Sinnvoller Umgang wichtig

Wann brauchen Kinder Antibiotika?

Antibiotika wirken ausschließlich gegen Krankheiten, die von Bakterien verursacht werden. Trotzdem werden sie Kindern oft bei Virusinfekten, Hals- oder Ohrenschmerzen verordnet. Das ist nicht nur nutzlos, sondern kann ernste Folgen haben. Allerdings sollte man die Mittel auch nicht verteufeln.

Autor: Kathrin Wittwer

Antibiotika: Top gegen Bakterien

Mutter Medikament Beipackzettel
Foto: © fotolia.com/ Dan Race

Streptokokken, Pneumokokken, Meningokokken: So heißen die bekanntesten Bakterien, die beim Menschen unter anderem Lungen-, Mittelohr-, Nasennebenhöhlen- und Hirnhautentzündungen oder eine Blutvergiftung hervorrufen können – Erkrankungen, „für die besonders kleine Kinder sehr anfällig sind, weil ihre Immunabwehr mit vielen Erregern noch nicht zurechtkommt“, sagt Prof. Dr. Reinhard Berner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus der TU Dresden und erklärt: „Weil kleine Kinder damit das größte Risiko für schwere und lebensbedrohliche Infektionen haben, sorgen sich Ärzte bei ihnen besonders, den Punkt zu verpassen, wo man einen gefährlichen Krankheitsverlauf noch abwenden kann.“ Die Konsequenz: Kindern werden überdurchschnittlich häufig Antibiotika verordnet, die einzigen Mittel, die den gefährlichen Bakterien den Garaus machen können.

… aber Flop gegen Viren

Zunächst mag sich das vernünftig anhören. In der Praxis führt es allerdings oft zu unnötigen Behandlungen*, hat auch die Heilpraktikerin Iris Millon aus Rostock beobachtet, „und zwar schon bei Bagatellgeschichten. Manchmal wird gleich bei ein bisschen grünem Schnupfen ein Antibiotikum gegeben und das ist leider vollkommen überzogen.“ Denn hinter grünem Schnupfen, landläufig als Zeichen für eine bakterielle Infektion gedeutet, stecken wie hinter fieberhaften Infekten, Hals- oder Ohrenschmerzen oft Viren, und gegen die sind Antibiotika schlicht wirkungslos. Ebenso wenig wirken die Medikamente vorbeugend: Sie schon bei Virusinfekten einzusetzen, weil man hofft, damit ein mögliches „Draufsetzen“ von bakteriellen Infekten zu verhindern, funktioniert nicht. Nicht einmal bei  Bronchitis müssen zwingend Antibiotika angezeigt sein, sagen die Leitlinien der Kinderheilkunde und „sogar bei Lungenentzündungen gibt es eine große Gruppe Kinder, die nicht von Antibiotika profitiert“, ergänzt Prof. Berner.

Nicht zu vernachlässigen: Neben- und Nachwirkungen von Antibiotika

Ein Merkblatt zum Thema Antibiotika-Resistenzen findest du zum Download bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Nur weil Antibiotika in so vielen Fällen nichts ausrichten können, heißt das aber noch lange nicht, dass sie dabei im Körper nichts anrichten: Vorallem erhalten mögliche vorhandene bakterielle Erreger bei allen Behandlungen eine Gelegenheit, sich im Umgang mit dem Mittel zu „trainieren“ und dagegen resistent zu werden. Wenn es dann wirklich nötig wäre, sprechen sie nicht mehr darauf an.

Außerdem mähen Antibiotika stets alle gesunden Bakterien im Darm mit nieder: „Das heißt, der Körper kann nicht mehr alle nötigen Nährstoffe aufnehmen, weil im Darm nichts mehr ist, was ihm dabei hilft“, erklärt Iris Millon. „Das Kind kann dann ständig Durchfall oder Hautprobleme bekommen oder wird immer wieder krank, weil das Immunsystem geschwächt ist.“ Auch etliche langfristige Folgen von Antibiotika-Gaben werden untersucht. So soll schon eine einzige unnötige Behandlung im ersten Lebensjahr das Risiko eines Kindes, später einmal  Asthma zu entwickeln, verdoppeln.

