Schneller, höher, besser

Konkurrenz unter Müttern

Welches Baby wächst am schnellsten? Welche Frau fliegt noch im neunten Monat in den Himalaya? Welcher Spross fährt als Erster Fahrrad? In diesen und anderen Disziplinen liefern sich Mütter einen erbitterten Wettbewerb. Und das nicht nur auf dem Spielplatz oder im Café, sondern längst auch auf Facebook und Co.

Autor: Petra Fleckenstein

Ein Wettbewerb in vielen Disziplinen

Konkurrenz_Mütter: Frauen tragen Babys
Foto: © iStock, GrapeImages

Genau genommen beginnt es schon in der Schwangerschaft: Welche Frau schafft auch mit dickem Bauch einen Tausendmeterlauf, wer fliegt im neunten Monat noch in den Himalaya und welche werdende Mutter ist so toll, dass sie die natürlichste Hausgeburt garantiert ohne jede Schmerzlinderung aufs Parkett legt? Kaum ist der Embryo zum ersten Mal per Ultraschall vermessen, beginnt ein Wettbewerb, der fortan in hundert Disziplinen tobt.

Erste Disziplin: Wer ist die tollste Schwangere?

Es scheinen nur noch Ausnahmeschwangere die Geburtsvorbereitungskurse zu bevölkern. Gewichtszunahme nicht über zehn Kilo und niemals Sorgen, dass das Baby nicht gut wachsen könnte – überströmender Optimismus ist angesagt. Und schlapp sind die neuen Turbo-Mamas schon gar nicht. Stattdessen sieht man sie im Fitness-Studio noch im 9. Monat, gehüllt in hippe Umstandsfummel und auch zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin noch ekstatisch tanzend auf dem U2-Konzert. Zumindest tut frau so. Denn wer möchte sich schon belehren lassen: "Lass Dich nur mal nicht so hängen. Schwangerschaft ist keine Krankheit."

Zweite Disziplin: Welches Kind wiegt mehr?

Selig und mit verträumtem Blick verlässt eine werdende Mutter die Gynäkologen-Praxis: Das Baby hat sich kräftig bewegt und misst schon stolze acht Zentimeter. Wenig davon beeindruckt zeigt sich die ebenfalls in guter Hoffnung stehende Busenfreundin. Sensibel wie ein Stachelschwein lässt sie vernehmen: "Toll, aber meins ist schon zwölf Zentimeter groß und hat bei der letzten Untersuchung fünf Purzelbäume geschlagen."

Pfunde zu vergleichen bleibt noch lange ein beliebtes Spiel unter Müttern. Sei es die Gewichtszunahme des properen Babys während der Stillzeit, die Kilos, die das Kleinkind bei einer U-Untersuchung auf die Wage bringt oder umgekehrt die überschüssigen Speck-Rollen an Mutters Hüfte. Ungezügelter Wettkampfgeist macht sich breit, wo gemessen und gewogen wird. So gleichen zahlreiche vordergründig mitfühlende Gespräche unter Müttern einem subtilen verbalen Schlagabtausch unter die Gürtellinie: "Was, Niko ist erst einen Meter groß? Das war Daniel schon vor sechs Monaten!"

Dritte Disziplin: Welches Kind schläft am besten?

Regiert in anderen Disziplinen vielleicht noch ein Rest von Fair-Play, so wird beim Thema Schlafgewohnheiten der lieben Kleinen mit harten Bandagen gekämpft. Hier kennen scheinbar sanfte Mütter mit ihren Mitstreiterinnen kein Pardon. Schütten fahle und abgemagerte Kreaturen nach Monaten massiv gestörter Nächte verzweifelt ihr Herz aus, ernten sie Sätze wie: "Komisch, mein Anton schläft schon seit der ersten Nacht durch!" Und gestresste Mütter von notorischen Kurzschläfern, die es nie über einen 30-Minuten-Mittagsschlaf hinausbringen, werden von der vermeintlichen Freundin mit der Information gestärkt, dass deren zweifellos gelungenerer Spross jeden Nachmittag drei Stunden selig schlummert.

"Dein Kind läuft noch nicht?!" – bei Müttern anscheinend auch eine wichtige Disziplin. Mehr dazu im Video:

Vierte Disziplin: Welches Kind haut am besten drauf?

In den skandinavischen Ländern sollen solche Tugenden ja noch was gelten: Zurückhaltung, Sensibilität und soziales Verhalten. Und hier? Durchsetzung und frühe Selbständigkeit sind gefragt und keinerlei Debatte! Toll sind Kinder, die anderen im Sandkasten eins draufgeben, wenn sie mal eben eine Schaufel brauchen. Toll sind auch Kinder, die ihre Mutter an eben derselben Örtlichkeit keines Blickes würdigen, sondern fünf Stunden am Stück im Sand buddeln.

