Das geht mir jetzt aber zu schnell

Hallo zusammen,

ich habe drei Töchter, die älteste wird nächste Woche 18 und hat gerade ihr Abitur gemacht.

Von den dreien ist sie immer mein Sorgenkind gewesen - und das, obwohl die Mittlere als Baby Leukämie hatte und die Kleine eine zwar relativ harmlose, aber nicht heilbare angeborene Erkrankung hat.

Die Große war hingegen in sozialer, teils psychischer Hinsicht auffällig. Schreibaby, soziale Phobie, selektiver Mutismus, zuletzt Panikattacken im Lockdown. Sie war immer ein tolles, unglaublich lustiges und intelligentes Mädchen, außerhalb unserer Familie aber sehr zurückgezogen, wenig selbständig, ängstlich.
In der gesamten Mittelstufe hat sie nicht einen Geburtstag gefeiert, kaum Freunde gehabt oder getroffen.
Wir sind alle Dinge gemeinsam angegangen - Mototherapie, Logopädie, kurz Psychotherapie, es war oft unglaublich anstrengend.
Seit etwa 1,5 Jahren wendet sich das Blatt so langsam. Immer noch sind soziale Prozesse für sie oft nicht selbstverständlich, sie fragt, wie sie welche Nachricht wie formulieren soll, welche Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten einer Freundin richtig wäre, wie sie Telefonate mit Behörden führen muss.
Aber: sie hat einen tollen kleinen Freundeskreis, ist ständig unterwegs, hat ein super Abi hingelegt und ist ein fröhlicher Mensch geworden.
Und jetzt hat sie, obwohl ich auf die Schnelle da keinen Erfolg erwartet habe, ein Au Pair Jahr in Irland an Land gezogen. Ehrlich gesagt, war das das Letzte, was ich erwartet habe - ich dachte, das würde für sie eine zu große Hürde, zuviel Verantwortung, zuviel "aus sich Herausgehen" bedeuten.
Ich bestärke sie natürlich in ihrem Tun, alles, was sie eigeninitiativ macht, finde ich grandios. Meine Sorge ist nur, dass sie sich übernimmt, sich vielleicht nur dafür entschieden hat, weil zwei ihrer Freundinnen genau das Gleiche machen.
Sie hat eine nette Familie gefunden, zwei Jungs um die 10, muss sie zur Schule und zu Hobbies bringen/abholen, mit ihnen Hausaufgaben machen, abends kochen.
Das kann sie sicher alles - bisher ist sie aber bis auf Klassenfahrten nicht einmal alleine weggefahren, hat außer Nachhilfe nicht gearbeitet, sich im Ausland nicht allein zurecht finden müssen.
Mein Mann sagt: sie wächst an ihren Aufgaben ". Ich gebe ihm natürlich recht, aber nachts liege ich wach und mache mir Sorgen.
Hinzu kommt, dass jetzt alles unglaublich eilig ist: Mitte Juli fliegt sie, dazwischen ist sie noch 10 Tage mit ihren Freundinnen auf Abifahrt. Sämtliche Orga muss, da sie die Zusage erst seit ein paar Tagen hat, in der kommenden Woche passieren. Sie kommt also gar nicht zum Nachdenken oder Bedenken haben.
Ich weiß gar nicht genau, was ich von euch möchte.... vielleicht hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Ich freue mich so sehr für sie, behalte meine Sorgen natürlich auch für mich, habe aber Angst davor, dass das eine Nummer zu groß für sie ist und sie, falls es aus irgendeinem Grund nicht läuft, wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt.
Ich weiß, dass ich eh nichts tun kann, außer sie zu unterstützen. Das ist aber echt nicht leicht:-)

fridolina

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Oh, ich kann dich so gut verstehen. Meine 14jährige scheint deiner Tochter ähnlich zu sein, sie hat eine soziale Phobie und ist in Therapie. Aber im normalen Leben fühlt sie sich schnell überfordert und benötigt Hilfe. Und da ich das weiß und natürlich auch als erste merke mache ich das dann auch. Oftmals völlig unreflektiert. Das ist so drin und eigentlich sollte ich einen Weg suchen sie zu unterstützen, es eben nicht für sie zu machen, sondern schauen, wie sie es doch selbst erledigen kann. Ich glaube du weißt genau was ich meine.

Wenn es meine Tochter wäre, würde ich genau, wie du jetzt, die Gedanken von rechts nach links schieben. Und mir probieren klar zu machen: Den Sprung über den Teich, mit allen was daran hängt, braucht mein Kind jetzt, um von mir loszukommen. Diese Abhängigkeit endlich zu beenden, keinen doppelten Boden mehr. Und ich habe ihr alles mitgegeben, dass sie das schafft. Sie ist intelligent, clever und muss das für sich tun. Ich würde versuchen, dass als den Schritt zu sehen, der mit mir in der Nähe so nicht möglich wäre. Schwer, sehr schwer.

Wenn wir einen Menschen, so lange begleiten, da haben wir immer im Kopf, wie der Anfang war und vergleichen.
Stell dir vor, du lernst deine Tochter jetzt❗erst kennen, würdest du es ihr zutrauen?

Alles Gute für Euch
LG

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Ich danke dir, das hilft mir sehr.
Ja, ich würde es ihr zutrauen:-)
Sie izecht eine Andere geworden - so wie ich es mir lange, lange Zeit gewünscht habe für sie.
Ich muss nur gedanklich hinterherkommen und loslassen.
Liebe Grüße!