 

Unnötige Gaben vermeiden: Kinderarzt statt Hausarzt – und miteinander reden!

Aus all diesen Gründen ist ein sorgfältiger Umgang mit Antibiotika also höchst sinnvoll. Den haben Eltern zum Großteil selbst in der Hand: „Das geht schon damit los, dass sie gut überlegen sollten, wann es wirklich nötig ist, mit einem Kind zum Arzt zu gehen“, meint Iris Millon. Muss dies sein, ist der Kinderarzt der beste Ansprechpartner. Allgemeinärzte verordnen Kindern nämlich aus Unsicherheit und mangelnden Fachkenntnissen heraus deutlich öfter unnötig Antibiotika als die Spezialisten.

Beim Arzt gilt stets: offen miteinander reden. „Viele Ärzte nehmen automatisch an, dass Patienten, die sich über Antibiotika erkundigen, damit sagen wollen, dass sie welche erwarten und dem kommt der Arzt nach. Das ist ein reines Kommunikationsproblem. Wenn Eltern nachhaken, ob der Arzt ein Antibiotikum tatsächlich für unumgänglich hält, nimmt das viel Last und kann unnötige Verordnungen vermeiden“, rät Prof. Berner.

Bei Skepsis: Diagnose genau erklären lassen

Ansonsten sollten sich skeptische Eltern die Diagnoseschritte erklären lassen. In den allermeisten Fällen, so Prof. Berner, lässt sich anhand weniger Kriterien schnell herausfiltern, wie ernst es steht: „Bei Halsschmerzen beispielsweise prüft man, ob das Kind Fieber hat, ob es vergrößerte Lymphknoten hat, ob es eitrige Beläge auf den Mandeln hat, ob gleichzeitig Husten und Schnupfen vorliegen, die eher für eine Viruserkrankung sprächen, und ob es unter 15 Jahre alt ist. So lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer Streptokokken-Angina zu gut 50 Prozent feststellen. Dann kann man noch einen Schnelltest in der Sprechstunde machen und ist der positiv, kann man zu 90 Prozent sicher sein und eine vernünftige Antibiotikum-Therapie einleiten. Aber neun von zehn Patienten kann man so eben ohne nach Hause schicken, weil es bei ihnen eh nicht wirken wird.“ Ähnliche Vorgehensweisen gelten natürlich für Mittelohrentzündungen & Co. Überzeugt das Urteil des Arztes gar nicht, „steht es Eltern ja immer frei, eine zweite Meinung einzuholen, vielleicht auch die eines naturheilkundlich ausgebildeten Kinderarztes“, so Iris Millon. 

Bei Bakterien gibt es zu Antibiotika keine echte Alternative

So folgenreich ein unbedachter Umgang mit Antibiotika ist – völlig ablehnen sollte man diese Mittel wiederum auch nicht, gibt Prof. Berner ängstlichen und kritischen Eltern zu bedenken: „Es gibt viele Infektionskrankheiten, wo man abwarten und durchaus zurückhaltend sein kann. Aber es gibt eben auch welche, da ist eine antibiotische Behandlung die einzige Therapie und lebensrettend.“

