Gewaltfrei erziehen

Wie schädlich ist eine Ohrfeige?

Klapse, Ohrfeigen und andere entwürdigende Maßnahmen gegenüber Kindern sind nicht nur ungeeignete Erziehungsmittel, sie sind auch gesetzlich verboten. Wenn Eltern dennoch schlagen, dann häufig aus Überforderung.

Autor: Constanze Nieder

Zwei alltägliche Szenen

Mutter traegt umarmt Junge

Peter (drei Jahre alt) hat schon wieder diesen Gesichtsausdruck, der seine Mutter in Sprungbereitschaft versetzt: Gleich wird er bestimmt wieder seine gleichaltrige Freundin beißen. Tatsächlich ist nur wenige Sekunden später ein lautes Weinen aus der Spielecke zu hören. Auf Julias Arm zeichnet sich deutlich ein Gebissabdruck ab. Peters Mutter schnappt sich den Übeltäter, klappst ihn, schleift ihn in sein Zimmer, schmeißt ihn auf sein Bett und brüllt ihn zornig an: "Warum musst du immer beißen? Du bleibst solange in deinem Zimmer, bis du bereit bist, dich zu entschuldigen." Der Dreijährige schluchzt, die Ermahnungen seiner Mutter dringen nicht bis zu ihm vor. Seine Mutter verlässt das Zimmer und schämt sich.

Auch Jule bringt ihre Mutter heute in Rage. Mehrmals hat sie der Vierjährigen bereits gesagt, sie solle sich endlich anziehen lassen. Jule ignoriert die Anweisungen; das Toben mit den übrig gebliebenen Kindern auf Tims Kindergeburtstag ist viel spannender. Sie möchte noch nicht nach Hause fahren, da kann nicht einmal der Hinweis auf das Sandmännchen im Fernsehen locken. Inzwischen hat die Mutter sich selbst und die zweijährige Schwester angezogen, die müde vor sich hin quengelt. Der Mutter wird es endgültig zu viel, sie fasst Jule fest am Arm. Im selben Moment wird sie von Jule ins Gesicht geschlagen. Reflexartig ohrfeigt sie das Mädchen. Jule ist entsetzt - ihre Mutter auch. Später im Auto weinen beide. "Es tut mir leid, mein Schatz. Man darf nicht schlagen. Und Mamas und Papas dürfen schon mal gar nicht hauen", entschuldigt sich die Mutter.

Auch eine Ohrfeige ist gesetzlich verboten

Sie weiß natürlich, dass Klapse und Ohrfeigen keine geeigneten Erziehungsmittel sind. Zudem sind sie verboten: Seit November 2000 haben Kinder ein im Bürgerlichen Gesetzbuch verankertes Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Mit dem "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung" wurden körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen für unzulässig erklärt. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein appellierendes Recht, das Kinder schützen, Eltern aber nicht kriminalisieren will, erklärt Christine Mühlbach vom Bundesfamilienministerium. Vielmehr zielt das Gesetz auf einen Bewusstseinswandel ab, dass Gewalt kein geeignetes Erziehungsmittel ist. Gleichzeitig sollte mit der Einführung des Gesetzes auch erreicht werden, dass sich Eltern vermehrt und frühzeitig an Familienbildungs- und Familienberatungsstellen vor Ort wenden, um sich kompetente Unterstützung in Erziehungsfragen zu holen.

Eltern, die gegen das Gesetz verstoßen und ihre Kinder beispielsweise ohrfeigen, können sich nicht mehr auf ihr allgemeines Erziehungsrecht berufen. Strafrechtlich gesehen, begehen Eltern bereits mit einer Ohrfeige eine strafbare Körperverletzung. Seit der Einführung des Gesetzes gelten für Eltern auch in der Beziehung zu ihren Kindern die gleichen Grenzen wie allgemein in der Gesellschaft. So gesehen befinden sich auch alle Personen im Recht, wenn sie massive Übergriffe gegenüber den betroffenen Eltern oder Kindern, aber auch bei Beratungseinrichtungen thematisieren. Eine Pflicht zur Anzeige gegenüber Behörden wie Jugendamt oder Polizei besteht hingegen nicht. Gleichwohl, so Christine Mühlbach, sind alle aufgefordert, hinzusehen und bei groben Misshandlungen oder bei Vernachlässigung einzuschreiten; sich an die Polizei, das Jugendamt oder andere Einrichtungen, die sich um das Wohl von Kindern kümmern, zu wenden.

Schlagen Eltern nun wirklich weniger?

