Normale Versprecher?

"Pokoladenschudding": Störungen der Sprachentwicklung

Kein Kind spricht von Anfang an richtig deutlich, mal fehlen noch die Zischlaute, mal stottert es eine Weile oder vertauscht Buchstaben. Nicht jede Auffälligkeit ist auch gleich ein Fall für die Sprachtherapie, sie sollte jedoch beobachtet werden. urbia sagt Ihnen, worauf Sie achten sollten.

Autor: Anne Rodler

Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern auf der Spur

Junge Hand vor Mund panther Silke Brenner
Foto: © panthermedia, Silke Brenner

"Mit Lümpfen pielen", sagt Lina, wenn sie "mit Schlümpfen spielen" meint. Darius ruft:"Tut mal, da tommt der Tasper", er ersetzt den Buchstaben "K" durchgehend mit "T". Bei jedem vierten Kind tritt mittlerweile eine Sprachentwicklungsstörung auf, so die Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik. Parallel dazu sind sich viele Menschen der positiven Wirkung von sprachtherapeutischer Förderung bewusst geworden und legen Pauschalurteile wie "Da kann man nichts machen" oder "Das wächst sich schon aus" ab.

Wann beginnt der Spracherwerb?

Bereits im Mutterleib trainieren Babys Schluck- und Mundbewegungen. Für die Entwicklung der Sprache ist es wichtig, die Säuglinge anzusprechen und ihnen viel zu erzählen. Fingerspiele, Reime und Lieder regen die Sprösslinge zusätzlich an. Lange bevor sie zu sprechen beginnen, verstehen sie Wörter und Sinnzusammenhänge. Als Grundlage für den Spracherwerb müssen sie jedoch zunächst ihre Sinneswahrnehmungen trainieren, Zungen und Lippen kontrolliert bewegen und sich konzentrieren können. Das Gefühl, geliebt zu werden, spielt darüber hinaus für die gesamte Entwicklung der Kinder eine entscheidende Rolle.

Der Roller ist zunächst ein "Oller"

Die Jüngsten lernen im Bereich Sprachverständnis neben dem Wortschatz, Situationen zu verknüpfen. Erst verstehen sie Hauptwörter und Tätigkeitswörter, später Adjektive und Präpositionen. Parallel zu dem Sprachverständnis gelingt es den „Kurzen“ allmählich, Buchstaben und Silben zu artikulieren, wobei die im vorderen Mundbereich gesprochenen Konsonanten wie t, d, k, m, n, p etc. zügiger erlernt werden als r und ch, die im hinteren Mundbereich erzeugt werden. So sagt der zweijährige Jan beispielsweise "Oller fahn" und lässt das "R" noch konsequent weg. Die Aussprache zweier oder mehrerer Konsonanten wie br, tr, kl, schl. erfordert einen weiteren Lernschritt. Später wird die Grammatik angewandt, die Sprachverständnis und Artikulation voraussetzt. Nach Einwortsätzen bilden die Racker Schritt für Schritt Mehrwortsätze. Der Gebrauch von "Ich" gehört ebenfalls zum Grammatikverständnis.

Für die "normale", in Stufen verlaufende Sprachentwicklung gibt es keinen genauen Terminplan. "Im Allgemeinen ist der Spracherwerb mit Vollendung des dritten Lebensjahres abgeschlossen", erklärt Ute Ostendorf, Diplom-Pädagogin und Sprachtherapeutin in Köln. "Aber der dritte Geburtstag stellt nur eine ungefähre Richtlinie dar, die ruhig individuell abweichen darf."

Welche Sprachentwicklungsstörungen gibt es?

Vorübergehendes Stammeln oder Stottern kann während der „normalen“ Sprachentwicklung auftreten und ist deshalb nicht gleich ein Fall für die Sprachtherapie " Ob eine unbedenkliche Schwierigkeit oder eine Störung vorliegt, bei der eine therapeutische Begleitung angezeigt ist, muss jeweils im Einzelfall entschieden werden", erläutert die Kölner Sprachtherapeutin und Mitautorin der Informationsbroschüren der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik. Wenn ein Kind im Alter von vier Jahren beispielsweise länger als sechs Monate stottert oder bestimmte Laute chronisch falsch ausspricht, sollte es einem Experten vorgestellt werden.

Eine gestörte Sprachentwicklung kann durch zeitliche Verzögerung oder durch Fehler in einzelnen sprachlichen Bereichen gekennzeichnet sein, darunter Aussprache, Grammatik, Redefluss, Sprachverständnis und -anwendung sowie Wortschatz.

"Susi, sag mal saure Sahne" auszusprechen, ohne die Zunge zwischen die Zähne zu stecken, ist für viele gar nicht so einfach. Lispeln, eine Artikulationsschwierigkeit der S-Laute, kommt häufig bei Kindern vor, stellt Ostendorf fest. Diese Schwierigkeit kann durch Fehlbildungen im Mund- und Kieferbereich entstehen, wird aber auch durch übermäßiges Schnuller- und Fingerlutschen begünstigt. Mangelt es einem Junior an Wortschatz und ihm fehlt die Vokabel "Limonade", versucht er sie zum Beispiel mit "Glas mit Gelbes drin" zu umschreiben. "Ko ko kommst du, Mmmmmmama ..." oder so genannte Schwa-Laute wie "BeBeBe Banane" sind verschiedene Ausprägungen des Stotterns. Grammatikfehler zeigen sich unter anderem in der Anwendung von Zeiten oder Satzbau. Oder die Kleinen haben Mehrzahl- oder Artikelbildung noch nicht verstanden. So erzählt die fünfjährige Caroline: “Da ist zwei Autos. Dahinten ist noch eine.“

Geräuschemeer erschwert gezieltes Zuhören

Ursachen können organischer oder psychosozialer Art sein. Psychosoziale Ursachen, die einen engen Zusammenhang von sozialen Bedingungen und seelischem Erleben meinen, nehmen laut der Expertin immer mehr zu. Erschwerte Lebensbedingungen wie Einelternfamilien, Arbeitslosigkeit oder hohe berufliche Anforderungen macht sie hierfür verantwortlich. Ein hektisches Leben, in dem ein Termin nach dem anderen abgehakt wird, belastet die Kinder genauso wie die Erwachsenen. Zu Hause läuft dann der Fernseher neben Radio und Computer, und in diesem Geräuschemeer geht gezieltes Hinhören völlig unter. Organische Störungen wie Fehlbildungen der Sprechwerkzeuge oder Hirnstörungen und Einschränkungen des Hörvermögens lassen sich meist kurz nach der Geburt feststellen und erfordern zum Teil eine unverzügliche Behandlung.

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