Ein Plädoyer gegen das schlechte Gewissen

Mütter, Schluss mit Schuldgefühlen!

Fast schon ein Markenzeichen moderner Mütter ist das schlechte Gewissen. Und es sind gerade die besonders engagierten Mütter, die sich oft "einen Kopf machen". Hier gibt es Argumente und Tipps gegen unnötige Schuldgefühle.

Autor: Felicitas Römer

Mütterliche Lieblingsfrage: Habe ich etwas falsch gemacht?

Mutter laechelnd Kleinkind

Es ist ja schon lange kein Geheimnis mehr: Mütter von heute stehen unter besonderem Druck. Beruflich erfolgreich, fleißig im Haushalt, attraktive Partnerin und hingabevolle Mutter: Das alles kann „frau“ heutzutage sein - natürlich gleichzeitig! Alle scheinen von uns zu erwarten, die unterschiedlichsten Anforderungen locker und fröhlich unter einen Hut zu packen. Kein Wunder, dass sich so manchmal das schlechte Gewissen breit macht: Besonders, wenn es um die lieben Kleinen geht, kennt das weibliche Gewissen kein Pardon. Schon wieder mit dem Sohn geschimpft, obwohl wir doch so geduldig sein wollten. Ganz zu schweigen von dem miesen Gefühl, das sich einschleicht, wenn wir ungerecht waren oder uns sogar mal die Hand ausgerutscht ist.

Im Umgang mit unseren Kindern wollen wir möglichst alles richtig machen: Überflutet von pädagogischen Ratgebertexten sind wir schließlich bestens darüber informiert, was in der Erziehung alles schief laufen kann und worauf wir unbedingt achten müssen. Trotzdem läuft nicht immer alles rund in der Familie. Und spätestens, wenn es Kräfte zehrende Konflikte in der Familie gibt, klopft es lautstark an: das schlechte Gewissen. Viele Mütter fragen sich dann, ob sie etwas falsch machen.

Doch Mütter machen meistens gar nichts falsch: Krisen, Konflikte und schwierige Zeiten gehören zum Familienleben einfach dazu! Trotzdem leiden viele Mütter unter Schuldgefühlen. So traf ich bei meinen Recherchen auf eine 70jährige Frau, die sich Gedanken darüber machte, ob sie „schuld“ daran sei, dass ihre 40jährige Tochter immer noch Single ist. Ich lernte Frauen kennen, die ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie ihr Kind abgeben, um sich selbst etwas Gutes zu tun, und andere, die nach der Trennung von ihrem Mann unter Schuldgefühlen litten, weil die Kinder so traurig waren. Und ich führte intensive Gespräche mit Frauen, die ihre tief sitzenden Schuldgefühle erst in einer Therapie entdeckten und durch ihre Überwindung ein völlig neues Lebensgefühl entwickelten.

Schuldgefühle zu haben heißt nicht, Schuld zu haben

Andere Mütter reagierten auf meine Interviewfragen mit Abwehr: „Wieso sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?“ Sie ließen sich ungern gedanklich auf dieses unangenehme Thema ein und äußerten Unmut darüber, dass ihnen „alle“ ein schlechtes Gewissen einreden wollten. So schrieb eine Mutter: „Einige Menschen erwarten, dass ich mich dafür rechtfertige, dass ich trotz Mann und Kind berufstätig bin. Andere erwarten von mir, dass ich mich dafür rechtfertige, dass ich nur ein Kind habe. Bei einigen Menschen habe ich das Gefühl, sie erwarten, dass ich ein schlechtes Gewissen haben muss, weil ich sehr gut verdiene und Vätern den Arbeitsplatz wegnehme. Irgendwie gibt es immer Menschen, denen meine Lebensform nicht passt.“

In der Tat: Ob Bildungspolitiker oder Werbe-Macher, Ärzte, Pädagogen, die eigenen Eltern und Bekannte - gerne redet man Müttern ins Gewissen, gibt ihnen ungefragt Ratschläge, nörgelt an ihrem Erziehungsverhalten oder ihrer Lebensgestaltung herum. Und immer noch schiebt man ihnen allzu kurzsichtig monokausal die Schuld in die Schuhe, wenn das Kind nicht so „funktioniert“, wie Lehrer, Erzieher und Verwandte es gerne hätten. Kein Wunder, dass Mütter allergisch reagieren, wenn man sie auf Schuldgefühle anspricht!

Doch natürlich heißt Schuldgefühle zu haben, nicht, tatsächlich Schuld zu haben. Die meisten mütterlichen Schuldgefühle basieren schließlich auf der bloßen Befürchtung, den hohen allgegenwärtigen Ansprüchen des Familienlebens nicht gerecht werden zu können.

Groteskerweise sind es häufig die engagierten Mütter, die unter einem schlechten Gewissen leiden: Sie sind sich ihrer großen Verantwortung bewusst, setzen sich hohe Erziehungsziele, fordern von sich stets pädagogische Höchstleistungen und setzen sich so unter enormen Leistungsdruck - und müssen dann im ganz alltäglichen Erziehungschaos an so manchem zu hoch gesetzten Ziel geradezu zwangsläufig scheitern. Wer das mit Humor nehmen kann und Familienleben als unerschöpfliches Lernfeld betrachtet, hat es gut. Wer mit Schuldgefühlen reagiert, untergräbt damit sein Selbstwertgefühl und hebelt sich auf Dauer aus.

