Erfahrungsbericht 100km in 24 Stunden - Dein Ostseeweg...hoffentlich o.K.?

Thumbnail

Hallo,
heute mal keine Frage sondern ein Bericht zu einem Wanderevent - Dein Ostseeweg - an dem ich letztes Wochenende teilnehmen durfte...ich bin noch so voller Emotionen, dass es unbedingt raus muss;-)

Dein Ostseeweg - ist eine Veranstaltung, die letztes Jahr erstmalig ausgetragen wurde und bei der ein Rundkurs von 100km in 24 Stunden zurückgelegt werden muss. Mitmachen kann jeder, der eine Grundfitness hat - vorheriges Training/Vorbereitung ist allerdings dringend empfehlenswert! Es nahmen dieses Jahr 511 Menschen im Alter von 16-76 Jahren teil...

Am 16.9. traf ich mich mit dem ersten Teil meiner Wandergruppe an der Flixbus-Haltestelle, gemeinsam fuhren wir nach Bad Doberan, dem Startpunkt von "Dein Ostseeweg" - klappte alles reibungslos und wir kamen relaxt und etwas aufgekratzt am Sportplatz an, wo wir auch gleich vom Veranstalter begrüßt wurden (er konnte sich sogar an die Teilnehmer vom letzten Jahr erinnern!). Uns blieben noch ein paar Stunden, die wir mit Essen gehen, Füße hochlegen, Sachen umpacken (ein Teil kam insTransportfahrzeug, welches uns Zugriff bei km 47 ermöglichen sollte) und die anderen 5 aus unserer Truppe begrüßen, verbrachten. Bombiges Wetter, erwartungsvolle Stimmung, Musik und Moderation - alles super!

Um 17 Uhr ging es nach dem Countdown los - 100km...was hatte ich mir da nur angetan? Die ersten 23 km vergingen wie im Flug mit netten Gesprächen, Scherzen, Landschaft anschauen, sich gegenseitig via App vernetzen, um sich unterwegs anfeuern zu können (was man heutzutage so alles tut#rofl)...Unsere Gruppe zog sich recht schnell auseinander, da jeder doch ein eigenes Tempo finden musste - blieben meine Wanderkameradin Chr. und ich, die ein ähnliches Tempo vorlegten. wir wanderten in die Dunkelheit Richtung Rostock und hindurch, begleitet immer von den schönen Schildern, die alle 5 km den aktuellen Km-Stand und einen netten Motivationsspruch parat hatten - so bei km 20: "Es gibt nur einen richtigen Weg. Deinen eigenen."

1. Stopp um 21.00 Uhr bei km 23, Trainingshalle Rostock Südstadt
Zwar gab es nur Dixi-Klos aber wir waren schon zufrieden, nicht draußen "austreten" zu müssen - die Verpflegung und das Helferteam waren dagegen exzellent: es gab Äpfel, Gurke, Banane, Schmalzbrot und Salzstangen, isotonische und andere kalte und warme Getränke...und auch medizinische Versorgung durch die Malteser, wo nötig. Wir wechselten erstmals die Socken und inspizierten den Zustand der Füße - sah noch gut aus! Schon nach einer halben Stunde und kurzem Wiedersehen mit zwei anderen Teilnehmern unseres Ursprungsteams ging es für uns frisch gestärkt, nun mit Kopflampen ausgestattet, weiter durch das nächtliche Rostock - übrigens eine hübsche Stadt...am Tage sicher noch mehr als bei Dunkelheit - und Richtung Ostsee (Brinckmansdorf/Hinrichsdorf/Stuthof/Markgrafenheide/Hohe Düne). Meine Walking-Stöcke hatte ich direkt nach der Pause vom Rucksack entfernt und in Gebrauch genommen - und sollte dies auch für den Rest der Wanderung so beibehalten.

Verlaufen war den ganzen Weg über unmöglich, markierten doch stets sichtbare gelbe Pfeile und im Wald auch gleichfarbige Knicklichter den Weg...für mich Orientierungslegastheniker echt wie gemacht!
Ab km 40 machten sich so langsam erste Abnutzungserscheinungen bemerkbar - schwere Füße mit ersten Blasen, einsetzende Müdigkeit (immerhin schon 0:30 Uhr)...wir begegneten hier und da bereits müden Wanderern, die sich nur mit Anstrengung vorwärts schleppten und den Anschluss an ihre Truppe bereits verloren hatten - wir motivierten uns gegenseitig und kamen eine gute Stunde später am Seekanal an, wo wir mit der Fähre (Ticket war bei den Startunterlagen enthalten) nach Warnemünde übersetzten und kurz die Füße lang machen konnten. Wieder begegneten wir versprengten Teilen unserer Gruppe und tauschten Neuigkeiten aus - z.B., dass die erste bereits bei km 36 ausgestiegen war... Nach der Fährfahrt war es nur noch ein km bis zum nächsten Pausenpunkt...

