Menstruationsbeschwerden, Kinderwunsch, Schwangerschaft

Wann helfen bioidentische Hormone?

Bioidentisch, natürlich, naturidentisch, körperidentisch: So nennt man Hormone, die nach dem Vorbild der körpereigenen Botenstoffe des Menschen hergestellt werden. Frauen - zum Beispiel mit Kinderwunsch - sollen solche Östrogene, Progesteron & Co. helfen, wenn es an der eigenen Hormon-Produktion mangelt. Wann funktioniert das?

Autor: Kathrin Wittwer

Bioidentisch heißt nicht natürlich

Bioidentische Hormone: Arzt und Patient
Foto: © iStock, Cameravit

„Bioidentische Hormone“, das klingt für viele nach Natur, nach Pflanzen. Tatsächlich steht dieser Begriff zwar für Hormone – Östrogene wie das Östradiol, Progesteron, Testosteron, FSH, DHEA, Cortisol usw. – die exakt nach dem Bauplan der menschlichen Hormone hergestellt werden und durch diese identischen Strukturen perfekt zu den Hormonrezeptoren des Körpers passen. Sie sollen deshalb natürlicher wirken als synthetische Hormone, die „umgebaut“ wurden und ergo auch anders wirken (schließlich soll beispielsweise eine Gestagenpille eine Schwangerschaft verhindern, während natürliches Progesteron sie begünstigt). Im herkömmlichen Sinne „natürlich“ sind bioidentische Hormone aber nicht: Sie mögen auf pflanzlichen Stoffen wie der Yamswurzel basieren, hergestellt werden sie jedoch chemisch im Labor.

Bioidentische Hormone: gut für Schilddrüse, Schwangerschaft, Wechseljahre

Genutzt werden bioidentische Hormone schon seit Jahrzehnten in der Schulmedizin, zum Beispiel gegen Schilddrüsenerkrankungen, zur Verhinderung von frühen Fehlgeburten oder in der Hormontherapie während der Wechseljahre. Dafür stehen ganz normal zugelassene Medikamente zur Verfügung.

Können bioidentische Hormone noch mehr leisten?

Inzwischen schwören viele Ärzte und Heilpraktiker auch bei vielen anderen (Frauen-)Beschwerden auf bioidentische Hormone – immerhin mischen Hormone praktisch bei allem mit, was in unserem Körper passiert. „Bioidentische Hormone kommen immer dann sinnvoll zum Einsatz, wenn ein Mangel herrscht oder ein Ungleichgewicht besteht, zum Beispiel, wenn der Körper schon in den Jahren vor der Menopause nach und nach die Hormonproduktion runterfährt“, erklärt Dr. Astrid Vidal.

Geht es auch natürlich(er)?

Die Ärztin arbeitet in ihren beiden Privatpraxen im oberbayerischen Weilheim und in Oberaudorf seit fast zehn Jahren im Rahmen ganzheitlicher Therapien mit bioidentischen Hormonen, unter anderem bei Menstruationsbeschwerden, Wechseljahrbeschwerden und unerfülltem Kinderwunsch, und hat sie hier als sehr wirkungsvoll erfahren.

„Wenn man einmal grundsätzlich verstanden hat, wie synthetische Hormone funktionieren und wie bioidentische, also was machen die im Körper, wie werden die verstoffwechselt, wer ist zuständig für was, welche Konzentrationen liegen vor, ist der Rest nur ein kleiner Schritt zur richtigen Therapie“, begründet Dr. Vidal ihren Ansatz. Dabei orientiert sie sich durchaus daran, wie die Schulmedizin ein Problem löst, und fragt sich: Geht das nicht natürlicher – mit bioidentischen Hormonen, die einfach nur das ersetzen, was fehlt?

Nicht jeder Arzt befürwortet alle Anwendungen

Nicht alle Ärzte befürworten solche Anwendungen abseits der bislang wissenschaftlich belegten Einsatzgebiete. Prinzipiell seien bioidentische Hormone tatsächlich gute Alternativen, „manchmal sogar die erste Wahl“, meint der gynäkologische Endokrinologe Prof. Dr. Michael Ludwig aus Hamburg, aus seiner Sicht aber nur unter der Maßgabe, „dass eine Frau selbst keine Hormone mehr produziert. Sonst bringt man nur den natürlichen Zyklus durcheinander.“

Streitpunkt 1: Anwendungsgebiete - PMS, Endometriose, unerfüllter Kinderwunsch

Deutlich werden die unterschiedlichen Ansichten und Ansätze beispielsweise bei der Anwendung von Progesteron. Das Gelbkörperhormon spielt in der bioidentischen Hormontherapie (BHT) eine bedeutende Rolle, unter anderem in der Behandlung von: 

