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Schlecht erzogen oder ganz normal?

Wenn Kinder Schimpfwörter benutzen

Mit dem Eintritt in den Kindergarten hören Eltern aus den süßen Mündern ihrer liebreizenden Kinder so manches gar nicht liebreizende Wort. Was tun, wenn Schimpfwörter wie "Pups" und "Kaka" am Familientisch ertönen? Ein Erfahrungsbericht aus den Niederungen des Mutterdaseins – mit Tipps eines Erziehungsexperten.

Autor: Monika Maruschka

Woher dieses plötzliche Interesse an solchen Wörtern?

Zwei Mädchen flüstern
Foto: © iStockphoto.com/ Hallgerd

Sternstunden unseres Familienlebens: Mein Mann und ich steigen mit unseren drei Kindern und der fünfjährigen besten Freundin unserer Ältesten in die Straßenbahn ein. Ein Jugendlicher, der hinter den Kindern sitzt, spricht klassisch in sein Handy: „Das war voll Scheiße, ey.“

Verdutzte Blicke zwischen den Kindern, dann geht es lauthals und mehrstimmig los: „Scheiße, Scheiße, der hat Scheiße gesagt. Scheiße-Straßenbahn, Scheiße-Mama, Scheiße-Papa.“ Die Blicke der Mitfahrer sagen alles: Vier Kinder und nichts im Griff, typisch. Mein Mann und ich sehen uns an, versuchen, uns das Lachen zu verkneifen. Es ist der erste Ausbruch unserer Kinder dieser Art und wir haben nicht das Gefühl, durch Schimpfen und genervt gezischte Pst-Laute etwas erreichen zu können. Erst mal an der nächsten Station umsteigen und weitersehen.

Mitbringsel aus dem Kindergarten

Danach kam es immer wieder zu derartigen Schimpfwort-Ausbrüchen. Etwas verunsichert hörte ich mich im Bekanntenkreis um. „Nein, ganz normal, machen unsere auch.“ „Was, das haben Eure bisher nicht gemacht? Dann noch viel Spaß! Das bringt unserer schon lange aus dem Kindergarten mit.“ Das war der Tenor. Offensichtlich hatten wir uns mit der kleinen 15-köpfigen Elterninitiative bisher auf einer Insel der Seligen befunden. Weniger Kinder in der Gruppe zu haben, bringt offensichtlich auch weniger Pups-Begriffe mit sich

Gut, das Verwenden von Schimpfwörtern scheint also typisch für dieses Alter - gerne rennt meine Tochter im Flur an mir vorbei und ruft grinsend als Gruß: „Pups, Kaka, Scheiße“ - manchmal habe ich das Gefühl, sie hält das für ein einziges zusammenhängendes Wort. Trotzdem ist das nichts, wodurch sich meine Kinder im Umgang mit der Außenwelt – siehe Straßenbahn - auszeichnen sollen.

Kinder merken, dass sie Erwachsene provozieren können

Was also tun? Verbieten? Sanktionen? Einfach machen lassen? War da nicht auch was mit der „analen Phase“? Bekommen meine Kinder vielleicht sogar einen Knacks, wenn ich ihnen das Pupskakascheiße verbiete, einen gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper und seinen Ausscheidungen?

Ein Anruf bei einer befreundeten Psychoanalytikerin beruhigt mich. Die anale Phase ist schon vorbei, erfahre ich, die Wörter kommen zwar aus besagtem Bereich, haben aber nichts mit diesem Entwicklungsschritt zu tun. Die Expertin für das Unbewusste gibt aber zu bedenken, dass die Erfahrung, etwas in der Umwelt bewirken zu können, einen Effekt zu haben, wichtig für die Entwicklung sei. Genauso wichtig sei auch die Erfahrung, dass andere Menschen eine Grenze haben, die man respektieren muss. Aha. Keinen Knacks für die Kinder, aber immer noch Knackpunkt für Mamas Nerven.

Um zu entscheiden, was zu tun ist, sollte man also verstehen, warum Kinder von diesen Wörtern so unglaublich fasziniert sind. Die Antwort ist einfach: Es sind nicht die Wörter, sondern die Reaktionen der Erwachsenen auf diese Wörter.

Wie gewöhne ich meinem Kind Schimpfwörter ab? Wir haben diese Frage dem bekannten Erziehungsexperten Jan-Uwe Rogge gestellt. Seine Antwort hier im Video:

Gegen verbales Verhalten sind Eltern machtlos

„Kinder merken sehr schnell, dass Schimpfwörter bei Erwachsenen "besondere" Reaktionen auslösen, die spannend genug sind um sie auszuprobieren“, so Diplompädagoge Heinz Thiery, Leiter der Online-Beratungsstelle der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), „soweit es Fäkalsprache betrifft, kommt es bei Erwachsenen zu Verärgerung oder Ablehnung. Außerdem sehen sich insbesondere Eltern durch das Kind bloßgestellt, besonders wenn diese 'Un'-Wörter im Beisein anderer Erwachsener (z.B. Kita-Personal) fallen. An dieser Stelle wird Kindern deutlich, dass Eltern recht machtlos gegenüber verbalem Verhalten sind.“

Genau, Machtlosigkeit trifft es, wir können unseren Kindern ja schlecht das Sprechen verbieten. Unsere instinktive Reaktion heißt deshalb: Unerwünschte Worte zunächst ignorieren.