2. Pause bei km 47 - Wenzel Bierstuben (extra für uns geöffnet und mit Rolltreppe! ausgestattet)
Hier konnten wir endlich richtige Toiletten aufsuchen, es gab auch warmes Essen, die Möglichkeit, an die Gepäckbeutel zu kommen und Transportshuttle für die, die hier aussteigen wollten - davon machten doch recht viele Gebrauch und auch die Malteser hatten hier einiges zu tun, besonders Kreislaufprobleme traten mehrfach auf. Auch wir merkten den Umschwung zwischen kalt und warm, die Übermüdung und vor allem den Unterzucker, gegen den man zügig etwas tun muss, damit es nicht zu Kreislaufproblemen kommt. Nach Verarztung der Blasen (ich hatte eine an der Ferse, mit der ich allerdings schon gestartet war und eine am kleinen Zeh), Essen, trinken, Pipibox aufsuchen machten wir uns wieder zügig auf den Weg - nur nicht zu lange sitzen bleiben!

Jetzt folgte stockdunkle Nacht, der Strandpromenade Richtung Heiligendamm folgend, begleitet vom Rauschen der Wellen, teils Asphalt, teils Wald- und Schotterwege (Diedrichshagen/Rethwisch/Börgerende) - der Weg zog sich...die Nacht war sehr einsam und zerrte an der Motivation. Wir unterhielten uns über dies und das, meine Wandergefährtin berichtete von ihrem Versuch vom Vorjahr, bei dem sie bei km 62,5 abbrechen musste und dass sie dieses Jahr unbedingt weiter kommen wolle - am liebsten bis ins Ziel ("Sonst muss ich ja nächstes Jahr nochmal wiederkommen!#zitter)...und endlich, schier endlose Stunden später, nur die eigenen Schritte im Ohr, wurde es langsam hell - begleitet von einem grandiosen Sonnenaufgang sahen wir endlich die Ostsee in ihrer ganzen Pracht. DIe Motivation stieg wieder - trotz der mittlerweile wirklich wunden Füße und ersten Beschwerden im gesamten Körper (bei meiner Wanderkameradin war es die Hüfte, die schmerzte)...der Weg war allerdings anspruchsvoll: tiefer Sand wechselte sich mit reinem Steinweg aus faustgroßen Kieseln ab...aua. Mittlerweile hatten wir bereits über 65 km hinter uns gebracht...umdrehen? Eigentlich keine Option...aber immerhin noch 35km vor uns...

3. Pausenpunkt in Heiligendamm, km67
Hier gab es ein kleines Lagerfeuer zum Aufwärmen, aufgestellte Bänke und zusätzlich zu den bereits bekannten Verpflegungselementen noch leckere Laugenstangen, außerdem ein Zelt für die Aussteiger, in dem sie auf den Rückfahrtshuttle nach Bad Doberan warten konnten, der auch hier gut zu tun hatte. Besonders in Erinnerung ist mir eine Mutter mit ihrem 16jährigen Sohn geblieben, der sich die Wanderung zu seinem Geburtstag gewünscht hatte (genau an dem Wochenende) - bei km 67 stiegen die beiden glücklich und zufrieden aus, eine tolle Mutter-Sohn-Aktion, mir steigen jetzt beim Schreiben noch die Tränen in die Augen... Mittlerweile gab es kaum noch jemanden ohne Blessuren um uns herum und die Themen kreisten um die Behandlung diverser Wehwechen und die richtige Auswahl der SChuhe;-)...

Mit einem guten Frühstück im Magen und jetzt mittlerweile nicht mehr ganz taktrein aber wieder mit mehr Motivation, ging es für Chr. und mich weiter - "nur" 9 km bis zum nächsten Verpflegungspunkt - eigentlich wollten wir da noch gar nicht wieder großartig anhalten...aber es zeigte sich, dass die Strecke nun doch zunehmend an den Reserven zehrte und wir nun auch schon über 24 Stunden auf den Beinen waren...das Tempo wurde zusehens langsamer und wir wurden mehrfach von Spaziergängern und anderen Wanderern überholt - wie gern hätten wir uns in einen der Strandkörbe niedergelassen...

4. Pausenpunkt bei km 74 - Konzertgarten West, Ostseebad Kühlungsborn
Ein wirklich schönes Fleckchen - zum Ausruhen, lang machen...und liegenbleiben? Die Frage stellte ich mir diverse Male innerlich, wagte aber nicht, es laut auszusprechen, da meine Wanderpartnerin sich erstmalig wirklich vorstellen konnte, bis ans Ziel zu gelangen...Augen zu und durch, war da die Divise - alle Mitwanderer waren irgendwie in der gleichen Situation, allen waren mittlerweile die Strapazen anzusehen und wir halfen uns untereinander mit Verbandsmaterial. Scheren, Pflaster und Co aus. Nebenbei gab es wieder ordentlich essen und trinken - mein Körper konnte gar nicht genug bekommen, besonders die von mir sonst so verhassten Süßgetränke halfen mir jetzt wirklich gut.

