Gefährliche Internetdiagnosen

Gesundheit: Kinderarzt statt „Dr. Google“

Symptome googeln macht wohl jeder. Aber Eltern nehmen die Antworten der Suchmaschinen manchmal so ernst, dass sie ihnen mehr vertrauen als dem Kinderarzt. Wann ihr die Internet-Diagnosen mit Vorsicht genießen solltet und wann sie sogar helfen kann.

Autor: Gabriele Möller

Kinderarzt contra „Dr. Google“

Dr.-Google-Teaser
Foto: © Colourbox

Für viele Eltern ist es fast selbstverständlicher Alltag: Hat das Kind ein unklares Symptom, wie zum Beispiel Fieber, Hautausschlag oder Schmerzen, wird dieses erst einmal in eine Suchmaschine eingegeben. Doch je nachdem, auf welche Seiten Eltern jetzt gelangen, kann dies die zügige Behandlung durch den Kinderarzt erschweren. Und zwar nicht, weil die Eltern mit dem Kind nun gar nicht erst zum Kinderarzt gehen würden – sondern weil sie ihm oft weniger glauben, als den Informationen im Internet. Doch wie kommt das?

Die Forscher der American Academy of Paediatrics (US-Akademie der Fachärzte für Kinderheilkunde) testeten es an einem Beispiel: am Symptom „Halsschmerz und rasch ansteigendes Fieber" beim Kind. Gab man den Eltern jetzt eine Website zu lesen, auf der die Infektionskrankheit Scharlach beschrieben war, glaubten über 90 Prozent von ihnen auch ihrem Kinderarzt die Scharlach-Diagnose. Bekamen sie dagegen den Screenshot einer Seite vorgelegt, auf der das sehr seltene, aber gefährliche Kawasaki-Syndrom erklärt war (das ebenfalls mit Halsweh und Fieber einhergeht), glaubten nur noch gut 60 Prozent ihrem Kinderarzt die Scharlach-Diagnose. Ein großer Teil wollte lieber noch eine Zweitmeinung einholen. Das Zögern der zweiten Elterngruppe aber kann dazu führen, dass einem an Scharlach erkrankten Kind das dringend nötige Antibiotikum erst verspätet gegeben wird, warnen die Initiatoren der Studie. Und dieses Beispiel lässt sich auf viele weitere Symptome übertragen. Medizinische Seiten im Netz steuern das Verhalten vieler Eltern also weit mehr, als ihnen bewusst ist – manchmal mit unguten Folgen.

Suchmaschinen haben Risiken und Nebenwirkungen

Doch warum sind Google, Bing, Yahoo und die anderen Suchmaschinen so unzuverlässige Ratgeber? Dies hat mehrere Ursachen: Wer besorgt ist, filtert aus einer großen Fülle an Informationen unbewusst nur das heraus, was auf die Situation des eigenen Kindes zu passen scheint – was nicht passt, wird überlesen. So haben viele Eltern der amerikanischen Studie so gut wie gar nicht berücksichtigt, dass das Kawasaki-Syndrom extrem selten ist. Dass auch das eigene Kind darunter leiden könnte, war daher beinahe ausgeschlossen. Aber das ängstliches Zögern sowie der Termin bei einem weiteren Kinderarzt kosten Zeit und können dazu führen, dass es bei Scharlach zu keineswegs harmlosen Komplikationen kommt. Es passiert also genau das, was die Eltern vermeiden wollten.

Der Symptom-Automat kann nicht denken!

Der Symptom-Automat kann nicht denken! Eine weitere Ursache für die mangelnde Zuverlässigkeit der Suchmaschinen: Sie können nicht einmal annähernd die Erfahrung und das Fachwissen eines Kinderarztes ersetzen, der nach seinen sechs Jahren Arztstudium noch weitere fünf Jahre Facharztausbildung absolviert hat. Eine seelenlose Maschine kann die Symptome, die man in sie einspeist, also nicht wirklich gut interpretieren, denn: „Suchmaschinen sind unfähig zu denken", betont die Leiterin der US-Studie, Dr. Ruth Milanaik. Es kommt daher oft - und vielleicht sogar in der Mehrzahl der Fälle - zu Fehl-Diagnosen, wenn Eltern Symptome auf eigene Faust recherchieren.

Warum spuckt die Suchmaschine nur schlimme Krankheiten aus?

