Ein bedeutender Entwicklungsschritt

Warum Kinder "nein" sagen müssen

Sagen Kinder störrisch "nein!", rüsten Eltern meist zur Durchsetzungs-Offensive. Doch das kindliche Nein ist besser als sein Ruf und sogar richtig wertvoll!

Autor: Gabriele Möller

Nein sagen macht stark!

Kleinkind Nein Sagen
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Es hat keinen guten Ruf: das "Nein!" kleiner Kinder. Denn sobald der Nachwuchs es für sich entdeckt, wird es für die Eltern anstrengend. Sie wittern das Heraufdämmern des "Trotzalters" und rüsten zur Durchsetzungs-Offensive. Doch Entwicklungsforscher haben eine Menge Gutes über dieses Wörtchen zu berichten: Nein zu sagen will gelernt sein und markiert daher einen bedeutenden Entwicklungsschritt. Es hilft außerdem dem noch jungen Bäumchen Persönlichkeit, gerade und gesund zu wachsen. Und es macht nicht zuletzt stark gegen ungute Einflüsse Fremder. Was das Nein des Kindes genau bedeutet, wann Eltern es zulassen sollten und wann eher nicht:

Der Aufbruch zum Ich

Die Situation: Baby Naomi kann schon sitzen, aber noch nicht sprechen. Beseelt vom Gesundheitsgedanken bietet die Mutter ihr einen Sechskorn-Brei an. Naomi presst nach dem ersten Löffelchen die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf.

Was dahinter steckt: Das Kopfschütteln ist ein Vorläufer des Wortes Nein, sagen Entwicklungspsychologen. Und es markiert einen großen Entwicklungsschritt: Das Baby fühlt erstmals, dass es ein eigenständiges Wesen ist und keine Einheit mit der Mama, dem Papa oder der Umgebung bildet. Beim Essen, aber auch beim Wickeln und Anziehen zeigt sich diese Form der Verneinung am häufigsten.

Die beste Reaktion: Weil man einem Kind nichts in den Mund zwingen sollte, ist die Sache beim Essen klar: Naomis wortloses Nein muss akzeptiert werden, am besten wechseln die Eltern die Breisorte. Schüttelt ein Baby beim Wickeln den Kopf und strampelt, darf man sich aber durchsetzen. Kinderpsychologe Dr. med. Rüdiger Posth betont in seinem Elternberatungsforum: "Widerstandshandlungen beim Anziehen sind altersgerecht. Wenn Eltern dann energischer handeln, weil es jetzt unvermeidlich ist, angezogen zu werden, dann ist das keine Traumatisierung."

Das erste "Nein!" - ein Riesenschritt!

Die Situation: Der zweijährige Paul sagt neuerdings Nein. Und zwar zu allem: zum Essen, zum Anziehen oder auch nur auf die Bitte, sein Bilderbuch zu holen. Seine Eltern sind genervt und ratlos, denn er scheint keine andere Antwort mehr zu kennen. Seltsamerweise macht er hinterher trotzdem oft anstandslos das, wozu er eigentlich Nein gesagt hatte.

Was dahinter steckt: Anfangs wissen Kleinkinder noch nicht, was das Wort Nein genau bedeutet. Sie probieren es immer wieder aus, um zu sehen, wie die Eltern reagieren. Erst allmählich verstehen sie, dass man damit etwas verweigern kann. Dieser Schritt versetzt Entwicklungsforscher regelrecht in Entzücken, denn das Kind kann jetzt zum ersten Mal abstrahieren: Es benutzt ein Wort, das nicht nur eine Sache meint, sondern sich auf unterschiedliche Situationen anwenden lässt: aufs Zähneputzen, aufs Verlassen des Spielplatzes, aufs Schlafengehen.

Die beste Reaktion: Nicht jedes Nein für bare Münze nehmen - der Nachwuchs steckt noch in der Testphase. Aber auch, wenn er das Nein gezielt einsetzt: nicht über jede Alltagsnotwendigkeit diskutieren. Kinder möchten, dass Eltern hier die Führung übernehmen, sie selbst wären damit überfordert. Wo der Ablauf es aber erlaubt, sollten Eltern das Nein berücksichtigen: ein anderes T-Shirt, einen anderen Brotbelag oder eine andere Lieder-CD vorschlagen. Kleine Dinge allein zu entscheiden, stärkt die Selbständigkeit des Kindes.

Hin und her gerissen zwischen Ja und Nein

Die Situation: Der Vater freut sich darauf, Leonard (2,5) von der Tagesmutter abzuholen. Doch der freut sich überhaupt nicht und will gar nicht erst zu ihm kommen. Sein Papa redet mit Engelszungen auf ihn ein, erntet aber nur ein wütendes "Nein! Ich will noch spielen!"