Hat die Einführung des Gesetzes im deutschen Erziehungsalltag aber schon Früchte getragen? Christine Mühlbach verweist in diesem Zusammenhang auf eine umfangreiche Untersuchung, die unter der Leitung von Prof. Kai-D. Bussmann von der Universität Halle-Wittenberg im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt wurde. In der Studie wurden die Auswirkungen des neuen Gesetzes und der begleitenden Kampagne untersucht. Demnach befürworten inzwischen 80 Prozent der Eltern das Idealbild einer gewaltfreien Erziehung.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen aber noch Welten, weiß Katharina Abelmann Vollmer vom Deutschen Kinderschutzbund (DKSB), die ebenfalls auf die Bussmann-Studie verweist. Gemeinsam mit Paula Honkanen-Schoberth hat sie die Schulungskonzepte für die Elternkurse "Starke Eltern - Starke Kinder", die seit 2000 in sehr vielen DKSB-Ortsverbänden angeboten werden, erarbeitet. "Seit der Einführung des Gesetzes ist die Gewalt in den Familien zurückgegangen", berichtet Katharina Abelmann Vollmer. Nach einer Hochrechnung des DKSB erfahren aber immer noch rund 700.000 Kinder im Jahr gravierende Gewaltanwendungen. Ungefähr 10 Millionen Kinder werden in Deutschland noch gezüchtigt; erhalten Ohrfeigen oder Schläge. Das sind noch "zu viele Eltern, die gegen ihre Überzeugung aus Hilflosigkeit und Überforderung auf körperliche Bestrafung zurückgreifen. Und es gibt noch eine zu große gewaltbelastete Gruppe von Eltern, die mit den vorhandenen Angeboten der Familienbildung und -beratung und von der Kampagne nur schwer angesprochen und erreicht werden konnten", sagte Peter Rubenstroth-Bauer, Staatssekretär des Bundesfamilienministeriums im Oktober 2005 zur Eröffnung der Europäischen Fachtagung "Gewaltfreie Erziehung" in Berlin-Brandenburg.

Mit Blick auf die europäische Ebene verwies er auf eine Vereinbarung, die im September 2005 auf der siebten Konferenz der Europäischen Jugendminister in Budapest getroffen wurde. Die Minister der 48 Mitgliedsstaaten des Europarates einigten sich darauf, "Erziehungsstrategien zu entwickeln, die darauf abzielen, die Familie als Ort zu fördern, an dem Kinder und Jugendliche einen gewaltfreien Lebensstil lernen und übernehmen können."

Ist der Klaps auf den Po Gewalt?

Während das deutsche Gesetz ganz ausdrücklich "alle körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen" verbietet, definieren viele Eltern den Klaps auf den Po nicht unbedingt als Gewalt, weiß Katharina Abelmann Vollmer aus ihrer beruflichen Erfahrung. Der Kinderschutzbund hingegen definiert den Klaps auf den Po ganz eindeutig als Gewalt. Andere Eltern wiederum verzichten mit den Worten "Wir wollen ja nicht schlagen" auf Klapse, greifen aber zu Formen von psychischer Gewalt wie Liebesentzug, Verspottung, Anschreien, Anschweigen, Bloßstellen oder Auslachen. Mit versteinerter Miene berichtet Jutta Bauer (Name geändert) von den fragwürdigen Methoden ihrer Mutter: "Wenn ich etwas angestellt habe, hat meine Mutter manchmal tagelang nicht mit mir gesprochen. Ich konnte mich noch so oft bei ihr entschuldigen oder mich bei ihr einschleimen, sie hat mich einfach ignoriert. Oft habe ich mir gewünscht, sie würde mir eine Ohrfeige geben und mich danach aber wieder in den Arm nehmen." Bis heute hat die 40-Jährige, die selbst eine neunjährige Tochter hat, ihrer Mutter diese Maßnahmen nicht verziehen. "Gewalt in der Erziehung - in welcher Form auch immer - zerstört das Vertrauen und das Selbstvertrauen eines Kindes", unterstreicht der Deutsche Kinderschutzbund. Mit seinen Elternkursen "Starke Eltern - Starke Kinder" möchte der DKSB die Erziehungskompetenz von Eltern stärken, ihnen Wege aufzeigen, wie sie auch ohne Gewalt auskommen können, auch dann, wenn ihre Nerven am Ende sind. Das Angebot richtet sich an alle Eltern. Er möchte die Teilnehmer unterstützen, „eine Familie zu sein, in der alle gerne leben, in der gestritten wird, ohne das Gegenüber niederzumachen, in der Grenzen und Menschen respektiert werden."

