schule suchen, die ihm besser entsprechen! Und heutzutage muss man damit rechnen als Jugendlicher das "Opfer" zu sein, wenn man nicht zu den Coolen gehört oder sogar gehören will.... ist leider überall so, wie ich es mitbekomme.

Um Mobbingopfer von "Coolen" zu werden muss man übrigens immer ihr "Revier" betreten bzw. sie provozieren. Man kann drauf eingehen oder gehen. (So erkörte ma es uns auf meiner Fortbildung :-)) Da er sich traut den Jungs seine Meinung ins Gesicht zu sagen glaube ich nicht dass es ein kleines Würstchen ist, dass geärgert wird weil er den Mund nicht aufkriegt, sich nicht wehren könnte oder nicht weiß was er tut. Schätze ihn einfach als starken Charakter ein der gemerkt hat, dass es auch andere Dinge als coole Klamotten im Leben gibt. Daher mach ich mir nicht die größten Sorgen dass er das nicht irgendwie übersteht... dashabe ich auch schon durch und es hat mir nicht geschadet ;-)

LG

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Also ich denke auch das sich der Junge teilweise in diese Situation selbst gebracht hat. Das heißt aber nicht das er dafür das Opferkind bei einigen sein darf. Da würde ich drauf einwirken das die Kinder ihn dann einfach in Ruhe lassen. Opferkind klingt so wie wenn er immer das Opfer ist und sie alle drauf hauen. -Nur in diesem Fall hat dir dein Sohn das ganze ja erzählt und er ist ja nicht der "Mobber". WEnn es aber wirklich so ist das der Junge manches selbst zu verschulden hat, frag ihn doch mal ob ihr ihn nicht einfach einladen könnt und redet dabei in Ruhe mit ihm. Dann bekommt er gewissermaßen ( wenn dein Junge und die Freund "einverstanden" sind) seine Chance. Wenn er sich dann durch mögliche Angebereien wieder ins Abseits schießt könnt ihr nichts mehr machen.

Ela

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Nochmal danke für eure Antworten!
Der Junge verhält sich wirklich seltsam:
Nachdem mein Sohn mit einem der Mädels gesprochen hat, die J. geärgert haben (sie sind gut befreundet), hat sie eingesehen dass sie etwas fies war. (Ich schätze sie wollte einen bestimmten Jungen mit ihren "coolen" Sprüchen gegen J. beeindrucken)

Sie hat J. dann gestern per WA (in der Jahrgangsgruppe) gefragt, ob er mit ins Kino kommt (mehrere aus dem Jahrgang wollten F&F 7 gucken) und gesagt, sie könnten dann vorher noch kurz schnacken, damit alles wieder easy ist zwischen ihnen.

-Mein Sohn hat mir die Nachricht gezeigt, war echt normal und nett geschrieben.

Seine Antwort: Ob sie mal wieder besoffen und notgeil sei und den Rest der Schule schon durch *** habe?

Das gab natürlich einen Shitstorm sondergleichen in der WA Gruppe...

Mag ja sein, das J. dem Friedenssngebot nicht getraut hat, aber so eine Antwort?

Ich glaube jetzt findet er in der ganzen Schule keine Freunde mehr...

LG nobyna

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Also ich finde mehr Entgegenkommen kann der Junge echt nicht erwarten. Gut das er Skeptisch ist hätte ich auch noch verstehen können. Aber so eine Antwort von ihm ist echt daneben. Dann würde ich ihn in Zukunft einfach ignorieren. Also dein Sohn. Da ist das "Opferkind" aber selbst schuld. Da muss er sich dann echt nicht wundern.
Gruß Ela

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Hallo,

ich vermute ja mal ganz stark, dass die Mutter dem Jungen immer verboten hat, an Freizeitaktivitäten mit Freunden teilzunehmen. Gerade, weil er sich geringschätzig gegenüber Kleidung geäußert hat. Das passiert meist, wenn die Mutter indoktriniert, dass man das ja nicht brauche und die Familie auch kein Geld dafür hätte. Meine Mutter war damals genauso, weshalb ich bei den Freunden ausflüchte suchte, um nicht die beschämende Wahrheit sagen zu müssen. Als Eigenschutz argumentiert man irgendwann mit den Worten der Mutter, weil so keine Diskussion seitens der Freunde entsteht. Es wird als klare Meinung angenommen, wenn auch nicht gern. Naja und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man aus der Gruppe ausgestoßen wird, wenn man nie an Aktivitäten teilnimmt (bzw. das gar nicht kann/darf).
Meine Mutter streitet ihre Verbotshaltung bis heute ab, bin inzwischen erwachsen. Sie meint, ich hätte mich bei allen Angeboten freiwillig heraus gehalten :D
Denke mal, die Mutter wird dir nicht unbedingt die Wahrheit erzählen. Hat auch was mit Stolz und Scham zu tun, vermute ich.
Wenn die Mutter nicht mit sich reden lässt, muss der Sohn da durch. Mir hat auch keiner geholfen und musste 13. Jahre Schulzeit in Kik-Lumpen verbringen. Kindergeburtstage gab es auch nie, da meine Mutter es nicht eingesehen hat, Geschenke zu kaufen, wenn ich keine bekomme. Dass das daran liegt, dass ich keinen Geburtstag feiern durfte, ist natürlich fernliegend.

Ich wünsche dem Jungen alles Gute und hoffe, dass ich mich in der Mutter stark täusche.

LG #winke

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Hallo!

Danke für deine Antwort! Sie lässt mich das Ganze aus einer völlig neuen Perspektive sehen.
Bisher dachte ich einfach, der Junge ist irgendwie pubertätsbedingt "quer vor". Je mehr ich jedoch darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass du Recht hast.

Die Mutter ist selbst recht zurückhaltend und weder an Sport noch an Mode interessiert. Auch habe ich noch nie mitbekommen, dass sie mal ausgegangen/feiern war. (Hier auf dem La d gibt es übers Jahr verteilt mehrere Feste, zu denen eigentlich jeder geht. Einige Bekannte trifft man überhaupt nur zu solchen Gelegenheiten. Daher fällt mir das im Nachhinein auf)

Wenn du Recht hast, wäre das wirklich schlimm für den Jungen!
Ich teile ja auch nicht alle Interessen meines Sohnes und würde ihm dennoch nie einen Ausflug, eine Feier oder sonst etwas verbieten.

Es tut mir sehr leid, dass deine Kindheit/ Jugend dermaßen von deiner Mutter beeinflusst wurde!

Hast du vielleicht eine Idee, wie man dem Jungen helfen könnte? Mein Sohn geht zwar jetzt nicht mehr zur Schule, trifft sich aber noch häufig mit seinen Freunden, die z.T. noch mit dem Jungen zur Schule gehen.

LG nobyna