Dies alles spricht nicht sehr für „Dr. Google" und seine Gefährten. Doch er hat noch eine weitere schlechte Angewohnheit, die uns Eltern eher belastet als unterstützt. Du hast vielleicht einen kleinen Knubbel in der Haut deines Kindes entdeckt? Ehe du dich versiehst, landest du auf einer Seite zum Thema Krebs. Dein Kind hat irgendwo ein Kribbelgefühl? Die Suchmaschine warnt: Das könnte Multiple Sklerose sein. Der Nachwuchs wirkt seit einigen Tagen schlapp, blass und lustlos? Er hat aber nicht zu wenig Schlaf, einen Eisenmangel, oder einfach zu wenig getrunken - nein, Dr. Google befürchtet gleich bei den Top 20-Ergebnissen eine Lymphatische Leukämie. Und schon ist ein weiterer panischer Schweißausbruch garantiert!

Wieso aber lieben Suchmaschinen eigentlich die eher schweren Krankheiten? Es ist für die Betreiber medizinischer Seiten (oft Kliniken, Ärzte oder Medizinportale) einfach weniger interessant, Alltags-Zipperlein darzustellen. Sie möchten lieber ihr Wissen und ihre Kompetenz bei ernsten Erkrankungen beweisen. Dass die meisten Symptome harmlos sind, oder einfach typische Störungen und Erkrankungen im Kindesalter darstellen, steht dort nur selten. Dies aber weiß wiederum der Kinderarzt, weshalb er – nicht selten zum Erstaunen der durchs Internet alarmierten Eltern – oft auch völlig gelassen bleibt.

Wo „Dr. Google“ wirklich helfen kann

Doch „Dr. Google" hat nicht nur Nachteile - er kann auch hilfreich sein, vor allem wenn es bereits eine gesicherte ärztliche Diagnose gibt. Eltern können sich im Internet Zusatzinformationen besorgen, für die der Kinderarzt vielleicht nicht genug Zeit hat. Wenn ein Kind zum Beispiel Zöliakie oder eine Fructose-Unverträglichkeit hat, bekommen Eltern im Netz viele Tipps und Rezepte für eine geeignete Ernährung. Und auch bei zahlreichen anderen Erkrankungen ist es sinnvoll, wenn Eltern durch das Lesen guter Informations-Seiten Bescheid wissen, um ihr Kind optimal zu unterstützen.

Doch wie findet man seriöse Seiten zu einem bestimmten Thema in Sachen Kindergesundheit? Geeignet sind hier Websites von den Berufsverbänden der Fachärzte, von Krankenhäusern oder Universitäts-Kliniken, von niedergelassenen Ärzten, oder auch von Selbsthilfe-Organisationen. Auch einige große Patienten-Portale im Internet bieten gute erste Informationen. Auf der Seite (oder zumindest im Impressum) sollte immer der Betreiber deutlich angegeben sein, und auch der Arzt/die Ärzte namentlich genannt werden, von denen die Informationen im Text stammen.

Seiten, die von Privatpersonen gestaltet sind, solltest du dagegen eher meiden. Denn hier stimmen die Informationen oft nicht, weil veraltet, woanders abgeschrieben, im falschen Zusammenhang oder auch unvollständig wiedergegeben. Nicht selten spielen auch esoterische und andere weltanschauliche Überzeugungen mit hinein, oder es werden haltlose Behauptungen aufgestellt, so dass du hier nur schwer wirklich sichere Informationen findest.

Suchergebnisse und Sorgen offen ansprechen!

Wenn du durch etwas, das du im Internet gelesen hast, beunruhigt bist, geniere dich nicht, deine Sorge mit dem Kinderarzt zu besprechen. Freundlich nachzuhaken, solange man noch Zweifel hat, ist viel sinnvoller, als die eigenen Befürchtungen zu verbergen – und dann mit seinem Kind unzufrieden von dannen zu ziehen. Denn dies belastet das so wichtige Vertrauen zwischen dir und dem Kinderarzt.

Eine Zweitmeinung durch einen weiteren Arzt kann natürlich trotzdem wichtig und sinnvoll sein (hier aber bitte keinen aus einem Online-Forum wählen, sondern einen, der dein Kind selbst untersucht!). Dies gilt vor allem bei Operationen, oder auch bei belastenden Behandlungen. Denn hier gibt es nicht selten unterschiedliche Einschätzungen der Ärzte. Bei akuten Erkrankungen, die sofort behandelt werden müssen, solltest du aber nicht zögern, und gemeinsam mit eurem Kinderarzt schnell reagieren.