Monster, Gespenster, Alleine-Sein

Kinderängste verstehen und vertreiben

Ängste haben eine wichtige Schutzfunktion und gehören zur Entwicklung unserer Kinder untrennbar hinzu. Trotzdem dürfen wir Eltern natürlich dabei behilflich sein, Ängste unserer Kinder zu vertreiben.

Autor: Antje Szillat
Autor: Gabriele Möller

Kinderängste haben einen Sinn

Kind traurig aengstlich iStock Imgorthand
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Es ist doch ganz einfach: Positive Emotionen wie Zuversicht, Freude oder Mut haben wir alle gern, aber wer mag schon das Gefühl der Angst? Dabei haben auch Ängste ihren Sinn: Sie warnen vor gefährlichen Situationen oder vor schlimmen Folgen des eigenen Handelns. Und sie sind so natürlich wie das Hungergefühl und begleiten unsere  Kinder fast vom ersten Lebenstag an.

Die Verlustangst des Babys: Bleib' bei mir Mama!

Schon unsre Babys haben Ängste, allen voran die Verlustangst. Sie drückt Babys Bedürfnis nach Halt und Geborgenheit aus. Sie lässt es weinen, wenn es hochgehoben werden möchte, oder auch, wenn Mama oder Papa aus seinem Sichtfeld verschwinden. Am besten beantworten Eltern die natürliche Furcht ihres Babys zuverlässig, indem sie es aufnehmen und trösten, wenn es schreit. Es kann Babys Verlustangst auch lindern, wenn es nicht allein, sondern mit im Elternschlafzimmer schläft. Ab einem Alter von vier bis acht Monaten kommt die Angst vor fremden Personen hinzu: das bekannte "Fremdeln". Wissenschaftler erklären, dass dies ein Relikt der menschlichen Frühgeschichte ist: Fremde (und hier in erster Linie Männer) waren manchmal eine Bedrohung für die Gruppe, vor allem für ihre schwächsten Mitglieder. Ein Kind in der Fremdelphase sollten wir nicht allein bei ihm unbekannten Erwachsenen lassen.

Trennungsangst beim Kleinkind: zwischen Bindung und Loslösung

Lernt ein Kleinkind laufen, lernt es auch eine neue Art der Furcht: die Trennungsangst. Zwar ist das Kind jetzt stolz auf seine neu gewonnene Beweglichkeit. Zugleich entfernt es sich aber immer wieder für kleine Strecken von seinen Lieben, was Ängste auslöst. Denn schon ein paar Meter von Mama wegzulaufen bedeutet einen Mini-Abschied und eine erste Loslösung, erklären Psychologen. Kinder pendeln ab jetzt immer stärker zwischen Nähe und Loslösung. Die Trennungsangst hilft ihnen, die Balance zwischen beiden Gefühlen zu halten. Angst hilft kleinen Kindern aber auch, zum ersten Mal bestimmte Risiken abzuschätzen: Sobald sie laufen, erforschen sie neue Aktionsräume, entdecken gespannt die Welt um sich herum und wagen auch mal etwas. Beim Erklimmen eines Klettergerüsts fragen sie sich: Soll ich weitersteigen oder lieber umkehren? Vielleicht brechen sie dann ab und rufen: „Weiter trau ich mich nicht, ich hab' Angst!". Das ist ein großer Entwicklungsschritt: Das Kind beginnt, Gefahrensituationen zu erkennen und zu bewerten. In dieser Spannung zwischen Angst und Wagemut ist auch ein Gefühl angesiedelt, das Psychologen als "Angstlust" bezeichnen: die Lust auf Neues, auf einen kleinen Nervenkitzel - und zugleich die Angst, bisherige Sicherheiten zu verlieren.

Kiga-Alter: Monster und Gespenster vertreiben

Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr kommt eine neue Angst hinzu: sich nicht wehren zu können. Das Kind spürt, dass es zwar einerseits stärker geworden ist, dass es aber trotzdem noch viel Stärkere gibt (wie etwa ältere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene), gegen die es machtlos ist. Diese Angst bewahrt es zum Beispiel davor, größere Kinder zu provozieren, wenn kein schützender Erwachsener in der Nähe ist, oder sich in unbekannter Umgebung allzu weit von  Papa oder  Mama zu entfernen. In diesem Alter entwickeln Kinder zugleich auch viele unrealistische Ängste: vor Gewittern, lauten Geräuschen, vor Monstern, Gespenstern, und Einbrechern. Jetzt reagieren Eltern manchmal hilflos und sagen: "Du brauchst doch keine Angst zu haben!", oder: "Du bist doch schon so groß, da hat man doch keine Angst mehr!" Dies lindert die Angst des Kindes aber nicht, sondern führt dazu, dass sich das Kind in seiner Angst unverstanden fühlt. Hilfreicher ist es, die Angst des Kindes, die ja für das Kind sehr real ist, ernst zu nehmen. Und es zum Beispiel erzählen zu lassen: „Wovor fürchtest du dich denn genau?"