Was dahinter steckt: Diese Situation wird von der sog. Bindungstheorie gut erklärt: Zwar hat Leonard eine enge Bindung zum Papa. Doch jetzt gerade ist seine Bindung zum Spiel stärker. Sie muss erst gelöst werden, damit die Bindung zum Vater wirken kann - und das dauert.

Die beste Reaktion: Leonard kann sich immer nur an eine Sache zur selben Zeit binden, die Umstellung von einer Situation auf die nächste ist für ihn noch schwer. Der Vater muss daher Zeit mitbringen, und die Tagesmutter könnte Leonard vorbereiten: "Wir müssen jetzt aufräumen, gleich kommt der Papa!" Zeit brauchen auch ähnliche Übergangssituationen: das morgendliche Aufstehen oder auch der Start von zu Hause zum Einkauf.

Nein, mit dir teil' ich nicht!

Die Situation: Leon (4) fragt seinen zwei Jahre älteren Bruder Hannes: "Darf ich auch mal deinen Kranwagen haben?" Die barsche Antwort "Nein!" unterstreicht Hannes mit einem finsteren Gesichtsausdruck.

Was dahinter steckt: Hannes hat normalerweise kein Problem damit, ein Spielzeug zu teilen, zum Beispiel mit seinem besten Kumpel. Doch beim kleinen Bruder wird sein Sinn für Fairness von einem stärkeren Gefühl überdeckt: der Eifersucht. Der kleine Bruder scheint nach Hannes' Gefühl sowieso schon mehr als nötig zu bekommen, zum Beispiel mehr Aufmerksamkeit von Mama und Papa. Da braucht er, findet Hannes, nicht auch noch seinen Kran.

Die beste Reaktion: Egal wie gleichmäßig Eltern ihre Liebe verteilen - die Eifersucht können sie nicht verhindern. Geschwister zum Teilen zu zwingen, verstärkt dieses schlechte Bauchgefühl noch, und die nächste Aggression gegenüber Bruder oder Schwester ist vorprogrammiert. Daher: dieses Nein am besten akzeptieren!

Wer nicht Nein sagt, kann auch nicht Ja sagen!

Die Situation: "Kristin, kannst du mir mal schnell die Milch aus dem Kühlschrank geben? Ich habe Teig an den Händen!" "Nein! Ich mal' gerade was!", schallt es lustlos zurück.

Was dahinter steckt: Auch wenn es manchmal anders scheint - Kinder verweigern sich viel seltener, als wir es oft wahrnehmen. Der Nachwuchs kooperiert sogar die meiste Zeit: Er kommt, wenn wir rufen, geht mit in den Kiga, obwohl er noch müde ist, oder schüttet der Katze bereitwillig Trockenfutter in den Napf - kurz: Er bejaht die Situation. Bejahen aber kann man etwas nur dann, wenn man auch Nein dazu sagen könnte - sonst wäre es nur ein sich Beugen unter Zwang.

Die beste Reaktion: Damit unser Kind Ja sagen kann, müssen wir auch seine Neins gelegentlich aushalten. Dies stärkt nicht zuletzt auch seine Fähigkeit, zu unguten Anliegen Fremder Nein sagen zu können, denn es weiß: Ein Nein gegenüber einem Erwachsenen ist kein Tabu. Anstatt Kristin Vorwürfe zu machen, kann es richtiger sein, ihr Nein auf die Bitte (die ja als Frage formuliert war) zu akzeptieren. Kristin hilft aber vielleicht doch mit, wenn sie den Teig auch mal selbst rühren darf.

Ein Ja braucht manchmal Zeit

Die Situation: Luis (3) ist ein pflegeleichtes Kind, finden seine Eltern. Nur wenn er mal für einen Tag zu den Großeltern soll, stellt er sich quer und ruft: "Nein, ich will nicht bei Oma und Opa bleiben!"

Was dahinter steckt: Luis ist noch recht trennungsempfindlich, er bleibt auch auf Geburtstagseinladungen oder beim Kinderturnen noch nicht gern allein. Bei Opa und Oma riecht es außerdem anders als zu Hause, die Möbel sehen komisch aus, die Großeltern machen alles ein bisschen anders als die Mama, und es gelten auch andere Regeln für Luis.

Die beste Reaktion: Nicht bei jedem Nein sollten Eltern eine sofortige Lösung erzwingen wollen. Luis wird sich in den kommenden Jahren immer besser von Mutter und Vater lösen können. Er wird auch toleranter gegenüber einer ungewohnten Umgebung werden. Diese Entwicklung kann man nicht beschleunigen, jedes Kind hat hier sein eigenes Tempo.