Mitleidig belächelt werden hingegen Mütter von allzu vorsichtigen und sensiblen Kindern, die längere Zeit auf deren Schoß verbringen und in Tränen ausbrechen, wenn ein Sandkasten-Rowdy ihnen die Schippe entreißt. Selbst schuld, das Leben ist ein Kampf und früh übt sich, wer ein Meister werden will. Und hoffentlich versteckt sich Ihr Kind nicht zwischen Ihren Beinen, wenn es von Fremden nach seinem Namen gefragt wird. Stempel drauf: Eindeutig zu schüchtern für diese Welt.

Fünfte Disziplin: Welches Kind fährt als erstes Fahrrad?

Kinderärzte – die Unfallstatistik im Blick – werden nicht müde zu warnen: Nicht Fahrrad fahren vor dem sechsten oder besser noch siebten Lebensjahr. Denn wenn auch die Motorik bereits so weit mitmacht, die Reaktionsgeschwindigkeit des Kindes ist noch längst nicht hoch genug, um den Anforderungen beim Fahrradfahren zu genügen.

Allein - die Worte der Ärzte verhallen ungehört. Kinder müssen auf die Piste – und zwar am besten bereits mit Zwei. Wer hat schon mal in die glänzenden Augen einer Mutter gesehen, die stolz verkündet, dass ihre Tochter schon mit null, einem oder zwei Jahren Fahrrad fährt? Es scheint einen Schalter zu geben – zum Ausknipsen der Restvernunft. Stattdessen regiert der Wettbewerb, und dort das Gesetzt des "Immer- Schneller, Immer-Früher, Immer-Mehr". Wie aber geht es weiter mit den Fahrrad-Frühchen. Reicht es da noch, direkt mit 18 den Führerschein geschenkt zu bekommen, dazu den Smart vor der Tür? Oder gibt es demnächst für Heranwachsende das Führerscheinkompaktpaket mit Pilotenschein?

Sechste Disziplin: Welches Kind war im Urlaub schon auf den Seychellen?

Wohin in den Urlaub? Ach, wieder nur nach Holland - ein unter Familien allmählich geradezu peinliches Reiseziel. Zu toppen nur noch durch Österreich. Der Trend geht schließlich zur Mega-Exotik, besonders auch schon mit ganz kleinen Kindern.

Wie, noch nicht mit zwei Wickelkindern auf den Seychellen gewesen? Oder auf Safari in Kenia? Sie können einem Leid tun. Hier die Kriterien für Ihren Urlaub, damit du mit anderen Müttern garantiert konkurrenzfähig bleibst: Mindestens zehn Stunden Flugzeit sollten dich von deinem Urlaubsort trennen. Dieser muss so exotisch sein, dass zumindest eine Hepatitis-B-Impfung und die Malaria-Prophylaxe nötig sind.

Falls du durchaus mit dem Auto fahren willst, ist ein Schiffstransfer obligatorisch. Punkten kannst du auch, wenn das Urlaubsziel auf der Liste der 50 ärmsten Länder der Welt oder zur Zeit im Bürgerkrieg steht. Damit gibst du beim After-Holiday-Kaffeeklatsch den anderen Müttern garantiert das Gefühl, zu den hoffnungslosen Angsthasen zu gehören oder ihrem Nachwuchs entschieden zu wenige Anregungen zu bieten.

#motherhoodchallange: Wer ist die Glücklichste im ganzen Land

Auch in den sozialen Netzwerken wurden mit der #motherhoodchallange die offiziellen Supermom-Spiele eröffnet. Der Einsatz: Fotos von strahlenden Kindern, glücklichen Müttern, Familienidylle. Mütter zeigen auf Facebook, Twitter und Instagram, wie stolz sie auf ihre Mutterschaft sind und nominieren andere, es ihnen gleich zu tun.

Darf man stolz auf sich und seine Kinder sein und darf man laut sagen, dass die Freundin, die eigene Mutter oder die Arbeitskollegin eine wunderbare Mutter ist? Selbstverständlich, das sollte man sogar. Aber ist Perfektion das richtige Ziel und ein virtuelles Mütter-Wettrennen der richtige Ausdruck? Das Glück in Reinform erfährt man auch als Mutter nicht, so viel ist klar.

Das sehen viele Frauen offenbar ähnlich. Längst posten auch kinderlose Frauen Bilder von sich und betonen die Freuden und Freiheiten ihres Lebens ohne Nachwuchs. Und einige Mütter zeigen statt verklärter Motive dann doch lieber augenzwinkernd ihren Familienwäscheberg oder bewusst absurde Alltagssituationen mit Kind.