Doch als die erwünschte empörte Reaktion der Erwachsenen ausbleibt, greifen die beiden zu härteren Mitteln. Die Schimpfwörter werden nun lauter und häufiger, bis wir sie nicht mehr ignorieren können bzw. wollen. Schlau, die Kleinen.

Wir zünden nun also ebenfalls Stufe zwei. Wenn uns die Schimpferei zu laut und zu viel wird, werden die beiden ins Kinderzimmer geschickt, um dort nach Herzenslust und in jeder gewünschten Tonlage Pupskakascheiße hinauszuposaunen.

„Die Vorgehensweise 'Schimpfen nur alleine' ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, den Verstärker, also die Reaktion der Erwachsenen, wegzunehmen. Das macht Sinn“, bestätigt Heinz Thiery. Und in der Tat scheint die Erlaubnis, im eigenen Zimmer all die verbotenen Wörter zu äußern, die Lust am Schimpfen schon zu nehmen. Schlau, wir Großen.

Beim wem wirkt es? Kinder können schon früh differenzieren

Spannend wird es, wenn der häusliche Waffenstillstand auf neue Mitstreiter wie die Großeltern trifft. Erstaunt stellen wir fest, mit welch sicherem Gespür genau bei der Oma in die Fäkalkiste gegriffen wird, die dieses Verhalten am meisten missbilligt. Die Vorwürfe über die schlecht erzogenen Kinder sind natürlich ein toller Effekt a la „wie zaubere ich mit zwei gezielten Treffern eine gespannte Stimmung an die Kaffeetafel“. Zum Glück lernen sie bei der anderen Oma ein paar Wochen später etwas ganz Neues. Die schimpft zurück: „Doofkind“, „Blödmädchen“. Die Altvordere zeigt sich kreativer als erwünscht und so bleibt die Fäkalkiste hier nach zwei Tagen lustvollen Schimpfens für immer zu.

Profi Thiery kennt das Phänomen: „In der Tat lernen Kinder schon sehr früh, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der verschiedenen Bezugspersonen zu unterscheiden. Die Eltern gegenüber der weniger toleranten Oma zu blamieren ist natürlich eine tolle Sache.“

Nichts für schwache Nerven: Symptomverschreibung

Eine besondere Art des Umgangs beschreibt Heinz Thiery: „Die so genannten Symptomverschreibung. Sprich, die Eltern antworten ebenfalls mit Fäkalsprache. Hierzu ein typisches Beispiel: Das Kind wird gefragt, ob es Butter auf sein Brot haben will und antwortet: "Nein, aber Kaka". Die Eltern können in diesem Fall das Brot fertig machen und dem Kind weiter reichen. Wenn jetzt Protest kommt oder eine Nachfrage nach einem anderen Belag, können die Eltern sagen "Kaka, oder?" Das bricht die Situation, denn das Kind erwartet von seinen Eltern nicht, dass diese "kindisch" bzw. unernst reagieren. Wie lange die Symptomverschreibung durchgeführt werden muss, hängt vom Einzelfall ab. Wichtig ist aber auf jeden Fall, dass die Eltern erst damit aufhören, wenn das Kind aufgehört hat. Ein vorzeitiger Abbruch wäre für das Kind die Bestätigung seiner verbalen Macht.“

Die eigene Schmerzgrenze finden

Eltern müssen entscheiden, welche Methode zu ihnen passt und wie viel „Schimpfen“ sie zulassen wollen. Und sie haben natürlich eine Vorbildfunktion. Wer bei jedem Trödler auf der Überholspur anfängt zu schimpfen wie ein Rohrspatz, muss sich über gleiches Verhalten bei den Kindern nicht wundern. Allerdings ist es für Kinder auch wichtig zu erleben, dass ein in Ausnahmesituationen deftig platzierter Fluch kein Weltuntergang ist.

Auch wenn Kinder im Kindergarten viel Bewunderung für die coolsten verbotenen Wörter erfahren, Eltern sollten ihren Kindern immer klarmachen, dass ein solches Verhalten trotz allem auf andere meist negativ wirkt und dass man Bewunderung durch ganz andere Dinge erhalten kann. Heinz Thiery beruhigt außerdem: „Dieses Verhalten verschwindet bei allen Kindern von selbst, was bleiben kann, ist das Gefühl von (beginnender) verbaler Stärke, wenn der Kampf oft zugunsten des Kindes ausgeht. Je mehr ein Machtkampf daraus wird, desto länger hält das Verhalten an“.

Unsere Töchter haben inzwischen ihren eigenen kreativen Umgang mit den „blöden Wörtern“ und unserem deutlichen Wunsch, diese in unserer Nähe nicht auszusprechen, gefunden: Sie flüstern sich alles, was ihnen an Pupskakascheiße so einfällt, gegenseitig ins Ohr und strahlen uns dann an: „Habt Ihr das gehört?“ Nein, haben wir nicht!