Umgang mit Angst: Ein Bündnis gegen die Furcht

Danach können Eltern sich mit ihrem Kind gegen den Angstauslöser verbünden. Und zum Beispiel erzählen, dass sie als Kind auch Angst hatten, in den Zimmerschatten könnte sich ein Monster aufhalten, oder ein Einbrecher könne hereinkommen, und was ihnen damals geholfen hat.

Hilfe zur Selbsthilfe: das "Anti-Monster-Spray"

Es macht Kinder auch stark, wenn sie selbst ein Mittel an die Hand bekommen, um Ängste zu kontrollieren und zum Beispiel "Monster" zu vertreiben: zum Beispiel ein "Anti-Gespenster-Spray". Hierfür einfach ein leeres Pumpspray (ohne Gas) mit Wasser befüllen und es neben das Kinderbett stellen - auf den Teppich gesprüht, hält es Monster zuverlässig fern. Ein besonders wild aussehendes, Kuscheltier mit "magischen Kräften" kann ebenfalls beruhigen. Und auch Rituale geben Sicherheit: Wünscht sich das Kind, dass allabendlich der Bereich unter dem Bett abgesucht wird, hilft es, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Sie dürfen aber sagen: "Ich weiß, dass hier kein Monster ist. Aber damit du beruhigt sein kannst, schaue ich für dich nach!" Gegen Angst vor der Dunkelheit hilft eine offene Zimmertür, durch die das Flurlicht hereinkann, ein Nachtlicht oder eine schwache Nachttischlampe.

Mehr als Worte tröstet eine Umarmung

Kinder haben aber auch halb-reale Ängste, wie etwa die Furcht vor Einbrechern. Hier können Eltern beruhigend erklären, dass Einbrecher nicht kommen, wenn jemand zu Hause ist. Und dass ihr Haus/ihre Wohnung außerdem gut gesichert ist: Sie können zeigen, wie sie allabendlich die Wohnungstür abschließen und die Rollläden herunter lassen. Ob die Angst aber nun begründet ist oder nicht: Eine Restangst bleibt trotz elterlicher Mühe fast immer. Besser als sie allzu ausführlich wegerklären zu wollen, hilft einfach eine Umarmung und Verständnis. Meist verschwinden auch hartnäckige Ängste irgendwann von selbst.

Ängste im Vorschulalter: "Opa, wie lange lebst du noch?"

Um das vierte und fünfte Lebensjahr bekommen kleine Kinder erstmals Angst oder zumindest eine vage Vorstellung vom Tod. Entwicklungspsychologen betonen, dass sie ihn dabei nicht so verstehen, wie wir Erwachsenen. Sondern für sie ist er ein Inbegriff des Abschiednehmens. Jetzt kommen häufig Fragen wie "Wann stirbt eigentlich die Oma?" oder "Mama, bist du noch da, wenn ich groß bin?" Eltern dürfen jetzt beruhigend behaupten, dass sie selbst ganz bestimmt uralt werden, und dass auch Oma und Opa sicher noch lange da sind. Auch Märchen und Geschichten helfen, mit den unterschiedlichsten Ängsten des Vorschulalters besser klarzukommen. Die Anteilnahme an einer Geschichte, die zum Beispiel mit angsterregenden Gestalten oder bedrohlichen Situationen beladen ist, kann dem Kind seine reale Angst unbedeutender erscheinen lassen.

Angst schützt vor Selbstüberschätzung

Kinderängste treten meist phasenweise auf und haben oft eine nicht allzu lange Halbwertszeit. Zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr und auch während der Pubertät werden sie meist ein weiteres Mal stärker. Weil Angst eine wichtige Funktion hat, erweisen Eltern Kindern keinen Gefallen damit, wenn sie ihnen dieses unangenehme Gefühl um jeden Preis ganz und gar ersparen wollen. Allzu unerschrockene Kinder können im späteren Leben sogar Probleme bekommen, weil sie Gefahren unter- oder ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen. Wichtiger ist es für ein Kind zu erleben, dass Ängste zu verkraften sind und man sie handlen kann.

Expertenvideo mit Jan-Uwe Rogge: Mein Kind hat einen unsichtbaren Freund, ist das normal?

Literaturtipps

  • Anna Wagenhoff: Lesemaus Band 125: "Jule hat keine Angst im Dunkeln", Carlsen Verlag, ISBN-13: 978-3551088253 (3 bis 5 Jahre)
  • Moni Port: "Das mutige Buch", Klett Verlag, ISBN-13: 978-3954700653 (5 bis 7 Jahre)
  • Ulrike Petermann: "Die Kapitän-Nemo-Geschichten: Geschichten gegen Angst und Stress", Herder Verlag, ISBN-13: 978-3451046483 (Grundschulalter)
  • Monika Specht-Tomann: "Wenn Kinder Angst haben - Wie wir helfen können", Patmos Verlag, ISBN-13: 978-3843600583 (für Eltern)