Serie: "Schwanger in Italien", letzter Teil

Neun Monate und ein Happy End: Die Geburt

In einer fünfteiligen Serie erzählte Julia Rubin von ihrer "italienischen" Schwangerschaft, von allem, was anders und überraschend war in Bella Italia. Aber was wäre die schönste Geschichte ohne ein Happy End? Hier ist es: Der Bericht einer geradezu perfekten Geburt in einer Turiner Geburtsklinik.

Autor: Julia Rubin

"Schnell raus hier, ich glaube, ich hab' einen Blasensprung"

Julia Rubin Geburtsbericht
Julia Rubin nach der Geburt mit Sohn Leo
Foto: © Julia Rubin

Julia Rubin lebt zur Zeit in Italien. Ihre beiden ersten Söhne kamen in Deutschland zur Welt. Für urbia berichtete sie von ihrer Schwangerschaft in Italien, die am 5. März in einer Turiner Klinik mit der Geburt ihres dritten Sohnes endete.

"Spingere" - bis zum Abend des 5. März 2010 kannte ich dieses Wort nur von meinem Lieblingscafé in Turin. Dort steht dieses Wort nämlich mit großen Buchstaben auf der Eingangstür. Ob das nun aber „ziehen“ oder „drücken“ heißt, konnte ich mir irgendwie nie merken. (In 99 Prozen der Fälle habe ich gezogen.) Da musste ich nun also erst hier in Turin ein Kind auf die Welt bringen, um demnächst endlich auch im Café nicht wieder wie der letzte Hansel an einer Tür zu ziehen, die man eigentlich aufdrücken muß. Denn seit dem Abend des 5. März weiß ich: "Spingere" heißt drücken. Zumindest für Café- Besucher. Für werdene Mütter im Kreißsaal würde man "spingere" wohl eher mit "pressen" übersetzen. Und gepresst habe ich - im "Ospedale Maggiore". Vergessen war die Abrisskulisse dieses Krankenhauses von außen. Vergessen waren die Wochen voller Unsicherheit und der Sehnsucht nach einer Geburt in Deutschland. Diese italienische Geburt war der Höhepunkt meiner 39 Wochen dauernden "italienischen" Schwangerschaft. Und sie war der Höhepunkt eines (Geburts-)Tages, der nicht besser hätte laufen können. Es war einfach alles perfekt: Die Uhrzeit. Das gesamte Timing. Der Ablauf. Die Geburt. Fast zu perfekt, um wahr zu sein. Aber es ist wahr. Und mittlerweile bin ich überzeugt: Diese Geburt sollte mich für all meine Unsicherheiten entschädigen, die ich während meiner Schwangerschaft in Italien durchgemacht habe. Und sie hat mir gezeigt: Eine Geburt in Turin kann wunderschön sein und meine Sorgen waren völlig unbegründet! Gott sei Dank. Dieser 5. März 2010 hätte besser nicht enden - und nicht besser beginnen können:

Am Ende einer Schwangerschaft ist es ja oft so, dass man denkt: "Hoffentlich kann ich dies und jenes noch machen und erledigen." Hoffentlich kann ich meine beste Freundin noch treffen, kann noch mal zur Fußpflege gehen, in Ruhe über den Markt bummeln, usw. ..." Bei mir stand das lang verabredete Mittagessen mit meinen Freundinnnen Nicole und Nadia ganz oben auf der Liste dieser wichtigen Dinge – und in meinem Timer: 5. März 2010, 12 Uhr, Café Viktor 37. Hätten wir uns auch nur eine Stunde später verabredet, hätte ich dieses Mittagessen nicht mehr geschafft: Exakt in dem Moment, als wir aufstanden, um zu bezahlen, wurde es in der Gegend unterhalb meiner Gürtellinie warm und nass und ich konnte meinen beiden Freundinnen gerade noch zuraunen: "Mädels, schnell raus hier, ich glaube ich habe 'nen Blasensprung." In diesem Moment gab es ein paar Dinge, über die ich sehr froh war: 1. dass ich einen langen, schwarzen Mantel dabei hatte, der den Bereich unter der Gürtellinie gut abdeckte 2. Dass ich gerade eben zum Mittagessen eine große Portion Pasta mit Scampis gegessen hatte. 3. Dass bei der ebenfalls hochschwangeren Nicole nicht gleichzeitig die Wehen begannen. Nur über eine Sache ärgerte ich mich: Dass ich meinen Klinikkoffer und die Krankenhaus-Unterlagen nicht ins Auto gepackt hatte. Damit hätte ich nämlich direkt ins Krankenhaus gehen können, denn das lag gerade mal fünf Gehminuten vom Café entfernt. So aber war ich wenigstens froh, dass 4. Nadia so viel Zeit hatte, mich nach Hause zu fahren, um Koffer und Unterlagen zu holen. Und das Timing war perfekt: Es war 13 Uhr, unsere beiden großen Jungs machten Mittagsschlaf im Kindergarten, ich erreichte meinen Mann genau in dem Moment, als sein erstes Vor-dem-Wochenende-Meeting zu Ende war und so konnte ich zu Hause entspannt alle Sachen packen, um dann zwei Stunden später mit Mann und Koffer im Krankenhaus "einzuchecken".