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Hallo Fridolina

mein 1. Gedanke - das ist genau was deine Tochter noch weiter und weiter bringen wird.
Man hört raus, dass deine Kinder sehr behütet aufwachsen. Immer das berühmte Fallnetz gespannt. Das hatte ich auch mein ganzes Leben lang. Erst als ich mit 16 ein halbes Jahr alleine in den Staaten war, habe ich schwimmen gelernt. Das war fantastisch für mich und meine Entwicklung (auch wenn ich keine der genannten Thematiken deiner Tochter aufweise)
Sie ist dort ja nicht auf sich gestellt und wird das sicher rocken - klar bleibst du besorgt aber Versuch vor allem stolz zu sein 🍀

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Danke dir!
Ja, das Fallnetz ist und war hier immer gespannt. Ich bin keine Helikopter -Mutter, aber ich habe sicher auch mal zuviel Unterstützung gegeben.
Und stolz bin ich unglaublich auf sie - sie hat unheimlich viel Kraft bewiesen im Laufe ihres Lebens - oft für Dinge, die anderen einfach so zufallen.
Ich weiß, dass diese Kraft sie jetzt auch weitertragen wird.
Liebe Grüße!

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Irland ist ja nicht aus der Welt, keine 2 Flugstunden, und es gibt durchaus auch günstige Flüge (Ryanair..) um mal nach dem rechten zu schauen, ich würde es aber lassen.

Laß sie es ausprobieren, abbrechen kann man immer noch und letztendlich ist es auch eine kulturelle Bereicherung😉 Gönn es ihr...

Welche Alternative gäbe es?

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Freiwilliges soziales Jahr in einer Förderschule. Die würden sie mit Kusshand nehmen. Oder freiiges ökologisches Jahr auf einem pädagogischen Bauernhof.
Studieren jedenfalls noch nicht. Schule kann sie - lernen, Klausuren schreiben etc.
Sie soll erstmal den Rest lernen, bevor sie an eine Uni geht :-).

Wir werden sie sicherlich mal besuchen in den Ferien, mehr aber auch nicht: 😃
Danke dir!

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Bei den FSJ, FÖJ usw. nehmen sie erstmal jeden mit Kusshand, wenn es dann aber ans eingemachte geht, jemand wirklich einsteigen möchte, wird mit der Lupe selektiert, denn es gibt hunderte Bewerber auf solche Stellen.

Meine Tochter ist nun in der Ausbildung zur Flugbegleiterin und hat alle Tests zur persönlichen und psychologisch/medizinischen Eignung bestanden, in keinem sozialen Jahr (bis aufs Ehrenamt) hat man sie genommen, ebenfalls bekam sie keine Ausbildungsstelle, trotz Top Abi und nahezu hunderten Bewerbungen.

Richtig durchschaut habe ich das System bis heute nicht ...

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Finde super, was deine junge Frau daheim so plant. Ja, sicher machst du dir Sorgen, aber was soll passieren? Schlimmstenfalls klappt es nicht, ihr holt sie heim und startet später einen neuen Versuch mit was anderem.

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Drei unserer Kinder haben ein Austauschjahr gemacht, einer mit 15, einer mit 16, der Jüngste mit 17. Wir selbst haben mehrmals einen Austauschschüler aufgenommen und außerdem war ich Betreuerin für AustauschschülerInnen hier am Ort.

Mein Fazit: Voraussetzung für ein erfolgreiches Auslandsjahr ist, dass nicht die Eltern es wollen, sondern der/die Jugendliche selbst.
Die großartige Chance liegt darin, dass sie auf sich gestellt sind und je weniger man sich einmischt, umso besser (blöd, dass die meine Medien so leicht Kontakt ermöglichen).
Die positive Persönlichkeitsentwicklung war wirklich toll. Es kommt auch gar nicht darauf an, dass sie es nur "schön" haben. Gerade an den Sachen, die nicht rund laufen, wachsen sie. Meist werden sie auch genau auf die Sachen stoßen, bei denen sie sich schwer tun und müssen einen Weg finden, wo sie zu Hause genau wissen, wie sie dieses Thema vermeiden.

Letzten Endes gibt es den Jugendlichen einen großen Schub: ich hab das geschafft, hab Schwierigkeiten überwunden, wovor sollte ich Angst haben? Einfach weniger Ängste und Selbstzweifel.
Es ist wirklich erstaunlich, wie sie daran wachsen. Die Sprache war ein nettes Surplus, aber die Persönlichkeitsentwicklung war für das weitere Leben super.

Dafür habe ich die Sorgen gern auf mich genommen,
Sorgen machen ist unser Job - alles o.k., solange es die Kinder nicht beeinflusst und wir das möglichst für uns behalten.

Und dein Mann hat natürlich Recht: je mehr Zutrauen ihr zu ihr habt, umso selbstbewusster geht sie es an. Selffullfilling prophecy und so...

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Es ist schön wie deine Tochter aufblüht.
Ich verstehe aber auch deine Sorge.
Ich würde sie einfach machen lassen.
Im schlimmsten Fall bist du da. Sie weiß sie hat dich im Hintergrund. Mehr braucht es nicht.
Ihre Freundinnen scheinen ebenfalls positives zu bewirken. Deine Tochter kommt aus sich raus.