  • PMS
    „PMS lässt sich nur mit synthetischen Hormonen ausmerzen, die jegliche Schwankungen aus dem Zyklus herausnehmen. Sattelt man bioidentische Hormone auf den natürlichen Zyklus drauf, stört das das Gleichgewicht“, ist Endokrinologe Ludwig überzeugt. 
    Die BHT geht hingegen davon aus, dass das Gleichgewicht bereits gestört ist: Östrogen aus der ersten Zyklushälfte dominiert demnach auch nach dem Eisprung zu sehr. Diese Dysbalance verursacht die Beschwerden, bioidentisches Progesteron kann das ausgleichen und so Probleme lindern.
  • Endometriose
    Auch hier arbeitet die BHT, ergänzt um Vitamine und Mineralstoffe, mit bioidentischem Progesteron, um Schmerzen zu mindern. „Bei einer schwachen Endometriose mag das gehen“, meint Prof. Ludwig. Bei starken Beschwerden heißt für ihn die optimale Therapie: synthetische Gelbkörperhormone. „Die sind effektiver, haben nachgewiesen eine starke Wirkung auf dieses Problem.“
  • unerfülltem Kinderwunsch
    „Die Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch sind so vielfältig, jedes Paar ist so einzigartig, dass es keine generell gültige Therapie gibt, hier greifen immer mehrere Maßnahmen ineinander“, betont Dr. Vidal. „Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, als einen Baustein zum Beispiel die zweite Zyklushälfte mit bioidentischem Progesteron zu unterstützen, wenn ein  Progesteronmangel vorliegt.“ Progesteron ist das wichtigste schwangerschaftserhaltende Hormon.  
    Aus Sicht des Endokrinologie-Professors muss man hier in der ersten Zyklushälfte ansetzen: "Wenn die Produktion aufgrund einer Gelbkörperschwäche nicht funktioniert, dann könnte ich frühzeitig Clomifen oder FSH geben, das Hormon der Hirnanhangsdrüse, das die Eierstöcke stimuliert, die wiederum den Gelbkörper produzieren. Dafür kann ich dann auch ein regulär zugelassenes bioidentisches FSH-Präparat nehmen", so Prof. Ludwig.

Streitpunkt 2: Diagnose – per Speichel oder Blut?

Diskrepanzen herrschen auch zur Frage, wie man einen Hormonmangel überhaupt feststellt: durch Blutanalyse oder Speicheltest? Generell bieten die Tests nur eine Momentaufnahme, der Speicheltest gilt für etliche Hormone als unsicherer, „anerkannte Standardverfahren fehlen noch“, lehnt ihn Prof. Ludwig ab.

Dr. Vidal arbeitet in ihrer Praxis mit beiden Tests, hat jahrelang ihre Aussagekraft verglichen und ist zu dem Schluss gekommen: „Anamnese und Speicheltest führen mich zielgenauer zur richtigen Therapie als Anamnese und Blutttest. Aber man braucht Erfahrung für die Auswertung, man muss um die Rhythmik der Hormone im Monat und Tagesverlauf wissen.“

Streitpunkt 3: Dosierung – individuell oder standardisiert?

Abgesehen von zugelassenen Mitteln mit Standarddosierungen ist es möglich, in Apotheken nach Rezeptur Präparate mit individuell angepassten Hormonmengen herstellen zu lassen. Für Dr. Vidal ist dies ein elementarer Teil ihrer Therapie: immer nur soviel geben, wie fehlt, und zwar zum richtigen Zeitpunkt im Tagesverlauf, wenn das natürliche Hormon aktiv wäre.

Prof. Ludwig hat aber auch schon Frauen erlebt, bei denen solche Minimalgaben nicht angeschlugen, ein konventionelles Präparat mit mehreren Östrogenen, die viel mehr Rezeptoren im Körper erreichen, hingegen schon. Auch gibt er zu bedenken: „Bei den industriell gefertigten Standardpräparaten kann ich sicher sein, dass genau die Menge drin ist, die draufsteht. Bei einem Apotheker, der das nur einmal im Monat macht, eher nicht.“ Lässt man individuell fertigen, dann also von jemandem mit der entsprechenden Erfahrung.

Streitpunkt 4: Verabreichungsform – cremen, kleben oder schlucken?

Bioidentische Präparate gibt es in verschiedenen Darreichungsformen: Kapseln, Cremes, Pflaster, Gel. Die Aufnahme über die Haut wird meist bevorzugt, weil die Hormone nicht den Weg über die Leber nehmen müssen, man damit Abbauprozesse umgeht, Nebenwirkungen vermeidet und niedriger dosieren kann. 