In den Kreißsaal kutschiert wie Königin Mutter persönlich

Ja, ich bin auf alles gefasst im „Ospedale Maggiore“: auf das Unmöglichste, das Überraschenste, das Wunderlichste, das Seltsamste in diesem italienischen Krankenhaus. Aber – mamma mia - ist das alles normal hier und fast "deutsch"! Dottore Mosetti hate ausgerechnet an diesem 5. März keinen Dienst, wünscht mir aber per SMS "Gut Gluck"!) Also empfängt mich im Arztzimmer eine sehr freundliche, aber auch sehr direkte Frauenärztin ("Ihr Kind hat einfach mehr Platz, weil bei Ihnen nach drei Schwangerschaften schon alles ziemlich ausgeleiert ist.") , danach übernimmt Hebamme Giulia und bringt mich in ein leeres Doppelzimmer zu Bett Nummer 10. Und dann ist es endlich so weit: "Du-dumm-du-dumm-du-dumm", das erste (und letzte) Mal in dieser Schwangerschaft höre ich den Herzschlag meines Sohnes über ein CTG! Juchuhh! Ich versuche, zu entspannen und dieses lang vermisste Geräusch zu genießen, nur leider setzen schon nach zehn Minuten die Wehen dieser Entspannung ein jähes Ende.

Also noch mal ins Arztzimmer (zu Fuß), Diagnose: Muttermund ist schon offen, bitte direkt weiter zum Kreißsaal (im Rollstuhl). Dabei komme ich mir vor, wie Königin Mutter persönlich: auf dem Weg zum Kreißsaal werde ich begleitet von einem Tross von Krankenschwestern, Schwesternschülerinnen, der Hebamme Giulia und der charmanten Ärztin. In meinem Bauch fängt es immer stärker an zu ziehen, der Kleine macht sich langsam auf den Weg und, um Wehen zu veratmen, ist so ein Rollstuhl verdammt unbequem. Aber der Tross um mich herum bleibt gelassen – ganz italienisch: "Piano, piano, Signora!", das wird schon, nur kein Stress. Und bitte erst einmal warten. Eine Gruppe werdender Eltern schaut sich nämlich gerade noch den Kreißsaal an. Und in diesem Moment natürlich auch mich, die ich im Rollstuhl sitzend auf den Einlass warte, dabei versuche, die Wehen möglichst geräuscharm zu überstehen und so gelassen wie es nur geht dreinzuschauen. Vor allem, als sich diese Gruppe im gemütlichen Schneckentempo aus dem Kreißsaal an mir vorbei bewegt. "Platz da, lasst mich durch, ich krieg ein Kind!“, hätte ich am liebsten geschrien. Und zwar laut. Aber in diesem Moment fehlen mir sowohl die italienische Worte, als auch der Atem. Den brauche ich gerade dringend, um mit den immer stärker werdenden Wehen fertig zu werden. Endlos lange Minuten später liege ich dann endlich, endlich auf dem großen, gelben Entbindungs-Bett. Während ich vor dem Kreißsaal gewartet habe, hatte das Schwesternteam liebevoll alle Geburtsmöglichkeiten für mich vorbereitet: einen Gebär-Hocker, die Wanne und das große Bett. Ich musste mir nur noch aussuchen, wo mein Sohn auf die Welt kommen sollte. Ganz konservativ entschied ich mich auch dieses Mal für das Bett. Da lag ich nun also, zu unserem Team hatten sich noch zwei Schwesternschülerinnen gesellt, die unbedingt mal eine Geburt erleben wollten, und plötzlich wurde es ruhig im Kreißsaal, trotz mir und den sechs (!) Leuten um mich herum.