Tipps vom Kinderarzt: Richtiges Verhalten bei Fieber

Dem stimmt die Heilpraktikerin zu. Sind Antibiotika nicht zu vermeiden, rät sie, sich zusätzlich über Schutz- und Aufbaumaßnahmen für die Darmflora zu informieren, denn im Gegensatz zur Schulmedizin ist sie davon überzeugt, dass diese sich nach einer Behandlung nicht von allein vollständig erholt. „Okoubaka beispielsweise ist eine Pflanze mit entgiftenden Eigenschaften, die kann man als homöopathische Tropfen oder Tabletten geben. Nach Antibiotika empfehle ich, die Ausscheidung über Leber, Niere und Lymphe anzuregen, zum Beispiel mit Galle-, Leber- und Nieren-Tees oder auch mit einer homöopathischen Ausleitungstherapie, damit sich der Körper richtig säubern kann, und dann die Darmflora mit probiotischen Bakterien neu aufzubauen. Eine gute Apotheke kann dazu beraten, ansonsten den Arzt oder Heilpraktiker seines Vertrauens fragen.“ Hilfreich ist natürlich immer, wenn Kinder sich restlos auskurieren dürfen – ein großes Problem bei dem Druck vieler Eltern, möglichst schnell an den Arbeitsplatz zurückkehren zu müssen. „Und man kann nur immer wieder unterstreichen, wie wichtig vorbeugen ist, und zwar ebenso mit viel Zuwendung und Liebe wie mit Bewegung und gesunder Ernährung“, betont Iris Millon.

Wie gefährlich sind Antibiotika-Rückstände in Lebensmitteln?

Letztere ist gerade für die Eltern bedeutend, die sich sorgen, dass ihr Kind über belastete Nahrungsmittel ungewollt Medikamente „einnimmt“. Prof. Berner bestätigt, dass eine sorgfältige Auswahl empfehlenswert ist: „Antibiotika selber sind zwar in der Regel nur in zu vernachlässigenden Spuren in Lebensmitteln enthalten. Ein reales Problem ist aber, dass in Fleisch aus Masttierhaltung durch die flächendeckende Antibiotika-Behandlung multiresistente Erreger stecken, die wir Menschen mit aufnehmen. Davon wird man nicht krank, aber der Darm wird von diesen Erregern besiedelt und das kann sehr wohl Auswirkungen darauf haben, wie ich auf Antibiotika anspreche, wenn ich einmal im Krankenhaus damit behandelt werden muss.“

* Ausführliche Daten liefert der Faktencheck Gesundheit Antibiotika der Bertelsmann Stiftung. Die Website bietet auch einen Ratgeber-Download, ausführliche Hinweise für den Arztbesuch und einen Antibiotika-Pass.

Kinder und Antibiotika – Tipps und Fakten auf einen Blick

  • Vorbeugen statt nachbeugen: eine gesunde Lebensweise stärkt das Immunsystem.
  • Kinder am besten gleich bei Infektionsanzeichen ausruhen und nach einer Erkrankung richtig auskurieren lassen.
  • Mit Kindern nach Möglichkeit stets zum Kinder-, nicht zum Hausarzt gehen.
  • Verordnet der Arzt ein Antibiotikum, die Gründe erklären lassen – oft steckt nur die Annahme dahinter, dass man dies von ihm erwartet. Bei Zweifeln notfalls eine zweite Meinung einholen.
  • Wenn Einnahme, dann stets nach Vorschrift: Unregelmäßige Gaben oder vorschnelles Absetzen können dazu führen, dass die Bakterien überleben – und nun resistent gegen das Mittel werden.
  • Kinder erhalten Antibiotika mit den gleichen Wirkstoffen wie Erwachsene. Es gibt also keine speziellen Kinderpräparate – aber andere Darreichungsformen: Kindern werden bevorzugt antibiotische Säfte statt Tabletten verabreicht. Die Dosierung erfolgt nach Körpergewicht.
  • Was muss, das muss: Für Antibiotika-Behandlungen gibt es weder ein Mindestalter noch eine Begrenzung dafür, wie viele Gaben in einem bestimmten Zeitraum verordnet werden dürfen.
  • Hautausschläge bei Antibiotika-Einnahmen sind nur äußerst selten Symptome für eine echte  Allergie (die mit Anschwellen und Atemnot einhergeht), sondern in der Regel Nebenwirkungen, die anzeigen können, dass keine bakterielle, sondern eine Virusinfektion vorlag.