Vollzeit ganz normal

Frankreich: Beruf und Kinder – wo ist das Problem?

Französische Mütter haben mehr Kinder als die Deutschen, arbeiten aber viel häufiger ganztags. Was bei Vätern ganz normal ist, nehmen hier auch Mütter selbstverständlich in Kauf: Wenig Zeit für ihre Kinder.

Autor: Erik Paschen

Ein Job als Symbol der Gleichberechtigung

Frankreich arbeitende Mütter
Foto: © fotolia.com/ Alliance

„Mères poules – Gluckenmamas“ werden französische Mütter belächelt, die für die Erziehung der Kinder ihren Job aufgegeben haben. Die französische Mama hat zwar im Schnitt zwei Kinder (deutsche Mütter 1,4 Kinder), aber das hindert sie nicht, kurz nach der Geburt wieder in Vollzeit arbeiten zu gehen. Ein extremes Beispiel dafür lieferte die französische Justizministerin Rachida Dati. Fünf Tage nach einem Kaiserschnitt stöckelte sie in Kostüm und Pfennigabsätzen wieder zur ersten Kabinettssitzung in den Élysée-Palast. Das hatte zwar eine kurze Debatte ausgelöst, ob die Ministerin anderen Müttern, die sich trauen, in den Mutterschutz zu gehen, in den Rücken falle. Aber wie es einem Kind ergeht, wenn die allein lebende Mama es wenige Tage nach der Geburt in die Arme einer Nanny legt, wurde nicht thematisiert -„c'est normal“.  

Zu Hause herrscht tödliche Langeweile?

Normal -  damit wollen die französische Frauen sagen, dass es mehr als ein  aktueller Trend ist, so schnell wieder arbeiten zu gehen. „Die Wirtschaftskrise macht mir schon Angst, ob mein Job noch sicher ist", sagt Christine, „aber auch bei meiner ersten Tochter vor 10 Jahren habe ich mich für die Kombination Job, Nanni, Créche (Kinderkrippe, die Red.) entschieden.“ „ Meine Mutter hat schon Vollzeit gearbeitet und ich will auch nicht zu Hause rumsitzen“, erklärt Nicole,  „ich habe drei Kinder und die sind froh, wenn sie mit ihren Freunden zusammen sind.“ „Es ist anstrengend, aber ich habe es so gewählt“, sagt Lily, kritisiert aber die konservative Haltung der meisten Männer, „wenn sich auch mal die Männer mehr um den Haushalt kümmern würden, dann wäre das eine Erleichterung für uns.“

So erklären Französinnen mit kleinen Kindern ihre Haltung und bekommen dafür die Zustimmung aus allen Generationen. Warum sollen wir das freiwillig aufgeben, was wir uns vor 40 Jahren erkämpft haben, nämlich die Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung der Frauen, argumentieren die Veteranen der Feminismus-Bewegung wie Elisabeth Badinter. Sie fordert stattdessen, endlich einmal über die tödliche Langeweile zu reden, wie sie Frauen empfinden würden, die zu Hause bleiben. 

Die berufstätige Frau als Staatsmodell

Anders als in Deutschland hat Frankreich die Berufstätigkeit von Frauen schon immer gefördert. Nach dem zweiten Weltkrieg standen Deutschland und Frankreich vor der Frage, wie dem Mangel an Arbeitskräften begegnet werden kann. Deutschland entschied sich für die Anwerbung sogenannter „Gastarbeiter“. Der französische Staat setzte auf die Frauen. Zu den Ganztagseinrichtungen für die Kinder und Jugendlichen kam eine Steuerpolitik, die es den Müttern leicht machen sollte, ja zu Familie und Beruf zu sagen. Betreuungskosten sind steuerlich absetzbar, ab dem dritten Kind zahlt eine durchschnittlich verdienende Familie praktisch keine Steuern mehr. So kommt es, dass  65 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren in Vollzeit arbeiten. „Wir haben in Frankreich eine längere Mittagspause, also haben wir auch später Schluss,“ erklärt nochmal Christine, „deshalb holt die Nanni die Kinder von der Crèche und der Vorschule ab“. Die Mama sehen die Kinder erst zum Abendessen.

Ich bin zuerst mal eine Frau - sagt die Französin 

Wer sein Kind abgibt, kann es auch nicht stillen, könnte man einwerfen. Aber dieses Argument findet in Frankreich selten Beifall. Eine Französin definiert sich zunächst als Frau und erst dann als Mutter. Sie will attraktiv bleiben und nicht durch das Stillen ihren Busen ruinieren. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, glaubt man den Aussagen junger Frauen, die gerade ihre Schulzeit hinter sich haben. „Unsere Klasse war vor kurzem in Deutschland“, erzählt die 19-jährige Muriel, „das war schon krass zu sehen, wie sich Frauen ab 30 Jahren aus der Öffentlichkeit verabschieden. Vielleicht sieht man sie auf dem Spielplatz. Da gehen sie auf im Mutterglück und stillen ihre Kinder.“ Ihre Freundin Isa stimmt zu: “Mamaschuhe, eine praktische Jacke und der Busen wird gleich ganz versteckt. “ Das sind zwar Einzelmeinungen, aber wie ungewöhnlich das Stillen ist, zeigt die Initiative einer Pariser Hebamme. Als diese 2013 aus Protest gegen die Fläschchenkultur ein öffentliches Stillen initiierte, schafften es die 12 stillenden Mütter auf die Titelseite des Lokalteils. Der dann vorhergesagte neue Trend aber ist leise verpufft.

Unser Autor, Erik Paschen, ist Vater von zwei Kindern (4 und 9) und lebt in Berlin. Das Jahr 2014 verbrachte er allerdings mit seiner Familie in Paris und berichtet von dort über das französische Familienleben, die Alltagskultur und Besonderheiten.