"Spingere!" - pressen, dann konzentrierte Stille

Ganz ruhig. Kein „piano, piano“ mehr, sondern viele aufmunternde, freundliche, geduldige Blicke richten sich auf mich. Hebamme Giulia steht vor mir, tätschelt meine Beine und lächelt mich erwartungsvoll an. Nur, was wollen die alle von mir? Ja, das habe ich mich in diesem Moment wirklich gefragt. Mein Mann scheint diese Frage von meinem Gesicht abgelesen zu haben, er murmelte dem Team etwas auf italienisch zu und Giulias prompte Antwort lautete: "Spingere!" "Pressen!" Va bene, also gut. Bislang hatte ich zwar immer gedacht, dass ich auf die Presswehen warten muss, um mit dem Pressen zu beginnen. Weil die aber nicht kamen und Giulia mich so schön anfeuerte, hab ich einfach mal drauf los gepresst. Und es hat geklappt: In den folgenden 45 Minuten höre ich das Wort "spingere" schätzungsweise 15 mal. Und war ich da wirklich in einem Krankenhaus in Italien? Um mich war es immer noch ruhig, das Licht wurde gedimmt. Und in diese Ruhe wurde er dann hineingeboren: Leo. 3240 Gramm leicht, 49 cm klein. Benvenuto nella nostra vita! Willkommen in unserem Leben! Und wenigstens er benahm sich temperamentvoll italienisch und machte mit seinem Geschrei - kaum eine halbe Minute alt - direkt mal ordentlich Dampf im Kreißsaal. Das Wort "spingere" war also das einzige, das ich während der Geburt verstehen musste. Keine Komplikationen, keine Probleme - eine Geburt wie im Bilderbuch und so, wie ich es aus Deutschland kannte. Leo durfte auf meinem Bauch liegen, so lange ich wollte, mein Mann durfte die Nabelschnur durchschneiden und auf unsereen Wunsch hin wurde auch auf das Baden verzichtet und Leo nur liebevoll abgewischt. Eine halbe Stunde nach der Geburt rollten er im Rollbettchen und ich im Rollstuhl schon wieder zurück ins Zimmer zu Bett Nummer 10.

Nachtruhe mit kleinen Hindernissen

Dort beginnt dann endlich der Teil des italienischen Lebens, den ich 39 Wochen lang vermisst habe: Um 19 Uhr genieße ich endlich den lang ersehnten frischen, rohen Schinken (stärkend!) und dazu ein Gläschen kühlen Champagner (milchbildend!)! So lässt es sich leben! Vor mir liegt die erste Nacht mit meinem kleinsten Sohn. Er frisch geboren und müde, ich frisch entbunden und müde - ich freue mich auf eine ruhige Nacht und etwas Erholung. Denn ich war noch immer ohne Zimmernachbarin und eine kleine Bettleuchte tauchte den Raum in ein warmes Licht.

Lange genossen wir diese Ruhe allerdings nicht, sondern nur bis zu dem Moment, in dem ich nach der Nachtschwester klingelte, um eine Schmerztablette zu bekommen. Die tauchte aber nicht persönlich auf, sondern erstmal nur ihre Stimme – „Siiiii, coooosa vuole?“, schrie ihre Stimme aus einem Lautsprecher über der Tür meines Zimmers: „Jaaa, waaaas wollen Sieeee?“ Vor Schreck bin ich fast aus dem Bett gefallen, mein Herz raste und Leo bekam den ersten Heulkrampf seines Lebens - um zwei Uhr nachts. Das war's mit der Ruhe: Stattdessen ein dunkles Krankenhaus-Zimmer, ein schreiendes Kind im Arm und eine Lautsprecherstimme, die fragt, was denn bei mir los sei. Verwirrt ringe ich nach italienischen Worten, ohne zu wissen, wo ich eigentlich hinein sprechen soll. Dennoch gelingt es mir, mit meiner lauten Stimme energisch gegen das Geschrei von Leo anzukommen und nach einer Tablette zu fragen. Die Schwester schien mich tatsächlich verstanden haben, denn ich hörte noch ein krächzendes „va bene“ und danach das Knacksen des Lautsprechers. Aufgelegt. Dann ist es wieder ruhig. Puh. Und gerade hatten sich mein Puls und Leo wieder beruhigt, da - RUMMS - flog unsere Zimmertür auf, die komplette Zimmerbeleuchtung wurde angemacht und vor mir stand der diensthabende Gynäkologe im grellen Neonlicht mit den Tabletten. Es war 2.30 Uhr und mein knapp neun Stunden alter Sohn bekam den zweiten Heulkrampf seines Lebens. Um 2.45 Uhr hatte ich dann ihn wieder beruhigt.

