Wein, si! Obst, no! Essensplan auf Italienisch
Ein gepflegtes Gläschen Vino zur Pasta? Für Schwangere in Italien kein Problem! Dem Laissez-faire beim Alkohol stehen jedoch fast preußisch-strenge Hygiene-Vorschriften für Gemüse gegenüber. Diese und andere Überraschungen schildert Julia Rubin im zweiten Teil ihrer Serie.
Vino zur Pasta? Kein Problem
Julia Rubin (35) lebt zur Zeit in Italien. Ihre ersten beiden Söhne kamen in Deutschland zur Welt, ihr drittes Kind wurde im März 2010 in Turin geboren. Dies klingt zunächst nicht spektakulär, denn schließlich ist Italien nicht Papua Neuguinea. Aber Mamma Mia, andere Länder, andere Sitten! Was das für die Begleitung durch die Schwangerschaft und die Geburt bedeutete, berichtete Julia Rubin für urbia im Rahmen ihrer Serie "Schwanger in Italien".
So ein frisch geschnittener, roher Schinken kann wirklich fies sein. Er lacht mich unverschämt an. Er lacht mich hämisch aus: "Iss mich, probier mich", scheint er mir zu sagen, er will mich locken. "Finger weg von rohen Speisen", warnt mich hingegen mein Verstand. Aha, der Kampf zwischen Versuchung und Vernunft hat mal wieder begonnen. Und der wird in dieser Schwangerschaft mitten im italienischen Piemont besonders hart ausgetragen: herrliche Salami, frisches cremiges Tiramisu, verführerische Zabaione. Aber ich werde nicht nachgeben, nehme ich mir vor, auch wenn die Versuchung noch so groß ist. Also: kein Schinken, keine Salami, stattdessen frisches Gemüse! Ist ja auch nicht schlecht. Mein Vorsatz steht. Allerdings nur bis Woche 14 – bis zu meinem zweiten Besuch bei Dottore Mossetti, meinem deutschsprachigen Frauenarzt in Turin. Dort präsentiert er mir nämlich die italienische Anleitung zum Essverhalten einer Schwangeren. Und mein Appetit vergeht fast von selbst.
Gemüse? Nur nach Reinigung mit Chlor-Desinfektion
„Zuerst kaufe Sie sisch Desinfektione füre Waschen vonne Obst und Gemüse“, beginnt der Dottore seine Ausführung. Eine Desinfektionslösung für Obst und Gemüse!?! Richtig gelesen. Denn erst mit dieser Desinfektion, eine Art Chlorlösung, werden Obst und Gemüse frei von Toxoplasmose-Erregern, klärt mich der Arzt auf. „Amuchina“ heißt dieses Zeug. Gemüse und Obst werden hier in Italien durch Wasser allein anscheinend nicht sauber, sondern erst, wenn sie mehrere Male ordentlich durch diese Chlorlösung gezogen wurden. Dann erst sind sie für Schwangere essbar und frei von gefährlichen Erregern, sagt der Arzt. Tatsächlich scheinen die Toxoplasmose-Erreger DIE große Angst der Schwangeren in Italien zu sein. Bei den meisten schwangeren italienischen Frauen ist deshalb die Desinfektionslösung sowohl im Bad (für die Hände) als auch in der Küche (eben für Obst und Gemüse) zu finden. Und nicht nur die Schwangeren, auch mein Frauenarzt kennt die Angst vor Toxoplasmose: „Signora, ihre Blute sollte untersuchte werden alle viere Woche“, er schaut mich ernst an, „damite wir entdecken früh eine Inefektione von Toxoplasmose.“ Desinfektionslösung und alle vier Wochen Blutuntersuchung? Es gelingt mir, die Blutuntersuchungen auf eine zu reduzieren und ich verspreche dem Arzt dafür, alle riskanten Speisen zu meiden. Aber ich schwöre mir auch: Gemüse, das mit einer Chlorlösung gewaschen wurde, meide ich ebenso. Ich werde Obst und Salat weiter mit Wasser waschen, so wie ich es auch in meinen beiden vorigen Schwangerschaften getan habe. Damit bin ich gesund geblieben und meine Kinder auch. Basta.
Obst? Vorsicht, das macht dick!
Mit dem Rat zur Gemüse-Reinigung ist Dottore aber auch noch nicht am Ende seiner Ess-Anleitung: Die Chlorlösung ist zwar auch für Obst gedacht, aber eigentlich soll ich auf Obst eh verzichten. Denn Fruchtzucker macht dick. Also streichen. Genau wie die leckeren, sündigen Schokoladen, für die Turin bekannt ist, oder den Zucker im Cappuccino. Der Dottore schaut ernst. Bis zum Ende der Schwangerschaft soll ich maximal 13 Kilo zugenommen haben, weniger wäre besser. 13 Kilo? Ich muss wohl ziemlich entsetzt ausgesehen haben. „Signora – gehte Ihne guut?“, fragt er besorgt. Nein, es geht mir nicht gut, wenn ich diese Zahl höre: 13 Kilo! 13 Kilo Gewichtszunahme während einer Schwangerschaft klingt für mich eher nach strenger Diät als nach genussvollem Leben. (Ich gestehe an dieser Stelle freiwillig: Bei meinen beiden vorherigen Schwangerschaften habe ich jeweils um die 22 Kilo zu–, aber danach auch schnell wieder abgenommen). 13 Kilo wären ein Traum und ich bin mir auch sicher: 13 Kilo bleiben ein Traum.
Ich nicke wieder einmal brav und bekomme schließlich noch die Broschüre eines großen italienischen Pharmaunternehmens in die Hand gedrückt, mit weiteren Tipps zum Thema Ernährung während der Schwangerschaft. (Darin steht unter anderem tatsächlich auch ein Diätplan für die Zeit während der Schwangerschaft.) Und wie gut, dass ich sitze, denn ein Hinweise haut mich fast vom Stuhl - der Hinweis zum Umgang mit Alkohol in der Schwangerschaft: „Un bicchiere di vino ai pasti e consentito...“ - übersetzt heißt das so viel wie: "Ein Glas Wein zu einer Mahlzeit ist völlig ok." Wein oder Sekt, in Maßen genossen, soll das hier in Italien dem Ungeborenen also nicht schaden. Und tatsächlich: Beim Besuch in einem Restaurant in Turin ein paar Tage später fragt mich die Bedienung mit Blick auf meinen Bauch „Il bebe beve?“ - „Trinkt das Kind?“ Und wie selbstverständlich bekomme ich ein Glas Rotwein eingeschenkt. Ich frage nach, bei Müttern und Schwangeren, und viele bestätigen mir, dass sie mehr Angst haben vor Schäden durch Toxoplasmose-Erreger als durch Alkohol. Und ein paar Tage später erlebe ich bei einem typisch piemontesischen Abendessen mit Freunden, wie eine andere Schwangere das rohe Gemüse stehen lässt, weil sie ihre Clorwaschlotion zu Hause vergessen hat. Dafür aber stößt sie fröhlich mit einem großen Glas Rotwein an. Ich verstecke mein erstauntes Gesicht hinter einer Gabel voller frischem, „nur“ mit Wasser gewaschenem Gemüse. Und stoße an auf alle schwangeren Frauen in Deutschland und Italien. Mit einem großen Weinglas ... voll mit Wasser. Salute! Prost!
Lesen Sie im dritten Teil: Routinekontrolle Turiner Art.