Allerdings sind nicht alle Hormone auf dem gleichen Wege gut für den Körper zu verwerten, zeigt sich an den verschiedenen Östrogenen: „Östradiol funktioniert immer, ob man das schluckt, als Pflaster klebt, cremt oder als Kapsel in die Scheide gibt. Östriol hingegen wirkt ausschließlich lokal über die Scheide“, erklärt Prof. Ludwig.

Wie werden die Hormone am besten aufgenommen?

In der BHT sehr befürwortet wird die Gabe von Progesteron als Creme. Dies sieht der Endokrinologe differenziert bis kritisch: „Progesteron wird nicht verlässlich über die Haut aufgenommen, es ist sehr tagesabhängig, sehr individuell abhängig in unterschiedlichen Dosierungen, man weiß nicht genau, wie viel Progesteron tatsächlich ankommt.“ Solange nur allein mit Progesteron behandelt wird, sei das im Grunde ok. „Aber wenn die Frau zusätzlich ein Östrogen nimmt, das immer auch die Gebärmutterschleimhaut aufbaut, brauche ich Progesteron als Gegenspieler, um die Schleimhaut vor bösartigen Veränderungen zu schützen. Sonst gehe ich ein signifikant erhöhtes Risiko für Gebärmutterschleimhautkrebs ein. Hier muss das natürliche Gelbkörperhormon daher immer oral oder vaginal verabreicht werden, damit es sicher wirkt."

Streitpunkt 5: Sicherheit – Brustkrebsrisiko auch bei bioidentischen Hormonen?

Ob bioidentische Hormone grundsätzlich risikofreier sind als die veränderten synthetischen, ob sie beispielsweise das Brustkrebsrisiko nicht erhöhen wie von Verhütungspillen bekannt, ist noch ein Streitpunkt in der Fachwelt – hier spielen offenbar auch Dosierungen, das Alter, Vorerkrankungen und die individuelle genetische Disposition eine Rolle.

Fazit: Kann gut sein, aber nur unter ärztlicher Aufsicht

Sicher ist: Bioidentische Hormone sind keine harmlosen Ergänzungsmittel, sondern potente Wirksubstanzen. Deshalb sind sie grundsätzlich verschreibungspflichtig – und sollten keinesfalls in Eigenregie aus dem Ausland besorgt werden. Zum einen weiß man da nie genau, was drin ist. Zum anderen ist das Zusammenspiel der Hormone im Körper viel zu komplex, um als Laie darin herumzupfuschen und sich unwissentlich Gesundheitsrisiken auszusetzen. So warnen die Beipackzettel von Standardpräparaten mit bioidentischem Progesteron wie z.B. Famenita oder Utrogest davor, dass Überdosierungen Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit oder Migräne verursachen können.

Eigentlich super – aber nicht immer für jede

Im Detail können Ärzte also sehr unterschiedlicher Meinung über Vorzüge und Anwendung der bioidentischen Hormone sein. Die Basisformel, auf die sie sich einigen können: Bioidentische Hormone sind an sich eine super Sache. Allheilmittel, die in jeder Situation für jede Frau die richtige Lösung bieten, sind aber sie nicht – „und man kann nicht voraussagen, bei welcher Frau geht es, bei welcher nicht“, sagt Prof. Ludwig. „Das ist alles sehr, sehr individuell, Diagnostik und Therapie gehören deshalb in erfahrene ärztliche Hände“, betont auch Dr. Vidal, „und in meiner ganzheitlichen Arbeit ist die BHT eine Säule von vielen.“

Kosten für bioidentische Hormone: oft Selbstzahlerleistungen

Bezahlt wird die Behandlung mit bioidentischen Hormonen von den gesetzlichen Krankenkassen nur in den Fällen, für die die Standardpräparate zugelassen sind. Private Kassen zahlen je nach individuellem Vertrag (fast) alles. 

Ärzteliste

 Zum Weiterlesen

  • Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk: Das Frauen-Hormone-Buch.
  • Dr. Alexander Römmler: Die Wahrheit über Hormone. Wie Hormone richtig eingesetzt werden und wann sie schaden.
  • Dr. Michael Platt: Die Hormonrevolution.
  • Dr. Annelie Scheuernstuhl, Anne Hild: Natürliche Hormontherapie. Alles Wissenswerte über Hormone, die Ihre Gesundheit ins Gleichgewicht bringen.
  • Dr. Joachim Strienz: Naturidentische Hormone. Eine neue Hormontherapie. Ein Ratgeber für Patienten.