Der nächste Streckenabschnitt war schon als wirklich schwierig angepriesen worden - und da war er: ein steiler Schotterweg hoch zum Leuchtturm in Bastorf, der sich schier nicht enden wollend nach oben zog und nach jeder Kurve doch noch wieder weiter ging - allein 65 m Steigung auf einem km#schwitz - hier kamen mir meine Walking-Stöcke wirklich zu Gute! Meine Wandergefährtin konnte das Tempo nicht mehr mitgehen - ich wiederum konnte nicht langsamer werden ohne der Gefahr zu erliegen, ganz stehen zu bleiben, also trennten sich bei km 80 unsere Wege. Ich schloss mich zwei jungen Männern an, die auch schon Verschleißerscheinungen zeigten aber guten Mutes waren... Endlich am Leuchtturm angekommen, tat sich ein tolles Panorama mit Seeblick auf, das uns wieder mit dem steilen Aufstieg versöhnte...wir trafen außerdem andere interessierte Menschen, die uns neugierig fragten, was wir denn für eine lange Wanderung machen, was wir gerne erklärten (gute Abwechselung/Ablenkung!).
Nach km 80 wurde es richtig schwer...der Weg zog sich...Wald, schiefe Feldwege, hoch und runter...meine zwei Begleiter überholten mich...ich war allein und schlurfte weiter...kein Schild in Sicht! Mein Navi zeigte bereits 87 km und dennoch hatte ich kein 85km Schild gesehen - Mutlosigkeit machte sich bei mir breit...ich sang innerlich vor mich hin, um die trübsinnige Stimmung und die Schmerzen zu vertreiben....traf dann wieder auf eine andere Wanderin, dann noch zwei andere...plötzlich war auch wieder ein Malteser auf dem Motorrad da und die nette Fotografin, die wir schon mehrfach am Weg getroffen hatten - die beiden geleiteten uns zum nächsten und letzten Verpflegungspunkt, raus aus dem furchtbaren Wald, vorbei an km 90: "Augen zu und durch. Nur noch 10 Kilometer" - na die hatten gut reden, dachte ich mir...10km schienen mir plötzlich unendlich viel - noch weitere 2 Stunden mindestens, bei meinem Tempo eher 3....es war auch schon 13.45 Uhr...#schwitz

5. Pausenpunkt - auf einem Golfplatz in Wittenbeck, Km 91...
Hier wollte ich meine SChuhe gar nicht mehr erst ausziehen - ich wusste, da sind Blasen, ich wusste, ich würde nichts mehr großartig ausrichten können, um das Laufgefühl besser zu machen, ich wusste, wenn ich die Schuhe jetzt auszöge, würde ich sie nicht wieder anziehen wollen - also ließ ich es, verpflegte mich nur schnell und schloss mich "Superman (im passenden Kostüm)" und seiner Wandergefährtin an - nur nicht allein weiterlaufen müssen! Die Begleitung währte allerdings nur kurz, als sich herausstellte, dass die beiden doch schneller waren als es mir noch möglich war. Der Grund, so erfuhr ich allerdings auch, war die durchgehende Nutzung von Ibuprofen während des Weges - gegen die Schmerzen. Dies widerstrebte mir allerdings von Grundauf - meiner Ansicht nach hat der Körper schon mit Recht eine Schmerzgrenze und diese mit Hilfe von Medikamenten zu übertreten, schien mir und scheint mir auch heute noch nicht ratsam...

Zum Glück gab es noch zwei weitere Wanderer, einen Mann und eine Frau, ca. 10 Jahre älter als ich, die mit Walkingstöcken unterwegs waren und denen ich mich anschließen konnte. Meine Motivation war nämlich im Keller. Ich wollte mich hinlegen, ich wollte schlafen, ich wollte NICHT weiter gehen...und es waren immer noch 5 lange km: "Ausdauer wird früher oder später belohnt.- meistens aber später. Nur noch 5 Kilometer."
Der blanke Hohn. Ehrlich. Mehr hinkend als laufend und mehr weinend als alles andere, meine Schmerzen (ich wusste nicht, dass Füße so weh tun können! Und die Schultern auch - vom Tragen des Rucksacks) "veratmend" und mit meinen beiden Begleitern, die immer ermutigend und beruhigend auf mich einredeten, näherten wir uns Bad Doberan...wo mich 2 km vor Ziel meine Familie empfing und mich bis ins Ziel geleitete - mein Mann nahm mir den Rucksack ab, mein kleiner Sohn musste tausend Dinge loswerden - kurzum, ich hatte gar keine Zeit mehr, in Selbstmitleid zu baden...nur noch ins Ziel kommen...