Warum das schlechte Gewissen kein guter Erziehungsratgeber ist

Dass Schuldgefühle weder in der Kindererziehung noch bei der Lösung von Familienproblemen hilfreich sind, ist in Beratung und Therapie schon länger bekannt. Denn:

  • Wenn Mütter chronisch unter einem schlechten Gewissen leiden, beginnen sie, an ihren erzieherischen Kompetenzen zu zweifeln und die Leistungen, die sie schon lange täglich unter Beweis gestellt haben, in Frage zu stellen. Sie unterminieren damit ihre natürliche Autorität und ihr mütterliches Selbstbewusstsein.
  • Schuldgefühle machen manipulierbar und überverantwortlich: Wer zu Schuldgefühlen neigt, tut oft Dinge, die er eigentlich nicht tun möchte, lässt Kinder mehr durchgehen, als gut wäre, drückt manchmal in ungünstigen Situationen ein Auge zu und vermeidet den ein oder anderen Konflikt. Lieber vorher „ja“ sagen als nachher ein schlechtes Gewissen haben? Eine problematische Haltung!
  • Um ein schlechtes Gewissen zu kompensieren, neigen manche Eltern zu Verwöhnung: Geschenke und schöne Versprechungen sollen das Kind entschädigen für das eigene (vermeintliche) Fehlverhalten. Doch wer möchte schon auf diese Weise bestochen werden?
  • Schuldgefühle verhindern allzu oft, dass man Kindern ein empathisches und offenes Gegenüber sein kann, da man sich für deren Kummer mit verantwortlicht fühlt. Weil dieses Gefühl so unerträglich ist, trösten Eltern ihre Kinder oft über deren Schmerzen hinweg, hören gar nicht richtig hin oder spielen das Problem herunter. Andere erklären den Kummer des Kindes zu ihrem eigenen. Auch damit ist dem traurigen Sohn oder der wütenden Tochter nicht wirklich geholfen.
  • Viele Mütter neigen zu Perfektionismus. Auch hier spielen oft latente Schuldgefühle eine Rolle: Um möglichst alles richtig zu machen, opfert sich die Mutter für die Familie auf. Mit fatalen Folgen: Denn Kinder fühlen sich schnell schuldig dafür, wenn Mama ihretwegen so viel Mühsal auf sich nimmt. Dann leiden auch sie unter einem schlechten Gewissen, beginnen, sich auch für andere aufzuopfern oder gehen in die rebellische Verweigerung.

Genug Gründe, das schlechte Gewissen abzuschaffen!

10 Hausmittelchen gegen das schlechte Gewissen

  • 1. Überlege, in welchen Situationen du ein schlechtes Gewissen bekommst: Gegen welchen Anspruch an dich selbst hast du verstoßen? Ist dieser Anspruch realistisch und angemessen oder verlangst du einfach zu viel von dir?
  • 2. Was fürchtest du, könnte schlimmstenfalls passieren, wenn du deinen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht wirst? Hast du Sorgen um die Kinder oder fürchtest du, von jemandem abgelehnt zu werden?
  • 3. Was hast du in deiner Herkunftsfamilie gelernt? Solltest du immer das brave gute Mädchen sein? Was passierte, wenn du den elterlichen Vorstellungen nicht entsprochen hast?
  • 4. Welche Werte sind dir wichtig? Entdeckst du manchmal verstaubte Regeln und Vorschriften deiner Eltern oder Großeltern in deinem Kopf, die dich in deinem Verhalten bremsen? Kannt du diese verabschieden?
  • 5. Probiere neue Verhaltensweisen in Ihrem Alltag aus: Was passiert, wenn du einmal bewusst etwas nicht tust, was du selbst und andere stillschweigend von dir erwarten? Teste es!
  • 6. Wenn du eine Neigung zum Perfektionismus hst und es gerne allen recht machen willst: Nimm dich wichtiger! Überlege täglich, was du dir Gutes tun kannst – und tue das dann auch!
  • 7. Versuche in der Erziehung nicht immer alles richtig zu machen, sondern lieber, möglichst authentisch zu sein: Sage, wenn du müde bist, Kopfschmerzen oder schlechte Laune hast. Entschuldige dich bei deinem Kind, wenn du ihm Unrecht getan hast. Dein Kind braucht keine perfekte Super-Mutti, sondern ein aufrichtiges Gegenüber zum Kuscheln, Lachen und Streiten!
  • 8. Hinter Schuldgefühlen verbergen sich oft andere Gefühle wie Wut, Hilflosigkeit oder Traurigkeit. Lasse diese Gefühle zu: Was macht dich so traurig oder wütend? Aus welcher Zeit stammen diese Gefühle ursprünglich?
  • 9. Besonders in schwierigen Zeiten solltest du dich unbedingt vor Augen führen, was du schon alles geschafft hast: Welche Krisen hast du schon gemeistert? Was läuft gut in deiner Familie? Richte deinen Blick auf das Positive und würdige deine täglichen Leistungen!
  • 10. Bitte um Unterstützung und sorge für Entlastung. Was immer du brauchst: Eine Haushaltshilfe, einen Babysitter, eine Erziehungsberatung oder eine einfühlsame Psychotherapeutin: Nimm Hilfe in Anspruch, denn es zeugt von Verantwortungsbewusstsein – sich selbst und Ihrer Familie gegenüber!