Elternkurse gegen Isolation und Überforderung

"Ganz wichtig ist bei diesen Kursen auch der Austausch mit anderen Eltern", unterstreicht Abelmann Vollmer. Viele Eltern seien heutzutage isoliert und fühlten sich in Sachen Kindererziehung schnell überfordert. Zu erkennen, dass andere Eltern auch an ihre Grenzen stoßen, wenn sich die Dreijährige im Supermarkt auf den Boden wirft, weil sie unbedingt Gummibärchen haben möchte, oder der Zehnjährige permanent seinen jüngeren Bruder verhaut, tut gut. Patentrezepte werden in dem Elternkurs, der von einer Familientherapeutin oder Sozialpädagogin geleitet wird, aber nicht gegeben. Vielmehr wollen die ausgebildeten Kursleiterinnen die Teilnehmer dabei unterstützen, auf ihre ganz eigene Art eine glückliche Familie zu sein. "Erziehung ist ein Fluss", formuliert die Expertin und spricht sich gegen starre Konzepte aus, die eher etwas mit Dressur als mit Erziehung zu tun hätten. Abelmann Vollmer: "Erziehung kann man nicht technisch machen. Erziehung ist eine Herzenssache. Es ist aber auch eine Ressourcenfrage. Erziehende, die Partnerschaftsprobleme haben oder sich Sorgen machen, ob sie ihre Stromrechnung bezahlen können oder ob am Wochenende noch etwas im Kühlschrank ist, können ihren Kindern nicht unbedingt die notwendige Ruhe, Geduld und Zuwendung entgegen bringen." In diesem Zusammenhang verweist sie auf Erziehungs- und Schuldnerberatungsstellen sowie Kinderschutzzentren, die Hilfe bieten können. Zugleich betont die Fachfrau jedoch, dass "arme Familien nicht zwangsläufig gewalttätiger sind als andere." Das unterstreicht auch Christine Mühlbach: "Gewalt in der Familie ist ein Schichten übergreifendes Thema." Aus diesem Grund plädiert Abelmann Vollmer dafür, dass sich Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder Hilfe von Anfang an holen: "Eltern sollten erkennen, dass es nichts mit Versagen zu tun hat, wenn sie sich Unterstützung holen."

Hand ausgerutscht - und nun?

Wie sollten sich Eltern aber verhalten, wenn ihnen trotz bester Vorsätze die Hand ausgerutscht ist? "Natürlich sind Eltern keine Roboter", beschreibt Abelmann Vollmer und rät: "Wenn sie ihr Kind geschlagen haben, dann sollten sie sich auf jeden Fall bei ihm entschuldigen." Wichtig hierbei sei, dem Kind zu zeigen, dass man es liebt: "Entschuldigung, meine Nerven sind durchgegangen. Ich war wütend, dass du dich nicht anziehen lassen wolltest." Die Fachfrau hebt hervor: "Auch wenn man ein Kind kritisiert, dann sollte ganz deutlich werden, dass man sein Verhalten kritisiert, es als Person aber nicht in Frage stellt." Dass Eltern erst gar nicht die Hand ausrutscht, dafür setzt sich der DKSB ein. "Eltern sollten frühzeitig lernen, dass sie erst gar nicht in solche eskalierende Situationen kommen", so Katharina Abelmann Vollmer. Wer beispielsweise einmal in Ruhe telefonieren muss, ohne von seinem Kleinkind gestört zu werden, der sollte eine Kiste mit besonderem Spielzeug parat haben. Der morgendliche Stress, noch pünktlich in Kindergarten oder Schule anzukommen, kann vermieden werden, wenn der Wecker einfach eine halbe Stunde eher klingelt.
Wer trotzdem nahe davor steht, in einer angespannten Situation die Beherrschung zu verlieren, der sollte sein Kleinkind an einen sicheren Ort (Laufstall, Gitterbett) bringen und selbst erst mal Luft holen. "Besser das Kind weint, weil es im Bett ist, als dass es weint, weil man es geschlagen hat", erklärt Abelmann Vollmer und betont: "Kinder brauchen Liebe, keine Hiebe." Ebenso heißt auch eine Broschüre des DKSB, in der Tipps für eine gewaltlose Erziehung für alle Altersgruppen gegeben werden. Einleitend heißt es darin: "Schlagen ist eine Kurzschlusshandlung, zu der es in Drucksituationen kommt. Sie verbauen sich damit aber den Weg, mit ihren Kindern gut auszukommen." Weiter wird hervorgehoben: "Mit Strafen, wie zum Beispiel Klapsen oder Einsperren, können Sie erst mal eine Unartigkeit unterbrechen (und ihrem Ärger freien Lauf lassen). Richtiges Verhalten bringen Sie Ihrem Kind damit aber nicht bei."

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