Und dann: Zieleinlauf. Applaudierende Menschen, lachende Gesichter, herzliche Umarmungen und Gratulationen, klickende Fotoapparate - endlich da!

100km. In 24 Stunden. Zu Fuß. Unglaublich.
Der Körper kann alles. Der Rest ist Kopfsache.

Mir kommen immer noch die Tränen, während ich das hier schreibe. Vielleicht mag es gar keiner lesen bis hierher aber ich musste es einfach loswerden und es schien mir o.K. hier...Es war mir eine wirklich unvergessliche Grenzerfahrung, die ich nicht missen möchte. Nochmal würde ich mir das nicht antun aber es ist schon Wahnsinn, was der Körper mit schierer Willenskraft alles zu leisten vermag. Und welche Herzlichkeit und Unterstützung mir bei diesem Event von wildfremden Menschen zu Teil wurde, werde ich niemals vergessen. Vielleicht sollten wir uns im Alltag eine Scheibe davon abschneiden - das täte allen Menschen gut.

LG

a79

ELTERN -
Die besten Babyphones 2024

Testsieger
Philips Avent Audio Babyphone, Babyeinheit und Elterneinheit, Produktkarton im Hintergrund
  • lange Akkulaufzeit
  • hohe Zuverlässigkeit
  • strahlungsarm
zum Vergleich
1

Hallo,

ein toller Bericht, vielen Dank!
Respekt vor Deiner Leistung.

Viele Grüße
H.

4

Danke Dir H.
Ich glaube, rein körperlich ist jeder halbwegs fitte Mensch zu so einer Leistung in der Lage - die Frage ist immer nur, ob der Kopf mitmacht...man liest ja in meinem Bericht schon ansatzweise, dass auch ich immer wieder am Zweifeln war. Mir haben wirklich die Menschen geholfen, die mich immer wieder motiviert haben unterwegs - dieser Zusammenhalt war einfach unglaublich! Allein deswegen ist ein solcher Marsch schon Balsam für die gebeutelte Seele, da im Alltag oft genug jeder nur nach sich selbst und den eigenen Bedürfnissen schaut und wir alle ziemlich allein dastehen.

LG

a79

10

Hallo,

ja, da teile ich Deine Meinung, dass das Mentale die ausschlaggebende Rolle spielt.

Wandern ist nicht so mein Fall. Und dann noch mehr als 24 Std. durchgehend wach bleiben, das wäre schon gleich 3x nix für mich.

Aber ich laufe. Bislang allerdings maximal so ~15km im Training, und Wettkämpfe nur 5k und 10k. Dabei merkt man auch, dass so vieles reine Kopfsache ist...

LG
H.

weitere Kommentare laden
2

Ich habs gelesen #winke

Sehr schön geschrieben, eine überaus faszinierende Leistung, die man kaum glauben kann... ich lese immer wieder 100 km.. am Stück? zu fuß? Wahnsinn.

Mir kamen vor Ergreifung am Ende echt die Tränen #schein

Lichtchen

3

Ich kann es mir selbst kaum vorstellen im Nachhinein. Und es gab unterwegs tatsächlich einige, die allein dieses Jahr schon 3 oder 4 dieser Märsche hinter sich gebracht haben und andere, die dieses Wochenende nach dem Marsch schon wieder Marathon laufen ...echt verrückt! Weder das eine noch das andere kann ich mir vorstellen.

Was ich mir jedoch vorstellen kann - nächstes Jahr laufe ich den kleinen Ostseeweg mit 50 km...sogar ein paar Arbeitskolleginnen wollen mitlaufen. Da freue ich mich schon drauf!

Danke für das Lesen bis zum Schluss!#herzlich

LG

a79

5

50 km würde meine Kollegin auch laufen - auch das finde ich schon absolut bewundernswert - 100 geradezu unmenschlich.

Ich fahre echt gerne in den Wanderurlaub aber das sind für mich Utopien.

Respekt #ole

weiteren Kommentar laden
7

Hallo,

vielen Dank für deinen Bericht.

Ich werde nächstes Jahr meinen ersten 100km absolvieren.
Habe bis jetzt nur "kleinere" Laüfe von ca. 50km geschafft und freue mich schon auf die Herrausforderung (vor allem die Nacht durch laufen stelle ich mir hart vor).

LG Tina

8

Wo wirst Du laufen? Mega-oder Mammutmarsch oder ganz was anderes?

9

Hallo,

vermutlich den Mammutmarsch München.

LG Tina