Am Morgen stieg meine Pulsfrequenz dann nochmal kurz an, und zwar beim Anblick meines Frühstücks – nicht vor Freude, sondern vor Schreck: Nach dieser doch eher anstrengenden Nacht mit Entbindung, zwei Schreckensmomenten und einer wegen des altertümlichen Bettes nicht zu unterschätzenden Gymnastik beim Stillen hatte ich auf eine ordentliche Stärkung gehofft, einen starken Kaffee und etwas Gescheites zu Essen. Dabei schien ich für einen kurzen Moment vergessen zu haben, dass ich doch in Italien war. Die Italiener frühstücken nämlich fast nichts. Auch nicht im Krankenhaus. Und so beschränkte sich mein Frühstück auf eine Schale lauwarmen Milchkaffee und zwei in Plastik eingeschweißte Kekse und Zwieback. Basta. Wie gut, dass ich noch vier Snickers im Gepäck hatte, damit konnte ich dann die Zeit bis zum Mittagessen überbrücken. Meinen Mann anrufen, um nach etwas Essbarem zu bitten, hätte auch nichts gebracht. Besuchszeiten sind im Ospedale Maggiore nämlich nur von 13 bis 14.30 Uhr ...

Ende gut - alles gut!

Kein Frühstück, keine Besuchszeiten am Vormittag. Letzteres hatte aber wenigstens zur Folge, dass Leo und ich einen wunderbar entspannten Morgen genießen konnten. Kein neugieriger Besuch, immernoch keine Bettnachbarin, außerdem keine Krankengymnastin, die zur Frühwochenbett-Gymnastik vorbeikommt, keine Hebamme, die mir erklären will, wie ich zu wickeln und zu stillen habe (die Hebamme, die mir erklären wollte, dass der Schnuller im Mund meines Babys zu einer Saugverwirrung und damit zu einem definitiven Scheitern des Stillens führen wird, konnte ich noch erfolgreich in der Nacht abwimmeln. Der Schnuller blieb drin – und Leo trinkt trotzdem an der Brust!). Einfach nur Leo und ich. Erst das Piepsen meines Handys holte uns beide wieder in die Realität zurück. Eine SMS von Dottore Mossetti: „ICH GRATULIRE DIR! BIS MORGEN ABEND. ER DOCTOR“. Doch wir sollten ihn am Abend leider nicht mehr im Krankenhaus sehen. Denn da waren Leo und ich schon längst wieder zu Hause. Ich in meinem (elektrisch verstellbaren!) Bett, Leo neben mir im Anstellbettchen. Einfach nur schlafen. Und wenn ich was brauche, frage ich meinen Mann. Der reagiert direkt, liebevoll und vor allem nachts mit leiser Stimme, nicht über Lautsprecher.

39 Wochen Schwangerschaft und 24 Stunden Entbindungsstation in Italien liegen nun also hinter mir. Und am Ende bin ich froh, dass ich nicht nach Deutschland geflogen bin, um Leo dort auf die Welt zu bringen. Ilona, meine Hebamme in Deutschland, die meinen zweiten Sohn entbunden hatte, betreut mich hier in Italien via Ferndiagnose übers Telefon und per SMS – wenn es sein muss und dank unserer Deutschland-Flatrate auch mehrmals am Tag und sogar nachts (eine italienische Hebamme für die Nachsorge habe ich tatsächlich nicht gefunden). Rückbildung mache ich per DVD zu Hause und so genieße ich unseren italienischen Alltag mit nun drei Söhnen und meinem Mann, der erstmal zwei Wochen Urlaub hat. Dann kommt „mia mamma tedesca“ (zusammen mit „papa tedesco“). Für mich heißt das, weitere drei Wochen Vollpension. Und weil wir so froh und dankbar sind, dass Leo so fröhlich und problemlos in diese italienische Welt hineingeboren wurde, heißt er nicht nur Leo. Sondern Leo Francesco. Als Erinnerung an eine spannende, manchmal nervenaufreibende, aber am Ende wunderschöne Schwangerschaft und Geburt in Bella Italia.

Benvenuto nella nostra vita italiana, piccolo Leo. Willkommen in unserem italienischen Leben, kleiner Leo. Leo Francesco. La tua mamma tedesca.